• August Wilhelm von Schlegel to Karl Vom Stein Zum Altenstein

  • Place of Dispatch: Bonn · Place of Destination: Berlin · Date: [16. Oktober 1821]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Karl Vom Stein Zum Altenstein
  • Place of Dispatch: Bonn
  • Place of Destination: Berlin
  • Date: [16. Oktober 1821]
  • Notations: Datum erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 362737169
  • Bibliography: Sulger-Gebing, Emil: Die Brüder A. W. und F. Schlegel in ihrem Verhältnisse zur bildenden Kunst. Mit ungedruckten Briefen und Aufsätzen A. W. Schlegels. München 1897, S. 181‒187.
  • Incipit: „[1] Ew. E. verehrtes Schreiben vom 27sten Sept. habe ich am 7ten Oct. empfangen und dem ertheilten Auftrage gemäss mich baldmöglichst nach [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-38971
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.2(1),Nr.19
  • Number of Pages: 10 S., hs.
  • Format: 20,5 x 12,5 cm; 27,2 x 21,9 cm
    Language
  • German
[1] Ew. E. verehrtes Schreiben vom 27sten Sept. habe ich am 7ten Oct. empfangen und dem ertheilten Auftrage gemäss mich baldmöglichst nach Cöln verfügt.
Der Pfarrer Fochem hat seine Bilder aus der altdeutschen besonders niederrheinischen Schule sämtlich veräussert und von seiner Sammlung sind nur Gemählde aus späterer Zeit übrig, worunter sich einige schätzbare Stücke, unter andern ein paar ächte in Oel gemahlte Skizzen von Rubens befinden. In den Zimmern, wo diese gegenwärtig hängen, war der Tod Abels nicht mehr befindlich und auf die Anfrage eines Freundes, was aus diesem Bilde geworden? erwiederte der Herr Pfarrer, das Bild sey schon weggesendet, oder so gut als weggesendet, indem es Seiner Majestät dem König bestimmt sey. Indessen wurde er zu der Vorzeigung bewogen, ohne dass ich ihn irgend etwas von der eigentlichen Absicht meines Besuches merken liess.
Befohlner Maassen sende ich anliegend eine Beschreibung dieses Gemähldes, jedoch mit dem grössten Mistrauen in meine eigne Einsichten. Ich bin mir bewusst die technischen Kenntnisse nicht zu besitzen, welche dazu erfordert werden, ein Gemählde nach seinem äusserlichen Werthe und seinem Preise im Kunsthandel zu schätzen. Bey Betrachtung der Gemählde-Sammlungen in den verschiedenen Ländern Europas habe ich mich immer den Meisterwerken des grossen Zeitalters zugewendet, und kan nicht sagen, dass ich die Geschichte der Mahlerey in allen ihren untergeordneten Verzweigungen meinem Gedächtnisse anschaulich eingeprägt hätte.
Es blieb mir demnach nichts übrig, als die bei aufmerksamer Betrachtung empfangenen Eindrücke zu schildern und dieses habe ich gewissenhaft gethan.
Nach der Versicherung des Pfarrers Fochem hat vor einigen Jahren der Herr Baumeister Schinkel das Bild gesehn, welcher also ein weit zuverlässigeres Gutachten als das meinige würde ausstellen können.
[2] Da das Bild, ehe es der vorige Besitzer, ein Herr von Mehring in Cöln, erwarb, zu Coblenz in einem öffentlichen Gebäude befindlich gewesen seyn soll, so würde sich dort vielleicht etwas über dessen Herkunft ausmitteln lassen.
Ich würde beschämt seyn, E. E. mit der Berechnung unbedeutender Auslagen beschwerlich zu fallen, die ich bei ähnlichen Gelegenheiten niemals anzuzeichnen pflege. Ich wünsche die einsichtsvolle Freygebigkeit eines hohen Ministeriums nur für die Unterstützung gelehrter Unternehmungen, welche meine Kräfte übersteigen in Anspruch zu nehmen; und ich schätze mich glücklich wenn irgend ein Auftrag mir Veranlassung giebt, wenigstens meinen bereitwilligen Eifer zu beweisen.
