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Juni 1813<br>Liebe Freundin!<br>Seit Ihrem Brief vom 26. Mai, den mir Graf Neipperg brachte, habe ich weiter keine Nachricht von Ihnen bekommen. Durch Oberst Arfwedson erfuhr ich, daß Sie Stockholm erst am 3. ds. Mts. verlassen haben. Da ich nicht wissen konnte, daß Sie so lange bleiben würden, hatte ich Ihnen schon nach Göteborg geschrieben. Ich hoffe, Sie werden den Brief erhalten. Ich schreibe weiter dorthin, auch wenn der Brief Sie nach der Einnahme von Hamburg nicht mehr erreichen sollte: es ist augenblicklich unser schnellster Weg nach England.<br>Zunächst einige Worte über Albert. Ich schicke Ihnen einen Brief des Grafen Neipperg, der Ihnen nur zu sehr die Unzufriedenheit bestätigen wird, die sein Betragen erregt hat. Ich habe einen Brief von Alb[ert] vom 4. Juni ohne Ortsangabe – wahrscheinlich aus Lauenburg, da Tettenborn dort sein Hauptquartier hat. Er schreibt noch immer, er habe keinen Befehl zurückzukehren erhalten, obgleich der Kr[on]pr[inz] und der Oberstl[eutnant] Camps mir vor langer Zeit bereits positiv sagten, daß dieser Befehl ihm zugegangen sei. So lange sich Hamburg hielt, konnte sein Zögern noch einigermaßen entschuldigt werden; aber mindestens nach der Räumung hätte er unverzüglich aufbrechen müssen, und mir scheint, daß er nur deshalb da bleibt, weil er die Vorwürfe, die er doch verdient hat, nicht über sich ergehen lassen will. Ich habe ihn in allen meinen Briefen zur Eile ermahnt; mein letzter muß ihm von Ob[erst] Suchtelen übergeben worden sein, den ich gebeten habe, er solle ihm ins Gewissen reden und ihn von den verrückten Plänen abbringen, die er im Kopf hat. Nun – wir werden ja sehen, ob er kommt; seine Pferde sind mindestens schon seit einer Woche hier, und ich mußte seinem Stallknecht Geld geben, da er gar nichts mehr hatte. Tatsache ist, daß er jede Subordination haßt, obgleich sie für ihn außerordentlich heilsam wäre – er geht darauf aus, sich von allem loszumachen. Tettenborn hat ihn natürlich wie seinen Bruder und Kameraden behandelt, aber man sagt, es sei mit seiner Umgebung nicht zum besten bestellt, und die Vermutung liegt nahe, daß in dieser Masse von Neuausgehobenen, die zum Teil aus eifrigen Patrioten bestehen, zum Teil auch aus Abenteurern, ziemlich viel schlechte Gesellschaft zusammengewürfelt ist. Man hat unziemliche Bemerkungen von Alb[ert] hierher berichtet und sich über seinen Mangel an Rücksicht dem G[eneral] Lagerbring gegenüber beklagt, als dieser nach Hamburg kam – ich bin sicher, er hat die ganze Zeit über gespielt; er wollte bei den Bankiers in Hamburg und Altona Geld erheben; sie haben es ihm verweigert. Wenn er jetzt nicht mehr in Not ist, so kommt es daher, daß er sein verlorenes Geld zurückgewonnen hat. Kurzum: es handelt sich um eine ganze Reihe von Tollheiten. 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Sie heiratete 1786 den schwedischen Diplomaten Erik Magnus von Staël-Holstein in Paris. Die Eheleute lebten von Anfang an getrennt. Zu ihren ersten Veröffentlichungen zählten die „Lettres sur les ecrits et le charactère de J.-J. Rousseau“, die 1788 erschienen. Neben der Tätigkeit als Schriftstellerin wurde Germaine de Staël-Holstein als einflussreiche Salonnière berühmt. Unter ihrem politischen Einfluss stand u.a. Benjamin Constant, mit dem sie eine langjährige Beziehung führte und der der Vater ihrer Tochter Albertine war. Ihr politischer Liberalismus und die Befürwortung einer konstitutionellen Monarchie führten 1792 zu ihrer Verbannung ins schweizerische Exil. Gemeinsam mit ihren Kindern bezog sie Schloss Coppet am Genfer See, das nun zum Treffpunkt Intellektueller und Künstler ganz Europas avancierte. Nur selten war der Schriftstellerin der Aufenthalt in Frankreich gestattet. 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Stralsund, den 9. Juni 1813
Liebe Freundin!
