• Augusta von Buttlar to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Bonn · Date: 16.02.1829
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Augusta von Buttlar
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 16.02.1829
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 478‒481.
  • Incipit: „[1] Dresden den 16ten Februar 1829
    Mein theuerster Oheim
    Ich hätte Dir schon längst geschrieben wenn ich nicht durch vielerlei Dinge davon abgehalten [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-38972
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.3,Nr.141
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 20,3 x 12,8 cm
    Language
  • German
[1] Dresden den 16ten Februar 1829
Mein theuerster Oheim
Ich hätte Dir schon längst geschrieben wenn ich nicht durch vielerlei Dinge davon abgehalten wäre. – Die ersten Wochen nach dem unglücklichen Vorfall waren meine Nerven so angegriffen daß mir der Artzt das Briefschreiben gänzlich untersagte; dann war ich überhäuft mit Geschäften und zuletzt bin ich krank geworden. Ein ziemlich starkes Fieber, wohl noch Folge jener Erschütterung, nöthigte mich das Bett zu hüten, und heute bin ich zum ersten Male wieder aufgestanden. – Tieck hat mir Deine freundlichen Grüße bestellt, und den väterlichen Segen den Du mir geschickt, hoffe ich durch kindliche Verehrung und treue Erfüllung meiner Pflichten mehr und mehr zu verdienen. – Ich habe seit diesem kurzen Jahre wieder vieles erfahren! und die Reise die zu meinem Besten dienen sollte hat ein trauriges Ende genommen. Als der gute Friedrich die freundlichen Umgebungen Dresdens so herzlich begrüßte, und sich der verflossenen Jugend dabey erinnerte, glaubte er nicht daß er sein Grab dort finden würde! Aber so kurtzsichtig ist der Mensch, denn just Friedrich, der so gern andern ihre Zukunft deuten zu können glaubte, ahnete nicht, was ihm selbst so nahe bevorstand. Doch wohl ihm, er ist jetzt an dem Ziele wo man alles reiner sieht, und alle Irrthümer erkennt. –
Durch Tiecks wirst Du wohl alle nähere Umstände ohne Zweifel erfahren haben, und deshalb brauche ich Dir nicht alles zu wiederholen, denn aufrichtig gesagt, die bloße Erinnerung jener schaudervollen Stunde der Angst und [2] Verzweiflung erregt mir noch jetzt Entsetzen! Denn Du kannst Dir denken in der Nacht mit einem Sterbenden der aufs gewaltsamste mit dem Tode rang, ohne Hülfe und allein zu sein ist kein Kleines; ich konnte erst keinen Menschen erwecken, und als endlich Leute kamen die ich sogleich nach Ärtzlicher Hülfe wieder fortschickte, verschied er in meinen Armen. Seine Züge noch wenige Stunden vorher das Bild des frischesten Lebens, waren gräßlich entstellt, und haben einen um so tieferen Eindruck auf mich gemacht, da es der Erste war den ich hatte sterben sehen*). – Der Überrest der Nacht war nicht minder schauerlich, die Leiche lag auf dem Sopha wo er verschieden, und eine düster brennende Kertze daneben; ich saß da und starrte dumpf vor mich hin, und der alte Bediente wagte vor Furcht und Betäubung diese Todtenstille nicht zu unterbrechen. So brachte ich fünf lange Stunden zu, in denen ich doch so viel Kraft sammelte, um die Pflichten die meine Lage erheischte zu erfüllen. Vernunft und Pflicht sind zwey wohlthätige Stützen die den Schwächsten oft wunderbar erhalten, aber die Gabe diese Stimmen zu vernehmen ist nur eine Gnade Gottes, und darum bilde der Mensch sich nichts darauf ein. – Mit Tages Anbruch schickte ich zur Oestreichischen Gesandtschaft, übergab dem Geschäftsträger die Schlüssel mit der dringendsten Bitte mir beyzustehen; man versprach es auch, hielt aber nachher nicht Wort. Herr von Emmerich (so heißt der jetzige Geschäftsträger) weigerte sich die Kosten der Beerdigung pp zu bestreiten und verlangte ich solle dies von meinem