• August Wilhelm von Schlegel to Luise Wiedemann

  • Place of Dispatch: Amsterdam · Place of Destination: Göttingen · Date: 18.06.1793
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Luise Wiedemann
  • Place of Dispatch: Amsterdam
  • Place of Destination: Göttingen
  • Date: 18.06.1793
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 370515684
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 654‒657.
  • Incipit: „Amsterdam d. 18ten Jun. 1793.
    [Konzept oder Abschrift.]
    Verzeihen Sie, wertheste Freundin, daß ich erst jetzt Ihren Brief beantworte ‒ einen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34336
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.29,Nr.16
  • Number of Pages: 6S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,9 x 11,5 cm
    Language
  • German
Amsterdam d. 18ten Jun. 1793.
[Konzept oder Abschrift.]
Verzeihen Sie, wertheste Freundin, daß ich erst jetzt Ihren Brief beantworte ‒ einen Brief, der mir so wohl wegen der Umständlichkeit und Genauigkeit der Nachrichten, als wegen der Güte, womit Sie mir sie mittheilen, unendlich werth war. Sie kennen mich zu gut, um dieß Stillschweigen der Nachläßigkeit oder dem Mangel an Theilnahme zuzuschreiben. Grade das Gegentheil war Ursache davon. Der traurige Todesfall und die damahls noch so bedenkliche Gefangenschaft Ihrer Schwester zu gleicher Zeit ‒ es waren zu viel Unglücksfälle, die sich auf einmahl über Ihre Familie häuften. Ich wußte nicht, was ich sagen, wie ich mich ausdrücken sollte ‒ und jedes Mahl, daß ich Ihnen zu schreiben versuchte, hielt überwältigende Theilnahme an diesen Begebenheiten mich davon ab. Jetzt habe ich endlich einmahl Gelegenheit, Ihnen Glück zu wünschen. So eben meldet mir Ihre Schwester ihre Freylassung aus Königsberg [Königstein], die ich als eine Vorbotin ihrer gänzlichen Freywerdung ansehe. Jener Verlust ist freylich unersetzlich ‒ auch das Glück Ihrer ältesten Schwester ist noch nicht vollkommen wieder hergestellt, und gewissermaßen werden sich die Folgen der erlittenen Verdrießlichkeiten nie ganz auslöschen lassen. Doch ist es endlich einmahl wieder ein günstiger Sonnenblick ‒ und wenn es so sehr schlimm gewesen ist, so ist man schon zufrieden, wenns nur erträglich geht. ‒
Die Nachricht von Charlottens Tode hatte ich eben von Ihrer ältesten Schwester erfahren, als ich Ihren Brief erhielt. Es hatte mich recht geschmerzt, durch meinen zu spät an sie gerichteten Brief, Ihnen und Ihrer Frau Mutter Gelegenheit zur Erneuerung lauter trauriger Gefühle gegeben zu haben. Ihre Erzählung von den edlen und liebenswürdigen Zügen, die noch ihre letzten Stunden bezeichneten, gewährte mir ein schwermüthiges Vergnügen. Sie stellten mir diese Auftritte so anschaulich dar, daß ich mich ganz hinversetzen konnte; vorzüglich, da ich so gut mit Ihrer Familie bekannt bin. Alle die angenehmen geselligen Stunden, die ich in Ihrem Hause, in Ihrem und Ihrer Schwestern Umgange gelebt, schwebten mir vor, und zugleich der Gedanke, daß sie so nie wiederkehren würden. Für Ihre verehrungswürdige Mutter muß es ein unbegreiflich harter Schlag gewesen seyn ‒ wirklich der auserlesen grausamste, der sich denken ließ; und das nun in Verbindung mit den Widerwärtigkeiten, die zu eben der Zeit Mad. Böhmer betrafen ‒ nein, es war zu viel, und auch ein sonst festes Gemüth hätte unter allem diesem Gram erliegen können.
