• August Wilhelm von Schlegel to Friedrich Schiller

  • Place of Dispatch: Braunschweig · Place of Destination: Jena · Date: [ca. 18.] Dezember 1795
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Friedrich Schiller
  • Place of Dispatch: Braunschweig
  • Place of Destination: Jena
  • Date: [ca. 18.] Dezember 1795
  • Notations: Datum (Tag) erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Friedrich Schiller ‒ August Wilhelm Schlegel. Der Briefwechsel. Hg. v. Norbert Oellers. Köln 2005, S. 58‒60.
  • Incipit: „[1] Braunschweig d. [18.?] Dez 1795 [Freitag?]
    Vorgestern erhielt ich, mein verehrtester Freund, Ihren gütigen Brief vom 10ten dieses Monats nebst dem [...]“
    Manuscript
  • Provider: Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 83/428
[1] Braunschweig d. [18.?] Dez 1795 [Freitag?]
Vorgestern erhielt ich, mein verehrtester Freund, Ihren gütigen Brief vom 10ten dieses Monats nebst dem neuesten Stücke der Horen. Beydes macht mir immer eine Art von Festtag, und zerstreut mich für andre Beschäftigungen bis ich erst alles genossen und verschlungen habe. Die Winke, die Sie mir über meine Untersuchungen in dem dritten Briefe über Poësie p geben, werden sehr nützlich seyn, mich im Fortgange derselben zu leiten. Meine Idee, wenn ich sie anders deutlich genug ausgedrückt habe, war, nur die Fähigkeit des Taktmessens ganz körperlich, das Bedürfniß des Zeitmaaßes aber aus der Natur der Leidenschaften, zu erklären. Im vierten Briefe habe ich die Absicht einiges darüber zu sagen, wie das Wohlthätige der Poësie und Musik ursprünglich darin lag, daß das Gemüth durch das gefundne Maaß im Ausdrucke der Leidenschaft, sich gleichsam über diese selbst zum Meister gemacht hat; (also eine Art von Besiegung derselben, wobey ihnen doch durch das freye Auslassen gewillfahrt wird, wo folglich zugleich moralische und sinnliche Foderungen befriedigt werden) und zu untersuchen, in wie fern dieß noch jetzt bey der Wirkung der Poësie auf uns Statt findet. Ich bitte aber im Voraus um Ihre Nachsicht: ich fühle, daß ich weit weniger zur allgemeinen Speculation als zur Beobachtung geschickt bin. Was mir, glaube ich, in diesem Fache immer am besten gelingen wird, ist die Beurtheilung einzelner [2] Kunstwerke, und die mehr historische als philosophische Entwickelung eines poëtischen Charakters, wie ich sie mit dem Dante versucht habe und wohl noch mit einigen andern großen Dichtern versuchen könnte.
Es ist mir recht lieb, daß der Abdruck des dritten Briefes bis zum ersten Stück des nächsten Jahres aufgeschoben bleibt. Ich wünschte Ihnen, wenn es mir irgend möglich ist, noch zeitig genug für dasselbe Stück einen vierten Brief zu schicken, damit der Faden der Untersuchung nicht zu oft abgebrochen wird. Dann müßten Sie ihn aber wohl in der ersten Hälfte des Januar haben?
Von einer andern Arbeit, die unterdessen von mir nach Jena abgegangen ist, bin ich sehr begierig zu erfahren, wie sie Ihnen gefallen hat. Vor etwa vierzehn Tagen schrieb mir H. Hofrath Schütz wegen der Anzeige des Poëtischen in den Horen: es käme darauf an, sie unverzüglich zu liefern, weil die Recension noch vor Ende des Jahres erscheinen solle. Ich legte also für so lange jede andre Beschäftigung bey Seite und habe außer den Gedichten auch die Unterhaltungen D. Ausgew., Las Casas, den Rhodischen Genius, u H. Stark angezeigt. Doch da mein Manuscript schon heute vor Tagen abgeschickt ist, so wird H. Schütz wahrscheinlich schon Gelegenheit genommen haben, es Ihnen mitzutheilen. Ich habe die Recension so umständlich geschrieben, als ich glaubte, daß es irgend in der Allg.LittZ. geschehen dürfte, obgleich der Stoff eine noch weit ausführlichere Untersuchung interessant machen würde.
