• August Wilhelm von Schlegel to Karl August Varnhagen von Ense

  • Place of Dispatch: Bonn · Place of Destination: Unknown · Date: 05.12.1828 bis 11.12.1828
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Karl August Varnhagen von Ense
  • Place of Dispatch: Bonn
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 05.12.1828 bis 11.12.1828
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 474‒476.
  • Incipit: „Bonn d. 5ten Dec. [18]28
    Der Beweis Ihres Andenkens, mein hochgeehrtester Herr und Freund, ist mir sehr erfreulich, Ihr Beifall unendlich schmeichelhaft. [...]“
    Manuscript
  • Provider: Biblioteka Jagiellońska, Krakau
    Language
  • German
  • French
Bonn d. 5ten Dec. [18]28
Der Beweis Ihres Andenkens, mein hochgeehrtester Herr und Freund, ist mir sehr erfreulich, Ihr Beifall unendlich schmeichelhaft. Ihre Bemerkungen sind so geistreich, und mit solcher Anmuth ausgedrückt, daß ich sie gleich gedruckt sehen möchte, wenn sie nicht mich beträfen. Aber wer hätte wohl die Stirn so etwas selbst zum Drucke zu befördern? Ich müßte mir das Blatt allenfalls von einem Freunde stehlen lassen.
Was Sie mir zuschreiben, darnach habe ich allerdings gestrebt. Ich nahm die Einladung zu dem T.[aschen]Kalender an in der Hoffnung, bei dem größeren Publicum einige Theilnahme an meinen Indischen Forschungen zu erregen. Mit der Indischen Bibliothek war mir dieß nicht gelungen, wiewohl sie einige nach meiner Meynung unterhaltende Aufsätze enthält. Der Schein der Gelehrsamkeit hat die Leute abgeschreckt: der Buchhändler versichert, nicht viel über 300 Exemplare davon abgesetzt zu haben.
Meine Versäumniß und mein Stillschweigen gegen die Herausgeber der Berliner Zeitschrift ist gar nicht zu entschuldigen: darin haben Sie vollkommen Recht. Ich will es gar nicht versuchen. Das einzige, was ich sagen kann, ist dieß: bei dem besten Willen reichen meine Zeit und meine Kräfte nicht aus, den an mich gemachten Anfoderungen Genüge zu leisten. Ich weiß nicht, ob ich meine Trägheit oder die Abnahme der Kräfte anklagen soll, wenn ich so viel weniger zu Stande bringe als ich wünschte. Der Gesellschaft gönne ich wenige Stunden. Mäßig Spazierenreiten oder Fahren ist meine Erholung. Viel Zeit zum Schreiben geht mir dadurch verloren, daß ich nachmittags einiger Ruhe bedarf. Ich tröste mich mit Karl dem Großen: der kleidete sich nach Tisch förmlich aus, und legte sich zu Bett; das thue ich doch nicht. Ich studire viel vor Tages Anbruch: aber im Bett kann ich nur lesen, nicht schreiben. An das Dictiren habe ich mich noch nicht gewöhnen können: und die Wahrheit zu sagen, ich glaube, daß es einen nachtheiligen Einfluß auf Goetheʼs Prosa gehabt hat. Die meinige schreibe ich langsam und mit vieler Mühe: beim Anfange eines neuen Aufsatzes ist mir zu Muthe, wie dem Bauern der ins Hundeloch soll. – Mit den Briefen ist es vollends zum Erbarmen: wenn alle unbeantworteten protestirte Wechselbriefe wären, worauf man prise de corps gegen mich hätte, so müßte ich mein Leben im Gefängnisse beschließen. Auf die Mahnungen aus Berlin verschob ich zu antworten, um gleich einen Aufsatz mitzusenden, und immer kamen andre Arbeiten dazwischen.
Nach dieser lächerlichen Schilderung bitte ich Sie aber doch zu erwägen, wie viel auf mir lastet. Ich habe Amtsgeschäfte; ich habe ein riesenhaftes gelehrtes Werk unternommen, ich meyne, den Râmâyańa. Der erste Band ist prachtvoll fertig gedruckt; er wartet nur auf die Lateinische Vorrede, die nächstens fertig seyn wird. Es ist nicht bloß eine kritische Ausgabe, es ist eine wahre Diaskeuase des alten Heldengedichtes. In Nebenstunden arbeite ich das berühmte Fabelbuch, den Hitôpadêsa durch: dieß ist auch schon halb gedruckt. Gern möchte ich einen dritten Band meiner Kritischen Schriften mit größtentheils neuen Aufsätzen geben. Hr. Reimer verlangt den Shakspeare von mir, und ich weiß ihm nichts zu schaffen. Wie lange habe ich meinem Freunde J. Grimm eine Reihe von Briefen über unsre gemeinschaftlichen Sprachforschungen versprochen! Seit Jahren bin ich Mitglied der Berliner Akademie: es ist ganz unschicklich, daß ich noch keine Abhandlungen eingeliefert habe. Wollte ich nun vollends meine Plane, auch nur solche, wozu wirklich Studien und Vorarbeiten da sind, aufzählen, so könnte ich noch lange fortfahren.
Ihre Biographien der Dichter hatte ich gleich nach meiner Zurückkunft von Berlin mit großer Befriedigung gelesen, und hatte auch gleich im Kopfe fertig, was ich darüber sagen wollte. Ich verspreche Ihnen, sobald nur mein Râmâyana heraus ist, meine erste Muße auf die Ausführung zu verwenden.
Sie haben ganz Recht, kurze Recensionen zu verlangen; und ich füge hinzu piquante. Der berühmte Monti hatte ein langes Heldengedicht der Schmeichelei auf Napoleon gemacht, betitelt: Il Bardo de la selva nera. Ich schlug als Beurtheilung folgende Arie aus einer Operette vor:

