• August Ludwig Hülsen to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Görzke · Place of Destination: Berlin · Date: 26.05.1803
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Ludwig Hülsen
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Görzke
  • Place of Destination: Berlin
  • Date: 26.05.1803
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Flitner, Willy: August Ludwig Hülsen und der Bund der freien Männer. Jena 1913, S. 105‒107.
  • Incipit: „[1] Görzke bei Ziesar d. 26. May 1803
    Empfange nach einem so langen, Dir vielleicht räthselhaften Stillschweigen nun wieder meinen Gruß, geliebter, [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-33865
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.11,Nr.13
  • Number of Pages: 8S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19,1 x 11,6 cm
    Language
  • German
[1] Görzke bei Ziesar d. 26. May 1803
Empfange nach einem so langen, Dir vielleicht räthselhaften Stillschweigen nun wieder meinen Gruß, geliebter, theurer Freund. Aber genüge Dir zuvörderst dieses Zeichen meines Lebens. Ich finde es nicht möglich, Dir in wenigem so viel zu sagen, daß Du mich ganz begriffest. Laß mich also erst mündlich zu Dir geredet haben, und sage mir, welche Zeit ich Dich sicher in Berlin treffe. Verfehlen möchte ich Dich nicht gern. Mein Neveu in Nennhausen schreibt mir aber, daß die dortigen Herrschaften anfangs Juni eine Reise nach Dresden machen würden, und da ich fast vermuthe, daß Du mit in dieser Gesellschaft reisen wirst, so will ich nun erst Antwort von Dir erwarten, um danach so weiter meine Reise zu bestimmen. Es ist leider noch nicht alles recht und gut mit mir. Ich lebe nur noch immer in der Welt überhaupt, und also nirgends an einem Orte, wo ich sagen könnte, hier bin ich. So darf es doch nicht blei[2]ben, wenn ich auch nur so vernünftig seyn soll wie ein Murmelthier. Es ist wahr, ich habe noch nie in meinem Leben sonderliche Anstalten getroffen, um ein Fragment in der menschlichen Gesellschaft zu werden. Ich suchte ein freyeres Daseyn, und wenn ich das mit so vieler Zuversicht erwartete, so ist es mir auch zu vergeben, daß ich die schönsten Jahre meines Lebens sorgenfrei kommen und vorübergehen sah, ohne der Zukunft zu gedenken, die strenge und gerechte Foderungen an mich machen würde. Da ich aber einmal die königliche Heeresstraße verlaßen habe, und in Labyrinthen mich herumtreibe; so ist es freilich auch nicht leicht wieder einzulenken, und mit den Fuhrleuten und Kärrnern einem sichern Ziele zu nahen. Ich will indeß versuchen, wie es mir möglich seyn wird. In Rücksicht auf meine Person kann ich nichts erwarten. Zwar haben die Götter mich gelehrt, die Menschen zu erfreun und zu ermuntern so wol durch mancherlei Kurzweil als auch durch ernstere Reden. Aber – wiewol [3] es seiner Natur nach eine freie Gabe nur ist – so fand ich doch überall ein undankbares Volk, das auch im innersten Herzen unfähig ist, dem Himmel für etwas zu danken. Ich will daher arbeiten, und mich nützlich für die Zwecke der Gesellschaft zeigen. Dann bin ich hoffentlich tüchtig wie jede andere gute Maschiene, und darf von Rechts wegen das Maul aufthun, damit es mir gestopft werde. Indeß lieber Freund, was möglich ist. Sinne du selbst einmal nach, wie ich meinen gegenwärtigen bloß absoluten Standpunkt mit einem respektiv relativen in Berlin vertauschen könnte. Ich mache keine Pretensionen, eben weil das Höchste und Beste, was Menschen geben können, mir ohnehin gebührt. Ich bin aber ein alter Mann geworden, und möchte also nicht gern noch Knaben-Geschäfte übernehmen, und das erforderte also wol eine Betrachtung des Standpunktes quæstionis. Zeit darf ich nicht mehr verliehren. Ich [4] bin nur erst jetzt wieder auf eine recht hundsföttische Weise um ein Jahr meines Lebens gebracht, und möchte also heut und morgen schon gern anfangen Zahlen zu schreiben und Register zu machen oder was sonst von mir gefodert würde. Ein gelehrtes Amt suche ich auf keine Weise, und sollte ich mir auch eine Kugel durch den Kopf jagen müssen. Was man einmal als eine pure Nullität erkannt hat, das muß es auch bleiben. Eigentlich möchte ich am liebsten ein Institut für junge Mädchen anlegen. Die armen Geschöpfe können in