• Heinrich Voß to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Heidelberg · Place of Destination: Coppet · Date: 10.07.1809
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Heinrich Voß
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Heidelberg
  • Place of Destination: Coppet
  • Date: 10.07.1809
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 55‒60.
  • Incipit: „[1] Schon lange wollte ich Ihnen schreiben, verehrter Mann, und wartete nur auf einen gesunden Tag; da aber der noch immer [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-6
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,21,91
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U. u. Adresse
  • Format: 25 x 19,9 cm
    Language
  • German
  • English
[1] Schon lange wollte ich Ihnen schreiben, verehrter Mann, und wartete nur auf einen gesunden Tag; da aber der noch immer nicht kommen will, so will ich es als Kranker thun. Herr Zimmer hat mich gestern gebeten, ihm vor meiner Abreise zur Badischen Heilquelle noch ein Brieflein zurückzulassen, das er einem Pakete an Sie gütigst beilegen will. – Ihr Besuch im vorigen Sommer hat uns große Freude gemacht. Gottlob! daß ich nun doch den Mann gesehen habe, zu dem ich von je her die unbegrenzteste Achtung und Liebe fühlte! Aber, daß Sie so kurz bei uns waren, verzeihe ich Ihnen – oder lieber dem Schicksale – noch nicht, und ich halte Sie beim Worte, daß Sie wiederkommen, und dann auch sich unserm Hause etwas schenken wollen. – Ihr freundliches Wort über meine Äschylosbemühungen, und Shakspearversuche, das auch meinem Vater wohl that, tönt noch in meinen Ohren – aber wie wenig habe ich seitdem arbeiten können! Den ganzen Winter bin ich krank gewesen, und kann noch nicht genesen; mir ist wahrscheinlich nur eine kurze Lebensspanne zugemessen – und sehr schmerzhaft ist mir dabei das eine, daß ich wohl nicht alles ausführen werde, wozu ich Beruf in mir spüre. In den wenigen heiteren Zwischenmomenten bedurfte ich einer geistigen Erquickung; ich fing an, den Macbeth zu übersezen; mein jüngerer Bruder Abraham ward mit hineingezogen, ich rieth ihm, an Cymbelin sein Heil zu versuchen, und beide Übersezungen sind wirklich so weit gediehen, daß sie schon in Herrn Cottaʼs Händen sich befinden. Bald sollen Sie sie gedruckt erhalten. Ich darf wohl rühmend von diesen Arbeiten sagen, daß sie besser sind als Lear und Othello; sie sind genauer, präciser, an einigen Stellen absichtlich weniger tönend, gewiß shakspearischer als meine ersten Versuche – aber Sie, verehrter Mann, sind nicht zu erreichen. Wohl glaube ich, daß mein Macbeth Stellen hat, die mit dem Besten Ihres Hamlet wetteifern können – aber vom ganzen kann ichs nicht sagen, und kein Schmeichler wird es mir je einreden. Es ist ein unnennbarer Zauber über Ihren Shakspeare ausgegossen, den ich ganz fühle und begreife, aber mit aller Kunst und Anstrengung nicht nachzuschaffen weiß. – Aber man kann Ihnen schon nachstehen, und doch noch hoch genug stehen. Ich freue mich, daß ich bis jezt im Shakspeare nach Ihnen der erste bin, und dies lasse ich mir auch nicht ausreden. – Nehmen Sie freundlich unsern Shakspeare an, wenn er gedruckt ist, und geben Sie uns dann in der Jenaischen L.[iteratur] Z[ei]t[un]g ein Urtheil – darum bitten wir inständigst. – Meinen Lear habe ich auch schon umgearbeitet – Othello soll auch noch zurechtgefeilt werden – dann werde ich noch wohl Coriolan und mein Bruder die beiden Veroneser übersezen. – Der Redaction des Morgenblattes hatte ich aufgetragen, Ihnen alles zuzusenden, was von mir und meinem Bruder in Übersezungen erschienen. Man hat es, wie ich nun erfahre, versäumt – da ich kaum voraussezen darf, daß das M[or]g[en]bl.[att] zu Ihnen wird gekommen sein, so will ich Ihnen schriftlich einige Proben mittheilen, zugleich bemerkend, daß die Hexenscene[n] Act 4 noch vor kurzem von mir strenge durchgefeilt sind, und daß ich hierin geleistet habe, was meine Kräfte erlaubten. Ich halte für unmöglich das refrain bubble, toil and trouble – besser zu machen, als Bürger. Ich übersezte
Doppelt
Müh und Kraft
doppelt Kraft gekoppelt, Gluten flammt, ihr Brodel bobbelt – werde aber, wie schon im Morgenblatt geschehn ist, die Bürgersche Übersezung beibehalten – wiewohl modelt auch nur zur Noth geht. Ich habe wohl 4 Tage nachgesonnen, um noch etwas [2] zu finden – aber alles vergebens. Nur Schlegel kann hier besseres finden, wenn es anders möglich ist. – Mit strudelt und sprudelt habe ich auch eins gemacht – aber schon die Reime sind verwerflich. Den Schluß dessen, was die zweite Hexe spricht, wo die selben Reime benuzt sind, hat Bürger mir doch nachgelassen: Das, soll Zauberspuk sich modeln, Muss im Möllenkessel brodeln.Spuk ist glaube ich noch das einzige Wort, das man mit modeln in Verbindung bringen kann. – Unglaublich ist es, was Eschenburg für Fehler besonders im Cymbelin gemacht hat. Der brave Mann hat zu schnell gearbeitet. – Den Ausdruck im zweiten Act (Pförtnerscene) here you may roast yoor goose, taylor – glaube ich mir aus dem Plattdeutschen erklären zu können, wo ein Bügeleisen een Sniderbraten heißt. – Sollte man nicht im Deutschen troz Bügelgans sagen können? – denn roast sollte doch wohl durch braten übersezt werden. – Aber eine Stelle (Cymbelin Act. IV gleich nachdem Imogen als todt hereingetragen ist) halte ich für sehr schwer?