eignen Gelde thun, oder in meinem Namen welches dazu aufnehmen. Aber von meinem Sachwalter und Freunden gerathen mich auf gar nichts einzulassen, beharrte ich fest auf meiner Weigerung, und es blieb mir nun nichts übrig als mich selbst an die Staatskanzlei in Wien zu wenden, um mir das nöthige Geld von dort aus zu erbitten. Daß mir diese Geschichten viel Ärger und Verdruß [3] gemacht, kannst Du Dir denken, um so mehr da man, wie ich voraussah, mein Betragen in Wien sehr tadelnswerth und egoistisch gefunden. Es hat mir Mühe gekostet mich zu rechtfertigen, um so mehr da Herr von Emmerich es für nöthig fand sein Betragen in Wien in einem ganz andern Lichte darzustellen, weil er wohl fühlte, daß er seine Pflicht als Gesandtschafts Vertreter schlecht erfüllt hatte. Die Lage in der ich mich befand war sehr schwierig, ich finde aber man muß sich bey solchen Gelegenheiten nicht durch eine falsche Empfindsamkeit zu unüberlegten Schritten verleiten lassen die einem nachher oft bitter gereuen können. – Indem ich nun hier durch Geschäfte und Krankheit aufgehalten werde, versäume ich mein ganzes bisheriges Verdienst, das mir in Wien nur in den Wintermonaten zu theil wird, und muß nun auch die Rückreise von meinem eigenen Gelde bestreiten. Übrigens habe ich meine Zeit hier so gut wie möglich zu nützen gesucht, erst habe ich alle Schritte gethan wodurch ich meinen Proceß beschleunigen kann, und dann habe ich abermals eine Suplick um eine kleine Pension bey dem Könige eingereicht. Wiewohl die Theilname für mich jetzt hier erweckt ist, so habe ich doch wenig Hoffnung für den Erfolg, denn zweimal sind mir meine Gesuche schon abgeschlagen. – Ich habe eine unaussprechliche Sehnsucht die Meinigen wieder zu sehen, und in diesem freundlichen Kreise hoffe ich alle vergangenen Leiden zu vergessen; aber auch diese Freude ist nicht ungetrübt, denn meine arme kleine Adelheit leidet seit langer Zeit schon an den Drüsen, was mir sehr vielen Kummer und Sorge macht. Tante hat sie während meiner Abwesenheit zu sich genommen, und aufs sorgsamste verpflegt. Die Aertzte wollen ich soll nächsten Sommer mit ihr aufs Land, oder in ein Bad gehen, aber ich sehe nicht ein wie ich dies werde möglich machen können.
Ich gratulire daß Mrs. Hunter mit Ehren von Bonn [4] fort ist, diese most interesting Lady hat Dir gewiß manche Unruhe gemacht, denn sie hat das Talent wo sie auch sey, alle Leute in den Wirrwar ihrer Intriguen zu verwickeln; und Du und ich gehören mit unter die Wenigen die sich nicht haben von ihr bethören lassen. – Sobald ich wieder gehörig hergestellt bin, werde ich meine Reise unternehmen, für die ich mich fürchte, denn in dieser rauhen Jahreszeit, allein, und mit schwacher Gesundheit eine solche weite Reise zu unternehmen ist nichts Leichtes, doch Gott wird mich auch hier nicht verlassen.
Ich habe hier viel Theilnahme gefunden; meine alte treue Freundin, dieselbe die nach dem Tode meiner Eltern meine Kinder so mütterlich aufnahm, hat mich auch jetzt nach Friedrichs Tode sogleich zu sich genommen, und aufs Theilnehmste verpflegt, was ihr Gott reichlich verlohne. Auch die guten Tiecks haben mir sehr viel Freundschaft erwiesen. – Der gute Onkel Karl hat mir neulich einen sehr freundlichen Brief geschrieben, auf den ich ihm noch vor meiner Abreise antworten werde. – Nun mein theuerster Oheim Lebe wohl, Du hast nach Lesung dieses Briefes wenig Erfreuliches erfahren, ich mußte Dir jedoch erzählen was sich zugetragen und daß sich nichts Angenehmes zugetragen ist warlich nicht meine Schuld. Gott erhalte Dich gesund, und gedenke zuweilen Deiner Dich treu verehrenden und liebenden
Nichte
Augusta Buttlar

*) Am Briefrand: Ich habe seine Leiche kurtz vor der Beerdigung wiedergesehen, und fand die Züge vortheilhaft verändert, sein Ausdruck war sehr ruhig und ernst.