Ich verharre in tiefster Ehrerbietung
E. E.

[3] Beschreibung eines Gemähldes, den Tod Abels vorstellend, in der Sammlung des Herrn Pfarrer Fochem zu Cöln.
Dieses Oelgemählde ist 6½ Rheinische Fuss breit und 5½ Fuss hoch, auf Leinwand gemahlt, welche aus zwey Bahnen besteht, so dass eine an einigen Stellen sehr sichtbare Nath quer durch das längliche Viereck hinläuft.
Hier und da ist das Bild durch Abspringen der spröde gewordenen Farbendecke etwas beschädigt, nirgends aber zerrissen oder lückenhaft. Es ist sehr beschmutzt, und da der Besitzer aus Besorgniss die Oberfläche anzugreifen, keine Reinigung hat vornehmen lassen, das Verdienst aber hauptsächlich in der kecken Führung des Pinsels in kräftiger und warmer Carnation, in gewagten und ziemlich gelungenen Verkürzungen, an einigen Partien auch im Helldunkel besteht, so ist man vielleicht in Gefahr in seinem gegenwärtigen Zustande es nicht ganz billig zu beurtheilen.
Es ist in einer sogenannten breiten Manier und auf den Effect gemahlt, welchen es auch, gereinigt und in der rechten Höhe in günstigem Lichte aufgestellt nicht verfehlen wird.
Nach der Aussage des Besitzers haben einige Betrachter die Hand des Rubens oder gar des Tizian darin erkennen wollen. Meines Erachtens kann man bei diesem Gedanken auch nicht einen Augenblick verweilen, wenn man die Werke jener Meister aufmerksam studirt hat.
Mir scheint das Werk ungefähr aus der Mitte des 17ten Jahrhunderts herzurühren und unter Italiänischen Umgebungen und dem Einfluss einer Italiänischen Schule gemahlt worden zu seyn, ob aber von einem Flamänder, oder einem Italiäner, der sich zu dem Flamändischen Geschmack hinneigte, oder endlich von einem französischen Meister, dieses wage ich nicht zu entscheiden. [4] Das angegebene Zeitalter ist eben ein solches wo die Kunst nach manchen Richtungen hin und her schwankte, der Sinn für das Höchste verloren war, die Gränzen des Heiligen und Profanen dreist verwirrt wurden, und das Streben nach einer oberflächlichen und sinnlichen Wirkung vorwaltete.
Die drey Hauptfiguren Adam, Eva und Abel sind folgender gestalt gruppirt.
Eva zur Linken des Beschauers, ganz nackt, halb knieend, halb liegend neigt sich in mitleidiger Betrübniss über das Haupt ihres erschlagenen Sohnes, das rechte Knie stämmt sich auf den Boden, der Schenkel ist in seiner ganzen Länge sichtbar von dem Bein und Fuss nur ein schmaler Streif in der Verkürzung; hingegen ist der linke Schenkel rechts herumgewandt, das stehende Bein unverkürzt gezeichnet, der Leib wiederum links gedreht, der linke Ellenbogen ruht auf einem Felsen, die Hand stützt den vorwärts gesenkten Kopf, der rechte Arm ist ausgestreckt, die Hand liegt an dem Hinterhaupte Abels. Diese künstlich verschränkte akademische Stellung hat der Künstler als aus plötzlicher Bestürzung der Leidenschaft entsprungen zu motiviren und zugleich die Anständigkeit zu retten gesucht. Die Formen sind massiv, die ins volle Licht gestellte Wölbung der rechten Schulter fast colossal, am Bauch entstehen Falten durch den hinaufgezogenen Schenkel; durch die Stellung der Arme sind die ohnehin zu starken Brüste nahe zusammengedrängt, Zierlichkeit ist nur an den Extremitäten bemerkbar, die Zeichnung und Färbung des ganz sichtbaren Fusses und der rechten Hand sehr zu loben. Alles das scheint der Mahler von einem robusten Modell in reiferem Alter ohne die geringste Veredlung der Natur entnommen zu haben. Es ist nicht das schlaffe Fleisch des Rubens, aber auch nicht der gelehrte und strenge Umriss wodurch Michelangelo seine mächtigen weiblichen Figuren über das Gemeine erhob, es ist eine derbe Feistigkeit, die ein [5] zartes Gefühl, bey diesem Gegenstande so zur Schau gelegt, wohl schwerlich an ihrer Stelle finden dürfte.
