• Ludwig Tieck to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Unknown · Place of Destination: Jena · Date: [29. Dezember 1797]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Ludwig Tieck
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Unknown
  • Place of Destination: Jena
  • Date: [29. Dezember 1797]
  • Notations: Datum sowie Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 27‒28.
  • Incipit: „[1] [29. Dezember 1797]
    Ich lege Ihnen noch ein Blatt bei, da mein Brief bei Ihrem Bruder einige Tage liegen geblieben ist. [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-36934
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.28,Nr.56
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,6 x 11,7 cm
    Language
  • German
[1] [29. Dezember 1797]
Ich lege Ihnen noch ein Blatt bei, da mein Brief bei Ihrem Bruder einige Tage liegen geblieben ist. –
So eben hab ich Ihre Beurtheilung von Herrmann und Dorothea gelesen und ich sage Ihnen den herzlichsten Dank, daß Sie mich so bekehrt haben. Alles Besserwerden ist doch nur ein vernünftigerwerden und das Vernünftigwerden ist auch nur ein Zuwachs von Ideen, oder daß wir alte Ideen auf eine neue Art anwenden, mit einem Wort, daß wir uns immer mehr von der altklugen Pedanterei entfernen, und ich bin also durch Ihre Rezension besser geworden. Es kömmt mir diese Bekehrung zum Neuen Jahre eben recht. Es ist wirklich seltsam, daß ich dies Gedicht von [2] Göthe nicht goutiren wollte: man ist oft viel zu thätig, um verständig zu sein, vielleicht würdʼ ich etwas vernünftiger, wenn ich noch etwas fauler würde, denn je älter ich werde, je mehr finde ich, daß die Vernunft das Bequemste von der Welt ist.
Ihr Bruder schreibt Ihnen wohl, wie es mit dem Don Quixote steht; ich bin Ihnen beiden sehr für die Mühe verbunden, die Sie sich meinetwegen geben. Verzeihen Sie nur die vielen Anzeigen, die Sie für mich zu besorgen bekommen. Sie werden es am besten wissen, ob Sie die wegen des Don Quixote in Ihrem oder meinem, oder im Nahmen eines Unbekannten einrücken lassen.
Ich bitte Sie auch, inliegenden Brief [3] an Hufeland abzugeben. Ich wünsche, daß ich Ihrer Art zu rezensiren nur einigermaßen nahe kommen möchte, daß ich mir diese Klarheit und Bestimmtheit zu eigen machen könnte.
Lope de Vega hat auch Romeo und Julie bearbeitet, wenn es in Göttingen ist, will ich es mir von da schicken lassen. Es muß unendlich interessant sein, beide Dichter in Einem Sujet zu vergleichen.
Halten Sie nicht die 7 sogenannten falschen Stücke von Shakspeare für ächt? Ich bin jetzt ordentlich davon überzeugt, von der Yorkshire Tragedy und The London Prodigal werden Sie es auch sein, am meisten [4] sträubt sich gegen den Shakspearschen Geist die Widow of Watling Street – wahrscheinlich ist Locrin Shakspeares erstes dramatisches Produkt gewesen und schon in dieser Rüksicht unendlich interessant. Ich wünschte, daß Sie als Anhang der übrigen Gedichte, auch diese verkannten Stücke übersezten: sie sind alle besser als Allʼs well that ends well, und fast alle sind mir lieber als Measure for Measure.
Leben Sie recht wohl und vergeben Sie mir, daß Ich Ihnen gleich im Anfange unsrer Freundschaft so viele Mühe mache.
Ihr Ludwig Tieck.
[1] [29. Dezember 1797]
Ich lege Ihnen noch ein Blatt bei, da mein Brief bei Ihrem Bruder einige Tage liegen geblieben ist. –
So eben hab ich Ihre Beurtheilung von Herrmann und Dorothea gelesen und ich sage Ihnen den herzlichsten Dank, daß Sie mich so bekehrt haben. Alles Besserwerden ist doch nur ein vernünftigerwerden und das Vernünftigwerden ist auch nur ein Zuwachs von Ideen, oder daß wir alte Ideen auf eine neue Art anwenden, mit einem Wort, daß wir uns immer mehr von der altklugen Pedanterei entfernen, und ich bin also durch Ihre Rezension besser geworden. Es kömmt mir diese Bekehrung zum Neuen Jahre eben recht. Es ist wirklich seltsam, daß ich dies Gedicht von [2] Göthe nicht goutiren wollte: man ist oft viel zu thätig, um verständig zu sein, vielleicht würdʼ ich etwas vernünftiger, wenn ich noch etwas fauler würde, denn je älter ich werde, je mehr finde ich, daß die Vernunft das Bequemste von der Welt ist.
Ihr Bruder schreibt Ihnen wohl, wie es mit dem Don Quixote steht; ich bin Ihnen beiden sehr für die Mühe verbunden, die Sie sich meinetwegen geben. Verzeihen Sie nur die vielen Anzeigen, die Sie für mich zu besorgen bekommen. Sie werden es am besten wissen, ob Sie die wegen des Don Quixote in Ihrem oder meinem, oder im Nahmen eines Unbekannten einrücken lassen.
Ich bitte Sie auch, inliegenden Brief [3] an Hufeland abzugeben. Ich wünsche, daß ich Ihrer Art zu rezensiren nur einigermaßen nahe kommen möchte, daß ich mir diese Klarheit und Bestimmtheit zu eigen machen könnte.
Lope de Vega hat auch Romeo und Julie bearbeitet, wenn es in Göttingen ist, will ich es mir von da schicken lassen. Es muß unendlich interessant sein, beide Dichter in Einem Sujet zu vergleichen.
Halten Sie nicht die 7 sogenannten falschen Stücke von Shakspeare für ächt? Ich bin jetzt ordentlich davon überzeugt, von der Yorkshire Tragedy und The London Prodigal werden Sie es auch sein, am meisten [4] sträubt sich gegen den Shakspearschen Geist die Widow of Watling Street – wahrscheinlich ist Locrin Shakspeares erstes dramatisches Produkt gewesen und schon in dieser Rüksicht unendlich interessant. Ich wünschte, daß Sie als Anhang der übrigen Gedichte, auch diese verkannten Stücke übersezten: sie sind alle besser als Allʼs well that ends well, und fast alle sind mir lieber als Measure for Measure.
Leben Sie recht wohl und vergeben Sie mir, daß Ich Ihnen gleich im Anfange unsrer Freundschaft so viele Mühe mache.
Ihr Ludwig Tieck.
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