Welche Fatalität, welche Verkettung manichfaltiger und verwickelter Umstände hat sich doch gegen Ihre Schwester Caroline gleichsam verschworen, um sie in die unangenehmste Lage von der Welt zu verstricken! Seit vorigen Herbst hat mir nichts gutes geahndet ‒ seit der Einnahme von Maynz durch die Franzosen, ja schon vorher, da es durch die Einnahme von Speyer erst noch bedroht wurde, habe ich Bitten und Gründe nicht gespart, um sie zur Abreise von dort zu bewegen. Sie fanden wenig Eingang ‒ ich wurde nicht müde, sie immer von neuem zu wiederhohlen. Wie erschrack ich, da ich, nach einem langen Zwischenraum, einen aus ihrem Arrest in Frankfurt geschriebnen Brief erhielt! ‒ Ich schrieb sogleich an Humbold, mit der Bitte, sich an den Coadjutor zu wenden, mit dem er genau bekannt ist. Ihre Schwester hat ihm gradezu auch deswegen geschrieben ‒ ich habe nicht erfahren, ob der Coadjutor sich wirklich in die Sache gemischt hat, da er sich sonst von allem, was die Staatsverfassung betrifft, entfernt hält. ‒ Gleich zu Anfange schlug ich auch Ihrer Schwester vor, zu versuchen, ob Herr Schlözer nicht etwas Günstiges für sie würde auswirken können und wollen. Letzthin meldete sie mir, daß sie es gethan ‒ und es scheint ja, daß sich Schlözer durch den Eifer, womit er sich der Sache angenommen, als einen ächten Freund Ihres Hauses bewiesen. ‒ Ihre Lage ist nun freylich unendlich besser ‒ allein so lange sie noch durch ihr Versprechen an den Aufenthalt in einer bestimmten Stadt gebunden ist, gilt auch noch der Gesichtspunkt, aus dem sie als Geisel betrachtet wird; und so lange ist sie auch nicht vor einer neuen Verschlimmerung derselben gesichert. Indessen ist in so fern schon sehr viel gewonnen, als durch die Freylassung der Begriff von Verdacht, Anklage und Schuld ganz wegfällt. Jetzt kann man also in Hanover mit dem größten Nachdruck, und ich hoffe, auch mit Erfolg, um eine Reklamation für eine Hanöversche Unterthanin anhalten. Vorhin war dieß darum schwierig, weil man, wie Ihnen sicher nicht unbekannt ist, daß man zu Hanover vielerley erdichtete Erzählungen von dem, was Mad. Böhmer gethan haben sollte, ausgestreut hat ‒ gegen dieß ungünstige Vorurtheil zu streiten hatte; und weil der Haß gegen das Französische System dort zu groß ist, als daß man nicht die entfernteste Begünstigung desselben für ein Verbrechen annehmen sollte. Jetzt, da sie nach einer eben so harten als unverdienten neunwöchigen Gefangenschaft ohne alle Untersuchung frey gelassen wird, kann man der Mühe überhoben seyn, alle das alberne Geschwätz zu widerlegen; und jetzt, hoffe ich, werden Ihre vielfachen Familienverbindungen etwas helfen können, um nachdrückliche Verwendungen von Seiten der Hanöverschen Regierung zu erlangen. Ich wünsche und erwarte sehnlichst das gänzliche Ende dieser verdrießlichen Geschichte ‒ und ich schmeichle mir, daß ich Ihnen dazu beynah schon im Voraus Glück wünschen darf.
Amsterdam d. 18ten Jun. 1793.
[Konzept oder Abschrift.]
Verzeihen Sie, wertheste Freundin, daß ich erst jetzt Ihren Brief beantworte ‒ einen Brief, der mir so wohl wegen der Umständlichkeit und Genauigkeit der Nachrichten, als wegen der Güte, womit Sie mir sie mittheilen, unendlich werth war. Sie kennen mich zu gut, um dieß Stillschweigen der Nachläßigkeit oder dem Mangel an Theilnahme zuzuschreiben. Grade das Gegentheil war Ursache davon. Der traurige Todesfall und die damahls noch so bedenkliche Gefangenschaft Ihrer Schwester zu gleicher Zeit ‒ es waren zu viel Unglücksfälle, die sich auf einmahl über Ihre Familie häuften. Ich wußte nicht, was ich sagen, wie ich mich ausdrücken sollte ‒ und jedes Mahl, daß ich Ihnen zu schreiben versuchte, hielt überwältigende Theilnahme an diesen Begebenheiten mich davon ab. Jetzt habe ich endlich einmahl Gelegenheit, Ihnen Glück zu wünschen. So eben meldet mir Ihre Schwester ihre Freylassung aus Königsberg [Königstein], die ich als eine Vorbotin ihrer gänzlichen Freywerdung ansehe. Jener Verlust ist freylich unersetzlich ‒ auch das Glück Ihrer ältesten Schwester ist noch nicht vollkommen wieder hergestellt, und gewissermaßen werden sich die Folgen der erlittenen Verdrießlichkeiten nie ganz auslöschen lassen. Doch ist es endlich einmahl wieder ein günstiger Sonnenblick ‒ und wenn es so sehr schlimm gewesen ist, so ist man schon zufrieden, wenns nur erträglich geht. ‒
Die Nachricht von Charlottens Tode hatte ich eben von Ihrer ältesten Schwester erfahren, als ich Ihren Brief erhielt. Es hatte mich recht geschmerzt, durch meinen zu spät an sie gerichteten Brief, Ihnen und Ihrer Frau Mutter Gelegenheit zur Erneuerung lauter trauriger Gefühle gegeben zu haben. Ihre Erzählung von den edlen und liebenswürdigen Zügen, die noch ihre letzten Stunden bezeichneten, gewährte mir ein schwermüthiges Vergnügen. Sie stellten mir diese Auftritte so anschaulich dar, daß ich mich ganz hinversetzen konnte; vorzüglich, da ich so gut mit Ihrer Familie bekannt bin. Alle die angenehmen geselligen Stunden, die ich in Ihrem Hause, in Ihrem und Ihrer Schwestern Umgange gelebt, schwebten mir vor, und zugleich der Gedanke, daß sie so nie wiederkehren würden. Für Ihre verehrungswürdige Mutter muß es ein unbegreiflich harter Schlag gewesen seyn ‒ wirklich der auserlesen grausamste, der sich denken ließ; und das nun in Verbindung mit den Widerwärtigkeiten, die zu eben der Zeit Mad. Böhmer betrafen ‒ nein, es war zu viel, und auch ein sonst festes Gemüth hätte unter allem diesem Gram erliegen können.