Das dunkelbraune Haar ist an der linken Seite aufgelöst, rechts aber wird es durch ein hindurchgeschlungenes Band zusammengehalten. Also noch Spuren eines Kopfputzes neben der Nacktheit, was einen ziemlich manierirten Geschmack verräth.
Die Gesichtszüge der Eva sind unedel, der Ausdruck nicht ohne Wahrheit, aber ohne innere Seelenwürde. Diess gilt von den sämtlichen Köpfen des Bildes.
Abel liegt rücklings mit dem Kopfe gegen den untern Rand des Bildes, als wäre er bey dem empfangenen Schlage über niedrige Baumäste rückwärts gestürzt, der Leib ist eingezogen, wie mit convulsivisch gespannten Muskeln, der rechte ausgestreckte Arm von starker Muskulatur, der linke greift über den Ellenbogen der Eva hindurch, die verdrehte Hand ist nur zum Theil sichtbar; das über einem Baumast schwebende linke Bein nebst dem Fusse in starker Verkürzung und in einem Schlaglichte gehört zu dem verdienstlichsten Theile der Ausführung.
Die Darstellung des Verscheidens in dem Gesichte und den halbgeschlossenen brechenden Augen ist gut getroffen. Das Haar ist schwarz, eben so der keimende, aber etwas struppige Bart.
Adam steht hinter der Leiche, abgewendet, die Gehobenen und verschränkten Hände und das Gesicht im Profil mit schwarzem Haar und starkem krausem Bartwuchs drücken verzweiflungsvolle in sich gekehrte Zerknirschung aus. Ein Fell umgürtet die Hüften, der breite Rücken ist mit herkulischer Stärke ausgerüstet. Die Physiognomie hat etwas Indisches.
Rechts sieht man die Steine des Opferaltars, mit noch dampfendem und brennendem Holzwerk. Hinter einem grossen Baumstamm treten am rechten Rande nur die Köpfe der Gattinen, der beyden Kinder, bestürzt herabschauend in das Bild hinein. [6] Sie sind ebenfalls überflüssig braun, und ohne die Form der Brust kaum als weibliche Gestalten kenntlich.
Ganz in der Ferne erblickt man den flüchtenden Kain, und gegenüber in den Wolken erscheinend Gott den Vater; beyde Figuren ziemlich unbedeutend, der erste schmächtig und verfehlt.
Zur Linken erscheinen nicht viel unter Naturgrösse der Kopf und die Tatzen eines Löwen, darunter der Kopf eines Schaafes welches jener würgt. – Diess ist ein glückliches Sinnbild des erschlagenen friedlichen Hirten, der Gedanke, dass in dem Augenblicke, wo die Verwilderung des menschlichen Geschlechts den entsetzlichsten Grad erreicht, Wuth und Blutdurst zum erstenmal in der Thierwelt losbricht, dieser Gedanke ist sehr zu loben. Auch ist der Kopf des Löwen gut, ohne Zweifel nach der Natur, gezeichnet, nur fehlt es an dem Ausdrucke des Grimmes, und wenn man den Kopf des Schafes zudeckt, sollte man eher vermuthen, dass er auf seinen Tatzen ruhend lauert, als dass er eben über seinen Raub herfällt.