der Regel nichts taugen, weil der Teufel sie überall und unaufhörlich zu verführen sucht, und diesen weiß ich als ein guter Geist zu vertreiben, wenn sonst die arme Seele nicht schon verschrieben ist. Nun mündlich über das alles. Was mein seltsames Schicksal in Nennhausen betrifft: so sind meine Gedanken gewiß nicht Deine Gedanken. [5] Aber ist Dir Eines gewiß, so folgere Du das zweite; und dann bleibe Dir die Zuversicht, die keine Widersprüche duldet, weil sie den freien Menschen entehren. So viel Achtung haben die Menschen noch überall vor der Wahrheit, daß sie sie wenigstens heucheln, und es mag niemand so klug und so weise seyn, daß er in solchen Erscheinungen sich nicht irrte. Übrigens ist es gewiß, der Mensch bleibt unersetzbar, er sey gut oder böse. Darum schlägt sich der Pöbel und verträgt sich wieder. Aber der höhere Bund der Geister ist ewig unverletzbar, und welche Menschen wir hier verliehren, die haben auch nie zu uns gehört. Ob das mehr oder weniger schmerzhaft sey, darüber frage Deine Erfahrungen. Ich glaube man kann sich anders nicht wohl verständlich machen. Freilich weiß ich, und das versteht sich, was vorüber ist, das ist gewesen: und darum sollst Du mich nicht für den Thoren halten, der die Zeiten verkehrte. Aber ich weiß auch, und es ver[6]steht sich, was wirklich ist, das ist; und so wir dies von den Menschen sagen, gilt es oft für ein ganzes Leben wie die Verkehrtheit des Charakters, und oft für die Ewigkeit, wie die Sünde wider den heiligen Geist. Ich gehöre nicht zu den Heroen, die sich durch Verachtung beruhigen können, denn auch das ist mir ein widriges Gefühl, und darum wird es mir nicht so leicht, mich an das verworrene Leben anzuschließen. Was Du von meiner Verwirrung geglaubt hast, weiß ich nicht recht zu denken. Aber bleibt doch wohl das edle Königliche Metall auch unter der Asche gemeiner Stoffe rein und wahr in sich selbst, und wird wieder erkannt wie das heilige Licht des Tages, wenn die Nebel vorüber sind; wie vielmehr nicht der Mensch, der einmal frei sich erkannt und im Heiligthum der Wahrheit seine Unsterblichkeit gewonnen hatte. Darum trete ich wieder auf mit der mir angebornen Götterkraft, und blicke in den Sonnenhimmel des Genius, und Ihr er[7]kennet mich wieder, Kinder seines Lichts, und ich fühle Eure Umarmungen und Eure Freude. Ich bin tiefgebeugt worden durch Mißhandlungen und Betrug. Aber ich vertraue doch wieder den Gefühlen meines Herzens, und suche die Menschen des freien Bundes und schöpfe Muth und Hoffnung für die Heiterkeit künftiger Tage. Gelingt es mir bald, den relativen Standpunkt einzunehmen, so wirst Du mich auch bald wieder unter den Propheten auftreten sehen. Ich habe es aufs neue übernommen, die Mnemosyne fortzusetzen, und besitze auch schon Materialien dazu von Berger und von Rist, der gegenwärtig in Madrid ist, und auch von dort aus mir Beiträge zu überschicken versprochen hat. Er ist einer von den wenigen Universalgenies, vor dem ich gerne meine Knie beuge, und der sich auch bald als ein Sohn der Sonne bekannt machen wird. Ich [8] muß aber für die Mnemosyne erst Ruhe gewinnen, und dann auch einen annehmlichen Verleger. Sonst sehne ich mich recht von Herzen nach einer solchen Beschäftigung. Es geht zu toll in der Welt her, und es kann und darf so nicht bleiben, wenn die Allmacht der Ideen nicht ein leeres Wort werden soll. Ich bin sanftmüthig gewesen, und habe die Stümper geduldet. Aber so ungestöhrt sollen sie es nicht mehr treiben. Seit einigen Monaten habe ich mancherlei betrachtet. Ich ärgere mich über das Elend. An Formen fehlt es zum Theil nicht. Aber es wird durch den Stoff ein leeres Geschwätz. Überall ist eine armseelige Pretension und nirgends Originalität. Man sucht antik zu seyn oder modern, und das ist immer das Werk des freien Genius, vor dem alles nur eine Beziehung in sich selbst haben kann, und das immer nur ist was es ist, nämlich göttlich und ewig. –
Antworte mir nach Premmnitz bei Rathenau, wo ich nach dem Pfingstfeste seyn werde. Wär ich nicht jetzt ein blutarmer Mensch, so würde ich mich sogleich in Berlin niederlassen, aber dazu muß ich zuvor noch Veranstaltung treffen. Adieu! Grüße Berhardis recht herzlich von mir, und Deinen Bruder Fr. Wo ist er? – A. Hülsen.
