• Elisabeth Wilhelmine van Nuys to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Baden (Niederösterreich) · Place of Destination: Unknown · Date: 20.08.1808
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Elisabeth Wilhelmine van Nuys
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Baden (Niederösterreich)
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 20.08.1808
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 595‒597.
  • Incipit: „[1] Baden [bei Wien] Aug 20 [180]8
    Endlich ist mir noch einmal die schöne Stunde aufgegangen, in der ich so lange vergebens [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-7
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,22,8
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl., hs. m. Paraphe
  • Format: 18,3 x 11,3 cm
    Language
  • German
  • French
[1] Baden [bei Wien] Aug 20 [180]8
Endlich ist mir noch einmal die schöne Stunde aufgegangen, in der ich so lange vergebens ersehnte Nachricht erhielt – eigene Dinge haben seit meinem letzten sich zugetragen. Der 76 jährige Freund aus Hamburg ist hier angekommen, es ist derselbe den ich erwähnt zu haben glaube in dessen Hause ich wohnte der die trefliche Gemählde Samlung besitzt; er hat eine Forderung in Prag welche von Bedeutung ist, nach Wien und B[aden] kam er um – die arme M[inna] zu bereden mit ihm nach H[amburg] zurück zu kehren! Der gestrige Tag war dadurch schreklich; die nach Eli[se] geweckte Sehnsucht ward dadurch so rege [2] als die manigfachen trüben Bilder in banger Erinerung. In solcher Stimmung solltʼ ich dem Freunde des Herzens wohl nicht mich nahen, aber wie noch länger wiederstehen, da mein ganzes Hierseyn mir nicht diesen Genuß bereitete.
Eben verläst mich Collin er war 14 Tage hier, ich sah ihn selten da er mit seiner Familie ist, auch er freuet sich kindisch des frohen und nicht fernen!!! Wiedersehens – ob mir es bestimt, die Götter wissen es, der Gedanke an Rückkehr wekt immer nur trübe Bilder; gebe der Himmel daß ich nicht werde dazu gezwungen werden.
Die verlorenen Kräfte sind noch immer nicht hergestellt doch [3] wohl mir daß jede Spur von rheumatischen Schmerz jetzt längst verschwunden ist! Friedrich versprach hier zu kommen aber er ließ diesen Gedanken unausgeführt. Den 29ten kehr ich in meine alte Wohnung zurück; HE. Bertheau wird bei mir wohnen, so enge auch die Wohnung werden wird so ist es unvermeidlich. Der alte, sonst sehr ehrwürdige Mann ist noch weitläuftiger als alte Leute es gewöhnlich sind – die ganzen Tage und allenthalben wird er mein Gesellschafter seyn! Wie genehm?
Hier habʼ ich mich sehr der schönen Natur gefreut, mehr als der Menschen; das Gemählde wechselt zu oft, und bisher fehlte es an einen Vereinigungsort [4] alles theilt sich in kleinen Cotterien, und Abends drängt man sich in ein höchst unwirdiges Theater. Am meisten intéressirt mich hier ein Geh[eimer] R[ath] Strasoldo, Italiener von Geburt, der erst im 33t Jahr anfing Deutsch zu lernen und doch als wirklicher G[eheimer] R[ath] lange im Cabinet arbeitete; er ist schon 68 Jahre, so liebenswürdig wie es in dem Alter nur möglich, und sehr unterrichtet; auch für die Uebung der italienischen Sprache, ist mir dieser Umgang sehr angenehm; der dritte Greiß, den ich viel sehe giebt trefliche dinés ein Bar[on] Gontard aus der Frankfurter Familie, er versieht D[eine] M[inna] [5] mit den besten stärkendsten Weinen. A[ndréossi] ist so artig gewesen mir ein sehr intéressantes manuscript zu vertrauen; auf das unerwarte[t]ste hat er mir es hieher geschickt; ein herrliches Gemüth geht daraus hervor, und eine Zartheit der Empfindungen die mit dem Körper im höchsten Wiederspruch steht – „délassemens“ ist der Titel – es könnte „Bekenntnisse“ heißen. Ueber die Priester ist die Ansicht ganz verschieden von der meines Freundes; sie kömt der meinigen – näher, – möge die des Fr[eundes] nicht zu günstig sein – ich fürchte immer noch! –
