• August Wilhelm von Schlegel to Johann Wolfgang von Goethe

  • Place of Dispatch: Jena · Place of Destination: Unknown · Date: 24.09.1797
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johann Wolfgang von Goethe
  • Place of Dispatch: Jena
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 24.09.1797
    Printed Text
  • Bibliography: August Wilhelm und Friedrich Schlegel im Briefwechsel mit Schiller und Goethe. Hg. v. Josef Körner u. Ernst Wieneke. Leipzig 1926, S. 59‒64.
  • Verlag: Insel Verlag
  • Incipit: „[1] Jena d. 24 Sept 97
    Schon oft nahm ich mir vor Ihnen zu schreiben, doch war mir, als ob das [...]“
    Manuscript
  • Provider: Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 28/19 Bl 507‒12
  • Provenance: Klassik Stiftung Weimar
  • Number of Pages: 6 Blatt
[1] Jena d. 24 Sept 97
Schon oft nahm ich mir vor Ihnen zu schreiben, doch war mir, als ob das was ich zu sagen hätte nicht bedeutend genug wäre um Ihnen so weit nachzureisen: eine Bedenklichkeit über die mich Ihre freye Mittheilungsweise im Gespräch seit dem ersten Augenblicke der Bekanntschaft weggesetzt hatte. Daß ich Ihren Umgang unendlich vermisse, daß nichts mir ihn ersetzen könnte, wenn ich auch jetzt weniger isolirt, und nicht beynah für alles was meinem Geiste und Herzen werth ist, auf meine geliebte Freundin eingeschränkt wäre, glauben Sie mir gewiß gern.
Sie sind uns indessen während dieser Zeit im Geiste einige Male sehr nahe gewesen, wir haben die ganze Gewalt Ihrer Gegenwart gefühlt. Ich habe die Bogen vom Almanach einzeln gehabt, und wollte, ich könnte Ihnen mein Entzücken und meine Bewunderung ausdrücken. Alexis hat einen gefährlichen Nebenbuhler am Pausias gefunden: der neueste Eindruck ist immer der reizendste, und man muß sich also jetzt hüten, jenem Unrecht zu thun. Alexis hat die unwiderstehliche Macht der Leidenschaft für sich, die meisten Menschen werden durch die Gegenwart stärker ergriffen werden als durch die Erinnerung, wenn diese gleich vielleicht geschickter ist, in zauberischem Lichte aus dem Spiegel der Dichtung zurückgestrahlt zu werden.
[2] Im Pausias liebe ich eben diese schöne besonnene Ruhe unter den süßesten Empfindungen. Die zarteste Sinnlichkeit ist mit dem reinsten und edelsten in der Liebe so innig verschmelzt, wie in der Zeichnung der Gestalten das Liebliche mit großen herrlichen Umrissen. Die Wechselreden fügen sich an einander wie die Blumen im Kranze der Geliebten. Das Idyllische in das wirkliche Leben hinein zu verpflanzen und ihm dadurch eine Wahrheit zu geben, die es bey der Versetzung in eine isolirte ländliche Welt schwerlich für uns haben kann, weil uns bey unsrer rauhen Natur die feine Bildung der Gefühle unerklärlich bleibt – dieß war schon im Alexis gelungen; aber hier steht das Idyllenleben des Mahlers und der Blumenkünstlerin, wie mich däucht, noch unabhängiger und schöner entfaltet, dicht neben den Szenen der großen Welt. Ob alles so täuschend im Griechischen Kostum ist, wie das Gastmahl, darüber haben wir gestritten. Vielleicht konnte ein Griechischer Dichter die Vorzüge des Dichters, des Mahlers, der Liebenden nicht so vergleichen: aber doch lägen ihm diese Zeilen wohl nicht so fern, daß er sie, inʼs Griechische übertragen, nicht ganz gefühlt hätte.