[1] Görzke bei Ziesar d. 26. May 1803
Empfange nach einem so langen, Dir vielleicht räthselhaften Stillschweigen nun wieder meinen Gruß, geliebter, theurer Freund. Aber genüge Dir zuvörderst dieses Zeichen meines Lebens. Ich finde es nicht möglich, Dir in wenigem so viel zu sagen, daß Du mich ganz begriffest. Laß mich also erst mündlich zu Dir geredet haben, und sage mir, welche Zeit ich Dich sicher in Berlin treffe. Verfehlen möchte ich Dich nicht gern. Mein Neveu in Nennhausen schreibt mir aber, daß die dortigen Herrschaften anfangs Juni eine Reise nach Dresden machen würden, und da ich fast vermuthe, daß Du mit in dieser Gesellschaft reisen wirst, so will ich nun erst Antwort von Dir erwarten, um danach so weiter meine Reise zu bestimmen. Es ist leider noch nicht alles recht und gut mit mir. Ich lebe nur noch immer in der Welt überhaupt, und also nirgends an einem Orte, wo ich sagen könnte, hier bin ich. So darf es doch nicht blei[2]ben, wenn ich auch nur so vernünftig seyn soll wie ein Murmelthier. Es ist wahr, ich habe noch nie in meinem Leben sonderliche Anstalten getroffen, um ein Fragment in der menschlichen Gesellschaft zu werden. Ich suchte ein freyeres Daseyn, und wenn ich das mit so vieler Zuversicht erwartete, so ist es mir auch zu vergeben, daß ich die schönsten Jahre meines Lebens sorgenfrei kommen und vorübergehen sah, ohne der Zukunft zu gedenken, die strenge und gerechte Foderungen an mich machen würde. Da ich aber einmal die königliche Heeresstraße verlaßen habe, und in Labyrinthen mich herumtreibe; so ist es freilich auch nicht leicht wieder einzulenken, und mit den Fuhrleuten und Kärrnern einem sichern Ziele zu nahen. Ich will indeß versuchen, wie es mir möglich seyn wird. In Rücksicht auf meine Person kann ich nichts erwarten. Zwar haben die Götter mich gelehrt, die Menschen zu erfreun und zu ermuntern so wol durch mancherlei Kurzweil als auch durch ernstere Reden. Aber – wiewol [3] es seiner Natur nach eine freie Gabe nur ist – so fand ich doch überall ein undankbares Volk, das auch im innersten Herzen unfähig ist, dem Himmel für etwas zu danken. Ich will daher arbeiten, und mich nützlich für die Zwecke der Gesellschaft zeigen. Dann bin ich hoffentlich tüchtig wie jede andere gute Maschiene, und darf von Rechts wegen das Maul aufthun, damit es mir gestopft werde. Indeß lieber Freund, was möglich ist. Sinne du selbst einmal nach, wie ich meinen gegenwärtigen bloß absoluten Standpunkt mit einem respektiv relativen in Berlin vertauschen könnte. Ich mache keine Pretensionen, eben weil das Höchste und Beste, was Menschen geben können, mir ohnehin gebührt. Ich bin aber ein alter Mann geworden, und möchte also nicht gern noch Knaben-Geschäfte übernehmen, und das erforderte also wol eine Betrachtung des Standpunktes quæstionis. Zeit darf ich nicht mehr verliehren. Ich [4] bin nur erst jetzt wieder auf eine recht hundsföttische Weise um ein Jahr meines Lebens gebracht, und möchte also heut und morgen schon gern anfangen Zahlen zu schreiben und Register zu machen oder was sonst von mir gefodert würde. Ein gelehrtes Amt suche ich auf keine Weise, und sollte ich mir auch eine Kugel durch den Kopf jagen müssen. Was man einmal als eine pure Nullität erkannt hat, das muß es auch bleiben. Eigentlich möchte ich am liebsten ein Institut für junge Mädchen anlegen. Die armen Geschöpfe können in der Regel nichts taugen, weil der Teufel sie überall und unaufhörlich zu verführen sucht, und diesen weiß ich als ein guter Geist zu vertreiben, wenn sonst die arme Seele nicht schon verschrieben ist. Nun mündlich über das alles. Was mein seltsames Schicksal in Nennhausen betrifft: so sind meine Gedanken gewiß nicht Deine Gedanken. [5] Aber ist Dir Eines gewiß, so folgere Du das zweite; und dann bleibe Dir die Zuversicht, die keine Widersprüche duldet, weil