• Karl August Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Fort St. George (Madras) · Place of Destination: Hannover · Date: 01.02.1784
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Karl August Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Fort St. George (Madras)
  • Place of Destination: Hannover
  • Date: 01.02.1784
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 362895996
  • Bibliography: Walzel, Oskar: Neue Quellen zur Geschichte der älteren romantischen Schule. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 43 (1892), S. 291‒293.
  • Incipit: „[1] Fort St. George d. 1. Febr. 84.
    Lieber Wilhelm
    Für Deinen Brief vom 9 Merz 84, der nach meiner geringen Meinung sehr [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-36905
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.22,Nr.2
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 11,1 x 9,2 cm
    Language
  • German
[1] Fort St. George d. 1. Febr. 84.
Lieber Wilhelm
Für Deinen Brief vom 9 Merz 84, der nach meiner geringen Meinung sehr gut geschrieben war danke recht sehr. – ich freue mich das Du die Gefühle der Freundschaft hast kennen lernen – sie erweitern das Herz und erheben die Sele – erhöhen auch unser Glück da sie den engern Wirkungskreiß des Wohlwollens ausdehnen. Dieß wirst Du alle kennen lernen und ganz neue Scenen (um figürlich zu reden) für Deine Empfindung erblicken. –
Daß Du wie Du dich ausdrückst Deine Ideen von Liedern nicht mehr in das Gewand der Sprache hüllst gefällt mir eben nicht – nimm Dich in Acht das der Rost nicht zu tief einfreße.
ich kann Dir hier aus Indien wenig interreßantes mittheilen ich will daher da ich erst gestern dem Begräbniße eines Braminen beygewohnt deßen edle Einfalt mich sehr gerührt eine kleine poetisch prosaische Beschreibung deßelben beyfügen – von denen dabey gebräuchlichen symbolischen Ceremonien erwähne nichts, weil das in manchen Reisebeschreibungen zu finden. –
[2] Welch schluchzender Klageschrey unterbricht die Stille des Todtengefildes? – –
Ohne heuchelnden Pomp bringen die jammernden Freunde einen Leichnam in Leinwand gehüllt. –
Sie setzen ihn nieder – In Entfernung sitzen die Weiber, um mit ihrer lauteren Klage nicht die ernste trübe Stille zu stören; sie sind nicht geschmückt, nicht in Trauergewänder gehüllt – Betrübniß ist ihr Trauergewand – aufrichtige Thränen ihr Schmuck. –
Von fern ächzt die jammernde Klage der Gattinn und Tochter leise über den Todten hin, ernst und still bereiten die Männer den Scheiterhaufen. –
Nun enthüllen sie den Leichnam. – Glatt ist seine Stirn und ruhig sein Blick – er wird wohl wandeln durchs nächtliche Thal. –
Sie legen ihn auf den Scheiterhaufen. –
Lauter und lauter naht sich das Jammergeschrey. –
Wankend leitet die Mutter den sinkenden Sohn. –
Des Knaben Klage verstummt, mit grausendem Schweigen und mit bebender Hand ergreift er das Feuer – blickt auf den Vater – gen Himmel – zündet – und sinkt unter der Last seines Schmerzes.
[3] Es erhebt sich nochmals die laute Klage der Weiber, dumpf ertönen ihre Brüste unter der schlagenden Hand, sie raufen das fliegende Haar.
In ernster Stille und stummer Trauer sitzen die Männer ums Grab –
Die Flamme lodert. –
Es wenden sich die Männer und Weiber, wallen über die Schädel hin, – leiser und immer leiser zittert die Klage übers Todtengefild – und die einsam wehende Flamme sendet den aufgelösten Körper der fliehenden Sele nach. –

Wenn anders dieß Gemählde in seinen kurzen Perioden darstellend genung ist, so dächt ich müßtʼ es sich in einem anpaßenden Vers vortrefflich ausnehmen – und Du würdest mir ein sehr großes Vergnügen machen wenn Du dich bemühen wolltest es in selben einzukleiden. – Du schreibst mir zwar daß Du Dich itzt zur Academie zubereitest – aber [4] nicht welchen Stand Du erwählst. – ich habe daher gute Ursache zu glauben daß Du Theologie studiren werdest – ich wünsche Dir hiezu Glück. – hätt ich itzt zu wählen so würde dieß meine Wahl sein. –
Du findest in selben Erfüllung aller Stände der Natur, Du kannst in selben Freund Mitbürger Gatte Vater sein. – Ja was noch mehr ist das edle praerogativ öffentlich zum Volke reden zu können ist itzt auf selben allein eingeschränkt. – auch gibt dieser Stand mehr Aufmunterung zum Guten und einen ausgebreiteten Wirkungskreis – ist wenigern Verführungen ausgesetzt und schenkt ein ruhigeres Leben.
so hoffe ich denn bester Bruder wann ich einst wieder zurückkehre Dich recht glücklich und zufrieden zu umarmen. Dieß ist der Wunsch Deines Dich zärtlich liebenden Bruders
CA. Schlegel.