Fr.[iedrich] ist nicht allein mit dem günstigsten [6] Vorurtheil empfangen, aber seine Erscheinung hat auch der Erwartung entsprochen und bei vielen übertrofen; doch finden viele den Bruder offener, mittheilender, herzlicher, mithin liebenswürdiger. Tiek gefällt ausschließlich, und mehr als die Schwester, die man zu trocken nennt, so schlüpfrig auch daß sein soll was von ihr im Druck erschienen; ich kenne es noch nicht; man sagt: es übertrift an Schlüpfrigkeit alles, was Göthe und Wieland in der Art geschrieben. Daß sie mit ihrem Freund; den Artzt (ich habe den Nahmen – Stranzky? vergessen – Best sein Freund) und dessen Frau, nach Italien zurück gehen [will, wissen Sie wohl]; wenn ich Gesellschaft machte? – – –
[7] Eine Polnische Dame deren Mann gouverneur in eine der Polnischen Provinzen ist, und jetzt in Peters[burg] sich aufhält eine sehr artige Frau hat mich in besonderer amitie genommen – sie wünscht daß ich mich zu ihr geselle, da sie von ihrer ältesten Tochter sich trennen wird, die sich jetzt verheirathet; sie hat zwei Töchter von Harriotts Alter und wünscht, wie sie sich ausdrückt, de trouver un autre soi même da sie zuweilen kleine Reisen macht, um gemeinschaftlich die Kinder zu erziehen; für den wissenschaftlichen Unterricht hat sie einen Haußlehrer; die Frau ist sanft, liebenswürdig, von treflichen Ton, und soll ein [8] angenehmes Hauß machen; so weiß ich nicht wie die Wirkung des Vorschlags noch werden mag, da ein Wechsel für einige Zeit ganz unvermeidlich nothwendig ist. Auf keinen Fall wird indessen die eingerichtete Wohnung abgegeben, damit man immer wieder machen könnte was beßer gefunden würde, falls letzteres statt fände. –
Den 25ten August. Gestern habʼ ich eine höchst intéressante tour gemacht nach dem Kloster zum heil. Kreuz. Der Bischof von Gurk Prinz Salm hatte die Gesellschaft bei dem Praelaten dort gemeldet – ich saß mehrere Stunden zwischen beiden, mögtʼ es Segen bringen? Feierlich waren die Empfindungen eines sehr seltenen Orgelspiels in der Kirche. – Die Gegend von hier dahin und von dort nach Brühl ist göttlich. Graf Golofkin war mit uns er corresp[ondirt] mit Fr.[au] v. St.[aël] gegen die noch immer manches Pamphlet, Gedicht etc. erscheint. Rath und Trost hoft bald die t[reue]
M[inna].
[1] Baden [bei Wien] Aug 20 [180]8
Endlich ist mir noch einmal die schöne Stunde aufgegangen, in der ich so lange vergebens ersehnte Nachricht erhielt – eigene Dinge haben seit meinem letzten sich zugetragen. Der 76 jährige Freund aus Hamburg ist hier angekommen, es ist derselbe den ich erwähnt zu haben glaube in dessen Hause ich wohnte der die trefliche Gemählde Samlung besitzt; er hat eine Forderung in Prag welche von Bedeutung ist, nach Wien und B[aden] kam er um – die arme M[inna] zu bereden mit ihm nach H[amburg] zurück zu kehren! Der gestrige Tag war dadurch schreklich; die nach Eli[se] geweckte Sehnsucht ward dadurch so rege [2] als die manigfachen trüben Bilder in banger Erinerung. In solcher Stimmung solltʼ ich dem Freunde des Herzens wohl nicht mich nahen, aber wie noch länger wiederstehen, da mein ganzes Hierseyn mir nicht diesen Genuß bereitete.
Eben verläst mich Collin er war 14 Tage hier, ich sah ihn selten da er mit seiner Familie ist, auch er freuet sich kindisch des frohen und nicht fernen!!! Wiedersehens – ob mir es bestimt, die Götter wissen es, der Gedanke an Rückkehr wekt immer nur trübe Bilder; gebe der Himmel daß ich nicht werde dazu gezwungen werden.
Die verlorenen Kräfte sind noch immer nicht hergestellt doch [3] wohl mir daß jede Spur von rheumatischen Schmerz jetzt längst verschwunden ist! Friedrich versprach hier zu kommen aber er ließ diesen Gedanken unausgeführt. Den 29ten kehr ich in meine alte Wohnung zurück; HE. Bertheau wird bei mir wohnen, so enge auch die Wohnung werden wird so ist es unvermeidlich. Der alte, sonst sehr ehrwürdige Mann ist noch weitläuftiger als alte Leute es gewöhnlich sind – die ganzen Tage und allenthalben wird er mein Gesellschafter seyn! Wie genehm?
