• Ludwig Tieck to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Bonn · Date: 15.11.1828
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Ludwig Tieck
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 15.11.1828
  • Notations: Satzfehler korrigiert.
    Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 187‒189.
  • Incipit: „[1] Innig geliebter Freund,
    Ich hätte Dir wohl schon früher schreiben sollen, da mich so vieles anmahnte. Aber Du kennst wohl auch [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-36934
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.28,Nr.85
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 24,6 x 20,3 cm
    Language
  • German
[1] Innig geliebter Freund,
Ich hätte Dir wohl schon früher schreiben sollen, da mich so vieles anmahnte. Aber Du kennst wohl auch die Unruhe und Unbestimmtheit, die nach einer langen Reise immer noch nach wirkt, und uns in allem stört. Unterwegs hielt ich mich nirgend mehr lange auf, als ich von Dir Abschied genommen hatte, als in Würzburg einige Tage, dann in Nürnberg, das mir immer noch wie eine Heimath gemuthet, in Erlangen, wo ich bei Raumers (er war nicht zu Hause) wohnte: nachher, nachdem wir über Coburg, Schwarzburg und Rudelstadt gegangen waren, in Jena, bei Frommann am längsten. Einige Tage in Weimar, und fünf Tage, einiger Geschäfte wegen, blieben wir in Leipzig. Wir sind alle bis jezt wohl, und erfreuen uns noch der Nachwirkung einer so schönen Reise.
Wohl das Erfreulichste war mir, daß ich Dich nach so vielen vielen Jahren wieder sah, daß ich noch denselben treuen Freund in Dir wieder fand, daß ich eine geraume Zeit mit Dir leben konnte, wodurch wir uns wieder so viel näher gekommen sind. Mit Rührung danke ich Dir noch einmal für alle die Freundlichkeit, die Du mir erwiesen, für die Geduld, die Du mir gezeigt hast, und die Gräfinn, die Deine wahre verehrende Freundinn geworden ist, vereinigt ihren Dank mit dem meinigen. Es giebt mir ein herrliches Gefühl des Zutrauens und der Sicherheit, daß wir wieder, wie immer, zusammen gehören, und daß wir, mögen wir in Nebensachen uns von einander entfernen, doch in den Hauptsachen Eines Sinnes sind. Uns so verbunden in ächter Freundschaft.
[2] Von Weimar schon hätte ich Dir schreiben sollen. Ich hatte dort die Bekanntschaft des Medicinal-Rath v. Froriep gemacht. Er ist der Schwiegersohn Bertuchs, und sezt das Industrie-Comptoir, wie einst Bertuch, fort und in Thätigkeit. Zu meinem Verdrusse erzählte er mir, daß er eine Uebersetzung jener Indischen Schauspiele drucke, die unser Freund Lassen bearbeiten wollte. Er zeigte mir auch den Ersten Band, der schon fast ganz fertig war. Der Uebersetzer ist der Prof. Wolf in Weimar, der sich früher als deutscher Improvisator vernehmen ließ. Was ist nun zu thun? Lassen schreibt mir, er sei auch mit Einem Band fertig. (Froriep hatte die Englische Uebersetzung schon vor Monathen aus England erhalten.) Ich denke, daß Lassen aus dem Indischen das Eine Stück wenigstens übersetzen und ergänzen kann, da er ein ganz andrer Kenner als Wolf ist, da Du eine Vorrede zu den Stücken schreiben wolltest, und ich ebenfalls einen Versuch machen würde, etwas über das Verhältnis dieses Theaters zum neuern zu sagen, so könnten beide Uebersetzungen wohl neben einander bestehn. Bist Du der Meinung, so müßtest Du nur oder Lassen so gut sein, gleich eine Ankündigung drucken zu lassen, mir den Entschluß melden, damit ich Cotta, Reimer, Brockhaus oder Max, oder einen andern Verleger suchte. Darüber erwarte ich nun recht bald Lassens Antwort, wenn Du nicht selber Zeit zum Schreiben hast. Etwas Eil, wenn aus der Sache noch etwas werden soll, ist aber wohl nöthig.