An den Steinen des Altars liest man zwey Buchstaben wegen des Schmutzes nicht mit vollkommner Sicherheit. Wie mir nach genauer Prüfung schien L. B., doch könnte der letzte Buchstabe vielleicht auch ein R seyn. Daneben ist etwas vermuthlich von einem früheren Besitzer, sichtbar geflissentlich weggeschabt, allem Ansehen nach die Jahrszahl. Die Anfangsbuchstaben könnten Louis de Boullogne bedeuten. Es hat zwey französische Mahler dieses Namens gegeben; wenn meine Vermuthung über das Zeitalter richtig ist, so wäre dabey an den älteren (gebohren 1609, gestorben 1674) zu denken. Allein ich weiss nicht, ob er sich dieser Namensbezeichnung bedient hat, und meinem Gedächtniss ist kein Werk dieses Meisters gegenwärtig wonach ich die Gültigkeit dieser Annahme beurtheilen könnte. [7] Der Mahler, von dem das Bild herrührt, hat, wie mich dünkt, am meisten die Schule der Carracci vor Augen gehabt, aber in ihrer Ausartung ins Rohe und Gemeine, wozu der Keim schon in einigen Werken des Hannibal Carracci liegt.
Dass der Künstler nicht darauf verfallen, die Eva durch blondes Haar und entsprechende Gesichts- und Fleischfarbe mit den schwarzhaarigen männlichen Figuren zu contrastiren, zeigt entweder Vorliebe für das Bräunliche, oder Anhänglichkeit an sein weibliches Modell welches zuverlässig, so wie das männliche, einem südlichen Lande angehörte. Diese Umstände stehen der Annahme eines flamandischen Meisters entgegen, welche wohl nur durch einige röthliche Tinten am Gesicht, den Fusszehen und Fingern der Eva, so wie durch die Ueberfülle ihres Körperbaues veranlasst werden konnte.
Die Freyheit der Behandlung verräth allerdings ein Original, aber von einem Meister des zweyten oder dritten Ranges, der in dem Ganzen Fertigkeit im Technischen der Malerey, in der Zeichnung des Nackten, der Carnation, der Beleuchtung, auch in der materiellen Gruppirung, aber keineswegs eine hohe Sinnesart bewiesen, und sein Werk weder mit sittlicher Anmuth noch mit tiefer Bedeutung auszustatten gewusst hat.
[8]
[9]
[10]
[1] Ew. E. verehrtes Schreiben vom 27sten Sept. habe ich am 7ten Oct. empfangen und dem ertheilten Auftrage gemäss mich baldmöglichst nach Cöln verfügt.
Der Pfarrer Fochem hat seine Bilder aus der altdeutschen besonders niederrheinischen Schule sämtlich veräussert und von seiner Sammlung sind nur Gemählde aus späterer Zeit übrig, worunter sich einige schätzbare Stücke, unter andern ein paar ächte in Oel gemahlte Skizzen von Rubens befinden. In den Zimmern, wo diese gegenwärtig hängen, war der Tod Abels nicht mehr befindlich und auf die Anfrage eines Freundes, was aus diesem Bilde geworden? erwiederte der Herr Pfarrer, das Bild sey schon weggesendet, oder so gut als weggesendet, indem es Seiner Majestät dem König bestimmt sey. Indessen wurde er zu der Vorzeigung bewogen, ohne dass ich ihn irgend etwas von der eigentlichen Absicht meines Besuches merken liess.
