• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Wiesbaden · Place of Destination: Heidelberg · Date: 20.06.1818
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Wiesbaden
  • Place of Destination: Heidelberg
  • Date: 20.06.1818
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 29. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Vom Wiener Kongress zum Frankfurter Bundestag (10. September 1814 ‒ 31. Oktober 1818). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Jean-Jacques Anstett unter Mitarbeit von Ursula Behler. Paderborn 1980, S. 500‒502.
  • Incipit: „[1] Wießbaden, den 20ten Juny, 1818.
    Geliebter Freund, ich danke Dir sehr für die erhaltenen Zeilen, hätte aber gewünscht, mehr von Dir [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34288
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.d,Nr.211
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl. u. 2 S., hs. m. U.
  • Format: 19,5 x 12,3 cm
    Language
  • German
[1] Wießbaden, den 20ten Juny, 1818.
Geliebter Freund, ich danke Dir sehr für die erhaltenen Zeilen, hätte aber gewünscht, mehr von Dir zu erfahren. Sey ein andermal nicht so gar karg im Schreiben, da nun doch noch einige Zeit vergehen wird, ehe ich Dich nach Wunsch in Heidelberg wiedersehe. – Wenn Du das Bad hier und seine Wirkungen kenntest, so würdest Du mich gewiß entschuldigen, daß ich nicht schon eher geschrieben habe. Mich nimmt es wenigstens die erste Zeit ganz hin, da ich <es> ohnehin nicht vertragen kann, wenn ich nicht so zu sagen, den ganzen geschlagenen Tag spatzieren laufe, was ich denn auch in einem erstaunlichen Grade ins Werk setze. Ich habe nun schon 7 Bäder von diesem wundervollen Wasser im Leibe, welche mehr nützen als 888 Quacksalbertränkchen, und mir über allen Begriff wohlthätig sind; so daß ich von dieser Seite das Unglück meiner jetzt so verzettelten Lage als <einen> glücklichen Zufall [2] preisen muß. Es ist unglaublich, wie diese Naturmedicin tief in den innersten Menschen (nämlich den unterirdischen oder siderischen Kaldaunenmenschen) einwirkt. Indessen so wie Zeit und Geld zu Ende geht, werde ich doch wohl abbrechen müßen; den nächsten Brief nach Empfang dieses wird es also wohl beßer seyn, wieder nach Frankfurt zu addressiren. – In Frankfurt kam übrigens gleich nach dem ich Deine Abfahrt erfahren, desselbigen Morgens eine Einladung von der Gräfin zum Diner, welches wahrscheinlich beßer ausgefallen seyn würde als das vorige, da Wessenberg etc. da seyn sollte. Beym Abschiede von der Gräfin war viel von Deiner Liebenswürdigkeit die Rede; und es ist mir recht erfreulich und werth, daß Du überall einen so guten und günstigen Eindruck hinterlaßen hast. Ich meinerseits ließ mich durch die Einladung nicht abhalten, noch selbigen Tages bey ziemlicher Hitze hieher zu fahren, wo ich nun in demselben Hinter-Gartenhause wohne, wie vor einem Jahre. Die Aularia wohnt gleich neben mir an, oder vielmehr gegen mir über [3] in den Zimmern, die ich das vorigemal mit meiner Frau bewohnte. Ich habe gleich ihre Bekanntschaft gemacht und gehe fleißig mit ihr spatzieren. Sie ist zierlich, angenehm und wie mir scheint auch geistreich. Die Augen sind schön, auch der Mund ist gut und der Busen, so weit sich aus der Ferne nach dem bloßen Sehen urtheilen läßt; aber was hilft das alles, wenn man doch nicht wenigstens bis zur Andromache gelangt? – Du hättest mir etwas mehr erzählen sollen, wie weit Du eigentl[ich] mit ihr bekannt gewesen oder noch bist. – Sie erzählt mir, daß beyde Partheyen, die Buonapartische und die Ultras, ziemlich wüthend sind gegen das Buch von der Staël; der gute König Desiré aber hat sich das ihm ertheilte Lob sehr wohl schmecken laßen, und ist daher ungemein günstig für die Sache gestimmt. – Laß Dir doch die Irminssäule, oder das Irminsbuch von Hagen geben. Das wäre etwas für die Oesterreichischen Jahrbücher zu recensiren; mir geschähe ein rechter Gefallen damit, wenn Du grade dort den [4] Hagen und Büschings das altdeutsche Feld nicht allein ließest; Du hast in Wien doch ein sehr großes Publikum. – Behalte auch ja den Gedanken von einem großen Deutschen National-Institut, gemeinsam für alle Deutschen Bundesstaaten, gegenwärtig. Wir müßen das mündlich zusammen ins Klare bringen und vollenden; ich habe auch schon einen Weg ausgedacht, wie ich mich doch indirekt auch nennen könnte, unbeschadet meiner Verhältniße, denn gemeinschaftlich von uns beyden muß die Sache ausgehen. Es ist jetzt grade ein Zeitpunkt, wo sich aus der Deutschen Gelehrten Republik noch etwas machen oder für die Zukunft begründen ließe, wenn wir beyde vereinigt bleiben. Uebrigens fange ich an, von Herzen verdrießlich und melancholisch zu werden, über das Alberne meiner Lage, daß ich nicht fortkomme, und nicht recht mehr weiß, wozu ich mich entscheiden soll.