[1] Dresden den 16ten Februar 1829
Mein theuerster Oheim
Ich hätte Dir schon längst geschrieben wenn ich nicht durch vielerlei Dinge davon abgehalten wäre. – Die ersten Wochen nach dem unglücklichen Vorfall waren meine Nerven so angegriffen daß mir der Artzt das Briefschreiben gänzlich untersagte; dann war ich überhäuft mit Geschäften und zuletzt bin ich krank geworden. Ein ziemlich starkes Fieber, wohl noch Folge jener Erschütterung, nöthigte mich das Bett zu hüten, und heute bin ich zum ersten Male wieder aufgestanden. – Tieck hat mir Deine freundlichen Grüße bestellt, und den väterlichen Segen den Du mir geschickt, hoffe ich durch kindliche Verehrung und treue Erfüllung meiner Pflichten mehr und mehr zu verdienen. – Ich habe seit diesem kurzen Jahre wieder vieles erfahren! und die Reise die zu meinem Besten dienen sollte hat ein trauriges Ende genommen. Als der gute Friedrich die freundlichen Umgebungen Dresdens so herzlich begrüßte, und sich der verflossenen Jugend dabey erinnerte, glaubte er nicht daß er sein Grab dort finden würde! Aber so kurtzsichtig ist der Mensch, denn just Friedrich, der so gern andern ihre Zukunft deuten zu können glaubte, ahnete nicht, was ihm selbst so nahe bevorstand. Doch wohl ihm, er ist jetzt an dem Ziele wo man alles reiner sieht, und alle Irrthümer erkennt. –
Durch Tiecks wirst Du wohl alle nähere Umstände ohne Zweifel erfahren haben, und deshalb brauche ich Dir nicht alles zu wiederholen, denn aufrichtig gesagt, die bloße Erinnerung jener schaudervollen Stunde der Angst und [2] Verzweiflung erregt mir noch jetzt Entsetzen! Denn Du kannst Dir denken in der Nacht mit einem Sterbenden der aufs gewaltsamste mit dem Tode rang, ohne Hülfe und allein zu sein ist kein Kleines; ich konnte erst keinen Menschen erwecken, und als endlich Leute kamen die ich sogleich nach Ärtzlicher Hülfe wieder fortschickte, verschied er in meinen Armen. Seine Züge noch wenige Stunden vorher das Bild des frischesten Lebens, waren gräßlich entstellt, und haben einen um so tieferen Eindruck auf mich gemacht, da es der Erste war den ich hatte sterben sehen*). – Der Überrest der Nacht war nicht minder schauerlich, die Leiche lag auf dem Sopha wo er verschieden, und eine düster brennende Kertze daneben; ich saß da und starrte dumpf vor mich hin, und der alte Bediente wagte vor Furcht und Betäubung diese Todtenstille nicht zu unterbrechen. So brachte ich fünf lange Stunden zu, in denen ich doch so viel Kraft sammelte, um die Pflichten die meine Lage erheischte zu erfüllen. Vernunft und Pflicht sind zwey wohlthätige Stützen die den Schwächsten oft wunderbar erhalten, aber die Gabe diese Stimmen zu vernehmen ist nur eine Gnade Gottes, und darum bilde der Mensch sich nichts darauf ein. – Mit Tages Anbruch schickte ich zur Oestreichischen Gesandtschaft, übergab dem Geschäftsträger die Schlüssel mit der dringendsten Bitte mir beyzustehen; man versprach es auch, hielt aber nachher nicht Wort. Herr von Emmerich (so heißt der jetzige Geschäftsträger) weigerte sich die Kosten der Beerdigung pp zu bestreiten und verlangte ich solle dies von meinem eignen Gelde thun, oder in meinem Namen welches dazu aufnehmen. Aber von meinem Sachwalter und Freunden gerathen mich auf gar nichts einzulassen, beharrte ich fest auf meiner Weigerung, und es blieb mir nun nichts übrig als mich selbst an die Staatskanzlei in Wien zu wenden, um mir das nöthige Geld von dort aus zu erbitten. Daß mir diese Geschichten viel Ärger und Verdruß [3] gemacht, kannst Du Dir denken, um so mehr da man, wie ich voraussah, mein Betragen in Wien sehr tadelnswerth und egoistisch gefunden. Es hat mir Mühe gekostet mich zu rechtfertigen, um so mehr da Herr von Emmerich es für nöthig fand sein Betragen in Wien in einem ganz andern Lichte darzustellen, weil er wohl fühlte, daß er seine Pflicht als Gesandtschafts Vertreter schlecht erfüllt hatte. Die Lage in der ich mich befand war sehr schwierig, ich finde aber man muß sich bey solchen Gelegenheiten nicht durch eine falsche Empfindsamkeit zu unüberlegten Schritten verleiten lassen die einem nachher oft bitter gereuen können. – Indem ich nun hier durch Geschäfte und Krankheit aufgehalten werde, versäume ich mein ganzes bisheriges Verdienst, das mir in Wien nur in den Wintermonaten zu theil wird, und muß nun auch die Rückreise von meinem eigenen Gelde bestreiten. Übrigens habe ich meine Zeit hier so gut wie möglich zu nützen gesucht, erst habe ich alle Schritte gethan wodurch ich meinen Proceß beschleunigen kann, und dann habe ich abermals eine Suplick um eine kleine Pension bey dem Könige eingereicht. Wiewohl die Theilname für mich jetzt hier erweckt ist, so habe ich doch wenig Hoffnung für den Erfolg, denn zweimal sind mir meine Gesuche schon abgeschlagen. – Ich habe eine unaussprechliche Sehnsucht die Meinigen wieder zu sehen, und in diesem freundlichen Kreise hoffe ich alle vergangenen Leiden zu vergessen; aber auch diese Freude ist nicht ungetrübt, denn meine arme kleine Adelheit leidet seit langer Zeit schon an den Drüsen, was mir sehr vielen Kummer und Sorge macht. Tante hat sie während meiner Abwesenheit zu sich genommen, und aufs sorgsamste verpflegt. Die Aertzte wollen ich soll nächsten Sommer mit ihr aufs Land, oder in ein Bad gehen, aber ich sehe nicht ein wie ich dies werde möglich machen können.
Ich gratulire daß Mrs. Hunter mit Ehren von Bonn [4] fort ist, diese most interesting Lady hat Dir gewiß manche Unruhe gemacht, denn sie hat das Talent wo sie auch sey, alle Leute in den Wirrwar ihrer Intriguen zu verwickeln; und Du und ich gehören mit unter die Wenigen die sich nicht haben von ihr bethören lassen. – Sobald ich wieder gehörig hergestellt bin, werde ich meine Reise unternehmen, für die ich mich fürchte, denn in dieser rauhen Jahreszeit, allein, und mit schwacher Gesundheit eine solche weite Reise zu unternehmen ist nichts Leichtes, doch Gott wird mich auch hier nicht verlassen.
Ich habe hier viel Theilnahme gefunden; meine alte treue Freundin, dieselbe die nach dem Tode meiner Eltern meine Kinder so mütterlich aufnahm, hat mich auch jetzt nach Friedrichs Tode sogleich zu sich genommen, und aufs Theilnehmste verpflegt, was ihr Gott reichlich verlohne. Auch die guten Tiecks haben mir sehr viel Freundschaft erwiesen. – Der gute Onkel Karl hat mir neulich einen sehr freundlichen Brief geschrieben, auf den ich ihm noch vor meiner Abreise antworten werde. – Nun mein theuerster Oheim Lebe wohl, Du hast nach Lesung dieses Briefes wenig Erfreuliches erfahren, ich mußte Dir jedoch erzählen was sich zugetragen und daß sich nichts Angenehmes zugetragen ist warlich nicht meine Schuld. Gott erhalte Dich gesund, und gedenke zuweilen Deiner Dich treu verehrenden und liebenden
Nichte
Augusta Buttlar

*) Am Briefrand: Ich habe seine Leiche kurtz vor der Beerdigung wiedergesehen, und fand die Züge vortheilhaft verändert, sein Ausdruck war sehr ruhig und ernst.
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