Ich kann mir nicht helfen, ich muß Sie von Dingen unterhalten, die Ihnen freylich nicht neu seyn können. Die Braut von Korinth ist mir unter Ihren dießjährigen [3] Gaben doch die liebste. Ich las sie meiner Frau vor ohne noch von dem Inhalte zu wissen, und da ich nun anfing etwas unheimliches zu ahnden, und allmählig ein immer stärkerer Schauer durch die glühende Szene hinlief, so gerieth ich in Verwirrung, ich stockte, und meine Frau behauptete, ich hätte eben deswegen darstellender gelesen, als nachher, da ich die Wendung schon voraussah. Das Gespenstermäßige auf diese Art mit dem idealisch Schönen zu vereinigen, war Ihnen vorbehalten; der innerliche Schauer ist desto gewaltiger, weil er gar nicht durch sinnliche empörende Vorstellungen erregt wird. Und wie kühn und groß ist der noch unentschiedne Antagonism zwischen den heidnischen Göttern und den christlichen! Es ist als ob der Geist des Mädchens aus einer doppelten Ferne herkäme, weil sie durch die Kluft des Lebens und der Religion von dem Geliebten geschieden ist. – Das Sylbenmaaß scheint auch eine wahre Eingebung für diesen Gegenstand: es tritt so leise und heimlich auf, und beschleicht das Gemüth mit stiller Gewalt; der ganze Rhythmus der Erzählung ist wie ein Geisterschweben.
Mit der Bajadere haben Sie Ihr Geheimniß ein wenig verrathen: wir lassen es uns nun nicht ausreden, daß Sie der Gott Mahadöh selbst sind, der jetzt, ich weiß nicht in der Wievielsten Verwandlung auf der Erde umhergeht.
[4] Welche neuen Aussichten für die Poësie eröffnen so wohl Ihre Idyllen als die hier aufgestellte Reihe von Balladen! und wie werden durch solche Beweise diejenigen widerlegt, welche behaupten, das Gebiet der Dichtung werde durch den Gang unsrer Bildung immer mehr verengt, und sey nahe daran völlig erschöpft zu seyn! Sie haben der Ballade durch die Wahl des Stoffes, durch die Behandlung und selbst durch die erfundnen Sylbenmaaße ganz neue Rechte gegeben, und für alles bisher vorhandne in dieser Gattung ist ein andrer Maaßstab gefunden, ein neuer Gesichtspunkt gegeben. Bey Gelegenheit habe ich einmal Bürgers Balladen wieder gelesen, und unter andern starke Zweifel gegen ihre durchgängige Volksmäßigkeit bekommen. Ich glaube nämlich, es läßt sich eine positive Popularität, u eine negative unterscheiden. Von der ersten, die eigentlich ganz entbehrlich ist, hat Bürger nur allzuviel; (ich rechne dahin: „Herr Marschall, was haun wir das Leder uns wund“ u. dergl.) gegen die letzte aber, die in bloßer Enthaltung besteht, scheint er mir oft durch das Bestreben nach Stärke und Lebendigkeit der sinnlichen Darstellung, auf die er meistens sein ganzes Vertrauen setzt, zu verstoßen. Die alte Spanische, Englische u Dänische Romanze oder Ballade thut ja in diesem Stücke immer lieber zu wenig als zu viel, und überrascht durch die große Wirkung bey scheinbar geringen Mitteln.
[5] Ich habe diesen Sommer auch noch fleißig gedichtet: Sie werden mich mehrmals im Almanach finden. Ich gehöre zu den Leuten, die Lust zum Spazierengehen bekommen, wenn das Thor eben geschlossen werden soll; erinnern Sie sich noch, wie Sie mich einmal vorigen Herbst auf dem Garten zum Dichten ermunterten, und sagten: man rechne bey dem Alm.[anach] auf nichts was nicht vor dem Schlusse des Jahres fertig wäre? – Seit vielen Jahren fühlte ich mich nicht so dichterisch gestimmt als grade jetzt. In frühern Zeiten, als Knabe noch, hatte ich eine unsägliche Leichtigkeit, die freylich mit dem immer regen Nachbildungstriebe zusammenhing. Seit ich in das männliche Alter trat, waren die Foderungen, die ich an mich machte, mit der Schwierigkeit sie zu realisiren, immer in einem solchen Verhältnisse, daß es mir einen Entschluß kostete, etwas zu unternehmen. Das Mechanische der Ausführung habe ich freylich durch so mancherley Übungen zu sehr in meine Gewalt bekommen, als daß es mich aufhalten könnte. Nur über die Anlage wurde es mir schwer mit mir eins zu werden: aber ich sehe, wie viel man auch hier durch einige gelungene Anstrengungen an Sicherheit u Selbständigkeit gewinnt; und ich hatte jetzt mehrmals recht lebhaft das Gefühl, wie gegen diese freythätigste aller Beschäftigungen [6] des Geistes jede andre ihren Reiz verlieren muß. Leider verhindern mich ganz heterogene Arbeiten dieser günstigen Stimmung nachzuhängen.