[5] Ich wünschte doch nun, da ich einmal in jedem Fall nach Wien zurück muß – gesetzt auch daß es eben nicht für immer wäre – ich wäre erst dort; denn eher komme ich doch nicht zum ruhigen Arbeiten. Creuzers Buch habe ich nun gelesen; treffliche einzelne Gedanken über die Pelasgische Vorzeit und die frühere priesterliche Cultur die der späteren hellenischen Bildung voranging. Aber auch viel Verwirrung; und die Etymologie sollen sie Dir überlaßen, wenn ich <gleich> auch nicht alle die Deinigen theile. Ein wahrhaft seidemodischer Kerl und lederner Scholiast ohne allen Sinn für das, wovon die Rede ist, bleibt aber dieser Hermann. Ich laße Creuzer schönstens grüßen, sage ihm: [6] es scheine mir, er habe sich den Hermann so ausersehen zum Ziel seiner mythischen Gedanken, wie den Grenadier von Pappendeckel beym Scheibenschießen.
Nun Gott befohlen; ich will eben hinüber gehen zur Aulularia. Ohne Zweifel wird sie Dich grüßen <wollen>, welches also hiemit im voraus geschieht. Hätte sie nur keine so ganz heidnisch häßliche Stieftocher; das ist wahrhaft ein ,wüldes Mädelʻ, wie die Wiener sagen.
Nächstens ein mehreres und hoffentlich bald ich selbst. Dein
Friedrich S.

Die besten und herzlichsten Grüße an Boisserées, <nebst> Bertram und an den trefflichen Daub.
Du hast mir keine Addresse gemeldet? Bist Du im Karlsberg? Ich addressire der Sicherheit halber an Creuzer.
[1] Wießbaden, den 20ten Juny, 1818.
Geliebter Freund, ich danke Dir sehr für die erhaltenen Zeilen, hätte aber gewünscht, mehr von Dir zu erfahren. Sey ein andermal nicht so gar karg im Schreiben, da nun doch noch einige Zeit vergehen wird, ehe ich Dich nach Wunsch in Heidelberg wiedersehe. – Wenn Du das Bad hier und seine Wirkungen kenntest, so würdest Du mich gewiß entschuldigen, daß ich nicht schon eher geschrieben habe. Mich nimmt es wenigstens die erste Zeit ganz hin, da ich <es> ohnehin nicht vertragen kann, wenn ich nicht so zu sagen, den ganzen geschlagenen Tag spatzieren laufe, was ich denn auch in einem erstaunlichen Grade ins Werk setze. Ich habe nun schon 7 Bäder von diesem wundervollen Wasser im Leibe, welche mehr nützen als 888 Quacksalbertränkchen, und mir über allen Begriff wohlthätig sind; so daß ich von dieser Seite das Unglück meiner jetzt so verzettelten Lage als <einen> glücklichen Zufall [2] preisen muß. Es ist unglaublich, wie diese Naturmedicin tief in den innersten Menschen (nämlich den unterirdischen oder siderischen Kaldaunenmenschen) einwirkt. Indessen so wie Zeit und Geld zu Ende geht, werde ich doch wohl abbrechen müßen; den nächsten Brief nach Empfang dieses wird es also wohl beßer seyn, wieder nach Frankfurt zu addressiren. – In Frankfurt kam übrigens gleich nach dem ich Deine Abfahrt erfahren, desselbigen Morgens eine Einladung von der Gräfin zum Diner, welches wahrscheinlich beßer ausgefallen seyn würde als das vorige, da Wessenberg etc. da seyn sollte. Beym Abschiede von der Gräfin war viel von Deiner Liebenswürdigkeit die Rede; und es ist mir recht erfreulich und werth, daß Du überall einen so guten und günstigen Eindruck hinterlaßen hast. Ich meinerseits ließ mich durch die Einladung nicht abhalten, noch selbigen Tages bey ziemlicher Hitze hieher zu fahren, wo ich nun in demselben Hinter-Gartenhause wohne, wie vor einem Jahre. Die Aularia wohnt gleich neben mir