Seit Ihrem Brief vom 26. Mai, den mir Graf Neipperg brachte, habe ich weiter keine Nachricht von Ihnen bekommen. Durch Oberst Arfwedson erfuhr ich, daß Sie Stockholm erst am 3. ds. Mts. verlassen haben. Da ich nicht wissen konnte, daß Sie so lange bleiben würden, hatte ich Ihnen schon nach Göteborg geschrieben. Ich hoffe, Sie werden den Brief erhalten. Ich schreibe weiter dorthin, auch wenn der Brief Sie nach der Einnahme von Hamburg nicht mehr erreichen sollte: es ist augenblicklich unser schnellster Weg nach England.
Zunächst einige Worte über Albert. Ich schicke Ihnen einen Brief des Grafen Neipperg, der Ihnen nur zu sehr die Unzufriedenheit bestätigen wird, die sein Betragen erregt hat. Ich habe einen Brief von Alb[ert] vom 4. Juni ohne Ortsangabe – wahrscheinlich aus Lauenburg, da Tettenborn dort sein Hauptquartier hat. Er schreibt noch immer, er habe keinen Befehl zurückzukehren erhalten, obgleich der Kr[on]pr[inz] und der Oberstl[eutnant] Camps mir vor langer Zeit bereits positiv sagten, daß dieser Befehl ihm zugegangen sei. So lange sich Hamburg hielt, konnte sein Zögern noch einigermaßen entschuldigt werden; aber mindestens nach der Räumung hätte er unverzüglich aufbrechen müssen, und mir scheint, daß er nur deshalb da bleibt, weil er die Vorwürfe, die er doch verdient hat, nicht über sich ergehen lassen will. Ich habe ihn in allen meinen Briefen zur Eile ermahnt; mein letzter muß ihm von Ob[erst] Suchtelen übergeben worden sein, den ich gebeten habe, er solle ihm ins Gewissen reden und ihn von den verrückten Plänen abbringen, die er im Kopf hat. Nun – wir werden ja sehen, ob er kommt; seine Pferde sind mindestens schon seit einer Woche hier, und ich mußte seinem Stallknecht Geld geben, da er gar nichts mehr hatte. Tatsache ist, daß er jede Subordination haßt, obgleich sie für ihn außerordentlich heilsam wäre – er geht darauf aus, sich von allem loszumachen. Tettenborn hat ihn natürlich wie seinen Bruder und Kameraden behandelt, aber man sagt, es sei mit seiner Umgebung nicht zum besten bestellt, und die Vermutung liegt nahe, daß in dieser Masse von Neuausgehobenen, die zum Teil aus eifrigen Patrioten bestehen, zum Teil auch aus Abenteurern, ziemlich viel schlechte Gesellschaft zusammengewürfelt ist. Man hat unziemliche Bemerkungen von Alb[ert] hierher berichtet und sich über seinen Mangel an Rücksicht dem G[eneral] Lagerbring gegenüber beklagt, als dieser nach Hamburg kam – ich bin sicher, er hat die ganze Zeit über gespielt; er wollte bei den Bankiers in Hamburg und Altona Geld erheben; sie haben es ihm verweigert. Wenn er jetzt nicht mehr in Not ist, so kommt es daher, daß er sein verlorenes Geld zurückgewonnen hat. Kurzum: es handelt sich um eine ganze Reihe von Tollheiten. Jetzt möchte er sich der augenblicklichen Unannehmlichkeit, die er doch selber verschuldet hat, entziehen; das ist unvernünftig, läuft allen Grundsätzen, die er bei seinem Verhalten befolgen sollte, zuwider und scheint mir ganz unmöglich. Es hat gar keinen Zweck, beim Kr[on]pr[inzen] noch einmal auf ihn zurückzukommen. Ich habe in dieser Beziehung mein möglichstes getan und Neipperg nach mir. Aber was soll man für ihn sagen, solange sein Verhalten, das mit Recht Mißfallen erregt, andauert?