Ein Gedicht von mir über und wider die Wegführung der Kunstwerke aus Rom wird Ihnen vielleicht wegen des Gegenstandes keinen sonderlich erfreulichen Eindruck machen – und ich wünschte wirklich, die Begebenheiten hätten keinen Stoff zu einem solchen Gedichte gegeben. – Haben Sie vielleicht einen Aufsatz von Röderer gelesen, worin er die Gründe gegen die Wegführung auf das bündigste zusammengedrängt hat, der vor ziemlicher Zeit im Journal de Paris und seitdem, wo ich nicht irre, in der Minerva übersetzt gestanden? Es nannte jemand neulich diesen unbestechlichen Schriftsteller einen überfranzösischen Kopf, und ich würde schon nach diesem einzigen Aufsatze so urtheilen.
Ich habe mich auch an eine Romanze gewagt, und zwar, ohne von den Kranichen des Ibycus zu wissen (welches mir die schönste von Schillers Balladen scheint) einen Gegenstand gewählt, der Pendant dazu macht, obgleich in einem ganz entgegengesetzten Farbentone, die Geschichte vom Arion. Ich bin äußerst begierig Ihr Urtheil darüber zu erfahren. Was wohl eine Geschichte für Beschaffenheiten haben muß, um zu einer Ballade zu taugen? Denn auf die glückliche Wahl des Stoffes kommt doch hier wohl [7] vorzüglich viel an. Ich bin mit meinen Gedanken darüber noch nicht viel weiter gekommen, als daß diese Dichtart immer etwas wunderbares zu verlangen scheint; grade nicht immer ein eigentliches Wunder – obgleich die alte Englische, Schottische und Dänische Ballade gar zu gern in die Geisterwelt hinüberschreitet – aber doch eine seltsame Verkettung von Umständen, oder ein wunderbares der Gesinnung. – So bald ich einmal wieder Zeit habe, werde ich Jagd auf passende Geschichten machen, auch auf Morgenländische. Da Sie mit der Indischen Ballade vorgegangen sind, so denke ich, wird die Dichtart wohl die Reise um die Welt machen, und vielleicht in Madagaskar die verwiesenen Deputirten besuchen. –
Bey Gelegenheit der Gedichte für den Alm.[anach] habe ich mit Schiller mehrere Briefe gewechselt; er hat mir auch auf ein paar andre Gedichte lebhaft seinen Beyfall bezeugt, auf meine letzte Sendung aber mit dem Arion, den er indessen ebenfalls eingerückt, habe ich gar keine Antwort von ihm bekommen, ich weiß nicht aus welchem Grunde. So viel ich weiß, hat noch niemand hier diese Entfernung bis jetzt gemerkt: doch hat es mich einige Male in Verlegenheit gesetzt, daß sich Leute an mich gewandt haben, in der Voraussetzung ich sähe Schillern häufig. Ich konnte jetzt keinen Schritt zur Annäherung weiter thun, wenn Sch. nicht meinen Eifer zu seinem Alm. beyzutragen, dafür genommen [8] hat. Es sollte mir leid thun, wenn ich die Hoffnung aufgeben müßte, dieses unverschuldete Misverständniß wieder ausgeglichen zu sehen, weil ich es alsdann mir selbst schuldig wäre, meine Sachen nicht mehr in Institute zu geben, die Sch. herausgiebt; so ungern ich mich von der guten Gesellschaft ausschließen würde.