Welche Fatalität, welche Verkettung manichfaltiger und verwickelter Umstände hat sich doch gegen Ihre Schwester Caroline gleichsam verschworen, um sie in die unangenehmste Lage von der Welt zu verstricken! Seit vorigen Herbst hat mir nichts gutes geahndet ‒ seit der Einnahme von Maynz durch die Franzosen, ja schon vorher, da es durch die Einnahme von Speyer erst noch bedroht wurde, habe ich Bitten und Gründe nicht gespart, um sie zur Abreise von dort zu bewegen. Sie fanden wenig Eingang ‒ ich wurde nicht müde, sie immer von neuem zu wiederhohlen. Wie erschrack ich, da ich, nach einem langen Zwischenraum, einen aus ihrem Arrest in Frankfurt geschriebnen Brief erhielt! ‒ Ich schrieb sogleich an Humbold, mit der Bitte, sich an den Coadjutor zu wenden, mit dem er genau bekannt ist. Ihre Schwester hat ihm gradezu auch deswegen geschrieben ‒ ich habe nicht erfahren, ob der Coadjutor sich wirklich in die Sache gemischt hat, da er sich sonst von allem, was die Staatsverfassung betrifft, entfernt hält. ‒ Gleich zu Anfange schlug ich auch Ihrer Schwester vor, zu versuchen, ob Herr Schlözer nicht etwas Günstiges für sie würde auswirken können und wollen. Letzthin meldete sie mir, daß sie es gethan ‒ und es scheint ja, daß sich Schlözer durch den Eifer, womit er sich der Sache angenommen, als einen ächten Freund Ihres Hauses bewiesen. ‒ Ihre Lage ist nun freylich unendlich besser ‒ allein so lange sie noch durch ihr Versprechen an den Aufenthalt in einer bestimmten Stadt gebunden ist, gilt auch noch der Gesichtspunkt, aus dem sie als Geisel betrachtet wird; und so lange ist sie auch nicht vor einer neuen Verschlimmerung derselben gesichert. Indessen ist in so fern schon sehr viel gewonnen, als durch die Freylassung der Begriff von Verdacht, Anklage und Schuld ganz wegfällt. Jetzt kann man also in Hanover mit dem größten Nachdruck, und ich hoffe, auch mit Erfolg, um eine Reklamation für eine Hanöversche Unterthanin anhalten. Vorhin war dieß darum schwierig, weil man, wie Ihnen sicher nicht unbekannt ist, daß man zu Hanover vielerley erdichtete Erzählungen von dem, was Mad. Böhmer gethan haben sollte, ausgestreut hat ‒ gegen dieß ungünstige Vorurtheil zu streiten hatte; und weil der Haß gegen das Französische System dort zu groß ist, als daß man nicht die entfernteste Begünstigung desselben für ein Verbrechen annehmen sollte. Jetzt, da sie nach einer eben so harten als unverdienten neunwöchigen Gefangenschaft ohne alle Untersuchung frey gelassen wird, kann man der Mühe überhoben seyn, alle das alberne Geschwätz zu widerlegen; und jetzt, hoffe ich, werden Ihre vielfachen Familienverbindungen etwas helfen können, um nachdrückliche Verwendungen von Seiten der Hanöverschen Regierung zu erlangen. Ich wünsche und erwarte sehnlichst das gänzliche Ende dieser verdrießlichen Geschichte ‒ und ich schmeichle mir, daß ich Ihnen dazu beynah schon im Voraus Glück wünschen darf.
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