• August Wilhelm von Schlegel to August Böckh

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Berlin · Date: 12.08.1841
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: August Böckh
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Berlin
  • Date: 12.08.1841
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 558‒561.
  • Incipit: „[1] Hochgeehrtester Herr Geheime-Regierungsrath
    und academischer College!
    Ew. Hochwohlgeboren haben die Gewogenheit gehabt, mir unter dem Datum vom 3ten Aug. die Resultate der [...]“
    Manuscript
  • Provider: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Berlin
  • Classification Number: II-VII, 59 Bl. 252-255
  • Number of Pages: 4 S., hs. m. U.
    Language
  • German
  • Latin
[1] Hochgeehrtester Herr Geheime-Regierungsrath
und academischer College!
Ew. Hochwohlgeboren haben die Gewogenheit gehabt, mir unter dem Datum vom 3ten Aug. die Resultate der am 29sten Jul. gehaltenen Sitzung der Commission mitzutheilen, wobei ich, durch Unpäßlichkeit verhindert, nicht gegenwärtig seyn konnte.
Die summarische Fassung läßt mir manche Zweifel übrig, die ich gelöset zu sehn wünschen muß, da Ihre nahe bevorstehende Abreise mich keine ferneren Conferenzen hoffen läßt.
Sie setzen das Grammatische dem Rhetorischen entgegen: jenes dürfe man bei Revision der Werke Friedrichs des Großen berichtigen; das Rhetorische [2] hingegen müsse unverrückt stehen bleiben, wie es in den Handschriften sich vorfindet. Wohin rechnen Sie denn nun den Sprachgebrauch:
Quem penes arbitrium est, et jus et norma loquendi?
In keiner lebenden Europäischen Sprache bewährt sich die Gültigkeit dieses Ausspruches in höherem Grade als in der Französischen. Der Sprachgebrauch beherrscht sie unumschränkt. Seit beinahe zwei Jahrhunderten ist er bis auf wenige Ausnahmen festgestellt; er gründet sich auf die Musterschriften des classischen Zeitalters und die Sitte der gewähltesten Gesellschaft, ehemals des Hofes, jetzt noch immer der Hauptstadt. Beglaubigt wird endlich der Sprachgebrauch durch die Anerkennung der Französischen Akademie.
Jede Abweichung davon in einer Französisch abgefaßten Schrift veranlaßt in Frankreich unfehlbar den Ausspruch, nicht nur der Kenner, sondern des gesamten gebildeten [3] Publicums: Cela nʼest pas français; und eine gewisse Anzahl solcher Abweichungen reicht hin, um dieses Urtheil auf die ganze Schrift auszudehnen. Die Folgen lassen sich voraussehn, und ich habe sie schon angedeutet. Es werden sofort im Auslande, namentlich in Frankreich und Brabant, emendirte Nachdrücke erscheinen, und das nicht Deutsche Publicum wird sie vorziehn, weil für Französische Leser der Germanismus, das Tudesque, immer ein schwerer Stein des Anstoßes ist. Nach dessen Wegräumung hingegen werden nur gelehrte Kenner die Verschiedenheit von den früheren Ausgaben wahrnehmen.
Soll etwa der Sprachgebrauch in dem Begriff des Grammatischen mit enthalten seyn? Die Lehrbücher der Grammatik geben meistens allgemeine Regeln, und zwar hauptsächlich Grundregeln, worauf der Bau der Sprache ruht, und wodurch ihre Entwickelung im ganzen bedingt wird. Der Sprachgebrauch [4] aber ist eine sehr complicirte Thatsache: er bestimmt unzählige einzelne Fälle nach den feinsten Unterscheidungen; dazu kommen die Idiotismen, die in der Französischen Sprache besonders häufig sind, und sich auf keine Theorie zurückführen lassen.
Der Begriff des Grammatischen ist in den neueren Vulgarsprachen begreiflicher Weise sehr zusammengeschrumpft. Wenn Sie diesen Begriff wieder zu der Würde erheben wollen, die er bei den Alexandrinischen Gelehrten hatte, so werden Sie die kritische Lexicographie hinzuziehen müssen. Denn nur in der Form eines Wörterbuches, eines ausführlichen und beglaubigte Beispiele gebenden Wörterbuches kann der Sprachgebrauch erschöpfend dargelegt werden.