Wir haben hier verschiedentlich interessanten Besuch von Fremden gehabt: daß der Rittmeister von Funk hier war, werden Sie vielleicht wissen; H. von Hardenberg aus Weißenfels hat einige Male einen Tag bey uns zugebracht. Sie werden ihn hier oft gesehen haben, aber ich weiß nicht, ob Sie je näher ins Gespräch mit ihm gekommen sind. Er ist für uns ein äußerst interessanter Mann, und die schwärmerische Wendung die ihm der Tod seiner jungen Geliebten, des Fräuleins von Kühn, gegeben hat, macht ihn noch liebenswürdiger, da ein so ausgebildeter Geist sie unterstützt, oder ihr das Gegengewicht hält. Seine Schwermuth hat ihn mit doppelter Thätigkeit in die abstraktesten Wissenschaften gestürzt: seine innre Unruhe verräth sich dabey durch die Menge und Neuheit seiner eigenthümlichen Ansichten. – Er verläßt jetzt diese Gegend, um nach Dresden und von da nach Freyberg zu gehen. Von meinem Bruder aus Berlin haben wir recht angenehme Nachrichten. Wie es scheint, wird er sehr in Gesellschaften gezogen, doch betheuert er, daß er [9] immer sehr fleißig ist, und die Griechen nicht vergißt. Doch wird auf Michaelis noch nichts davon, ich denke dagegen, auf Ostern alles erscheinen. – Am zweyten Bande meines Shakspeare wird stark gedruckt, er muß nächstens fertig seyn. Bey dem zweyten Stücke hat mir die Prosa, worin es großentheils geschrieben ist, viel Noth gemacht, beynah so viel als die versifizirten Stellen; wenigstens hat die alte Übersetzung dabey eine eben so starke Umformung erleiden müssen. Diese Zeit her habe ich viel für Fiorilloʼs Werk gearbeitet, besonders die Artikel von Leonardo da Vinci und

Michel, più che mortal, Angel divino. –

Eine Rec. von mir, die zu Anfange des vorigen Monats in der Lit. Zeitung gestanden, hat mir viel Freude gemacht, weil es mir dadurch gelungen ist, etwas Gutes aus der unverdienten Dunkelheit hervorzuziehen. Sie betraf nämlich ein Gedicht die Gesundbrunnen von Neubeck, das schon vor ein paar Jahren erschienen ist, wovon aber bis jetzt noch gar nicht die Rede gewesen. Ich hatte es mir also recht angelegen seyn lassen, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken; und wie ich höre, ist es mir ziemlich gelungen. Der Verfasser ist ein junger Arzt der in Schlesien lebt; das Gedicht ist auch dort und zwar sehr unscheinbar gedruckt. Ein H. Fischer, der jetzt sich hier aufhält (mit einer verwitweten Gräfin von [10] Reichenbach verheirathet, die hier eine Kur gebraucht) kennt den Neubeck persönlich, und machte mir von seiner Lage keine allzugünstige Schilderung, und erbot sich das Stück von der L. Zeit. nebst einem Briefe von mir zu besorgen. Ich erkundigte mich darin, wie es mit der ersten Auflage seines Gedichts stehe, und ob sich keine neue veranstalten ließe, wobey ich meine Dienste anbot. – Er meldet mir denn, sehr erfreut darüber endlich bemerkt worden zu seyn, es seyen nur 300 Ex. auf seine eignen Kosten gedruckt, und abgesetzt, und giebt mir freye Vollmacht mit Buchhändlern deswegen Verträge zu machen. Nun hatte ich Gelegenheit, es gleich zu Stande zu bringen, da Göschen hier durch kam. Er ging sehr bereitwillig in den Vorschlag ein, und will eine elegante Ausgabe veranstalten, die gewiß auch beytragen wird, das Gedicht in Ansehen zu setzen, da Kleider Leute machen. – Der gute Neubeck, der mit seinem Talent ganz isolirt und bisher unbemerkt in einer kleinen Schlesischen Stadt lebt, wird eine große Freude haben. –
In etwa acht Tagen hat man uns Hermann und Dorothea versprochen, dann ist aber unsre poëtische Weinlese für den Herbst so ziemlich vorbey. Klopstocks Oden werden erst im Winter fertig. – Der Meß Katalog, der übrigens wohl nicht vollständig ist, soll die sieben magern Kühe Pharaonis vorstellen.
[11] Verzeihen Sie, daß ich so ins Plaudern hinein gerathen bin, und es Sie vielleicht bereuen mache, daß Sie mich Ihnen zu schreiben veranlaßt. Wahrscheinlich trifft Sie dieß noch diesseits der Alpen: ich bin äußerst begierig, ob Sie noch in das Land gehen werden,

Chʼ Apennin parte, eʼl mar circonda e lʼAlpe.

Wohin der Eigennutz meine Wünsche lenkt, errathen Sie leicht, ob uns gleich in der Folge gewiß Früchte Ihrer Italiänischen Reise zu Theil würden. – Reisen Sie in jedem Falle recht glücklich und gesund, und vergessen Sie uns nicht ganz.