Amis! si vous voulez mʼen croire,
Nʼallez pas, nʼallez pas dans la forêt noire.

Wie gefallen Ihnen folgende Zeilen als Anzeige eines berühmten historischen Werkes, von dem wir erst Einen aber sehr pfündigen Band besitzen:

Neue Fratzen, statt der alten,
Die man sonst für wahr gehalten!
Gebt die altʼ und neuen Fratzen,
Die den Hunden, die den Katzen.

Nun leben Sie recht wohl, und empfehlen Sie mich bestens Ihrer Frau Gemahlin. Ich wünsche zu erfahren, daß Sie beide einer guten Gesundheit genießen.
Ganz der Ihrige
A. W. v. Schlegel
abgeschickt d. 11ten Dec.
Bonn d. 5ten Dec. [18]28
Der Beweis Ihres Andenkens, mein hochgeehrtester Herr und Freund, ist mir sehr erfreulich, Ihr Beifall unendlich schmeichelhaft. Ihre Bemerkungen sind so geistreich, und mit solcher Anmuth ausgedrückt, daß ich sie gleich gedruckt sehen möchte, wenn sie nicht mich beträfen. Aber wer hätte wohl die Stirn so etwas selbst zum Drucke zu befördern? Ich müßte mir das Blatt allenfalls von einem Freunde stehlen lassen.
Was Sie mir zuschreiben, darnach habe ich allerdings gestrebt. Ich nahm die Einladung zu dem T.[aschen]Kalender an in der Hoffnung, bei dem größeren Publicum einige Theilnahme an meinen Indischen Forschungen zu erregen. Mit der Indischen Bibliothek war mir dieß nicht gelungen, wiewohl sie einige nach meiner Meynung unterhaltende Aufsätze enthält. Der Schein der Gelehrsamkeit hat die Leute abgeschreckt: der Buchhändler versichert, nicht viel über 300 Exemplare davon abgesetzt zu haben.
Meine Versäumniß und mein Stillschweigen gegen die Herausgeber der Berliner Zeitschrift ist gar nicht zu entschuldigen: darin haben Sie vollkommen Recht. Ich will es gar nicht versuchen. Das einzige, was ich sagen kann, ist dieß: bei dem besten Willen reichen meine Zeit und meine Kräfte nicht aus, den an mich gemachten Anfoderungen Genüge zu leisten. Ich weiß nicht, ob ich meine Trägheit oder die Abnahme der Kräfte anklagen soll, wenn ich so viel weniger zu Stande bringe als ich wünschte. Der Gesellschaft gönne ich wenige Stunden. Mäßig Spazierenreiten oder Fahren ist meine Erholung. Viel Zeit zum Schreiben geht mir dadurch verloren, daß ich nachmittags einiger Ruhe bedarf. Ich tröste mich mit Karl dem Großen: der kleidete sich nach Tisch förmlich aus, und legte sich zu Bett; das thue ich doch nicht. Ich studire viel vor Tages Anbruch: aber im Bett kann ich nur lesen, nicht schreiben. An das Dictiren habe ich mich noch nicht gewöhnen können: und die Wahrheit zu sagen, ich glaube, daß es einen nachtheiligen Einfluß auf Goetheʼs Prosa gehabt hat. Die meinige schreibe ich langsam und mit vieler Mühe: beim Anfange eines neuen Aufsatzes ist mir zu Muthe, wie dem Bauern der ins Hundeloch soll. – Mit den Briefen ist es vollends zum Erbarmen: wenn alle unbeantworteten protestirte Wechselbriefe wären, worauf man prise de corps gegen mich hätte, so müßte ich mein Leben im Gefängnisse beschließen. Auf die Mahnungen aus Berlin verschob ich zu antworten, um gleich einen Aufsatz mitzusenden, und immer kamen andre Arbeiten dazwischen.