[1] Fort St. George d. 1. Febr. 84.
Lieber Wilhelm
Für Deinen Brief vom 9 Merz 84, der nach meiner geringen Meinung sehr gut geschrieben war danke recht sehr. – ich freue mich das Du die Gefühle der Freundschaft hast kennen lernen – sie erweitern das Herz und erheben die Sele – erhöhen auch unser Glück da sie den engern Wirkungskreiß des Wohlwollens ausdehnen. Dieß wirst Du alle kennen lernen und ganz neue Scenen (um figürlich zu reden) für Deine Empfindung erblicken. –
Daß Du wie Du dich ausdrückst Deine Ideen von Liedern nicht mehr in das Gewand der Sprache hüllst gefällt mir eben nicht – nimm Dich in Acht das der Rost nicht zu tief einfreße.
ich kann Dir hier aus Indien wenig interreßantes mittheilen ich will daher da ich erst gestern dem Begräbniße eines Braminen beygewohnt deßen edle Einfalt mich sehr gerührt eine kleine poetisch prosaische Beschreibung deßelben beyfügen – von denen dabey gebräuchlichen symbolischen Ceremonien erwähne nichts, weil das in manchen Reisebeschreibungen zu finden. –
[2] Welch schluchzender Klageschrey unterbricht die Stille des Todtengefildes? – –
Ohne heuchelnden Pomp bringen die jammernden Freunde einen Leichnam in Leinwand gehüllt. –
Sie setzen ihn nieder – In Entfernung sitzen die Weiber, um mit ihrer lauteren Klage nicht die ernste trübe Stille zu stören; sie sind nicht geschmückt, nicht in Trauergewänder gehüllt – Betrübniß ist ihr Trauergewand – aufrichtige Thränen ihr Schmuck. –
Von fern ächzt die jammernde Klage der Gattinn und Tochter leise über den Todten hin, ernst und still bereiten die Männer den Scheiterhaufen. –
Nun enthüllen sie den Leichnam. – Glatt ist seine Stirn und ruhig sein Blick – er wird wohl wandeln durchs nächtliche Thal. –
Sie legen ihn auf den Scheiterhaufen. –
Lauter und lauter naht sich das Jammergeschrey. –
Wankend leitet die Mutter den sinkenden Sohn. –
Des Knaben Klage verstummt, mit grausendem Schweigen und mit bebender Hand ergreift er das Feuer – blickt auf den Vater – gen Himmel – zündet – und sinkt unter der Last seines Schmerzes.
[3] Es erhebt sich nochmals die laute Klage der Weiber, dumpf ertönen ihre Brüste unter der schlagenden Hand, sie raufen das fliegende Haar.
In ernster Stille und stummer Trauer sitzen die Männer ums Grab –
Die Flamme lodert. –
Es wenden sich die Männer und Weiber, wallen über die Schädel hin, – leiser und immer leiser zittert die Klage übers Todtengefild – und die einsam wehende Flamme sendet den aufgelösten Körper der fliehenden Sele nach. –

Wenn anders dieß Gemählde in seinen kurzen Perioden darstellend genung ist, so dächt ich müßtʼ es sich in einem anpaßenden Vers vortrefflich ausnehmen – und Du würdest mir ein sehr großes Vergnügen machen wenn Du dich bemühen wolltest es in selben einzukleiden. – Du schreibst mir zwar daß Du Dich itzt zur Academie zubereitest – aber [4] nicht welchen Stand Du erwählst. – ich habe daher gute Ursache zu glauben daß Du Theologie studiren werdest – ich wünsche Dir hiezu Glück. – hätt ich itzt zu wählen so würde dieß meine Wahl sein. –
Du findest in selben Erfüllung aller Stände der Natur, Du kannst in selben Freund Mitbürger Gatte Vater sein. – Ja was noch mehr ist das edle praerogativ öffentlich zum Volke reden zu können ist itzt auf selben allein eingeschränkt. – auch gibt dieser Stand mehr Aufmunterung zum Guten und einen ausgebreiteten Wirkungskreis – ist wenigern Verführungen ausgesetzt und schenkt ein ruhigeres Leben.
so hoffe ich denn bester Bruder wann ich einst wieder zurückkehre Dich recht glücklich und zufrieden zu umarmen. Dieß ist der Wunsch Deines Dich zärtlich liebenden Bruders
CA. Schlegel.
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