Mein Bruder übersezte im Morgenblatt:
O melancholy!
who ever yet could sound thy bottom! find
the ooze, to shew what coast thy sluggish crare
might easily harbour in?

O Schwermuth!
Wer konnte jemals deine Tiefʼ ergründen,
Die Watt' erspähen, wo dem Strande nah
Dein träges Schif sich ruhig bettete.

Ist Zusammenhang in den Säzen whobottom! und find pp? Ich denke mir bottom ist Meergrund – ooze Schlamm auf dem Meergrunde. Wer Schlamm mit dem Senkblei heraufzieht, mag es als einen Beweis ansehen, daß Land und Hafen nahe sind. Aber wie kann die Schwermuth zugleich Meergrund (bottom) und Schiff auf dem Meere sein (crare)? – Dies hat meinen Bruder bewogen sound thy bottom durch deine Tiefʼ ergründen zu übersezen (da es sonst wohl heißen müßte wer kam dir jemals auf den Grund) und so fällt der enge specielle Zusammenhang mit dem folgenden weg. – Kann ooze Watte bedeuten – Eschenburgs Übersezung scheint ja zu antworten. In keinem Lexikon finde ich dergleichen. – Hätten Sie Lust, verehrter Mann, uns diese Stelle zu erklären, und zu übersezen? Ihnen ist das ja ein leichtes; und uns könnte es recht bedeutend und wichtig werden, eine solche Perle von Ihnen bekommen zu haben, mit der wir ein wenig prahlen könnten. – Nun will ich Ihnen noch ein paar Fragmente aus beiden Stücken mittheilen –