Deine Spanischen Bücher, die ich nun habe binden lassen, machen mir noch immer die größte Freude. Durch Buchhändlergelegenheit wirst Du bald Hans Sachs Teil V erhalten, wodurch ich doch etwas alsdann Deine Freigebigkeit habe erwiedern können. Vielleicht finde ich noch einmal Teil IV für Dich, daß Du als dann, so wie ich, den H[ans] Sachs vollständig besitzest.
[3] Vor acht Tagen erhielt ich einen Brief von Friedrich, der mir zu meinem Erstaunen meldete, daß er mit der Buttler auf einige Wochen hieher kommen würde. Sie trafen auch wirklich gleich darauf ein. Ich freute mich, ihn wieder zu sehn, so sehr wir uns auch im Innern von einander entfernt haben mögen. Gleich kam mir mein alter Wunsch zurück, daß Du doch auch gegenwärtig sein möchtest, denn ich bin überzeugt, ein solches Wiedersehn würde Euch beide wieder viel näher bringen, wenn auch nicht vereinigen. Ich finde Friedrich in der Hinsicht gegen die Jahre 24 und 25 sehr verändert, daß er gesprächiger und munterer ist, daß er an mehr Sachen Theil nimmt. Ich war in Verlegenheit, als er von mir, in Ansehung Eures Streites, oder von dem, was Du gegen ihn im Schilde führtest, wissen wollte. Ihm gegen über fühle ich stärker, als bei Dir, daß es besser sei, es käme unter Euch zu keinen starken öffentlichen Erklärungen. Du bist ihm gegen über in Vortheil durch Witz und die bessere Sache. – Fleissiger ist Friedrich auch gewesen, er brachte mir neben jener Philosophie des Lebens auch 2 Bände Philosophie der Geschichte, die Du vielleicht auch schon hast. Eine Argumentation in seinem Sinne für die katholische Kirche, wie wir deren früher manche für die protestantische gehabt haben. Wird das Buch gelesen, so wirkt es vielleicht eine verständige, tiefsinnige Opposition, und das ist es, was ich seit lange wünsche und erwarte; denn die Zänkereien der Priester von diesseit und jenseit sind mir so verdrießlich, daß ich keine Notiz davon nehme, und mich (wenn ich auch vielleicht zu früh abgeschlossen habe) in meine Ueberzeugung zunächst und in meine geliebten Dichter zurück ziehe, und Geschichte, und nebenher Spaß. Alles ist mir wichtiger als dieses theologische Herumtummeln der Partheien wegen der Diana von Ephesus.
[4] Du wolltest mir noch den 2t. Band der Indischen Bibliothek verehren. Hast Du die Dedication des 5t. Bandes meiner Schriften gesehn? Ist sie Dir nicht unlieb? Ich muß jezt dafür sorgen, daß Du die Bücher erhälst. Lassen schrieb mir, Du läsest den Fortunat von neuem. Eile nur mit Deinen Schriften, Theuerster, das Leben ist kurtz. Das sage ich mir täglich, und thue doch selbst so wenig, und lese viel zu viel, und lerne zwar, aber doch nur, immer mehr und gründlicher zu zweifeln, und durch Enthusiasmus scheinbar kalt zu werden gegen das, was man oft zu schnell das Höchste und Heiligste nennt.
Grüsse Deinen Hausfreund Lassen herzlich, aber auch Welker, Windischmann, von Walter, Wolter, Möllers, Naeke, Graf Beust: meine Huldigung der Gräfinn: die Gräfinn so wie meine Familie vereinen ihre Grüsse und Wünsche mit den meinigen. In Deinem Hause, in Deinem Zimmer wohne ich viel in Gedanken. Ich hoffe, auch Deine Hausgenossen Marie und Heinrich sind wohl und gedenken meiner ohne Widerwillen. Und die allerliebsten Pferde? die würden doch selbst in einem Poseidon Freude und Bewunderung erregen.
