• Ludwig Tieck to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Bonn · Date: 26.03.1825
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Ludwig Tieck
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 26.03.1825
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 181‒183.
  • Incipit: „[1] Mein geliebtester Freund,
    Schon längst hätte ich Dir schreiben sollen, um mich wenigstens für Dein Angedenken und die Uebersendung der Indischen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-36934
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.28,Nr.82
  • Number of Pages: 3 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 23,4 x 19,7 cm
    Language
  • German
[1] Mein geliebtester Freund,
Schon längst hätte ich Dir schreiben sollen, um mich wenigstens für Dein Angedenken und die Uebersendung der Indischen Bibliothek zu bedanken, aus der ich mich eben so sehr unterrichtet, wie erbaut habe. Schiebt man nicht das in der Regel auf, was uns am liebsten ist? Kein Mensch hat dies Laster so sehr als ich, und Niemand muß darum auf die Nachsicht seiner Freunde so sehr rechnen, und ihre liebende Güte in Anspruch nehmen.
Sehr betrübt hat es mich, daß Du mich, bei der Ausgabe des Shakspeare so verkannt hast. Ich möchte wohl mit dem Troilus des Dichters sagen: daß die Treue meine Natur, und keine Tugend oder ein Verdienst in mir sei. Lieber, wie könnte ich Deine meisterhafte Uebersetzung schulmeistern, oder korrigiren wollen? Es ist ja nur die Rede von Lesearten, von kleinen Vergehn, zuweilen 3 Verse in 2 zusammen zu ziehn. Was habe ich gewünscht, wie sehr hat Reimer dich aufgefodert diese Kleinigkeiten, und, wenn Du wolltest, grössere Correkturen selbst zu machen. Was hätten wir Besseres wünschen können? Du hast schon seit Jahren diese Uebersetzung, das Musterbild unsrer deutschen Kunstwerke dieser Art, mit unbilliger Verachtung weit von Dir geworfen; Du hast uns freien Spielraum gegeben, und was nun geschieht, ist nichts, als was der Freund dem Freunde vergeben kann, wenn er es ihm auch nicht danken will.
[2] Gewiß, mein theurer Jugendfreund, darf ich mich dessen rühmen, daß Wenige Deinen Werth so erkennen, daß noch weniger Dir so treu geblieben sind. Wenn Du mich nicht aus den Augen verlohren hast, wenn Du von Reisenden oder Bekannten von mir hast sprechen hören, so mußt Du auch wissen, wie gerade Deine Arbeit des Shakspeare immer das gewesen ist, was ich fast unbedingt bewundert habe, und wenn ich noch jezt, wie in meiner Jugend sage, daß wir nichts in unsrer Sprache haben, was sich damit (selbst Dein Calderon nicht) damit vergleichen dürfe. Keine Frage, daß Du besser als ich hättest fortfahren können, eine Anerkennung, die ich gegen Freunde und Bekannte oft genug wiederhole, ich glaube, daß die kleinern Correkturen von Deiner Hand glüklicher ausfallen würden, als von der meinigen – aber wie hast Du seit 20 Jahren alles von Dir gewiesen. Schon im Jahre 1800 wünschtest Du, ich sollte Loveʼs labors lost übersetzen, schon damals hörtest Du meine Einwendungen und Vorschläge über Shakspeare gern, meine Meinung galt Dir – ich habe mich seit diesen vielen Jahren fast ausschließlich mit dem grossen Dichter beschäftigt, Du hast ihn, wie so manches, seit dem minder geachtet – und die Verbesserung von Druckfehlern, kleinern Mißverständnissen, Zusammenziehungen von Versen, Bagatellen, – wolltest Du jetzt als eine Beeinträchtigung Deiner Verdienste ansehn? Gewiß nicht!
[3] Welche Sehnsucht ich habe, Dich einmal wieder zu sehn und zu sprechen, kann ich nicht ausdrücken. Vielleicht wird es mir noch in diesem Sommer so gut, wenn auch nur auf wenige Stunden. Meine ganze Jugend würde mir zurück kommen. Liebster, ich bin und bleibe auf ewig Dein Freund: da ich Deine schöne Natur, Deinen herrlichen großartigen Sinn, Dein liebevolles Hertz Einmal gesehn und verstanden habe, so kann ich nie wieder von Dir lassen. Ich begreife andre Menschen nicht, die ihre Freunde, wie ein Kleid, wieder aufgeben, oder vergessen können. Diese meine Empfindung würde mir auch bleiben, wenn Du über mich grolltest, oder mir, ohne daß ich es verschuldet hätte, zürntest. Im Herbst war Friedrich hier, und ich habe ihn viel gesehen. Wenn er Dir geschrieben hat, muß er Dir gesagt haben, mit welcher Sehnsucht ich Dich herbei gewünscht habe. Hätten wir nur einmal die Musse, uns auf alte Weise recht im Gespräch wieder einmal zu ergehn.