an, oder vielmehr gegen mir über [3] in den Zimmern, die ich das vorigemal mit meiner Frau bewohnte. Ich habe gleich ihre Bekanntschaft gemacht und gehe fleißig mit ihr spatzieren. Sie ist zierlich, angenehm und wie mir scheint auch geistreich. Die Augen sind schön, auch der Mund ist gut und der Busen, so weit sich aus der Ferne nach dem bloßen Sehen urtheilen läßt; aber was hilft das alles, wenn man doch nicht wenigstens bis zur Andromache gelangt? – Du hättest mir etwas mehr erzählen sollen, wie weit Du eigentl[ich] mit ihr bekannt gewesen oder noch bist. – Sie erzählt mir, daß beyde Partheyen, die Buonapartische und die Ultras, ziemlich wüthend sind gegen das Buch von der Staël; der gute König Desiré aber hat sich das ihm ertheilte Lob sehr wohl schmecken laßen, und ist daher ungemein günstig für die Sache gestimmt. – Laß Dir doch die Irminssäule, oder das Irminsbuch von Hagen geben. Das wäre etwas für die Oesterreichischen Jahrbücher zu recensiren; mir geschähe ein rechter Gefallen damit, wenn Du grade dort den [4] Hagen und Büschings das altdeutsche Feld nicht allein ließest; Du hast in Wien doch ein sehr großes Publikum. – Behalte auch ja den Gedanken von einem großen Deutschen National-Institut, gemeinsam für alle Deutschen Bundesstaaten, gegenwärtig. Wir müßen das mündlich zusammen ins Klare bringen und vollenden; ich habe auch schon einen Weg ausgedacht, wie ich mich doch indirekt auch nennen könnte, unbeschadet meiner Verhältniße, denn gemeinschaftlich von uns beyden muß die Sache ausgehen. Es ist jetzt grade ein Zeitpunkt, wo sich aus der Deutschen Gelehrten Republik noch etwas machen oder für die Zukunft begründen ließe, wenn wir beyde vereinigt bleiben. Uebrigens fange ich an, von Herzen verdrießlich und melancholisch zu werden, über das Alberne meiner Lage, daß ich nicht fortkomme, und nicht recht mehr weiß, wozu ich mich entscheiden soll.
[5] Ich wünschte doch nun, da ich einmal in jedem Fall nach Wien zurück muß – gesetzt auch daß es eben nicht für immer wäre – ich wäre erst dort; denn eher komme ich doch nicht zum ruhigen Arbeiten. Creuzers Buch habe ich nun gelesen; treffliche einzelne Gedanken über die Pelasgische Vorzeit und die frühere priesterliche Cultur die der späteren hellenischen Bildung voranging. Aber auch viel Verwirrung; und die Etymologie sollen sie Dir überlaßen, wenn ich <gleich> auch nicht alle die Deinigen theile. Ein wahrhaft seidemodischer Kerl und lederner Scholiast ohne allen Sinn für das, wovon die Rede ist, bleibt aber dieser Hermann. Ich laße Creuzer schönstens grüßen, sage ihm: [6] es scheine mir, er habe sich den Hermann so ausersehen zum Ziel seiner mythischen Gedanken, wie den Grenadier von Pappendeckel beym Scheibenschießen.
Nun Gott befohlen; ich will eben hinüber gehen zur Aulularia. Ohne Zweifel wird sie Dich grüßen <wollen>, welches also hiemit im voraus geschieht. Hätte sie nur keine so ganz heidnisch häßliche Stieftocher; das ist wahrhaft ein ,wüldes Mädelʻ, wie die Wiener sagen.
Nächstens ein mehreres und hoffentlich bald ich selbst. Dein
Friedrich S.

Die besten und herzlichsten Grüße an Boisserées, <nebst> Bertram und an den trefflichen Daub.
Du hast mir keine Addresse gemeldet? Bist Du im Karlsberg? Ich addressire der Sicherheit halber an Creuzer.
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