Viele Empfehlungen von meiner Frau, welche diese Zeit über nicht wohl gewesen ist, und noch medicinirt. Doch hoffe ich, es soll vor dem Winter noch wieder besser werden.
Leben Sie recht wohl. Mit unveränderlichen Gesinnungen
Ganz der Ihrige
A W Schlegel
[12]
[1] Jena d. 24 Sept 97
Schon oft nahm ich mir vor Ihnen zu schreiben, doch war mir, als ob das was ich zu sagen hätte nicht bedeutend genug wäre um Ihnen so weit nachzureisen: eine Bedenklichkeit über die mich Ihre freye Mittheilungsweise im Gespräch seit dem ersten Augenblicke der Bekanntschaft weggesetzt hatte. Daß ich Ihren Umgang unendlich vermisse, daß nichts mir ihn ersetzen könnte, wenn ich auch jetzt weniger isolirt, und nicht beynah für alles was meinem Geiste und Herzen werth ist, auf meine geliebte Freundin eingeschränkt wäre, glauben Sie mir gewiß gern.
Sie sind uns indessen während dieser Zeit im Geiste einige Male sehr nahe gewesen, wir haben die ganze Gewalt Ihrer Gegenwart gefühlt. Ich habe die Bogen vom Almanach einzeln gehabt, und wollte, ich könnte Ihnen mein Entzücken und meine Bewunderung ausdrücken. Alexis hat einen gefährlichen Nebenbuhler am Pausias gefunden: der neueste Eindruck ist immer der reizendste, und man muß sich also jetzt hüten, jenem Unrecht zu thun. Alexis hat die unwiderstehliche Macht der Leidenschaft für sich, die meisten Menschen werden durch die Gegenwart stärker ergriffen werden als durch die Erinnerung, wenn diese gleich vielleicht geschickter ist, in zauberischem Lichte aus dem Spiegel der Dichtung zurückgestrahlt zu werden.
[2] Im Pausias liebe ich eben diese schöne besonnene Ruhe unter den süßesten Empfindungen. Die zarteste Sinnlichkeit ist mit dem reinsten und edelsten in der Liebe so innig verschmelzt, wie in der Zeichnung der Gestalten das Liebliche mit großen herrlichen Umrissen. Die Wechselreden fügen sich an einander wie die Blumen im Kranze der Geliebten. Das Idyllische in das wirkliche Leben hinein zu verpflanzen und ihm dadurch eine Wahrheit zu geben, die es bey der Versetzung in eine isolirte ländliche Welt schwerlich für uns haben kann, weil uns bey unsrer rauhen Natur die feine Bildung der Gefühle unerklärlich bleibt – dieß war schon im Alexis gelungen; aber hier steht das Idyllenleben des Mahlers und der Blumenkünstlerin, wie mich däucht, noch unabhängiger und schöner entfaltet, dicht neben den Szenen der großen Welt. Ob alles so täuschend im Griechischen Kostum ist, wie das Gastmahl, darüber haben wir gestritten. Vielleicht konnte ein Griechischer Dichter die Vorzüge des Dichters, des Mahlers, der Liebenden nicht so vergleichen: aber doch lägen ihm diese Zeilen wohl nicht so fern, daß er sie, inʼs Griechische übertragen, nicht ganz gefühlt hätte.
Ich kann mir nicht helfen, ich muß Sie von Dingen unterhalten, die Ihnen freylich nicht neu seyn können. Die Braut von Korinth ist mir unter Ihren dießjährigen [3] Gaben doch die liebste. Ich las sie meiner Frau vor ohne noch von dem Inhalte zu wissen, und da ich nun anfing etwas unheimliches zu ahnden, und allmählig ein immer stärkerer Schauer durch die glühende Szene hinlief, so gerieth ich in Verwirrung, ich stockte, und meine Frau behauptete, ich hätte eben deswegen darstellender gelesen, als nachher, da ich die Wendung schon voraussah. Das Gespenstermäßige auf diese Art mit dem idealisch Schönen zu vereinigen, war Ihnen vorbehalten; der innerliche Schauer ist desto gewaltiger, weil er gar nicht durch sinnliche empörende Vorstellungen erregt wird. Und wie kühn und groß ist der noch unentschiedne Antagonism zwischen den heidnischen Göttern und den christlichen! Es ist als ob der Geist des Mädchens aus einer doppelten Ferne herkäme, weil sie durch die Kluft des Lebens und der Religion von dem Geliebten geschieden ist. – Das Sylbenmaaß scheint auch eine wahre Eingebung für diesen Gegenstand: es tritt so leise und heimlich auf, und beschleicht das Gemüth mit stiller Gewalt; der ganze Rhythmus der Erzählung ist wie ein Geisterschweben.