Macbeth Act. 1.
Erste H.[exe] Wo gewesen, Schwester?
2. H. Schweine gewürgt.
3. H. Schwester, wo Du?
1. H. Kastanien hattʼ ein Schifferweib im Schooß,
Und schmaztʼ und schmaztʼ und schmaztʼ. Gieb mir sprach ich.
Troll Dich, Du Hexe, schrie das wampige Aas.
Ihr Mann ist zur Türkei geschift, Patron vom Tiger;
Im Siebe schwimmʼ ich nach – ich kannʼs –
Wie eine Ratte, ohne Schwanz!
Ich thuʼs, ich thuʼs, ich thuʼs!
2. Hexe Ich gebʼ Dir einen Wind.
1. Hexe Bist gut gesinnt.
3. Hexe Und ich noch einen.
1. Hexe All die andern sind die meinen,
Ja, die Viertel wo sie wehn,
Jeder Punct, auf dem sie stehn
In des Seemanns Rose.
Ich will dürr, wie Heu, ihn dörren,
Will ihn tummeln, will ihn zerren;
Schlaf soll weder Nacht noch Tag
Ruhn auf seinem Augendach
Schwerer Wochen neunmal neun
Siech und elend schwindʼ er ein.
Darf sein Schiff nicht untergehn,
Doch soll Sturm es drehn und drehn.
Schau was ich habe.
2. Hexe Her, weis her.
1. Hexe Eines Schiffers Daum ist der,
Dem der wilde Sturm das Schiff
Auf der Heimfahrt warf ans Riff.
3. Hexe Was trommelt da? Macbeth ist nah!
Alle Wir Schicksalsschwestern, Hand in Hand,
Schweifen über Meer und Land;
Rund herum gehen wir rundum;
Dreimal mein und dreimal dein
Und dreimal wiederum, macht neun. –
Halt! Der Zauber ist vollbracht.
– – – – – – –

Macbeth
Zween Sprüche des Orakels sind erfüllt.
Als Glücksprologen zu dem stolzen Spiel
Von königlichem Inhalt. – Dank, ihr Herrn!
Die mehr als menschliche Auffoderung
Kann schlimm nicht sein, kann gut nicht sein; wenn schlimm,
[3] Was reichte sie ein Pfand mir des Erfolgs,
Wahrhaft beginnend? Ich bin Than von Cawdor.
Wenn gut, warum beschleicht mich die Versuchung,
Vor deren Schreckgestalt aufsträubt mein Haar,
Mein festes Herz an meine Rippen pocht
So unnatürlich? Gegenwärtʼge Schrecken
Sind schwächer als graunhafte Fantasieʼn.
Dies Bild, das bloße Hirngespinst von Mord,
Durchschüttert meine Menschheit so, daß alle
Spannkraft sich löst in Ahndung, und nichts ist,
Als was nicht ist.

Act 3. Sc.[ene] 1.
Macbeth
So weit sein ist noch nichts,
Doch sicher so sein. Unsre Furcht vor Banquo
Liegt tief; in seiner königlichen Seele
Herrscht das was Furcht erweckt; er wagt sich hoch;
Und diesem unverzagten Heldenmuth
Wohnt eine Klugheit bei, die all sein Thun
Zum Zwecke lenkt. Nur er ists, er allein,
Daß Dasein mich in Furcht hält; unter ihm
Fühlt sich mein Geist gedämpft, wie Marc Antons
Vor Cäsars Genius. – Er schalt die Schwestern,
Als sie zuerst mich König nannten, hieß sie
Ihm reden; und dann grüßten sie profetisch
Ihn Vater eines Zugs von Königen.
Mir fügten sie aufs Haupt die dürre Krone
Den unfruchtbaren Zepter in die Faust,
Den mir entdrehn soll eine fremde Hand,
Indem kein Sohn mir folgt. Ist dem also
Habʼ ich für Banquoʼs Stamm mein Herz befleckt,
Für sie erwürgt den gnadenreichen Duncan,
Gallʼ eingemischt in meines Friedens Kelch,
Allein für sie; und mein unsterblich Kleinod
Dem allgemeinen Menschenfeind verkauft
Um sie zu krönen, Banquos Stamm zu krönen*)!
Eh dies geschieht, komm Schicksal in die Schranken,
Und laß uns kämpfen bis aufs Blut! – Wer da?

