• August Wilhelm von Schlegel to Johann Wolfgang von Goethe

  • Place of Dispatch: Jena · Place of Destination: Weimar · Date: 05.11.1799
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johann Wolfgang von Goethe
  • Place of Dispatch: Jena
  • Place of Destination: Weimar
  • Date: 05.11.1799
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: August Wilhelm und Friedrich Schlegel im Briefwechsel mit Schiller und Goethe. Hg. v. Josef Körner u. Ernst Wieneke. Leipzig 1926, S. 89‒90.
  • Verlag: Insel Verlag
  • Incipit: „[1] Jena d. 5 Nov. 99
    Sie erhalten hiebey das Manuskript des H. von Knebel zurück, haben Sie die Güte mich [...]“
    Manuscript
  • Provider: Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 28/805 St. 14
  • Provenance: Klassik Stiftung Weimar
    Language
  • German
[1] Jena d. 5 Nov. 99
Sie erhalten hiebey das Manuskript des H. von Knebel zurück, haben Sie die Güte mich wegen des langen Aufschubs bey ihm bestens zu entschuldigen, und ihn zu bitten, daß er mit diesen unbedeutenden Anmerkungen vorlieb nimmt. Über die verschiedne Methode die man selbst befolgen würde, kann man sich nicht so gut durch Worte erklären als durch die That, und so interessirt es vielleicht den Vf. der Übersetzung zu erfahren, daß ich auch einmal ein 40 Verse des Lukrez übersetzt habe, um sie mit seiner Übersetzung derselben Stelle zu vergleichen. Sie stehen in meines Bruders Geschichte der Griechischen Poesie abgedruckt. Freylich ist es schon einige Jahre her und ich würde jetzt manches anders machen.
Übrigens ist mir bey dieser Konfrontazion sehr klar geworden, daß eine [2] Übersetzung des Lukrez zu den schwierigsten Aufgaben aus dem ganzen Alterthume gehört, wobey sichs also der Übersetzer nicht darf verdrießen lassen, daß vieles zum erstenmal nicht gelingt.
Ich habe jetzt die von Göttingen verschriebnen Bücher erhalten, und besonders mit Cervantes Viage del Parnaso und seiner Numantia eine höchst interessante Bekanntschaft gemacht. Die letzte ist ein Werk von seltner Größe und Vollendung: ich weiß wenig moderne Dramen, die sich der antiken Tragödie so annäherten. ‒ Die Rime des Michel Angelo, deren Mittheilung Sie mir auftrugen, wenn ich sie bekäme, sind dort nicht vorhanden, und da sie, so viel ich weiß, auch nicht in Dresden sind, so zweifle ich, ob wir sie in Deutschland auftreiben werden.
Man meldet mir authentisch aus Berlin, daß H. Merkel dort überall das auch [3] hier herumgetragene Gerücht von einem Verweise und Verbote, die ich wegen des Athenäums erhalten haben soll, zu verbreiten sucht, und zwar mit dem Zusatze: Sie hätten ein die Notizen misbilligendes Cirkular bey den Weimarischen und hiesigen Gelehrten herumgehen lassen.
Vielleicht haben Sie schon davon gehört, daß Hofr. Schütz sich bey der theatralischen Vorstellung in seinem Hause, in einem selbst verfertigten Prolog, sich allerley Freyheiten gegen meinen Bruder und mich genommen, worüber ich ein paar lebhafte Billets mit ihm gewechselt. Die ALZ. ist also ganz nahe daran, mit Kotzebue eine Allianz gegen uns zu schließen. Natürlicher Weise nimmt sie sich aus Sympathie der Bedrängten und litterarischen Invaliden an, und ist erklärte Gegnerin einer Kritik wie die unsrige. Man ist so [4] weit gegangen, während man bedächtig vom Athenäum schweigt, ein eigends dagegen gerichtetes Buch, Adelheids Briefe von Nikolai, mit großem Lobe und den beleidigendsten Seitenblicken auf uns, anzuzeigen. Um nicht mehr dergleichen Avanien von Seiten eines Instituts abzuwarten, habe ich es für nöthig gehalten, den Bruch, der in den Gesinnungen längst vorbereitet war, nicht mehr aufzuschieben, und Sie werden nächstens eine Erklärung über meinen Abschied von der ALZ im Intell[igenz-Blatt] derselben lesen. Ich mache Sie auch auf eine Erklärung von Schelling und seine Antwort darauf aufmerksam. Die Absicht uns sämtlich nicht aufkommen zu lassen, liegt nur allzudeutlich am Tage.