[3] Ihre freundschaftliche Anfrage, ob ich nicht etwa Jena zu meinem Aufenthalte wählen könnte, begegnet Wünschen, die ich schon lange gehegt habe. Ich hatte mir vorgenommen diesen Herbst noch in jene Gegenden zu reisen, um so manche wichtige Bekanntschaft und hauptsächlich die Ihrige zu machen; es hat aber nun bis zum nächsten Frühling aufgeschoben werden müssen. Schwerlich würde sich wohl für schriftstellerische Thätigkeit und für eine gelehrte Laufbahn überhaupt jetzt ein günstigerer Ort finden lassen als Jena: und da ich mich dieser entschieden gewidmet habe, und jetzt durch kein Amt oder Anwartschaft darauf irgendwo festgehalten werde, so kann ich meinen Aufenthalt ganz nach solchen Rücksichten wählen. Ihr persönlicher Umgang allein, auf den ich jetzt, nach so vielen schriftlichen Beweisen Ihrer Freundschaft rechnen darf, würde für mich von unschätzbarem Werthe seyn. Ich wünschte wohl zu wissen, ob ich dort auf eine solche Art leben könnte, daß ich der Universität nicht ganz fremd bliebe, sondern in einiges Verhältniß mit ihr käme. Sie werden mir sagen können, ob ich, ohne die Akademischen Grade in Jena genommen zu haben (welches mir sonst unnützer Weise Zeit hinnehmen würde) Erlaubniß zur Haltung öffentlicher Vorlesungen bekommen dürfte. Ich bitte Sie aber, für jetzt noch gegen Niemanden von meinem Plane etwas zu erwähnen.
Wie sehr ich mich auf eine Wallfahrt in diesen Theil von Sachsen freue, der schon seit beträchtlicher Zeit, und seit kurzem [4] mehr wie jemahls zuvor ein Mittelpunkt Deutscher Bildung ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Ihr Beyfall ist mir bey meinen Unternehmungen die günstigste Vorbedeutung. Wie freue ich mich darauf, Ihnen bald mündlich ausdrücken zu können, welch ein Gefühl die zuvorkommende Güte in Ihrem Briefwechsel mir erregt hat, nachdem ich Sie schon so lange in den Werken Ihres Geistes dankbar geehrt hatte. Leben Sie recht glücklich und gesund.
Ihr ergebenster
AWSchlegel
[1] Braunschweig d. [18.?] Dez 1795 [Freitag?]
Vorgestern erhielt ich, mein verehrtester Freund, Ihren gütigen Brief vom 10ten dieses Monats nebst dem neuesten Stücke der Horen. Beydes macht mir immer eine Art von Festtag, und zerstreut mich für andre Beschäftigungen bis ich erst alles genossen und verschlungen habe. Die Winke, die Sie mir über meine Untersuchungen in dem dritten Briefe über Poësie p geben, werden sehr nützlich seyn, mich im Fortgange derselben zu leiten. Meine Idee, wenn ich sie anders deutlich genug ausgedrückt habe, war, nur die Fähigkeit des Taktmessens ganz körperlich, das Bedürfniß des Zeitmaaßes aber aus der Natur der Leidenschaften, zu erklären. Im vierten Briefe habe ich die Absicht einiges darüber zu sagen, wie das Wohlthätige der Poësie und Musik ursprünglich darin lag, daß das Gemüth durch das gefundne Maaß im Ausdrucke der Leidenschaft, sich gleichsam über diese selbst zum Meister gemacht hat; (also eine Art von Besiegung derselben, wobey ihnen doch durch das freye Auslassen gewillfahrt wird, wo folglich zugleich moralische und sinnliche Foderungen befriedigt werden) und zu untersuchen, in wie fern dieß noch jetzt bey der Wirkung der Poësie auf uns Statt findet. Ich bitte aber im Voraus um Ihre Nachsicht: ich fühle, daß ich weit weniger zur allgemeinen Speculation als zur Beobachtung geschickt bin. Was mir, glaube ich, in diesem Fache immer am besten gelingen wird, ist die Beurtheilung einzelner [2] Kunstwerke, und die mehr historische als philosophische Entwickelung eines poëtischen Charakters, wie ich sie mit dem Dante versucht habe und wohl noch mit einigen andern großen Dichtern versuchen könnte.