Lebe jezt wohl und vergieb mir diesen eiligen Brief, den ich Dir bei der heftigsten Migräne schreibe, die mich sonst eben jezt nicht plagt. Seit 19, seit ich in Dresden lebe, bin ich sonst viel gesunder, als ehemals, so viel ich auch leide. Schmertz und Leiden war eigentlich mein Lebenslauf. Und doch wäre es sehr undankbar, wenn ich das überschwengliche Glück nicht erkennen wollte, das mir das Schicksal vor so vielen Tausenden gegönnt hat, wozu auch das gehört, daß Du einmal mein Freund warst, und es gewiß auch noch bist, so wie ich ewig bleibe
Der Deinige
L. Tieck.
Dresden, den 26ʼʼ März 1825
[4]
[1] Mein geliebtester Freund,
Schon längst hätte ich Dir schreiben sollen, um mich wenigstens für Dein Angedenken und die Uebersendung der Indischen Bibliothek zu bedanken, aus der ich mich eben so sehr unterrichtet, wie erbaut habe. Schiebt man nicht das in der Regel auf, was uns am liebsten ist? Kein Mensch hat dies Laster so sehr als ich, und Niemand muß darum auf die Nachsicht seiner Freunde so sehr rechnen, und ihre liebende Güte in Anspruch nehmen.
Sehr betrübt hat es mich, daß Du mich, bei der Ausgabe des Shakspeare so verkannt hast. Ich möchte wohl mit dem Troilus des Dichters sagen: daß die Treue meine Natur, und keine Tugend oder ein Verdienst in mir sei. Lieber, wie könnte ich Deine meisterhafte Uebersetzung schulmeistern, oder korrigiren wollen? Es ist ja nur die Rede von Lesearten, von kleinen Vergehn, zuweilen 3 Verse in 2 zusammen zu ziehn. Was habe ich gewünscht, wie sehr hat Reimer dich aufgefodert diese Kleinigkeiten, und, wenn Du wolltest, grössere Correkturen selbst zu machen. Was hätten wir Besseres wünschen können? Du hast schon seit Jahren diese Uebersetzung, das Musterbild unsrer deutschen Kunstwerke dieser Art, mit unbilliger Verachtung weit von Dir geworfen; Du hast uns freien Spielraum gegeben, und was nun geschieht, ist nichts, als was der Freund dem Freunde vergeben kann, wenn er es ihm auch nicht danken will.
[2] Gewiß, mein theurer Jugendfreund, darf ich mich dessen rühmen, daß Wenige Deinen Werth so erkennen, daß noch weniger Dir so treu geblieben sind. Wenn Du mich nicht aus den Augen verlohren hast, wenn Du von Reisenden oder Bekannten von mir hast sprechen hören, so mußt Du auch wissen, wie gerade Deine Arbeit des Shakspeare immer das gewesen ist, was ich fast unbedingt bewundert habe, und wenn ich noch jezt, wie in meiner Jugend sage, daß wir nichts in unsrer Sprache haben, was sich damit (selbst Dein Calderon nicht) damit vergleichen dürfe. Keine Frage, daß Du besser als ich hättest fortfahren können, eine Anerkennung, die ich gegen Freunde und Bekannte oft genug wiederhole, ich glaube, daß die kleinern Correkturen von Deiner Hand glüklicher ausfallen würden, als von der meinigen – aber wie hast Du seit 20 Jahren alles von Dir gewiesen. Schon im Jahre 1800 wünschtest Du, ich sollte Loveʼs labors lost übersetzen, schon damals hörtest Du meine Einwendungen und Vorschläge über Shakspeare gern, meine Meinung galt Dir – ich habe mich seit diesen vielen Jahren fast ausschließlich mit dem grossen Dichter beschäftigt, Du hast ihn, wie so manches, seit dem minder geachtet – und die Verbesserung von Druckfehlern, kleinern Mißverständnissen, Zusammenziehungen von Versen, Bagatellen, – wolltest Du jetzt als eine Beeinträchtigung Deiner Verdienste ansehn? Gewiß nicht!
[3] Welche Sehnsucht ich habe, Dich einmal wieder zu sehn und zu sprechen, kann ich nicht ausdrücken. Vielleicht wird es mir noch in diesem Sommer so gut, wenn auch nur auf wenige Stunden. Meine ganze Jugend würde mir zurück kommen. Liebster, ich bin und bleibe auf ewig Dein Freund: da ich Deine schöne Natur, Deinen herrlichen großartigen Sinn, Dein liebevolles Hertz Einmal gesehn und verstanden habe, so kann ich nie wieder von Dir lassen. Ich begreife andre Menschen nicht, die ihre Freunde, wie ein Kleid, wieder aufgeben, oder vergessen können. Diese meine Empfindung würde mir auch bleiben, wenn Du über mich grolltest, oder mir, ohne daß ich es verschuldet hätte, zürntest. Im Herbst war Friedrich hier, und ich habe ihn viel gesehen. Wenn er Dir geschrieben hat, muß er Dir gesagt haben, mit welcher Sehnsucht ich Dich herbei gewünscht habe. Hätten wir nur einmal die Musse, uns auf alte Weise recht im Gespräch wieder einmal zu ergehn.
Lebe jezt wohl und vergieb mir diesen eiligen Brief, den ich Dir bei der heftigsten Migräne schreibe, die mich sonst eben jezt nicht plagt. Seit 19, seit ich in Dresden lebe, bin ich sonst viel gesunder, als ehemals, so viel ich auch leide. Schmertz und Leiden war eigentlich mein Lebenslauf. Und doch wäre es sehr undankbar, wenn ich das überschwengliche Glück nicht erkennen wollte, das mir das Schicksal vor so vielen Tausenden gegönnt hat, wozu auch das gehört, daß Du einmal mein Freund warst, und es gewiß auch noch bist, so wie ich ewig bleibe
Der Deinige
L. Tieck.
Dresden, den 26ʼʼ März 1825
[4]
· Beiliegender Brief von/an A.W. Schlegel , 28.03.1825
· Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
· Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.18,Nr.34
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