Leben Sie recht wohl und vergessen Sie uns nicht.
AWSchlegel
[1] Jena d. 5 Nov. 99
Sie erhalten hiebey das Manuskript des H. von Knebel zurück, haben Sie die Güte mich wegen des langen Aufschubs bey ihm bestens zu entschuldigen, und ihn zu bitten, daß er mit diesen unbedeutenden Anmerkungen vorlieb nimmt. Über die verschiedne Methode die man selbst befolgen würde, kann man sich nicht so gut durch Worte erklären als durch die That, und so interessirt es vielleicht den Vf. der Übersetzung zu erfahren, daß ich auch einmal ein 40 Verse des Lukrez übersetzt habe, um sie mit seiner Übersetzung derselben Stelle zu vergleichen. Sie stehen in meines Bruders Geschichte der Griechischen Poesie abgedruckt. Freylich ist es schon einige Jahre her und ich würde jetzt manches anders machen.
Übrigens ist mir bey dieser Konfrontazion sehr klar geworden, daß eine [2] Übersetzung des Lukrez zu den schwierigsten Aufgaben aus dem ganzen Alterthume gehört, wobey sichs also der Übersetzer nicht darf verdrießen lassen, daß vieles zum erstenmal nicht gelingt.
Ich habe jetzt die von Göttingen verschriebnen Bücher erhalten, und besonders mit Cervantes Viage del Parnaso und seiner Numantia eine höchst interessante Bekanntschaft gemacht. Die letzte ist ein Werk von seltner Größe und Vollendung: ich weiß wenig moderne Dramen, die sich der antiken Tragödie so annäherten. ‒ Die Rime des Michel Angelo, deren Mittheilung Sie mir auftrugen, wenn ich sie bekäme, sind dort nicht vorhanden, und da sie, so viel ich weiß, auch nicht in Dresden sind, so zweifle ich, ob wir sie in Deutschland auftreiben werden.
Man meldet mir authentisch aus Berlin, daß H. Merkel dort überall das auch [3] hier herumgetragene Gerücht von einem Verweise und Verbote, die ich wegen des Athenäums erhalten haben soll, zu verbreiten sucht, und zwar mit dem Zusatze: Sie hätten ein die Notizen misbilligendes Cirkular bey den Weimarischen und hiesigen Gelehrten herumgehen lassen.
Vielleicht haben Sie schon davon gehört, daß Hofr. Schütz sich bey der theatralischen Vorstellung in seinem Hause, in einem selbst verfertigten Prolog, sich allerley Freyheiten gegen meinen Bruder und mich genommen, worüber ich ein paar lebhafte Billets mit ihm gewechselt. Die ALZ. ist also ganz nahe daran, mit Kotzebue eine Allianz gegen uns zu schließen. Natürlicher Weise nimmt sie sich aus Sympathie der Bedrängten und litterarischen Invaliden an, und ist erklärte Gegnerin einer Kritik wie die unsrige. Man ist so [4] weit gegangen, während man bedächtig vom Athenäum schweigt, ein eigends dagegen gerichtetes Buch, Adelheids Briefe von Nikolai, mit großem Lobe und den beleidigendsten Seitenblicken auf uns, anzuzeigen. Um nicht mehr dergleichen Avanien von Seiten eines Instituts abzuwarten, habe ich es für nöthig gehalten, den Bruch, der in den Gesinnungen längst vorbereitet war, nicht mehr aufzuschieben, und Sie werden nächstens eine Erklärung über meinen Abschied von der ALZ im Intell[igenz-Blatt] derselben lesen. Ich mache Sie auch auf eine Erklärung von Schelling und seine Antwort darauf aufmerksam. Die Absicht uns sämtlich nicht aufkommen zu lassen, liegt nur allzudeutlich am Tage.
Leben Sie recht wohl und vergessen Sie uns nicht.
AWSchlegel
· Abschrift , 05.11.1799
· Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
· GSA 54/158, S. 117f.
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