Wenn Sie ihm schreiben, liebe Freundin, so tun Sie bitte so, als ob Sie dies alles nicht von mir hätten – im übrigen können Sie aus seinem Brief, den ich Ihnen mit meinem letzten Schreiben gesandt habe, die nötigen Angaben entnehmen.
Sie sehen, daß ich noch immer hier bin, und ich weiß nicht, wie lange dieser Aufenthalt noch dauern wird. Sie kennen so gut wie ich die Gründe dieser erzwungenen Untätigkeit – ich verweise Sie auf das zweite schwedische Bulletin, das am 3. veröffentlicht wurde. Heute ist Pozzo di Borgo angekommen, ich war schon bei dem Gedanken unruhig geworden, er sei einem feindlichen Streifkorps in die Hände gefallen, denn mehrere Kuriere, die nach ihm aus dem Hauptqu[artier] aufgebrochen sind, haben ihn weit überholt. Aber er wird aus Vorsicht einen großen Umweg gemacht haben. Ich habe ihn noch nicht gesprochen. Man wird bald aus verschiedenen Symptomen erkennen, ob er befriedigende Nachrichten hat mitbringen können. Nach allen Berichten befindet sich das verbündete Herr in einer Stärke von 100000 Mann im besten Zustand und ist mit allem versehen. Es hat seinen Rückzug in guter Ordnung bewerkstelligt und hat eine starke Stellung mit dem Rücken gegen Oberschlesien bezogen. Bonap[arte] versucht jedoch, es in der rechten Flanke zu umgehen. Sein Hauptziel scheint ein Einbruch in Polen und dort die Erregung eines Volksaufstandes zu sein. Die polnischen Adligen, die alleinigen Anstifter dieses Planes, sind eine üble Sippschaft. Die Verbündeten verfolgen Wellingtons Taktik: sie haben beim Rückzug aus der Lausitz alle Vorräte fortgeschafft und alles Vieh mit sich genommen. So versicherten auch die französischen Gefangenen in Schweidnitz, daß es in ihrem Heer sehr an Lebensmitteln fehle. Die Preußen schlagen sich bei jeder Gelegenheit rühmlich, und wie auch der Ausgang des Feldzuges sein möge, sie haben bestimmt ihren alten militärischen Ruf wiedererworben.
Liebe Freundin!
Seit Ihrem Brief vom 26. Mai, den mir Graf Neipperg brachte, habe ich weiter keine Nachricht von Ihnen bekommen. Durch Oberst Arfwedson erfuhr ich, daß Sie Stockholm erst am 3. ds. Mts. verlassen haben. Da ich nicht wissen konnte, daß Sie so lange bleiben würden, hatte ich Ihnen schon nach Göteborg geschrieben. Ich hoffe, Sie werden den Brief erhalten. Ich schreibe weiter dorthin, auch wenn der Brief Sie nach der Einnahme von Hamburg nicht mehr erreichen sollte: es ist augenblicklich unser schnellster Weg nach England.
Zunächst einige Worte über Albert. Ich schicke Ihnen einen Brief des Grafen Neipperg, der Ihnen nur zu sehr die Unzufriedenheit bestätigen wird, die sein Betragen erregt hat. Ich habe einen Brief von Alb[ert] vom 4. Juni ohne Ortsangabe – wahrscheinlich aus Lauenburg, da Tettenborn dort sein Hauptquartier hat. Er schreibt noch immer, er habe keinen Befehl zurückzukehren erhalten, obgleich der Kr[on]pr[inz] und der Oberstl[eutnant] Camps mir vor langer Zeit bereits positiv sagten, daß dieser Befehl ihm zugegangen sei. So lange sich Hamburg hielt, konnte sein Zögern noch einigermaßen entschuldigt werden; aber mindestens nach der Räumung hätte er unverzüglich aufbrechen müssen, und mir scheint, daß er nur deshalb da bleibt, weil er die Vorwürfe, die er doch verdient hat, nicht über sich ergehen lassen will. Ich habe ihn in allen meinen Briefen zur Eile ermahnt; mein letzter muß ihm von Ob[erst] Suchtelen übergeben worden sein, den ich gebeten habe, er solle ihm ins Gewissen reden und ihn von den verrückten Plänen abbringen, die er im Kopf hat. Nun – wir werden ja sehen, ob er