Befohlner Maassen sende ich anliegend eine Beschreibung dieses Gemähldes, jedoch mit dem grössten Mistrauen in meine eigne Einsichten. Ich bin mir bewusst die technischen Kenntnisse nicht zu besitzen, welche dazu erfordert werden, ein Gemählde nach seinem äusserlichen Werthe und seinem Preise im Kunsthandel zu schätzen. Bey Betrachtung der Gemählde-Sammlungen in den verschiedenen Ländern Europas habe ich mich immer den Meisterwerken des grossen Zeitalters zugewendet, und kan nicht sagen, dass ich die Geschichte der Mahlerey in allen ihren untergeordneten Verzweigungen meinem Gedächtnisse anschaulich eingeprägt hätte.
Es blieb mir demnach nichts übrig, als die bei aufmerksamer Betrachtung empfangenen Eindrücke zu schildern und dieses habe ich gewissenhaft gethan.
Nach der Versicherung des Pfarrers Fochem hat vor einigen Jahren der Herr Baumeister Schinkel das Bild gesehn, welcher also ein weit zuverlässigeres Gutachten als das meinige würde ausstellen können.
[2] Da das Bild, ehe es der vorige Besitzer, ein Herr von Mehring in Cöln, erwarb, zu Coblenz in einem öffentlichen Gebäude befindlich gewesen seyn soll, so würde sich dort vielleicht etwas über dessen Herkunft ausmitteln lassen.
Ich würde beschämt seyn, E. E. mit der Berechnung unbedeutender Auslagen beschwerlich zu fallen, die ich bei ähnlichen Gelegenheiten niemals anzuzeichnen pflege. Ich wünsche die einsichtsvolle Freygebigkeit eines hohen Ministeriums nur für die Unterstützung gelehrter Unternehmungen, welche meine Kräfte übersteigen in Anspruch zu nehmen; und ich schätze mich glücklich wenn irgend ein Auftrag mir Veranlassung giebt, wenigstens meinen bereitwilligen Eifer zu beweisen.
Ich verharre in tiefster Ehrerbietung
E. E.

[3] Beschreibung eines Gemähldes, den Tod Abels vorstellend, in der Sammlung des Herrn Pfarrer Fochem zu Cöln.
Dieses Oelgemählde ist 6½ Rheinische Fuss breit und 5½ Fuss hoch, auf Leinwand gemahlt, welche aus zwey Bahnen besteht, so dass eine an einigen Stellen sehr sichtbare Nath quer durch das längliche Viereck hinläuft.
Hier und da ist das Bild durch Abspringen der spröde gewordenen Farbendecke etwas beschädigt, nirgends aber zerrissen oder lückenhaft. Es ist sehr beschmutzt, und da der Besitzer aus Besorgniss die Oberfläche anzugreifen, keine Reinigung hat vornehmen lassen, das Verdienst aber hauptsächlich in der kecken Führung des Pinsels in kräftiger und warmer Carnation, in gewagten und ziemlich gelungenen Verkürzungen, an einigen Partien auch im Helldunkel besteht, so ist man vielleicht in Gefahr in seinem gegenwärtigen Zustande es nicht ganz billig zu beurtheilen.
Es ist in einer sogenannten breiten Manier und auf den Effect gemahlt, welchen es auch, gereinigt und in der rechten Höhe in günstigem Lichte aufgestellt nicht verfehlen wird.
Nach der Aussage des Besitzers haben einige Betrachter die Hand des Rubens oder gar des Tizian darin erkennen wollen. Meines Erachtens kann man bei diesem Gedanken auch nicht einen Augenblick verweilen, wenn man die Werke jener Meister aufmerksam studirt hat.
Mir scheint das Werk ungefähr aus der Mitte des 17ten Jahrhunderts herzurühren und unter Italiänischen Umgebungen und dem Einfluss einer Italiänischen Schule gemahlt worden zu seyn, ob aber von einem Flamänder, oder einem Italiäner, der sich zu dem Flamändischen Geschmack hinneigte, oder endlich von einem französischen Meister, dieses wage ich nicht zu entscheiden. [4] Das angegebene Zeitalter ist eben ein solches wo die Kunst nach manchen Richtungen hin und her schwankte, der Sinn für das Höchste verloren war, die Gränzen des Heiligen und Profanen dreist verwirrt wurden, und das Streben nach einer oberflächlichen und sinnlichen Wirkung vorwaltete.
