• Bernhard Joseph Docen to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: München · Place of Destination: Unknown · Date: 04.12.1814
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Bernhard Joseph Docen
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: München
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 04.12.1814
    Printed Text
  • Bibliography: Schmidt, Ludwig: Docen an Aug. Wilh. v. Schlegel. In: Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur 29 (1904), S. 278–280.
  • Incipit: „[1] München, d. 4. Dec. 1814.
    Wäre nicht die lange Zwischenzeit, welche meine Verbindung mit Ihnen, hochzuehrender Gönner, unterbrach, so sehr mit [...]“
    Language
  • German
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[1] München, d. 4. Dec. 1814.
Wäre nicht die lange Zwischenzeit, welche meine Verbindung mit Ihnen, hochzuehrender Gönner, unterbrach, so sehr mit den grossen Bewegungen der Zeit ausgefüllt, woran auch Sie nicht wenig Theil genommen: so würde diese lange Zögerung in Ansehung des Nibelungen-Liedes unmöglich statt gefunden haben. Früher schon hatte ich jene Abschrift begonnen, wurde aber bald darauf ganz davon abgezogen, da ich das Mscpt. zurückgeben musste und alles Wegleihen der Handschriften bei uns strenge untersagt wurde. Ausserdem wurde ich damals zu einer noch festeren Ansicht über die Benutzung der vorhandenen Texte unsers Heldenliedes veranlasst, die ich später in der Beurtheilung der v. d. Hagenʼschen Ausgabe (in der Jen. ALZ.) näher angegeben habe und die ich mit Ihrer Erlaubniss hier kurz berühren will. Die Abweichungen der mir bekannten 3 Handschriften des N. L. sind so manigfaltig und zahlreich, dass mirʼs völlig unstatthaft schien, diese Texte zu Einem gemischten unter einander zu verarbeiten; ich glaubte, jeder dieser Texte habe Ansprüche, als für sich bestehend besonders herausgegeben zu werden (nur dass offenbare Verstösse jedesmal durch die übrigen Codd. getilgt, und was diese mehr enthielten, allemal, doch durch den Druck unterschieden, mit eingefügt würde, so dass die [2] Strophenzahl in allen Abdrücken gleich wäre; wobei sonst, ausser den auffallendsten, namentlich historisch bedeutenden, keine weiteren Varianten der Nebentexte hinzugefügt würden.) Sobald jedem unsrer Texte diess sein Recht widerfahren wäre, möchte dann ihre fernere Anwendung zu jeder critischen oder commentirten neuen Ausgabe dem resp. Unternehmer überlassen bleiben. Hätte ich gewusst, dass Ew. Wohlgeb. mit dieser Ansicht einverstanden wären, so würde ich eine solche Handausgabe des Gedichts nach der 2. H Ems. Hds. mit Vergnügen übernommen haben (die unvollständige, sonst, wie ich glaube, vorzüglichste 1ste H Elms. Hds. wird izt in Wien um 50 Duc. zum Kaufe angeboten). − Da Sie jedoch Ihre übrigen Vorarbeiten beendet haben, und Ihre Ausgabe bald erscheinen lassen wollen, so möge obiges hier blos gelegentlich gesagt seyn; das Mscpt. habe ich nun endlich wieder von der Bibl. geliehen erhalten, und werde mir alle Mühe geben, Ihren Wunsch recht bald zu befriedigen. Ich fange eine neue Abschrift an, da die früheren Bogen wol zu unbequem sind. Ein paar Blätter davon lege ich bei; Sie können sich daraus von jenen zahllosen Abweichungen von neuem überzeugen. Wenn eine Schriftprobe von 5 Versen, aus jeder Hälfte, denn die Hand wechselt, zureichen sollte, so werde ich diese gern besorgen.
Auf Ihre Einleitung etc. zu dem Werke freue ich mich zum höchsten; da der Schluss des Gedichts viele heutige Leser unbefridigt gelassen, so hoffʼ ich, werden Sie Verschiedenes zur Rettung der ganzen Composition in jener Hinsicht nicht unangeregt lassen. − Meine Vorschule der deutschen Alterthumskunde (vorerst eine altdeutsche Grammatik) ist nun beendet; ich wünsche sehr, dass das Buch [3] Ihren Beifall erhalten möge. Einen Auszug für unsre Unterrichtsanstalten, in denen unsre alte Poesie mit aufgenommen ist, hoffe ich in ein paar Jahren folgen lassen zu können. Ausserdem habe ich mehrere unsre Sprache betreffende Untersuchungen vorbereitet, die ich künftig mit einem Freunde u. d. T. „Deutsche Blätter“ herauszugeben wünsche; hier sollten sodann literärische und alterthümliche Mittheilungen ebenfalls ihren Platz finden. Was Gräter in der wiederbegonnenen Iduna (seit Jul. d. J.) gegeben, ist gar unbedeutend und inhaltsleer.