kommt; seine Pferde sind mindestens schon seit einer Woche hier, und ich mußte seinem Stallknecht Geld geben, da er gar nichts mehr hatte. Tatsache ist, daß er jede Subordination haßt, obgleich sie für ihn außerordentlich heilsam wäre – er geht darauf aus, sich von allem loszumachen. Tettenborn hat ihn natürlich wie seinen Bruder und Kameraden behandelt, aber man sagt, es sei mit seiner Umgebung nicht zum besten bestellt, und die Vermutung liegt nahe, daß in dieser Masse von Neuausgehobenen, die zum Teil aus eifrigen Patrioten bestehen, zum Teil auch aus Abenteurern, ziemlich viel schlechte Gesellschaft zusammengewürfelt ist. Man hat unziemliche Bemerkungen von Alb[ert] hierher berichtet und sich über seinen Mangel an Rücksicht dem G[eneral] Lagerbring gegenüber beklagt, als dieser nach Hamburg kam – ich bin sicher, er hat die ganze Zeit über gespielt; er wollte bei den Bankiers in Hamburg und Altona Geld erheben; sie haben es ihm verweigert. Wenn er jetzt nicht mehr in Not ist, so kommt es daher, daß er sein verlorenes Geld zurückgewonnen hat. Kurzum: es handelt sich um eine ganze Reihe von Tollheiten. Jetzt möchte er sich der augenblicklichen Unannehmlichkeit, die er doch selber verschuldet hat, entziehen; das ist unvernünftig, läuft allen Grundsätzen, die er bei seinem Verhalten befolgen sollte, zuwider und scheint mir ganz unmöglich. Es hat gar keinen Zweck, beim Kr[on]pr[inzen] noch einmal auf ihn zurückzukommen. Ich habe in dieser Beziehung mein möglichstes getan und Neipperg nach mir. Aber was soll man für ihn sagen, solange sein Verhalten, das mit Recht Mißfallen erregt, andauert?
Wenn Sie ihm schreiben, liebe Freundin, so tun Sie bitte so, als ob Sie dies alles nicht von mir hätten – im übrigen können Sie aus seinem Brief, den ich Ihnen mit meinem letzten Schreiben gesandt habe, die nötigen Angaben entnehmen.
Sie sehen, daß ich noch immer hier bin, und ich weiß nicht, wie lange dieser Aufenthalt noch dauern wird. Sie kennen so gut wie ich die Gründe dieser erzwungenen Untätigkeit – ich verweise Sie auf das zweite schwedische Bulletin, das am 3. veröffentlicht wurde. Heute ist Pozzo di Borgo angekommen, ich war schon bei dem Gedanken unruhig geworden, er sei einem feindlichen Streifkorps in die Hände gefallen, denn mehrere Kuriere, die nach ihm aus dem Hauptqu[artier] aufgebrochen sind, haben ihn weit überholt. Aber er wird aus Vorsicht einen großen Umweg gemacht haben. Ich habe ihn noch nicht gesprochen. Man wird bald aus verschiedenen Symptomen erkennen, ob er befriedigende Nachrichten hat mitbringen können. Nach allen Berichten befindet sich das verbündete Herr in einer Stärke von 100000 Mann im besten Zustand und ist mit allem versehen. Es hat seinen Rückzug in guter Ordnung bewerkstelligt und hat eine starke Stellung mit dem Rücken gegen Oberschlesien bezogen. Bonap[arte] versucht jedoch, es in der rechten Flanke zu umgehen. Sein Hauptziel scheint ein Einbruch in Polen und dort die Erregung eines Volksaufstandes zu sein. Die polnischen Adligen, die alleinigen Anstifter dieses Planes, sind eine üble Sippschaft. Die Verbündeten verfolgen Wellingtons Taktik: sie haben beim Rückzug aus der Lausitz alle Vorräte fortgeschafft und alles Vieh mit sich genommen. So versicherten auch die französischen Gefangenen in Schweidnitz, daß es in ihrem Heer sehr an Lebensmitteln fehle. Die Preußen schlagen sich bei jeder Gelegenheit rühmlich, und wie auch der Ausgang des Feldzuges sein möge, sie haben bestimmt ihren alten militärischen Ruf wiedererworben.
· Original , 09.06.1813