Hier habʼ ich mich sehr der schönen Natur gefreut, mehr als der Menschen; das Gemählde wechselt zu oft, und bisher fehlte es an einen Vereinigungsort [4] alles theilt sich in kleinen Cotterien, und Abends drängt man sich in ein höchst unwirdiges Theater. Am meisten intéressirt mich hier ein Geh[eimer] R[ath] Strasoldo, Italiener von Geburt, der erst im 33t Jahr anfing Deutsch zu lernen und doch als wirklicher G[eheimer] R[ath] lange im Cabinet arbeitete; er ist schon 68 Jahre, so liebenswürdig wie es in dem Alter nur möglich, und sehr unterrichtet; auch für die Uebung der italienischen Sprache, ist mir dieser Umgang sehr angenehm; der dritte Greiß, den ich viel sehe giebt trefliche dinés ein Bar[on] Gontard aus der Frankfurter Familie, er versieht D[eine] M[inna] [5] mit den besten stärkendsten Weinen. A[ndréossi] ist so artig gewesen mir ein sehr intéressantes manuscript zu vertrauen; auf das unerwarte[t]ste hat er mir es hieher geschickt; ein herrliches Gemüth geht daraus hervor, und eine Zartheit der Empfindungen die mit dem Körper im höchsten Wiederspruch steht – „délassemens“ ist der Titel – es könnte „Bekenntnisse“ heißen. Ueber die Priester ist die Ansicht ganz verschieden von der meines Freundes; sie kömt der meinigen – näher, – möge die des Fr[eundes] nicht zu günstig sein – ich fürchte immer noch! –
Fr.[iedrich] ist nicht allein mit dem günstigsten [6] Vorurtheil empfangen, aber seine Erscheinung hat auch der Erwartung entsprochen und bei vielen übertrofen; doch finden viele den Bruder offener, mittheilender, herzlicher, mithin liebenswürdiger. Tiek gefällt ausschließlich, und mehr als die Schwester, die man zu trocken nennt, so schlüpfrig auch daß sein soll was von ihr im Druck erschienen; ich kenne es noch nicht; man sagt: es übertrift an Schlüpfrigkeit alles, was Göthe und Wieland in der Art geschrieben. Daß sie mit ihrem Freund; den Artzt (ich habe den Nahmen – Stranzky? vergessen – Best sein Freund) und dessen Frau, nach Italien zurück gehen [will, wissen Sie wohl]; wenn ich Gesellschaft machte? – – –
[7] Eine Polnische Dame deren Mann gouverneur in eine der Polnischen Provinzen ist, und jetzt in Peters[burg] sich aufhält eine sehr artige Frau hat mich in besonderer amitie genommen – sie wünscht daß ich mich zu ihr geselle, da sie von ihrer ältesten Tochter sich trennen wird, die sich jetzt verheirathet; sie hat zwei Töchter von Harriotts Alter und wünscht, wie sie sich ausdrückt, de trouver un autre soi même da sie zuweilen kleine Reisen macht, um gemeinschaftlich die Kinder zu erziehen; für den wissenschaftlichen Unterricht hat sie einen Haußlehrer; die Frau ist sanft, liebenswürdig, von treflichen Ton, und soll ein [8] angenehmes Hauß machen; so weiß ich nicht wie die Wirkung des Vorschlags noch werden mag, da ein Wechsel für einige Zeit ganz unvermeidlich nothwendig ist. Auf keinen Fall wird indessen die eingerichtete Wohnung abgegeben, damit man immer wieder machen könnte was beßer gefunden würde, falls letzteres statt fände. –
Den 25ten August. Gestern habʼ ich eine höchst intéressante tour gemacht nach dem Kloster zum heil. Kreuz. Der Bischof von Gurk Prinz Salm hatte die Gesellschaft bei dem Praelaten dort gemeldet – ich saß mehrere Stunden zwischen beiden, mögtʼ es Segen bringen? Feierlich waren die Empfindungen eines sehr seltenen Orgelspiels in der Kirche. – Die Gegend von hier dahin und von dort nach Brühl ist göttlich. Graf Golofkin war mit uns er corresp[ondirt] mit Fr.[au] v. St.[aël] gegen die noch immer manches Pamphlet, Gedicht etc. erscheint. Rath und Trost hoft bald die t[reue]
M[inna].
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