Die drey Hauptfiguren Adam, Eva und Abel sind folgender gestalt gruppirt.
Eva zur Linken des Beschauers, ganz nackt, halb knieend, halb liegend neigt sich in mitleidiger Betrübniss über das Haupt ihres erschlagenen Sohnes, das rechte Knie stämmt sich auf den Boden, der Schenkel ist in seiner ganzen Länge sichtbar von dem Bein und Fuss nur ein schmaler Streif in der Verkürzung; hingegen ist der linke Schenkel rechts herumgewandt, das stehende Bein unverkürzt gezeichnet, der Leib wiederum links gedreht, der linke Ellenbogen ruht auf einem Felsen, die Hand stützt den vorwärts gesenkten Kopf, der rechte Arm ist ausgestreckt, die Hand liegt an dem Hinterhaupte Abels. Diese künstlich verschränkte akademische Stellung hat der Künstler als aus plötzlicher Bestürzung der Leidenschaft entsprungen zu motiviren und zugleich die Anständigkeit zu retten gesucht. Die Formen sind massiv, die ins volle Licht gestellte Wölbung der rechten Schulter fast colossal, am Bauch entstehen Falten durch den hinaufgezogenen Schenkel; durch die Stellung der Arme sind die ohnehin zu starken Brüste nahe zusammengedrängt, Zierlichkeit ist nur an den Extremitäten bemerkbar, die Zeichnung und Färbung des ganz sichtbaren Fusses und der rechten Hand sehr zu loben. Alles das scheint der Mahler von einem robusten Modell in reiferem Alter ohne die geringste Veredlung der Natur entnommen zu haben. Es ist nicht das schlaffe Fleisch des Rubens, aber auch nicht der gelehrte und strenge Umriss wodurch Michelangelo seine mächtigen weiblichen Figuren über das Gemeine erhob, es ist eine derbe Feistigkeit, die ein [5] zartes Gefühl, bey diesem Gegenstande so zur Schau gelegt, wohl schwerlich an ihrer Stelle finden dürfte.
Das dunkelbraune Haar ist an der linken Seite aufgelöst, rechts aber wird es durch ein hindurchgeschlungenes Band zusammengehalten. Also noch Spuren eines Kopfputzes neben der Nacktheit, was einen ziemlich manierirten Geschmack verräth.
Die Gesichtszüge der Eva sind unedel, der Ausdruck nicht ohne Wahrheit, aber ohne innere Seelenwürde. Diess gilt von den sämtlichen Köpfen des Bildes.
Abel liegt rücklings mit dem Kopfe gegen den untern Rand des Bildes, als wäre er bey dem empfangenen Schlage über niedrige Baumäste rückwärts gestürzt, der Leib ist eingezogen, wie mit convulsivisch gespannten Muskeln, der rechte ausgestreckte Arm von starker Muskulatur, der linke greift über den Ellenbogen der Eva hindurch, die verdrehte Hand ist nur zum Theil sichtbar; das über einem Baumast schwebende linke Bein nebst dem Fusse in starker Verkürzung und in einem Schlaglichte gehört zu dem verdienstlichsten Theile der Ausführung.
Die Darstellung des Verscheidens in dem Gesichte und den halbgeschlossenen brechenden Augen ist gut getroffen. Das Haar ist schwarz, eben so der keimende, aber etwas struppige Bart.
Adam steht hinter der Leiche, abgewendet, die Gehobenen und verschränkten Hände und das Gesicht im Profil mit schwarzem Haar und starkem krausem Bartwuchs drücken verzweiflungsvolle in sich gekehrte Zerknirschung aus. Ein Fell umgürtet die Hüften, der breite Rücken ist mit herkulischer Stärke ausgerüstet. Die Physiognomie hat etwas Indisches.