Cymbelin Act. IV.
Imogen im Erwachen.
Ja, Freund, nach Milfordhafen; wohin gehtʼs?
Habt Dank. – Bei jenem Busch? – wie weit bis dort?
Du meine Zeit! – kannʼs noch sechs Meilen sein?
Ich ging die Nacht durch. – Ja, nun will ich schlafen.
Doch halt! kein Bettgenoß. – O all ihr Götter!
Sie sieht den Leichnam
Die Blumen hier sind wie die Lust der Welt,
Der blutge Mann ihr Leid. – Ich hoffʼ, ich träume;
So dünkte mir, ich wärʼ ein Höhlenwächter,
Und Koch für wackre Leut – ʼs ist nicht so;
Ein Pfeil nur wars von Nichts auf Nichts geschnellt,
Im Hirn aus Dunst erzeugt! Selbst unser Auge
Ist oft wie unser Urtheil blind. Mein Treu,
Ich zittre noch vor Furcht; doch wenn der Himmel
Nur noch ein Tröpfchen Mitleid hat, so winzig
Als eines Hänflings Augʼ, ihr furchtbaren Götter,
Gebt mir ein Theil davon! Der Traum währt fort;
Selbst wenn ich wach bin, ist er außer mir,
Wie in mir, eingebildet nicht, gefühlt.
Ein Mann ohnʼ Haupt! – Das Kleid des Posthumus!
Sein Bein erkennʼ ich, dies ist seine Hand;
Dies sein Merkursfuß; seine Herkulsarme;
Marsschenkel – nur sein Jupitersgesicht!
Mord, Mord im Himmel? Wie? ʼs ist hin! – Pisanio,
Der tollen Hekuba gesammte Flüche
Und meine sein auf Dich geschleudert! Du,
Im Bund mit dem verruchten Teufel Cloten,
Hast meinen Herrn enthauptet. – Schreiben, Lesen,
Sei Hochverrath fortan ! – Du Schuft, Pisanio
Hast mit verfälschten Briefen, Schuft Pisanio,
Von diesem schönsten Prachtschif auf der Welt
Den Hauptmast abgehaun. pp.

Lied aus Act 2.
Horch, horch, die Lerchʼ im Ätherblau!
Und Phöbus, neu erweckt,
Tränkt seine Rosse mit dem Thau
Der Blumenkelche deckt.
Der Ringelblume Knospe schleußt
Die goldnen Äuglein auf;
Mit allem, was da reizend heißt,
Du süße Maid, steh auf
Steh auf, Steh auf.

Calderon tom. 2 hab ich mit unendlichem Vergnügen gelesen, besonders die Brücke von Mantible. O geben Sie bald mehr, und die in der Europa versprochne Charakteristik dieser Stücke. Ich bewundere Sie wegen dieser Übersezung – in so kurzen Zeilen, vom Reim gefesselt, solche Klarheit – aber welche Grazie haucht Ihren Arbeiten den süßen Zauber ein, dies unendlich schöne Colorit, das alle Sinne erquickt? – Geben Sie uns nun bald auch Shakspeare tom. 9. – O ich weiß, durch Gries, daß das Manuscript dazu ganz fertig liegt. – Mit den Assonanzen bin ich nun vollkommen ausgesöhnt, etwa die auf e e ausgenommen. Das u e im Anfange des zweiten Acts der Brücke von Mantible thut eine furchtbar schöne Wirkung. – Leben Sie wohl, theurer und verehrter Mann. Mein Vater grüßt Sie, und mein Bruder empfiehlt sich Ihrer Gewogenheit. Ihr ergebener
Heinrich Voß
Heidelberg 10 Jul. [180]9.
[4]
Ihre metrischen Regeln, den fünffüßigen Jambus betreffend, sind von uns befolgt worden. Ich hoffe, Sie sollen finden, daß diesmal mit Spondeen kein Misbrauch getrieben ist, wie hin und wieder noch im Lear und Othello geschehen. Die recht tönenden Verse gehören mehr in eine Übersezung des Milton. Wenn Sie aber in der Recension des Stolbergschen Äschylos die dactylischen Ausgänge dem fünffüßigen Verse versagen – so glaube ich doch, Sie gehen zu weit. Für einen gleitenden Ausgang kann es der Leser nicht nehmen, weil sich die Melodie und der Rhythmus des Verses seinem Gefühle schon eingeprägt hat, und eben der Versrhythmus macht _◡◡ zum _◡_. Ich befrage in solchen Fällen mein Ohr, und in den Fällen, wo dieses mir dactylische Endungen erlaubt, sezte ich sie getrost hin. Sie selber haben ja auch solche Ausgänge im Shakspeare wo ich sie nicht wegwünsche.
In Berlin ist jezt ein Übersezer der Numantia erstanden, von dem in der Eleganten Zeitung eine Probe stand – im Ganzen brave, fleißige Arbeit – aber mir schien sie mehr Eleganz als Fülle und Kraft zu haben. Doch ich kann auch hierin irren – und will lieber erst urtheilen, wann ich sie ganz gelesen habe.