sie den freien Menschen entehren. So viel Achtung haben die Menschen noch überall vor der Wahrheit, daß sie sie wenigstens heucheln, und es mag niemand so klug und so weise seyn, daß er in solchen Erscheinungen sich nicht irrte. Übrigens ist es gewiß, der Mensch bleibt unersetzbar, er sey gut oder böse. Darum schlägt sich der Pöbel und verträgt sich wieder. Aber der höhere Bund der Geister ist ewig unverletzbar, und welche Menschen wir hier verliehren, die haben auch nie zu uns gehört. Ob das mehr oder weniger schmerzhaft sey, darüber frage Deine Erfahrungen. Ich glaube man kann sich anders nicht wohl verständlich machen. Freilich weiß ich, und das versteht sich, was vorüber ist, das ist gewesen: und darum sollst Du mich nicht für den Thoren halten, der die Zeiten verkehrte. Aber ich weiß auch, und es ver[6]steht sich, was wirklich ist, das ist; und so wir dies von den Menschen sagen, gilt es oft für ein ganzes Leben wie die Verkehrtheit des Charakters, und oft für die Ewigkeit, wie die Sünde wider den heiligen Geist. Ich gehöre nicht zu den Heroen, die sich durch Verachtung beruhigen können, denn auch das ist mir ein widriges Gefühl, und darum wird es mir nicht so leicht, mich an das verworrene Leben anzuschließen. Was Du von meiner Verwirrung geglaubt hast, weiß ich nicht recht zu denken. Aber bleibt doch wohl das edle Königliche Metall auch unter der Asche gemeiner Stoffe rein und wahr in sich selbst, und wird wieder erkannt wie das heilige Licht des Tages, wenn die Nebel vorüber sind; wie vielmehr nicht der Mensch, der einmal frei sich erkannt und im Heiligthum der Wahrheit seine Unsterblichkeit gewonnen hatte. Darum trete ich wieder auf mit der mir angebornen Götterkraft, und blicke in den Sonnenhimmel des Genius, und Ihr er[7]kennet mich wieder, Kinder seines Lichts, und ich fühle Eure Umarmungen und Eure Freude. Ich bin tiefgebeugt worden durch Mißhandlungen und Betrug. Aber ich vertraue doch wieder den Gefühlen meines Herzens, und suche die Menschen des freien Bundes und schöpfe Muth und Hoffnung für die Heiterkeit künftiger Tage. Gelingt es mir bald, den relativen Standpunkt einzunehmen, so wirst Du mich auch bald wieder unter den Propheten auftreten sehen. Ich habe es aufs neue übernommen, die Mnemosyne fortzusetzen, und besitze auch schon Materialien dazu von Berger und von Rist, der gegenwärtig in Madrid ist, und auch von dort aus mir Beiträge zu überschicken versprochen hat. Er ist einer von den wenigen Universalgenies, vor dem ich gerne meine Knie beuge, und der sich auch bald als ein Sohn der Sonne bekannt machen wird. Ich [8] muß aber für die Mnemosyne erst Ruhe gewinnen, und dann auch einen annehmlichen Verleger. Sonst sehne ich mich recht von Herzen nach einer solchen Beschäftigung. Es geht zu toll in der Welt her, und es kann und darf so nicht bleiben, wenn die Allmacht der Ideen nicht ein leeres Wort werden soll. Ich bin sanftmüthig gewesen, und habe die Stümper geduldet. Aber so ungestöhrt sollen sie es nicht mehr treiben. Seit einigen Monaten habe ich mancherlei betrachtet. Ich ärgere mich über das Elend. An Formen fehlt es zum Theil nicht. Aber es wird durch den Stoff ein leeres Geschwätz. Überall ist eine armseelige Pretension und nirgends Originalität. Man sucht antik zu seyn oder modern, und das ist immer das Werk des freien Genius, vor dem alles nur eine Beziehung in sich selbst haben kann, und das immer nur ist was es ist, nämlich göttlich und ewig. –
Antworte mir nach Premmnitz bei Rathenau, wo ich nach dem Pfingstfeste seyn werde. Wär ich nicht jetzt ein blutarmer Mensch, so würde ich mich sogleich in Berlin niederlassen, aber dazu muß ich zuvor noch Veranstaltung treffen. Adieu! Grüße Berhardis recht herzlich von mir, und Deinen Bruder Fr. Wo ist er? – A. Hülsen.
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