Die Zurücksendung des mir von Ihnen geliehnen Buches hat sich wider meinen Willen so lange verzögert, daß ich endlich auf mich selbst nun böse werden muß, und dadurch erst die Abfertigung wirklich vollführe. Es verzögerte sich anfänglich bloß weil es sich verzögerte, und darin lag der erste aber auch sehr hinreichende Grund, daß es immer länger und länger wurde. Jeder erfahrene Korrespondent weiß das aus hundert ähnlichen Fällen. Meine jetzigen Angelegenheiten haben mich ohnehin in eine ganz andere Aktivität gesetzt. Ich bin Bräutigam und wohne 3 Meilen von der Geliebten entfernt. Da habe ich tausend Sachen lernen müssen, um die andre Menschen sich gar nicht kümmern, und war überdies noch beständig auf Reisen, so daß ich die Pflichten des Nächsten nur auf ein einziges Wesen einschränken konnte. Doch um mir selbst wenigstens einige Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, darf ich das wol erwähnen, daß ich auch von Ihnen, oder wenigstens von Ihrem Bruder, eine kleine Nachricht erwartete. Ich habe Ihnen beiden zuletzt ge[2]schrieben. Ihrem Bruder überschickte ich gegen Ende Augusts eine Abhandlung für das Athenäum. Ich glaubte Ihrer Aufforderung zu Folge, daß Ihnen beiden daran gelegen sey, sie zur Michaelismesse zu erhalten. Hierüber und über den Empfang selbst habe ich indeß keine weitere Nachricht. Vermuthlich ist das 3te Stück noch nicht erschienen, da ich sonst auf Ihre güthige Mittheilung wol hätte rechnen dürfen. Es ist auch vielleicht möglich, daß meine Abhandlung sich nicht für das Athenäum schickte, nur würde ich in diesem Falle doch bitten, sie mir gefälligst zurückzusenden. Im vorigen Monate schrieb ich an Ihren Bruder unter der Adresse beim Herrn Prediger Schleiermacher in Berlin. Ich errichte nämlich ein Erziehungs-Institut in der Form einer Sokratischen Schule und fragte Ihren Bruder, ob er mir nicht einen braven jungen Mann empfehlen könnte, der mir Hülfe leisten wolle, und wenn es möglich wäre, ein Interesse daran zu nehmen wisse, sich bei mir aufzuhalten. Berger verbindet sich mit mir, und ich glaubte, daß unsre Gesellschaft einen jungen Mann aufmuntern könnte, in mein Haus zu kommen, und die Freude des Lebens mit mir zu teilen. Auch auf dies Ersuchen habe ich von Ihrem Bruder keine Antwort erhalten. Er ist also wahrscheinlich entweder nicht in Berlin, oder er ist noch immer um ein Subjekt bemüht gewesen, das er mir und dem er mich empfehlen könne.
[3]Ich eröffne mein Institut erst mit kommendem Frühjahre, und wohne alsdann in Lentzke, einem Dorfe bei Fehrbellin, 7 Meilen von Berlin, in einer sehr schönen Gegend, wo mir mein ehemaliger Eleve, der Baron de la Motte Fouqué, sein Wohnhaus nebst Garten und einigen Wiesen überläßt, indem er als Soldat keinen Gebrauch davon machen kann. Ich heirathe seine Cousine, eine geborne v. Posern, die noch meine Schülerin ist, und es ist eine Freude zu sehen, wie herzlich und kindlich wir uns lieben. Gelingt mir mein Unternehmen, woran ich nicht zweifle, so werde ich sehr glücklich seyn. Ich bin ein Garten Freund, und habe schon einen Hügel gewählt, wo ich Mnemosynens Töchtern einen Tempel erbauen will. Silberpappeln und hochgrüne Balsaminen sollen den Fuß des Hügels kränzen, und Rosen und Jasmin um den Tempel sich winden. Im himmelblauen Felde male ich an der Wölbung den lieblichen Kranz der Horen, daß jeder der den heiligen Fußboden betritt, sich von Göttern umschlungen fühle. Lange habe ich darauf gedacht, wie ich ein häusliches Leben einrichten könnte, das meinen Wünschen entspräche. So möge es nun seyn. Ich bleibe frey und unabhängig und brauche für das Semestrum kein andres Lehrbuch, als das der Natur und des lebendigen Menschen. Das äußere Geräusch soll meine Schule nicht empfehlen; aber wohl die Wahrheit, die sich auf Einsicht in die Natur des Menschen gründet. [4] Mögen die Gelehrten sich zanken und streiten. Ich weiß etwas beßres zu thun, und hoffe eben auf die Weise ein freundlich stilles Licht des Lebens zu verbreiten, durch welches sich einmal die Verwirrung doch lösen muß. Der transcendentale Standpunkt unsrer neuem n Philosophie liegt nirgends anders als in einem großen Sumpfe, der seit Aristoteles erst entstanden ist, und der durch seine Grund- und Bodenlosigkeit alles in sich verschlingt was System heißt und seyn soll. Mich lächert es oft, wenn ich sehe wie die Geschichte gerade über diejenigen eine solche Autorität ausübt, die sich einbilden ihren Gegenstand ganz a priori zu behandeln. Es ist nicht wahr, sie knüpfen den Faden fort, und besorgen nur neue Auflagen von alten Vorurtheilen. Man kann indeß jungen Männern immer etwas Gutes sagen, wenn man auch ein Lehrbuch in der Hand hat; so bald man sie nur erinnert, daß der Mensch eigentlich kein Lehrbuch sey, und daß man doch überall auf ihn zurückkommen müße. Bei solchen Vorlesungen, wie Sie wahrscheinlich wählen, hat die hergebrachte Form den wenigsten Nachtheil. Sie machen ihre Schüler mit der Kraft des Gesanges bekannt, und führen sie bis zu seinem heiligen Urquell. Göthe sey Ihnen da immer der große Apoll; denn seine schöne Natur hat in ihm etwas vollendet, was wenige seiner Zeitgenossen noch fühlen und begreifen. Ein Teufel ist er zuweilen, aber das kommt bloß daher, weil er mächtiger ist als jeder gegebene Gott, und sowol in der Unterwelt als auf dem Olymp regiert. Schiller übertrifft ihn zwar an Bildung. Aber man bemerkt an diesem auch oft zu sehr die Kunst, welches billig nie der Fall seyn sollte. Empfehlen Sie mich Ihrer Gemahlin und leben Sie recht wol.
Ganz der Ihrige A. Hülsen