Mit der Bajadere haben Sie Ihr Geheimniß ein wenig verrathen: wir lassen es uns nun nicht ausreden, daß Sie der Gott Mahadöh selbst sind, der jetzt, ich weiß nicht in der Wievielsten Verwandlung auf der Erde umhergeht.
[4] Welche neuen Aussichten für die Poësie eröffnen so wohl Ihre Idyllen als die hier aufgestellte Reihe von Balladen! und wie werden durch solche Beweise diejenigen widerlegt, welche behaupten, das Gebiet der Dichtung werde durch den Gang unsrer Bildung immer mehr verengt, und sey nahe daran völlig erschöpft zu seyn! Sie haben der Ballade durch die Wahl des Stoffes, durch die Behandlung und selbst durch die erfundnen Sylbenmaaße ganz neue Rechte gegeben, und für alles bisher vorhandne in dieser Gattung ist ein andrer Maaßstab gefunden, ein neuer Gesichtspunkt gegeben. Bey Gelegenheit habe ich einmal Bürgers Balladen wieder gelesen, und unter andern starke Zweifel gegen ihre durchgängige Volksmäßigkeit bekommen. Ich glaube nämlich, es läßt sich eine positive Popularität, u eine negative unterscheiden. Von der ersten, die eigentlich ganz entbehrlich ist, hat Bürger nur allzuviel; (ich rechne dahin: „Herr Marschall, was haun wir das Leder uns wund“ u. dergl.) gegen die letzte aber, die in bloßer Enthaltung besteht, scheint er mir oft durch das Bestreben nach Stärke und Lebendigkeit der sinnlichen Darstellung, auf die er meistens sein ganzes Vertrauen setzt, zu verstoßen. Die alte Spanische, Englische u Dänische Romanze oder Ballade thut ja in diesem Stücke immer lieber zu wenig als zu viel, und überrascht durch die große Wirkung bey scheinbar geringen Mitteln.
[5] Ich habe diesen Sommer auch noch fleißig gedichtet: Sie werden mich mehrmals im Almanach finden. Ich gehöre zu den Leuten, die Lust zum Spazierengehen bekommen, wenn das Thor eben geschlossen werden soll; erinnern Sie sich noch, wie Sie mich einmal vorigen Herbst auf dem Garten zum Dichten ermunterten, und sagten: man rechne bey dem Alm.[anach] auf nichts was nicht vor dem Schlusse des Jahres fertig wäre? – Seit vielen Jahren fühlte ich mich nicht so dichterisch gestimmt als grade jetzt. In frühern Zeiten, als Knabe noch, hatte ich eine unsägliche Leichtigkeit, die freylich mit dem immer regen Nachbildungstriebe zusammenhing. Seit ich in das männliche Alter trat, waren die Foderungen, die ich an mich machte, mit der Schwierigkeit sie zu realisiren, immer in einem solchen Verhältnisse, daß es mir einen Entschluß kostete, etwas zu unternehmen. Das Mechanische der Ausführung habe ich freylich durch so mancherley Übungen zu sehr in meine Gewalt bekommen, als daß es mich aufhalten könnte. Nur über die Anlage wurde es mir schwer mit mir eins zu werden: aber ich sehe, wie viel man auch hier durch einige gelungene Anstrengungen an Sicherheit u Selbständigkeit gewinnt; und ich hatte jetzt mehrmals recht lebhaft das Gefühl, wie gegen diese freythätigste aller Beschäftigungen [6] des Geistes jede andre ihren Reiz verlieren muß. Leider verhindern mich ganz heterogene Arbeiten dieser günstigen Stimmung nachzuhängen.