Nach dieser lächerlichen Schilderung bitte ich Sie aber doch zu erwägen, wie viel auf mir lastet. Ich habe Amtsgeschäfte; ich habe ein riesenhaftes gelehrtes Werk unternommen, ich meyne, den Râmâyańa. Der erste Band ist prachtvoll fertig gedruckt; er wartet nur auf die Lateinische Vorrede, die nächstens fertig seyn wird. Es ist nicht bloß eine kritische Ausgabe, es ist eine wahre Diaskeuase des alten Heldengedichtes. In Nebenstunden arbeite ich das berühmte Fabelbuch, den Hitôpadêsa durch: dieß ist auch schon halb gedruckt. Gern möchte ich einen dritten Band meiner Kritischen Schriften mit größtentheils neuen Aufsätzen geben. Hr. Reimer verlangt den Shakspeare von mir, und ich weiß ihm nichts zu schaffen. Wie lange habe ich meinem Freunde J. Grimm eine Reihe von Briefen über unsre gemeinschaftlichen Sprachforschungen versprochen! Seit Jahren bin ich Mitglied der Berliner Akademie: es ist ganz unschicklich, daß ich noch keine Abhandlungen eingeliefert habe. Wollte ich nun vollends meine Plane, auch nur solche, wozu wirklich Studien und Vorarbeiten da sind, aufzählen, so könnte ich noch lange fortfahren.
Ihre Biographien der Dichter hatte ich gleich nach meiner Zurückkunft von Berlin mit großer Befriedigung gelesen, und hatte auch gleich im Kopfe fertig, was ich darüber sagen wollte. Ich verspreche Ihnen, sobald nur mein Râmâyana heraus ist, meine erste Muße auf die Ausführung zu verwenden.
Sie haben ganz Recht, kurze Recensionen zu verlangen; und ich füge hinzu piquante. Der berühmte Monti hatte ein langes Heldengedicht der Schmeichelei auf Napoleon gemacht, betitelt: Il Bardo de la selva nera. Ich schlug als Beurtheilung folgende Arie aus einer Operette vor:

Amis! si vous voulez mʼen croire,
Nʼallez pas, nʼallez pas dans la forêt noire.

Wie gefallen Ihnen folgende Zeilen als Anzeige eines berühmten historischen Werkes, von dem wir erst Einen aber sehr pfündigen Band besitzen:

Neue Fratzen, statt der alten,
Die man sonst für wahr gehalten!
Gebt die altʼ und neuen Fratzen,
Die den Hunden, die den Katzen.

Nun leben Sie recht wohl, und empfehlen Sie mich bestens Ihrer Frau Gemahlin. Ich wünsche zu erfahren, daß Sie beide einer guten Gesundheit genießen.
Ganz der Ihrige
A. W. v. Schlegel
abgeschickt d. 11ten Dec.
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