*) [über gestrichenem:] [Um sie zu] Königen zu machen, Banquos Geschlecht zu Königen!
[1] Schon lange wollte ich Ihnen schreiben, verehrter Mann, und wartete nur auf einen gesunden Tag; da aber der noch immer nicht kommen will, so will ich es als Kranker thun. Herr Zimmer hat mich gestern gebeten, ihm vor meiner Abreise zur Badischen Heilquelle noch ein Brieflein zurückzulassen, das er einem Pakete an Sie gütigst beilegen will. – Ihr Besuch im vorigen Sommer hat uns große Freude gemacht. Gottlob! daß ich nun doch den Mann gesehen habe, zu dem ich von je her die unbegrenzteste Achtung und Liebe fühlte! Aber, daß Sie so kurz bei uns waren, verzeihe ich Ihnen – oder lieber dem Schicksale – noch nicht, und ich halte Sie beim Worte, daß Sie wiederkommen, und dann auch sich unserm Hause etwas schenken wollen. – Ihr freundliches Wort über meine Äschylosbemühungen, und Shakspearversuche, das auch meinem Vater wohl that, tönt noch in meinen Ohren – aber wie wenig habe ich seitdem arbeiten können! Den ganzen Winter bin ich krank gewesen, und kann noch nicht genesen; mir ist wahrscheinlich nur eine kurze Lebensspanne zugemessen – und sehr schmerzhaft ist mir dabei das eine, daß ich wohl nicht alles ausführen werde, wozu ich Beruf in mir spüre. In den wenigen heiteren Zwischenmomenten bedurfte ich einer geistigen Erquickung; ich fing an, den Macbeth zu übersezen; mein jüngerer Bruder Abraham ward mit hineingezogen, ich rieth ihm, an Cymbelin sein Heil zu versuchen, und beide Übersezungen sind wirklich so weit gediehen, daß sie schon in Herrn Cottaʼs Händen sich befinden. Bald sollen Sie sie gedruckt erhalten. Ich darf wohl rühmend von diesen Arbeiten sagen, daß sie besser sind als Lear und Othello; sie sind genauer, präciser, an einigen Stellen absichtlich weniger tönend, gewiß shakspearischer als meine ersten Versuche – aber Sie, verehrter Mann, sind nicht zu erreichen. Wohl glaube ich, daß mein Macbeth Stellen hat, die mit dem Besten Ihres Hamlet wetteifern können – aber vom ganzen kann ichs nicht sagen, und kein Schmeichler wird es mir je einreden. Es ist ein unnennbarer Zauber über Ihren Shakspeare ausgegossen, den ich ganz fühle und begreife, aber mit aller Kunst und Anstrengung nicht nachzuschaffen weiß. – Aber man kann Ihnen schon nachstehen, und doch noch hoch genug stehen. Ich freue mich, daß ich bis jezt im Shakspeare nach Ihnen der erste bin, und dies lasse ich mir auch nicht ausreden. – Nehmen Sie freundlich unsern Shakspeare an, wenn er gedruckt ist, und geben Sie uns dann in der Jenaischen L.[iteratur] Z[ei]t[un]g ein Urtheil – darum bitten wir inständigst. – Meinen Lear habe ich auch schon umgearbeitet – Othello soll auch noch zurechtgefeilt werden – dann werde ich noch wohl Coriolan und mein Bruder die beiden Veroneser übersezen. – Der Redaction des Morgenblattes hatte ich aufgetragen, Ihnen alles zuzusenden, was von mir und meinem Bruder in Übersezungen erschienen. Man hat es, wie ich nun erfahre, versäumt – da ich kaum voraussezen darf, daß das M[or]g[en]bl.[att] zu Ihnen wird gekommen sein, so will ich Ihnen schriftlich einige Proben mittheilen, zugleich bemerkend, daß die Hexenscene[n] Act 4 noch vor kurzem von mir strenge durchgefeilt sind, und daß ich hierin geleistet habe, was meine Kräfte erlaubten. Ich halte für unmöglich das refrain bubble, toil and trouble – besser zu machen, als Bürger. Ich übersezte
Doppelt
Müh und Kraft
doppelt Kraft gekoppelt, Gluten flammt, ihr Brodel bobbelt – werde aber, wie schon im Morgenblatt geschehn ist, die Bürgersche Übersezung beibehalten – wiewohl modelt auch nur zur Noth geht. Ich habe wohl 4 Tage nachgesonnen, um noch etwas [2] zu finden – aber alles vergebens. Nur Schlegel kann hier besseres finden, wenn es anders möglich ist. – Mit strudelt und sprudelt habe ich auch eins gemacht – aber schon die Reime sind verwerflich. Den Schluß dessen, was die zweite Hexe spricht, wo die selben Reime benuzt sind, hat Bürger mir doch nachgelassen: Das, soll Zauberspuk sich modeln, Muss im Möllenkessel brodeln.Spuk ist glaube ich noch das einzige Wort, das man mit modeln in Verbindung bringen kann. – Unglaublich ist es, was Eschenburg für Fehler besonders im Cymbelin gemacht hat. Der brave Mann hat zu schnell gearbeitet. – Den Ausdruck im zweiten Act (Pförtnerscene) here you may roast yoor goose, taylor – glaube ich mir aus dem Plattdeutschen erklären zu können, wo ein Bügeleisen een Sniderbraten heißt. – Sollte man nicht im Deutschen troz Bügelgans sagen können? – denn roast sollte doch wohl durch braten übersezt werden. – Aber eine Stelle (Cymbelin Act. IV gleich nachdem Imogen als todt hereingetragen ist) halte ich für sehr schwer?