Nur, wenn Sie das Grammatische so weit ausdehnen, kann ich mich mit Ihnen für einverstanden erklären, und doch vielleicht nicht so ganz. Wohin stellen Sie z. B. eine unerträgliche Weitschweifigkeit? offenbare Tautologien? verworrene Wortfügungen? [5] unklare und schielende Ausdrücke u.s.w. Meines Erachtens muß dergleichen unbedenklich weggeschafft werden, wenn das Werk für correct gelten soll.
Der König hat in einer Cabinets-Ordre die Correctheit als ein wesentliches Erfoderniß der zu veranstaltenden Ausgabe anerkannt, und aus diesem Grunde meine Mitwirkung allergnädigst genehmigt.
Ich schmeichle mir wohl nicht zu viel, wenn ich hierin einen Beweis des Zutrauens Sr. Majestät zu meinen durch vieljährige Studien erworbenen Einsichten in diesem Fache zu erkennen glaube.
Es ist meine Pflicht, dem Königlichen Auftrage mit allem Eifer zu entsprechen. Aber ohne Einstimmigkeit in den Grundsätzen ist ein gedeihlicher Fortgang eines litterarischen Unternehmens nicht denkbar, das durch eine Gesellschaft von Gelehrten gemeinschaftlich ausgeführt werden soll. Dem, [6] der die Stimmenmehrheit in wesentlichen Punkten gegen sich hat, bleibt nichts übrig als entweder seine Überzeugungen aufzugeben, oder sich zurückzuziehn.
Zu dem Mistrauen, als wolle ich mit den Schriften Friedrichs des zweiten willkührlich umgehn, habe ich nicht den mindesten Anlaß gegeben. Durch meinen früher vorgelegten Aufsatz ist jedem Misverständniß vorgebeugt. Ich verweise darauf, um mich nicht unnützer Weise zu wiederholen.
An dem Inhalte darf nichts verändert werden, das steht fest. Seine Irrthümer, seine Vorurtheile, seine hier und da oberflächliche Gelehrsamkeit, müssen dem großen Könige unverkürzt bleiben. Aber wenn es ihm begegnet ist, das, was er sagen wollte, unfranzösisch, folglich misverstänlich zu sagen, so muß es mit so leichten Abänderungen wie möglich in den ächt Französischen Ausdruck übertragen werden. [7] Bisher war die Commission nur mit vorläufigen Berathungen beschäftigt. Sobald aber Hand an das Werk gelegt werden soll, wird eine Vertheilung der Arbeiten nöthig seyn. Denn um die Werke Friedrichs des zweiten würdig auszustatten und sie in das vollste Licht zu stellen, wird eine Mannichfaltigkeit von Kenntnissen erfodert, von militärischen, historischen, geographischen, chronologischen, statistischen, endlich litterarischen, die ein einziger Gelehrter nicht in sich vereinigen kann. Die jetzigen oder künftigen Mitglieder der Commission werden, jeder nach eigner Wahl aus dem Kreise ihrer Hauptstudien, Anmerkungen und andre Beiträge zur Vollendung des Ganzen liefern. Hiebei betrachte ich das Sprachliche, oder wie Sie es nennen, das Grammatische schon im voraus als das mir zugewiesene Fach. Die definitive Feststellung des Textes für den Druck, nach wiederholter Collation der Materialien, wird demnach mein Geschäft seyn. Um die [8] vorgeschriebene Correctheit im höheren Sinne des Wortes zu erreichen, muß ich jedoch freie Hand haben, und kann mich keiner Gegen-Revision unterwerfen: sonst liefe ich Gefahr, für das verantwortlich gemacht zu werden, was der Aberglaube der Authenticität oder die Bewunderung des Gleichgültigen und Unbedeutenden verschuldet hätte. Um ein Beispiel zu geben: ich habe mehrmals sagen hören, man müsse die Orthographie Friedrichs des Großen beibehalten. Meine Antwort hierauf ist kurz: er hatte gar keine.