Liebe mich ferner mit Deiner Freundes-Treue: – Der Himmel erhalte Dich.
Dein
treuer Freund
L. Tieck.
Dresden den 15” November 1828
[1] Innig geliebter Freund,
Ich hätte Dir wohl schon früher schreiben sollen, da mich so vieles anmahnte. Aber Du kennst wohl auch die Unruhe und Unbestimmtheit, die nach einer langen Reise immer noch nach wirkt, und uns in allem stört. Unterwegs hielt ich mich nirgend mehr lange auf, als ich von Dir Abschied genommen hatte, als in Würzburg einige Tage, dann in Nürnberg, das mir immer noch wie eine Heimath gemuthet, in Erlangen, wo ich bei Raumers (er war nicht zu Hause) wohnte: nachher, nachdem wir über Coburg, Schwarzburg und Rudelstadt gegangen waren, in Jena, bei Frommann am längsten. Einige Tage in Weimar, und fünf Tage, einiger Geschäfte wegen, blieben wir in Leipzig. Wir sind alle bis jezt wohl, und erfreuen uns noch der Nachwirkung einer so schönen Reise.
Wohl das Erfreulichste war mir, daß ich Dich nach so vielen vielen Jahren wieder sah, daß ich noch denselben treuen Freund in Dir wieder fand, daß ich eine geraume Zeit mit Dir leben konnte, wodurch wir uns wieder so viel näher gekommen sind. Mit Rührung danke ich Dir noch einmal für alle die Freundlichkeit, die Du mir erwiesen, für die Geduld, die Du mir gezeigt hast, und die Gräfinn, die Deine wahre verehrende Freundinn geworden ist, vereinigt ihren Dank mit dem meinigen. Es giebt mir ein herrliches Gefühl des Zutrauens und der Sicherheit, daß wir wieder, wie immer, zusammen gehören, und daß wir, mögen wir in Nebensachen uns von einander entfernen, doch in den Hauptsachen Eines Sinnes sind. Uns so verbunden in ächter Freundschaft.
[2] Von Weimar schon hätte ich Dir schreiben sollen. Ich hatte dort die Bekanntschaft des Medicinal-Rath v. Froriep gemacht. Er ist der Schwiegersohn Bertuchs, und sezt das Industrie-Comptoir, wie einst Bertuch, fort und in Thätigkeit. Zu meinem Verdrusse erzählte er mir, daß er eine Uebersetzung jener Indischen Schauspiele drucke, die unser Freund Lassen bearbeiten wollte. Er zeigte mir auch den Ersten Band, der schon fast ganz fertig war. Der Uebersetzer ist der Prof. Wolf in Weimar, der sich früher als deutscher Improvisator vernehmen ließ. Was ist nun zu thun? Lassen schreibt mir, er sei auch mit Einem Band fertig. (Froriep hatte die Englische Uebersetzung schon vor Monathen aus England erhalten.) Ich denke, daß Lassen aus dem Indischen das Eine Stück wenigstens übersetzen und ergänzen kann, da er ein ganz andrer Kenner als Wolf ist, da Du eine Vorrede zu den Stücken schreiben wolltest, und ich ebenfalls einen Versuch machen würde, etwas über das Verhältnis dieses Theaters zum neuern zu sagen, so könnten beide Uebersetzungen wohl neben einander bestehn. Bist Du der Meinung, so müßtest Du nur oder Lassen so gut sein, gleich eine Ankündigung drucken zu lassen, mir den Entschluß melden, damit ich Cotta, Reimer, Brockhaus oder Max, oder einen andern Verleger suchte. Darüber erwarte ich nun recht bald Lassens Antwort, wenn Du nicht selber Zeit zum Schreiben hast. Etwas Eil, wenn aus der Sache noch etwas werden soll, ist aber wohl nöthig.