Ein Gedicht von mir über und wider die Wegführung der Kunstwerke aus Rom wird Ihnen vielleicht wegen des Gegenstandes keinen sonderlich erfreulichen Eindruck machen – und ich wünschte wirklich, die Begebenheiten hätten keinen Stoff zu einem solchen Gedichte gegeben. – Haben Sie vielleicht einen Aufsatz von Röderer gelesen, worin er die Gründe gegen die Wegführung auf das bündigste zusammengedrängt hat, der vor ziemlicher Zeit im Journal de Paris und seitdem, wo ich nicht irre, in der Minerva übersetzt gestanden? Es nannte jemand neulich diesen unbestechlichen Schriftsteller einen überfranzösischen Kopf, und ich würde schon nach diesem einzigen Aufsatze so urtheilen.
Ich habe mich auch an eine Romanze gewagt, und zwar, ohne von den Kranichen des Ibycus zu wissen (welches mir die schönste von Schillers Balladen scheint) einen Gegenstand gewählt, der Pendant dazu macht, obgleich in einem ganz entgegengesetzten Farbentone, die Geschichte vom Arion. Ich bin äußerst begierig Ihr Urtheil darüber zu erfahren. Was wohl eine Geschichte für Beschaffenheiten haben muß, um zu einer Ballade zu taugen? Denn auf die glückliche Wahl des Stoffes kommt doch hier wohl [7] vorzüglich viel an. Ich bin mit meinen Gedanken darüber noch nicht viel weiter gekommen, als daß diese Dichtart immer etwas wunderbares zu verlangen scheint; grade nicht immer ein eigentliches Wunder – obgleich die alte Englische, Schottische und Dänische Ballade gar zu gern in die Geisterwelt hinüberschreitet – aber doch eine seltsame Verkettung von Umständen, oder ein wunderbares der Gesinnung. – So bald ich einmal wieder Zeit habe, werde ich Jagd auf passende Geschichten machen, auch auf Morgenländische. Da Sie mit der Indischen Ballade vorgegangen sind, so denke ich, wird die Dichtart wohl die Reise um die Welt machen, und vielleicht in Madagaskar die verwiesenen Deputirten besuchen. –
Bey Gelegenheit der Gedichte für den Alm.[anach] habe ich mit Schiller mehrere Briefe gewechselt; er hat mir auch auf ein paar andre Gedichte lebhaft seinen Beyfall bezeugt, auf meine letzte Sendung aber mit dem Arion, den er indessen ebenfalls eingerückt, habe ich gar keine Antwort von ihm bekommen, ich weiß nicht aus welchem Grunde. So viel ich weiß, hat noch niemand hier diese Entfernung bis jetzt gemerkt: doch hat es mich einige Male in Verlegenheit gesetzt, daß sich Leute an mich gewandt haben, in der Voraussetzung ich sähe Schillern häufig. Ich konnte jetzt keinen Schritt zur Annäherung weiter thun, wenn Sch. nicht meinen Eifer zu seinem Alm. beyzutragen, dafür genommen [8] hat. Es sollte mir leid thun, wenn ich die Hoffnung aufgeben müßte, dieses unverschuldete Misverständniß wieder ausgeglichen zu sehen, weil ich es alsdann mir selbst schuldig wäre, meine Sachen nicht mehr in Institute zu geben, die Sch. herausgiebt; so ungern ich mich von der guten Gesellschaft ausschließen würde.