Es ist mir recht lieb, daß der Abdruck des dritten Briefes bis zum ersten Stück des nächsten Jahres aufgeschoben bleibt. Ich wünschte Ihnen, wenn es mir irgend möglich ist, noch zeitig genug für dasselbe Stück einen vierten Brief zu schicken, damit der Faden der Untersuchung nicht zu oft abgebrochen wird. Dann müßten Sie ihn aber wohl in der ersten Hälfte des Januar haben?
Von einer andern Arbeit, die unterdessen von mir nach Jena abgegangen ist, bin ich sehr begierig zu erfahren, wie sie Ihnen gefallen hat. Vor etwa vierzehn Tagen schrieb mir H. Hofrath Schütz wegen der Anzeige des Poëtischen in den Horen: es käme darauf an, sie unverzüglich zu liefern, weil die Recension noch vor Ende des Jahres erscheinen solle. Ich legte also für so lange jede andre Beschäftigung bey Seite und habe außer den Gedichten auch die Unterhaltungen D. Ausgew., Las Casas, den Rhodischen Genius, u H. Stark angezeigt. Doch da mein Manuscript schon heute vor Tagen abgeschickt ist, so wird H. Schütz wahrscheinlich schon Gelegenheit genommen haben, es Ihnen mitzutheilen. Ich habe die Recension so umständlich geschrieben, als ich glaubte, daß es irgend in der Allg.LittZ. geschehen dürfte, obgleich der Stoff eine noch weit ausführlichere Untersuchung interessant machen würde.
[3] Ihre freundschaftliche Anfrage, ob ich nicht etwa Jena zu meinem Aufenthalte wählen könnte, begegnet Wünschen, die ich schon lange gehegt habe. Ich hatte mir vorgenommen diesen Herbst noch in jene Gegenden zu reisen, um so manche wichtige Bekanntschaft und hauptsächlich die Ihrige zu machen; es hat aber nun bis zum nächsten Frühling aufgeschoben werden müssen. Schwerlich würde sich wohl für schriftstellerische Thätigkeit und für eine gelehrte Laufbahn überhaupt jetzt ein günstigerer Ort finden lassen als Jena: und da ich mich dieser entschieden gewidmet habe, und jetzt durch kein Amt oder Anwartschaft darauf irgendwo festgehalten werde, so kann ich meinen Aufenthalt ganz nach solchen Rücksichten wählen. Ihr persönlicher Umgang allein, auf den ich jetzt, nach so vielen schriftlichen Beweisen Ihrer Freundschaft rechnen darf, würde für mich von unschätzbarem Werthe seyn. Ich wünschte wohl zu wissen, ob ich dort auf eine solche Art leben könnte, daß ich der Universität nicht ganz fremd bliebe, sondern in einiges Verhältniß mit ihr käme. Sie werden mir sagen können, ob ich, ohne die Akademischen Grade in Jena genommen zu haben (welches mir sonst unnützer Weise Zeit hinnehmen würde) Erlaubniß zur Haltung öffentlicher Vorlesungen bekommen dürfte. Ich bitte Sie aber, für jetzt noch gegen Niemanden von meinem Plane etwas zu erwähnen.
Wie sehr ich mich auf eine Wallfahrt in diesen Theil von Sachsen freue, der schon seit beträchtlicher Zeit, und seit kurzem [4] mehr wie jemahls zuvor ein Mittelpunkt Deutscher Bildung ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Ihr Beyfall ist mir bey meinen Unternehmungen die günstigste Vorbedeutung. Wie freue ich mich darauf, Ihnen bald mündlich ausdrücken zu können, welch ein Gefühl die zuvorkommende Güte in Ihrem Briefwechsel mir erregt hat, nachdem ich Sie schon so lange in den Werken Ihres Geistes dankbar geehrt hatte. Leben Sie recht glücklich und gesund.
Ihr ergebenster
AWSchlegel
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