So oft habʼ ich gewünscht, dass E. W., da Sie ja vor allen Anderen hier so vorzügliches leisten könnten, jenen Weg öfter betreten haben möchten, auf dem Sie, ich glaube bei Eröfnung des Atheneumʼs (in dem Gespr. „Die Sprachen“) ein damals vielleicht noch zu wenig empfängliches Publicum erblickte. Um unsrer Literatur das Beste, ihr Eigenthümlichste zuzuwenden, muss unsre Sprache, die durch die barbarischen Jahrhunderte seit den Handwerker-Singschulen so viel gelitten, nicht blos ausübend gebildet, sie muss auch in ihren Mängeln und Vorzügen vollständiger erkannt werden, und, statt dass sonst des Einzelnen Willkühr fruchtlos sich jedes erlaubte, müsste sie von nun an durch Mehrerer sichere Besonnenheit, so viel es thulich ist, von jenen Mängeln befreit werden. Würden erst viele solche Untersuchungen, wie Sie sie darbieten könnten, allen Empfänglichen unsers Publicumʼs vor Augen liegen: so würde jener unberufene Haufe, der alljährig seine aus Adelung etc. ausgeschriebenen geistlosen Sprachbücher erneuert, endlich völlig zurückgedrängt werden.
Das Werk der Fr. v. Stael habe ich mit grösstem Interesse gelesen; [4] mit desto grösseren (!), da ich, ehe es noch irgend in München bekannt geworden, einige darin berührte Gegenstände (die Grundübel unsrer Literatur) auf historischem Wege nachzuweisen versucht hatte „Ueber die Selbständigkeit und Reinerhaltung unsrer Literatur und Sprache“ in Ludenʼs Nemesis II, 2. u. 3. H., so wie die Verfass. sie als Phänomene der Gegenwart so geistreich (wenn auch oft zu beschränkt auf einzelne Theile Deutschlands) sie (!) objectivirt hat. Unter uns Deutschen sollte nun auf ähnliche Weise ein hiezu Fähiger die gesammte französische Cultur, Poesie etc. darzeichnen.
Doch ich sehe, dass ich schon wegen dieses langen Briefes um Verzeihung bitten muss; ich bemerke also blos noch, dass ich mein Exemplar der Müller-Ausgabe (die vordere Hälfte nämlich, von der hier blos die Rede seyn kann) für Sie mit der Original-Hds. verglichen habe, welche keineswegs überflüssige Collationirung beinahe beendet ist.
….. B J. DOCEN.
 
PS. Soeben lese ich, dass ein gewisser Arndt in Lüneburg ein Glossar über das Lied der Nibel. ankündigt.
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[1] München, d. 4. Dec. 1814.
Wäre nicht die lange Zwischenzeit, welche meine Verbindung mit Ihnen, hochzuehrender Gönner, unterbrach, so sehr mit den grossen Bewegungen der Zeit ausgefüllt, woran auch Sie nicht wenig Theil genommen: so würde diese lange Zögerung in Ansehung des Nibelungen-Liedes unmöglich statt gefunden haben. Früher schon hatte ich jene Abschrift begonnen, wurde aber bald darauf ganz davon abgezogen, da ich das Mscpt. zurückgeben musste und alles Wegleihen der Handschriften bei uns strenge untersagt wurde. Ausserdem wurde ich damals zu einer noch festeren Ansicht über die Benutzung der vorhandenen Texte unsers Heldenliedes veranlasst, die ich später in der Beurtheilung der v. d. Hagenʼschen Ausgabe (in der Jen. ALZ.) näher angegeben habe und die ich mit Ihrer Erlaubniss hier kurz berühren will. Die Abweichungen der mir bekannten 3 Handschriften des N. L. sind so manigfaltig und zahlreich, dass mirʼs völlig unstatthaft schien, diese Texte zu Einem gemischten unter einander zu verarbeiten; ich glaubte, jeder dieser Texte habe Ansprüche, als für sich bestehend besonders herausgegeben zu werden (nur dass offenbare Verstösse jedesmal durch die übrigen Codd. getilgt, und was diese mehr enthielten, allemal, doch durch den Druck unterschieden, mit eingefügt würde, so dass die [2] Strophenzahl in allen Abdrücken gleich wäre; wobei sonst, ausser den auffallendsten, namentlich historisch bedeutenden, keine weiteren Varianten der Nebentexte hinzugefügt würden.) Sobald jedem unsrer Texte diess sein Recht widerfahren wäre, möchte dann ihre fernere Anwendung zu jeder critischen oder commentirten neuen Ausgabe dem resp. Unternehmer überlassen bleiben. Hätte ich gewusst, dass Ew. Wohlgeb. mit dieser Ansicht einverstanden wären, so würde ich eine solche Handausgabe des Gedichts nach der 2. H Ems. Hds. mit Vergnügen übernommen haben (die unvollständige, sonst, wie ich glaube, vorzüglichste 1ste H Elms. Hds. wird izt in Wien um 50 Duc. zum Kaufe angeboten). − Da Sie jedoch Ihre übrigen Vorarbeiten beendet haben, und Ihre Ausgabe bald erscheinen lassen wollen, so möge obiges hier blos gelegentlich gesagt seyn; das Mscpt. habe ich nun endlich wieder von der Bibl. geliehen erhalten, und werde mir alle Mühe geben, Ihren Wunsch recht bald zu befriedigen. Ich fange eine neue Abschrift an, da die früheren Bogen wol zu unbequem sind. Ein paar Blätter davon lege ich bei; Sie können sich daraus von jenen zahllosen Abweichungen von neuem überzeugen. Wenn eine Schriftprobe von 5 Versen, aus jeder Hälfte, denn die Hand wechselt, zureichen sollte, so werde ich diese gern besorgen.