Mein Bruder übersezte im Morgenblatt:
O melancholy!
who ever yet could sound thy bottom! find
the ooze, to shew what coast thy sluggish crare
might easily harbour in?

O Schwermuth!
Wer konnte jemals deine Tiefʼ ergründen,
Die Watt' erspähen, wo dem Strande nah
Dein träges Schif sich ruhig bettete.

Ist Zusammenhang in den Säzen whobottom! und find pp? Ich denke mir bottom ist Meergrund – ooze Schlamm auf dem Meergrunde. Wer Schlamm mit dem Senkblei heraufzieht, mag es als einen Beweis ansehen, daß Land und Hafen nahe sind. Aber wie kann die Schwermuth zugleich Meergrund (bottom) und Schiff auf dem Meere sein (crare)? – Dies hat meinen Bruder bewogen sound thy bottom durch deine Tiefʼ ergründen zu übersezen (da es sonst wohl heißen müßte wer kam dir jemals auf den Grund) und so fällt der enge specielle Zusammenhang mit dem folgenden weg. – Kann ooze Watte bedeuten – Eschenburgs Übersezung scheint ja zu antworten. In keinem Lexikon finde ich dergleichen. – Hätten Sie Lust, verehrter Mann, uns diese Stelle zu erklären, und zu übersezen? Ihnen ist das ja ein leichtes; und uns könnte es recht bedeutend und wichtig werden, eine solche Perle von Ihnen bekommen zu haben, mit der wir ein wenig prahlen könnten. – Nun will ich Ihnen noch ein paar Fragmente aus beiden Stücken mittheilen –

Macbeth Act. 1.
Erste H.[exe] Wo gewesen, Schwester?
2. H. Schweine gewürgt.
3. H. Schwester, wo Du?
1. H. Kastanien hattʼ ein Schifferweib im Schooß,
Und schmaztʼ und schmaztʼ und schmaztʼ. Gieb mir sprach ich.
Troll Dich, Du Hexe, schrie das wampige Aas.
Ihr Mann ist zur Türkei geschift, Patron vom Tiger;
Im Siebe schwimmʼ ich nach – ich kannʼs –
Wie eine Ratte, ohne Schwanz!
Ich thuʼs, ich thuʼs, ich thuʼs!
2. Hexe Ich gebʼ Dir einen Wind.
1. Hexe Bist gut gesinnt.
3. Hexe Und ich noch einen.
1. Hexe All die andern sind die meinen,
Ja, die Viertel wo sie wehn,
Jeder Punct, auf dem sie stehn
In des Seemanns Rose.
Ich will dürr, wie Heu, ihn dörren,
Will ihn tummeln, will ihn zerren;
Schlaf soll weder Nacht noch Tag
Ruhn auf seinem Augendach
Schwerer Wochen neunmal neun
Siech und elend schwindʼ er ein.
Darf sein Schiff nicht untergehn,
Doch soll Sturm es drehn und drehn.
Schau was ich habe.
2. Hexe Her, weis her.
1. Hexe Eines Schiffers Daum ist der,
Dem der wilde Sturm das Schiff
Auf der Heimfahrt warf ans Riff.
3. Hexe Was trommelt da? Macbeth ist nah!
Alle Wir Schicksalsschwestern, Hand in Hand,
Schweifen über Meer und Land;
Rund herum gehen wir rundum;
Dreimal mein und dreimal dein
Und dreimal wiederum, macht neun. –
Halt! Der Zauber ist vollbracht.
– – – – – – –

