Gnädigster Herr,
Ew. Königlichen Hoheit gnädiges Schreiben vom 26sten Juli ist mir erst nach meiner Zurückkunft in Paris durch die Königlich Baierische Gesandtschaft eingehändigt worden, und ich sage Ihnen meinen ehrerbietigsten Dank für diesen Beweis Ihres gnädigen Andenkens.
Die günstige Entscheidung Ew. Königlichen Hoheit für Hrn. Franz Bopp hat mich ungemein erfreut. Er sieht jedoch bis jetzt immer noch der gehofften Ausfertigung aus München entgegen, und bestreitet unterdessen die Kosten seines hiesigen Aufenthalts aus seinen eignen Mitteln, welches er aber, so mäßig auch seine Bedürfnisse sind, auf die Länge nicht würde ausführen können. Ein Wort von Ew. Königlichen Hoheit wird hinreichend seyn, um die Sache in Erinnerung zu bringen und die Ausfertigung zu beschleunigen, und Sie würden dem gelehrten jungen Manne dadurch eine große Wohlthat erweisen.
Da ich immerfort mit Hrn. Bopp gemeinschaftlich die Indischen Schriften lese, und wenigstens genug von der Sprache weiß, um die große Schwierigkeit des Unternehmens zu erkennen, so bin ich einigermaßen im Stande, seinen großen Fleiß und seine Fortschritte gültig zu bezeugen. Die Engländer besitzen den Schlüssel zu diesem Studium; in Frankreich hat man neuerdings eine Lehrstelle gestiftet, und besitzt einen alten Vorrath von Manuscripten; allein ich glaube, es ist den Deutschen vorbehalten, alles ans Licht zu fördern, was die Werke der Indischen Weltweisen und Dichter für die Theorie und Geschichte der Sprachen, für die Aufklärung des Zustandes der Urwelt, ihrer religiösen und philosophischen Begriffe, nebst den ersten Anfängen der Wissenschaft, zu einer so unendlich ergiebigen Quelle macht. Vielleicht ist der Zeitpunkt nicht entfernt, wo man in Deutschland einen Lehrstuhl der Indischen Sprache und Litteratur, sowohl als der Arabischen und Persischen, zu der Vollständigkeit einer Universität vom ersten Range rechnen wird.
Ew. Königliche Hoheit wissen, welcher schmerzliche und unersetzliche Verlust mich betroffen hat. Ich habe durch den Tod eine edle Freundin eingebüßt, mit der ich seit dreyzehn Jahren gewohnt war alle Schicksale zu theilen, und die mir unzählige Beweise einer wahrhaft schwesterlichen Zuneigung gegeben hatte. Ich war Zeuge ihres langen und leidensvollen Krankenlagers, während dessen ihr Geist sich immer auf der gleichen Höhe erhielt. – Der Auftrag meiner verewigten Freundin, ihr letztes Werk herauszugeben, bestimmt mich für diesen Winter in Paris zu bleiben. Auf weiter hinaus habe ich in meiner gegenwärtigen traurigen Stimmung noch keine Entwürfe gemacht. Ich bin bereit, meine geringen Kräfte zum Nutzen meines Vaterlandes zu verwenden, das ich während eines vieljährigen Aufenthalts in der Fremde niemals aus den Augen verlor. Aber es scheint mir zuweilen, als ob ich dort ziemlich vergessen wäre. Ich bedarf der Aufmunterung; und die, welche Ew. Königliche Hoheit durch die bezeugte Theilnahme an der Schrift über das Lied der Nibelungen mir angedeihen lassen, wird mir ein kräftiger Antrieb seyn, diese Schrift so bald als möglich zu vollenden. Die Anerkennung eines erleuchteten und wahrhaft vaterländisch gesinnten Fürsten ist die schönste Belohnung des Schriftstellers. Ich verharre in tiefster Ehrerbietung
Ew. Königliche Hoheit
unterthänigster
A. W. von Schlegel
Paris d. 12sten October 1817