Wir haben hier verschiedentlich interessanten Besuch von Fremden gehabt: daß der Rittmeister von Funk hier war, werden Sie vielleicht wissen; H. von Hardenberg aus Weißenfels hat einige Male einen Tag bey uns zugebracht. Sie werden ihn hier oft gesehen haben, aber ich weiß nicht, ob Sie je näher ins Gespräch mit ihm gekommen sind. Er ist für uns ein äußerst interessanter Mann, und die schwärmerische Wendung die ihm der Tod seiner jungen Geliebten, des Fräuleins von Kühn, gegeben hat, macht ihn noch liebenswürdiger, da ein so ausgebildeter Geist sie unterstützt, oder ihr das Gegengewicht hält. Seine Schwermuth hat ihn mit doppelter Thätigkeit in die abstraktesten Wissenschaften gestürzt: seine innre Unruhe verräth sich dabey durch die Menge und Neuheit seiner eigenthümlichen Ansichten. – Er verläßt jetzt diese Gegend, um nach Dresden und von da nach Freyberg zu gehen. Von meinem Bruder aus Berlin haben wir recht angenehme Nachrichten. Wie es scheint, wird er sehr in Gesellschaften gezogen, doch betheuert er, daß er [9] immer sehr fleißig ist, und die Griechen nicht vergißt. Doch wird auf Michaelis noch nichts davon, ich denke dagegen, auf Ostern alles erscheinen. – Am zweyten Bande meines Shakspeare wird stark gedruckt, er muß nächstens fertig seyn. Bey dem zweyten Stücke hat mir die Prosa, worin es großentheils geschrieben ist, viel Noth gemacht, beynah so viel als die versifizirten Stellen; wenigstens hat die alte Übersetzung dabey eine eben so starke Umformung erleiden müssen. Diese Zeit her habe ich viel für Fiorilloʼs Werk gearbeitet, besonders die Artikel von Leonardo da Vinci und

Michel, più che mortal, Angel divino. –

Eine Rec. von mir, die zu Anfange des vorigen Monats in der Lit. Zeitung gestanden, hat mir viel Freude gemacht, weil es mir dadurch gelungen ist, etwas Gutes aus der unverdienten Dunkelheit hervorzuziehen. Sie betraf nämlich ein Gedicht die Gesundbrunnen von Neubeck, das schon vor ein paar Jahren erschienen ist, wovon aber bis jetzt noch gar nicht die Rede gewesen. Ich hatte es mir also recht angelegen seyn lassen, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken; und wie ich höre, ist es mir ziemlich gelungen. Der Verfasser ist ein junger Arzt der in Schlesien lebt; das Gedicht ist auch dort und zwar sehr unscheinbar gedruckt. Ein H. Fischer, der jetzt sich hier aufhält (mit einer verwitweten Gräfin von [10] Reichenbach verheirathet, die hier eine Kur gebraucht) kennt den Neubeck persönlich, und machte mir von seiner Lage keine allzugünstige Schilderung, und erbot sich das Stück von der L. Zeit. nebst einem Briefe von mir zu besorgen. Ich erkundigte mich darin, wie es mit der ersten Auflage seines Gedichts stehe, und ob sich keine neue veranstalten ließe, wobey ich meine Dienste anbot. – Er meldet mir denn, sehr erfreut darüber endlich bemerkt worden zu seyn, es seyen nur 300 Ex. auf seine eignen Kosten gedruckt, und abgesetzt, und giebt mir freye Vollmacht mit Buchhändlern deswegen Verträge zu machen. Nun hatte ich Gelegenheit, es gleich zu Stande zu bringen, da Göschen hier durch kam. Er ging sehr bereitwillig in den Vorschlag ein, und will eine elegante Ausgabe veranstalten, die gewiß auch beytragen wird, das Gedicht in Ansehen zu setzen, da Kleider Leute machen. – Der gute Neubeck, der mit seinem Talent ganz isolirt und bisher unbemerkt in einer kleinen Schlesischen Stadt lebt, wird eine große Freude haben. –
In etwa acht Tagen hat man uns Hermann und Dorothea versprochen, dann ist aber unsre poëtische Weinlese für den Herbst so ziemlich vorbey. Klopstocks Oden werden erst im Winter fertig. – Der Meß Katalog, der übrigens wohl nicht vollständig ist, soll die sieben magern Kühe Pharaonis vorstellen.
[11] Verzeihen Sie, daß ich so ins Plaudern hinein gerathen bin, und es Sie vielleicht bereuen mache, daß Sie mich Ihnen zu schreiben veranlaßt. Wahrscheinlich trifft Sie dieß noch diesseits der Alpen: ich bin äußerst begierig, ob Sie noch in das Land gehen werden,

Chʼ Apennin parte, eʼl mar circonda e lʼAlpe.

Wohin der Eigennutz meine Wünsche lenkt, errathen Sie leicht, ob uns gleich in der Folge gewiß Früchte Ihrer Italiänischen Reise zu Theil würden. – Reisen Sie in jedem Falle recht glücklich und gesund, und vergessen Sie uns nicht ganz.
Viele Empfehlungen von meiner Frau, welche diese Zeit über nicht wohl gewesen ist, und noch medicinirt. Doch hoffe ich, es soll vor dem Winter noch wieder besser werden.
Leben Sie recht wohl. Mit unveränderlichen Gesinnungen
Ganz der Ihrige
A W Schlegel
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