Macbeth
Zween Sprüche des Orakels sind erfüllt.
Als Glücksprologen zu dem stolzen Spiel
Von königlichem Inhalt. – Dank, ihr Herrn!
Die mehr als menschliche Auffoderung
Kann schlimm nicht sein, kann gut nicht sein; wenn schlimm,
[3] Was reichte sie ein Pfand mir des Erfolgs,
Wahrhaft beginnend? Ich bin Than von Cawdor.
Wenn gut, warum beschleicht mich die Versuchung,
Vor deren Schreckgestalt aufsträubt mein Haar,
Mein festes Herz an meine Rippen pocht
So unnatürlich? Gegenwärtʼge Schrecken
Sind schwächer als graunhafte Fantasieʼn.
Dies Bild, das bloße Hirngespinst von Mord,
Durchschüttert meine Menschheit so, daß alle
Spannkraft sich löst in Ahndung, und nichts ist,
Als was nicht ist.

Act 3. Sc.[ene] 1.
Macbeth
So weit sein ist noch nichts,
Doch sicher so sein. Unsre Furcht vor Banquo
Liegt tief; in seiner königlichen Seele
Herrscht das was Furcht erweckt; er wagt sich hoch;
Und diesem unverzagten Heldenmuth
Wohnt eine Klugheit bei, die all sein Thun
Zum Zwecke lenkt. Nur er ists, er allein,
Daß Dasein mich in Furcht hält; unter ihm
Fühlt sich mein Geist gedämpft, wie Marc Antons
Vor Cäsars Genius. – Er schalt die Schwestern,
Als sie zuerst mich König nannten, hieß sie
Ihm reden; und dann grüßten sie profetisch
Ihn Vater eines Zugs von Königen.
Mir fügten sie aufs Haupt die dürre Krone
Den unfruchtbaren Zepter in die Faust,
Den mir entdrehn soll eine fremde Hand,
Indem kein Sohn mir folgt. Ist dem also
Habʼ ich für Banquoʼs Stamm mein Herz befleckt,
Für sie erwürgt den gnadenreichen Duncan,
Gallʼ eingemischt in meines Friedens Kelch,
Allein für sie; und mein unsterblich Kleinod
Dem allgemeinen Menschenfeind verkauft
Um sie zu krönen, Banquos Stamm zu krönen*)!
Eh dies geschieht, komm Schicksal in die Schranken,
Und laß uns kämpfen bis aufs Blut! – Wer da?