Genehmigen Sie die Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung, womit ich die Ehre habe zu seyn
Ew. Hochwohlgeboren
ergebenster
A. W. von Schlegel
Berlin d. 12ten Aug. 1841
[1] Hochgeehrtester Herr Geheime-Regierungsrath
und academischer College!
Ew. Hochwohlgeboren haben die Gewogenheit gehabt, mir unter dem Datum vom 3ten Aug. die Resultate der am 29sten Jul. gehaltenen Sitzung der Commission mitzutheilen, wobei ich, durch Unpäßlichkeit verhindert, nicht gegenwärtig seyn konnte.
Die summarische Fassung läßt mir manche Zweifel übrig, die ich gelöset zu sehn wünschen muß, da Ihre nahe bevorstehende Abreise mich keine ferneren Conferenzen hoffen läßt.
Sie setzen das Grammatische dem Rhetorischen entgegen: jenes dürfe man bei Revision der Werke Friedrichs des Großen berichtigen; das Rhetorische [2] hingegen müsse unverrückt stehen bleiben, wie es in den Handschriften sich vorfindet. Wohin rechnen Sie denn nun den Sprachgebrauch:
Quem penes arbitrium est, et jus et norma loquendi?
In keiner lebenden Europäischen Sprache bewährt sich die Gültigkeit dieses Ausspruches in höherem Grade als in der Französischen. Der Sprachgebrauch beherrscht sie unumschränkt. Seit beinahe zwei Jahrhunderten ist er bis auf wenige Ausnahmen festgestellt; er gründet sich auf die Musterschriften des classischen Zeitalters und die Sitte der gewähltesten Gesellschaft, ehemals des Hofes, jetzt noch immer der Hauptstadt. Beglaubigt wird endlich der Sprachgebrauch durch die Anerkennung der Französischen Akademie.
Jede Abweichung davon in einer Französisch abgefaßten Schrift veranlaßt in Frankreich unfehlbar den Ausspruch, nicht nur der Kenner, sondern des gesamten gebildeten [3] Publicums: Cela nʼest pas français; und eine gewisse Anzahl solcher Abweichungen reicht hin, um dieses Urtheil auf die ganze Schrift auszudehnen. Die Folgen lassen sich voraussehn, und ich habe sie schon angedeutet. Es werden sofort im Auslande, namentlich in Frankreich und Brabant, emendirte Nachdrücke erscheinen, und das nicht Deutsche Publicum wird sie vorziehn, weil für Französische Leser der Germanismus, das Tudesque, immer ein schwerer Stein des Anstoßes ist. Nach dessen Wegräumung hingegen werden nur gelehrte Kenner die Verschiedenheit von den früheren Ausgaben wahrnehmen.
Soll etwa der Sprachgebrauch in dem Begriff des Grammatischen mit enthalten seyn? Die Lehrbücher der Grammatik geben meistens allgemeine Regeln, und zwar hauptsächlich Grundregeln, worauf der Bau der Sprache ruht, und wodurch ihre Entwickelung im ganzen bedingt wird. Der Sprachgebrauch [4] aber ist eine sehr complicirte Thatsache: er bestimmt unzählige einzelne Fälle nach den feinsten Unterscheidungen; dazu kommen die Idiotismen, die in der Französischen Sprache besonders häufig sind, und sich auf keine Theorie zurückführen lassen.
Der Begriff des Grammatischen ist in den neueren Vulgarsprachen begreiflicher Weise sehr zusammengeschrumpft. Wenn Sie diesen Begriff wieder zu der Würde erheben wollen, die er bei den Alexandrinischen Gelehrten hatte, so werden Sie die kritische Lexicographie hinzuziehen müssen. Denn nur in der Form eines Wörterbuches, eines ausführlichen und beglaubigte Beispiele gebenden Wörterbuches kann der Sprachgebrauch erschöpfend dargelegt werden.
Nur, wenn Sie das Grammatische so weit ausdehnen, kann ich mich mit Ihnen für einverstanden erklären, und doch vielleicht nicht so ganz. Wohin stellen Sie z. B. eine unerträgliche Weitschweifigkeit? offenbare Tautologien? verworrene Wortfügungen? [5] unklare und schielende Ausdrücke u.s.w. Meines Erachtens muß dergleichen unbedenklich weggeschafft werden, wenn das Werk für correct gelten soll.