Deine Spanischen Bücher, die ich nun habe binden lassen, machen mir noch immer die größte Freude. Durch Buchhändlergelegenheit wirst Du bald Hans Sachs Teil V erhalten, wodurch ich doch etwas alsdann Deine Freigebigkeit habe erwiedern können. Vielleicht finde ich noch einmal Teil IV für Dich, daß Du als dann, so wie ich, den H[ans] Sachs vollständig besitzest.
[3] Vor acht Tagen erhielt ich einen Brief von Friedrich, der mir zu meinem Erstaunen meldete, daß er mit der Buttler auf einige Wochen hieher kommen würde. Sie trafen auch wirklich gleich darauf ein. Ich freute mich, ihn wieder zu sehn, so sehr wir uns auch im Innern von einander entfernt haben mögen. Gleich kam mir mein alter Wunsch zurück, daß Du doch auch gegenwärtig sein möchtest, denn ich bin überzeugt, ein solches Wiedersehn würde Euch beide wieder viel näher bringen, wenn auch nicht vereinigen. Ich finde Friedrich in der Hinsicht gegen die Jahre 24 und 25 sehr verändert, daß er gesprächiger und munterer ist, daß er an mehr Sachen Theil nimmt. Ich war in Verlegenheit, als er von mir, in Ansehung Eures Streites, oder von dem, was Du gegen ihn im Schilde führtest, wissen wollte. Ihm gegen über fühle ich stärker, als bei Dir, daß es besser sei, es käme unter Euch zu keinen starken öffentlichen Erklärungen. Du bist ihm gegen über in Vortheil durch Witz und die bessere Sache. – Fleissiger ist Friedrich auch gewesen, er brachte mir neben jener Philosophie des Lebens auch 2 Bände Philosophie der Geschichte, die Du vielleicht auch schon hast. Eine Argumentation in seinem Sinne für die katholische Kirche, wie wir deren früher manche für die protestantische gehabt haben. Wird das Buch gelesen, so wirkt es vielleicht eine verständige, tiefsinnige Opposition, und das ist es, was ich seit lange wünsche und erwarte; denn die Zänkereien der Priester von diesseit und jenseit sind mir so verdrießlich, daß ich keine Notiz davon nehme, und mich (wenn ich auch vielleicht zu früh abgeschlossen habe) in meine Ueberzeugung zunächst und in meine geliebten Dichter zurück ziehe, und Geschichte, und nebenher Spaß. Alles ist mir wichtiger als dieses theologische Herumtummeln der Partheien wegen der Diana von Ephesus.
[4] Du wolltest mir noch den 2t. Band der Indischen Bibliothek verehren. Hast Du die Dedication des 5t. Bandes meiner Schriften gesehn? Ist sie Dir nicht unlieb? Ich muß jezt dafür sorgen, daß Du die Bücher erhälst. Lassen schrieb mir, Du läsest den Fortunat von neuem. Eile nur mit Deinen Schriften, Theuerster, das Leben ist kurtz. Das sage ich mir täglich, und thue doch selbst so wenig, und lese viel zu viel, und lerne zwar, aber doch nur, immer mehr und gründlicher zu zweifeln, und durch Enthusiasmus scheinbar kalt zu werden gegen das, was man oft zu schnell das Höchste und Heiligste nennt.
Grüsse Deinen Hausfreund Lassen herzlich, aber auch Welker, Windischmann, von Walter, Wolter, Möllers, Naeke, Graf Beust: meine Huldigung der Gräfinn: die Gräfinn so wie meine Familie vereinen ihre Grüsse und Wünsche mit den meinigen. In Deinem Hause, in Deinem Zimmer wohne ich viel in Gedanken. Ich hoffe, auch Deine Hausgenossen Marie und Heinrich sind wohl und gedenken meiner ohne Widerwillen. Und die allerliebsten Pferde? die würden doch selbst in einem Poseidon Freude und Bewunderung erregen.
Liebe mich ferner mit Deiner Freundes-Treue: – Der Himmel erhalte Dich.
Dein
treuer Freund
L. Tieck.
Dresden den 15” November 1828
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