Cymbelin Act. IV.
Imogen im Erwachen.
Ja, Freund, nach Milfordhafen; wohin gehtʼs?
Habt Dank. – Bei jenem Busch? – wie weit bis dort?
Du meine Zeit! – kannʼs noch sechs Meilen sein?
Ich ging die Nacht durch. – Ja, nun will ich schlafen.
Doch halt! kein Bettgenoß. – O all ihr Götter!
Sie sieht den Leichnam
Die Blumen hier sind wie die Lust der Welt,
Der blutge Mann ihr Leid. – Ich hoffʼ, ich träume;
So dünkte mir, ich wärʼ ein Höhlenwächter,
Und Koch für wackre Leut – ʼs ist nicht so;
Ein Pfeil nur wars von Nichts auf Nichts geschnellt,
Im Hirn aus Dunst erzeugt! Selbst unser Auge
Ist oft wie unser Urtheil blind. Mein Treu,
Ich zittre noch vor Furcht; doch wenn der Himmel
Nur noch ein Tröpfchen Mitleid hat, so winzig
Als eines Hänflings Augʼ, ihr furchtbaren Götter,
Gebt mir ein Theil davon! Der Traum währt fort;
Selbst wenn ich wach bin, ist er außer mir,
Wie in mir, eingebildet nicht, gefühlt.
Ein Mann ohnʼ Haupt! – Das Kleid des Posthumus!
Sein Bein erkennʼ ich, dies ist seine Hand;
Dies sein Merkursfuß; seine Herkulsarme;
Marsschenkel – nur sein Jupitersgesicht!
Mord, Mord im Himmel? Wie? ʼs ist hin! – Pisanio,
Der tollen Hekuba gesammte Flüche
Und meine sein auf Dich geschleudert! Du,
Im Bund mit dem verruchten Teufel Cloten,
Hast meinen Herrn enthauptet. – Schreiben, Lesen,
Sei Hochverrath fortan ! – Du Schuft, Pisanio
Hast mit verfälschten Briefen, Schuft Pisanio,
Von diesem schönsten Prachtschif auf der Welt
Den Hauptmast abgehaun. pp.

Lied aus Act 2.
Horch, horch, die Lerchʼ im Ätherblau!
Und Phöbus, neu erweckt,
Tränkt seine Rosse mit dem Thau
Der Blumenkelche deckt.
Der Ringelblume Knospe schleußt
Die goldnen Äuglein auf;
Mit allem, was da reizend heißt,
Du süße Maid, steh auf
Steh auf, Steh auf.

Calderon tom. 2 hab ich mit unendlichem Vergnügen gelesen, besonders die Brücke von Mantible. O geben Sie bald mehr, und die in der Europa versprochne Charakteristik dieser Stücke. Ich bewundere Sie wegen dieser Übersezung – in so kurzen Zeilen, vom Reim gefesselt, solche Klarheit – aber welche Grazie haucht Ihren Arbeiten den süßen Zauber ein, dies unendlich schöne Colorit, das alle Sinne erquickt? – Geben Sie uns nun bald auch Shakspeare tom. 9. – O ich weiß, durch Gries, daß das Manuscript dazu ganz fertig liegt. – Mit den Assonanzen bin ich nun vollkommen ausgesöhnt, etwa die auf e e ausgenommen. Das u e im Anfange des zweiten Acts der Brücke von Mantible thut eine furchtbar schöne Wirkung. – Leben Sie wohl, theurer und verehrter Mann. Mein Vater grüßt Sie, und mein Bruder empfiehlt sich Ihrer Gewogenheit. Ihr ergebener
Heinrich Voß
Heidelberg 10 Jul. [180]9.
[4]
Ihre metrischen Regeln, den fünffüßigen Jambus betreffend, sind von uns befolgt worden. Ich hoffe, Sie sollen finden, daß diesmal mit Spondeen kein Misbrauch getrieben ist, wie hin und wieder noch im Lear und Othello geschehen. Die recht tönenden Verse gehören mehr in eine Übersezung des Milton. Wenn Sie aber in der Recension des Stolbergschen Äschylos die dactylischen Ausgänge dem fünffüßigen Verse versagen – so glaube ich doch, Sie gehen zu weit. Für einen gleitenden Ausgang kann es der Leser nicht nehmen, weil sich die Melodie und der Rhythmus des Verses seinem Gefühle schon eingeprägt hat, und eben der Versrhythmus macht _◡◡ zum _◡_. Ich befrage in solchen Fällen mein Ohr, und in den Fällen, wo dieses mir dactylische Endungen erlaubt, sezte ich sie getrost hin. Sie selber haben ja auch solche Ausgänge im Shakspeare wo ich sie nicht wegwünsche.
In Berlin ist jezt ein Übersezer der Numantia erstanden, von dem in der Eleganten Zeitung eine Probe stand – im Ganzen brave, fleißige Arbeit – aber mir schien sie mehr Eleganz als Fülle und Kraft zu haben. Doch ich kann auch hierin irren – und will lieber erst urtheilen, wann ich sie ganz gelesen habe.

*) [über gestrichenem:] [Um sie zu] Königen zu machen, Banquos Geschlecht zu Königen!
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