Der König hat in einer Cabinets-Ordre die Correctheit als ein wesentliches Erfoderniß der zu veranstaltenden Ausgabe anerkannt, und aus diesem Grunde meine Mitwirkung allergnädigst genehmigt.
Ich schmeichle mir wohl nicht zu viel, wenn ich hierin einen Beweis des Zutrauens Sr. Majestät zu meinen durch vieljährige Studien erworbenen Einsichten in diesem Fache zu erkennen glaube.
Es ist meine Pflicht, dem Königlichen Auftrage mit allem Eifer zu entsprechen. Aber ohne Einstimmigkeit in den Grundsätzen ist ein gedeihlicher Fortgang eines litterarischen Unternehmens nicht denkbar, das durch eine Gesellschaft von Gelehrten gemeinschaftlich ausgeführt werden soll. Dem, [6] der die Stimmenmehrheit in wesentlichen Punkten gegen sich hat, bleibt nichts übrig als entweder seine Überzeugungen aufzugeben, oder sich zurückzuziehn.
Zu dem Mistrauen, als wolle ich mit den Schriften Friedrichs des zweiten willkührlich umgehn, habe ich nicht den mindesten Anlaß gegeben. Durch meinen früher vorgelegten Aufsatz ist jedem Misverständniß vorgebeugt. Ich verweise darauf, um mich nicht unnützer Weise zu wiederholen.
An dem Inhalte darf nichts verändert werden, das steht fest. Seine Irrthümer, seine Vorurtheile, seine hier und da oberflächliche Gelehrsamkeit, müssen dem großen Könige unverkürzt bleiben. Aber wenn es ihm begegnet ist, das, was er sagen wollte, unfranzösisch, folglich misverstänlich zu sagen, so muß es mit so leichten Abänderungen wie möglich in den ächt Französischen Ausdruck übertragen werden. [7] Bisher war die Commission nur mit vorläufigen Berathungen beschäftigt. Sobald aber Hand an das Werk gelegt werden soll, wird eine Vertheilung der Arbeiten nöthig seyn. Denn um die Werke Friedrichs des zweiten würdig auszustatten und sie in das vollste Licht zu stellen, wird eine Mannichfaltigkeit von Kenntnissen erfodert, von militärischen, historischen, geographischen, chronologischen, statistischen, endlich litterarischen, die ein einziger Gelehrter nicht in sich vereinigen kann. Die jetzigen oder künftigen Mitglieder der Commission werden, jeder nach eigner Wahl aus dem Kreise ihrer Hauptstudien, Anmerkungen und andre Beiträge zur Vollendung des Ganzen liefern. Hiebei betrachte ich das Sprachliche, oder wie Sie es nennen, das Grammatische schon im voraus als das mir zugewiesene Fach. Die definitive Feststellung des Textes für den Druck, nach wiederholter Collation der Materialien, wird demnach mein Geschäft seyn. Um die [8] vorgeschriebene Correctheit im höheren Sinne des Wortes zu erreichen, muß ich jedoch freie Hand haben, und kann mich keiner Gegen-Revision unterwerfen: sonst liefe ich Gefahr, für das verantwortlich gemacht zu werden, was der Aberglaube der Authenticität oder die Bewunderung des Gleichgültigen und Unbedeutenden verschuldet hätte. Um ein Beispiel zu geben: ich habe mehrmals sagen hören, man müsse die Orthographie Friedrichs des Großen beibehalten. Meine Antwort hierauf ist kurz: er hatte gar keine.
Genehmigen Sie die Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung, womit ich die Ehre habe zu seyn
Ew. Hochwohlgeboren
ergebenster
A. W. von Schlegel
Berlin d. 12ten Aug. 1841
· Abschrift , 12.08.1841
· Biblioteka Jagiellońska, Krakau
· Konzept , 10.08.1841
· Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
· Mscr.Dresd.e.90,LXXV,Nr.4b(2)
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