Auf Ihre Einleitung etc. zu dem Werke freue ich mich zum höchsten; da der Schluss des Gedichts viele heutige Leser unbefridigt gelassen, so hoffʼ ich, werden Sie Verschiedenes zur Rettung der ganzen Composition in jener Hinsicht nicht unangeregt lassen. − Meine Vorschule der deutschen Alterthumskunde (vorerst eine altdeutsche Grammatik) ist nun beendet; ich wünsche sehr, dass das Buch [3] Ihren Beifall erhalten möge. Einen Auszug für unsre Unterrichtsanstalten, in denen unsre alte Poesie mit aufgenommen ist, hoffe ich in ein paar Jahren folgen lassen zu können. Ausserdem habe ich mehrere unsre Sprache betreffende Untersuchungen vorbereitet, die ich künftig mit einem Freunde u. d. T. „Deutsche Blätter“ herauszugeben wünsche; hier sollten sodann literärische und alterthümliche Mittheilungen ebenfalls ihren Platz finden. Was Gräter in der wiederbegonnenen Iduna (seit Jul. d. J.) gegeben, ist gar unbedeutend und inhaltsleer.
So oft habʼ ich gewünscht, dass E. W., da Sie ja vor allen Anderen hier so vorzügliches leisten könnten, jenen Weg öfter betreten haben möchten, auf dem Sie, ich glaube bei Eröfnung des Atheneumʼs (in dem Gespr. „Die Sprachen“) ein damals vielleicht noch zu wenig empfängliches Publicum erblickte. Um unsrer Literatur das Beste, ihr Eigenthümlichste zuzuwenden, muss unsre Sprache, die durch die barbarischen Jahrhunderte seit den Handwerker-Singschulen so viel gelitten, nicht blos ausübend gebildet, sie muss auch in ihren Mängeln und Vorzügen vollständiger erkannt werden, und, statt dass sonst des Einzelnen Willkühr fruchtlos sich jedes erlaubte, müsste sie von nun an durch Mehrerer sichere Besonnenheit, so viel es thulich ist, von jenen Mängeln befreit werden. Würden erst viele solche Untersuchungen, wie Sie sie darbieten könnten, allen Empfänglichen unsers Publicumʼs vor Augen liegen: so würde jener unberufene Haufe, der alljährig seine aus Adelung etc. ausgeschriebenen geistlosen Sprachbücher erneuert, endlich völlig zurückgedrängt werden.
Das Werk der Fr. v. Stael habe ich mit grösstem Interesse gelesen; [4] mit desto grösseren (!), da ich, ehe es noch irgend in München bekannt geworden, einige darin berührte Gegenstände (die Grundübel unsrer Literatur) auf historischem Wege nachzuweisen versucht hatte „Ueber die Selbständigkeit und Reinerhaltung unsrer Literatur und Sprache“ in Ludenʼs Nemesis II, 2. u. 3. H., so wie die Verfass. sie als Phänomene der Gegenwart so geistreich (wenn auch oft zu beschränkt auf einzelne Theile Deutschlands) sie (!) objectivirt hat. Unter uns Deutschen sollte nun auf ähnliche Weise ein hiezu Fähiger die gesammte französische Cultur, Poesie etc. darzeichnen.
Doch ich sehe, dass ich schon wegen dieses langen Briefes um Verzeihung bitten muss; ich bemerke also blos noch, dass ich mein Exemplar der Müller-Ausgabe (die vordere Hälfte nämlich, von der hier blos die Rede seyn kann) für Sie mit der Original-Hds. verglichen habe, welche keineswegs überflüssige Collationirung beinahe beendet ist.
….. B J. DOCEN.
 
PS. Soeben lese ich, dass ein gewisser Arndt in Lüneburg ein Glossar über das Lied der Nibel. ankündigt.
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