Rechts sieht man die Steine des Opferaltars, mit noch dampfendem und brennendem Holzwerk. Hinter einem grossen Baumstamm treten am rechten Rande nur die Köpfe der Gattinen, der beyden Kinder, bestürzt herabschauend in das Bild hinein. [6] Sie sind ebenfalls überflüssig braun, und ohne die Form der Brust kaum als weibliche Gestalten kenntlich.
Ganz in der Ferne erblickt man den flüchtenden Kain, und gegenüber in den Wolken erscheinend Gott den Vater; beyde Figuren ziemlich unbedeutend, der erste schmächtig und verfehlt.
Zur Linken erscheinen nicht viel unter Naturgrösse der Kopf und die Tatzen eines Löwen, darunter der Kopf eines Schaafes welches jener würgt. – Diess ist ein glückliches Sinnbild des erschlagenen friedlichen Hirten, der Gedanke, dass in dem Augenblicke, wo die Verwilderung des menschlichen Geschlechts den entsetzlichsten Grad erreicht, Wuth und Blutdurst zum erstenmal in der Thierwelt losbricht, dieser Gedanke ist sehr zu loben. Auch ist der Kopf des Löwen gut, ohne Zweifel nach der Natur, gezeichnet, nur fehlt es an dem Ausdrucke des Grimmes, und wenn man den Kopf des Schafes zudeckt, sollte man eher vermuthen, dass er auf seinen Tatzen ruhend lauert, als dass er eben über seinen Raub herfällt.
An den Steinen des Altars liest man zwey Buchstaben wegen des Schmutzes nicht mit vollkommner Sicherheit. Wie mir nach genauer Prüfung schien L. B., doch könnte der letzte Buchstabe vielleicht auch ein R seyn. Daneben ist etwas vermuthlich von einem früheren Besitzer, sichtbar geflissentlich weggeschabt, allem Ansehen nach die Jahrszahl. Die Anfangsbuchstaben könnten Louis de Boullogne bedeuten. Es hat zwey französische Mahler dieses Namens gegeben; wenn meine Vermuthung über das Zeitalter richtig ist, so wäre dabey an den älteren (gebohren 1609, gestorben 1674) zu denken. Allein ich weiss nicht, ob er sich dieser Namensbezeichnung bedient hat, und meinem Gedächtniss ist kein Werk dieses Meisters gegenwärtig wonach ich die Gültigkeit dieser Annahme beurtheilen könnte. [7] Der Mahler, von dem das Bild herrührt, hat, wie mich dünkt, am meisten die Schule der Carracci vor Augen gehabt, aber in ihrer Ausartung ins Rohe und Gemeine, wozu der Keim schon in einigen Werken des Hannibal Carracci liegt.
Dass der Künstler nicht darauf verfallen, die Eva durch blondes Haar und entsprechende Gesichts- und Fleischfarbe mit den schwarzhaarigen männlichen Figuren zu contrastiren, zeigt entweder Vorliebe für das Bräunliche, oder Anhänglichkeit an sein weibliches Modell welches zuverlässig, so wie das männliche, einem südlichen Lande angehörte. Diese Umstände stehen der Annahme eines flamandischen Meisters entgegen, welche wohl nur durch einige röthliche Tinten am Gesicht, den Fusszehen und Fingern der Eva, so wie durch die Ueberfülle ihres Körperbaues veranlasst werden konnte.
Die Freyheit der Behandlung verräth allerdings ein Original, aber von einem Meister des zweyten oder dritten Ranges, der in dem Ganzen Fertigkeit im Technischen der Malerey, in der Zeichnung des Nackten, der Carnation, der Beleuchtung, auch in der materiellen Gruppirung, aber keineswegs eine hohe Sinnesart bewiesen, und sein Werk weder mit sittlicher Anmuth noch mit tiefer Bedeutung auszustatten gewusst hat.
[8]
[9]
[10]
×
×