• August Wilhelm von Schlegel to Sophie Bernhardi

  • Place of Dispatch: Morgenthal · Place of Destination: Unknown · Date: 15.05.1804
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Sophie Bernhardi
  • Place of Dispatch: Morgenthal
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 15.05.1804
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 78‒82.
  • Incipit: „Morgenthal d. 15 Mai 1804
    Verzeihen Sie, meine theuerste Freundin, daß ich Ihnen auf der ganzen Reise heute zum erstenmal schreibe. An [...]“
    Language
  • German
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Morgenthal d. 15 Mai 1804
Verzeihen Sie, meine theuerste Freundin, daß ich Ihnen auf der ganzen Reise heute zum erstenmal schreibe. An gutem Willen hat es nicht gefehlt, auch sind wir nicht eben schnell gereist, aber die halben Tage, die wir in einigen Städten zugebracht, sind theils mit Besuchen, theils mit Besehen der Merkwürdigkeiten und Spaziergängen hingegangen, manchmal leistete ich auch Gesellschaft, wenn wir uns ausruhten, zuweilen war ich Abends ermüdet, oder wenn ich es auch nicht war, nahm mir die Umgebung in schlechten Wirthshäusern die Lust zum Schreiben. Heute finde ich mich zum erstenmal in völliger Ruhe, und benutze die günstige Stunde. Wir sind zeitig hier angekommen, meine jungen Herren (denn es sind jetzt ihrer zwey) habe ich mit dem Kammerdiener spazieren geschickt, ich bin allein in einem niedlichen Zimmer, vor mir eine kleine Ebene mit Hügeln und blauen Bergen, die Abendsonne scheint noch freundlich unter dem Vordach herein. Das Dörfchen, wo wir so schöne Bewirthung finden, liegt nur eine kleine Tagreise von Bern, wo wir morgen Fr.[au] von Staël wieder einhohlen, die von Zürich gerade dahin gereist ist. Dann sind es noch drey oder viertehalb Tage bis Coppet, so daß mein Brief, wenn ich ihn morgen in Bern auf die Post gebe, eine Woche früher zu Ihnen gelangen muß, als wenn ich ihn bis zum Ziel der Reise verschöbe.
Sie werden keine förmliche Reisebeschreibung von mir erwarten, sondern nur das wissen wollen, was mich persönlich betrifft. Im Ganzen genommen war die Reise sehr bequem und angenehm. Constant hat in der That einen sehr geistreichen und eigenthümlichen Witz, so daß es oft, besonders bey der großen Verschiedenheit in den Meynungen, einen Wettstreit zwischen uns gegeben hat. Wir konnten uns oft gegenseitig unterstützen, um Frau von Staël aufzuheitern und zu unterhalten, meistens ist sie zwar sehr still gewesen, doch kehrte zuweilen die vorige Lebhaftigkeit der Theilnahme wieder. Wir hatten einen Goethe und andre Bücher im Wagen, es wurde viel vorgelesen, zuweilen auch gleich ins Französische übersetzt. Die Tochter habe ich jetzt erst recht kennen gelernt, Constant hat eine große Zärtlichkeit für sie, so daß er den halben Tag mit ihr spielt, und sie erwiedert es ihm mit Leidenschaft. Ich habe nicht leicht ein empfänglicheres Kind gesehen, sie hört Geschichten und Mährchen auf eine Weise an, daß man sich todt erzählen möchte. Dabey hat sie wunderbar viel Ausdruck in ihrer kleinen Physiognomie, rechte Magdalenen-Augen, braun und mit langen dunkeln Wimpern neben ihrem goldnen Haar.
Wir reisten erst gegen Mittag von Weimar ab, kamen Nachmittags in Gotha an, und gleich nach Tisch ließ sich der junge Herzog bey Frau von St.[aël] melden, und brachte den Abend bis gegen zehn Uhr meistens allein, am andern Vormittage noch eine Stunde bey ihr zu. Ich bin ihm auf die vortheilhafteste Weise bekannt gemacht worden, er hat mit mir viel deutsch über Poesie gesprochen, und mich durch seine seltsame Fantasie und Reizbarkeit in Verwunderung gesetzt. Sie wissen vermuthlich, daß man ihn meistens sehr ungünstig beurtheilt, ich muß aber glauben, daß er, eben durch seine Auszeichnung, der steifen Gewöhnlichkeit misfällt. Es ist wahr, daß er bey seinem krankhaft blonden Ansehen etwas verstörtes und überspanntes hat, was die geistreichen Ausdrücke hervorzutreiben scheint. Wie dem auch sey, er hat auf eine solche Art gesprochen, daß es mir Lust gemacht, die Bekanntschaft zu benutzen und ihm den 2. B.[and] Spanisches Theater zu schicken. – Den zweyten Tag reisten wir nur bis Schmalkalden, es ist großentheils schlechter Weg, und die Berge des Thüringer Waldes hinüber. Den 3ten Tag bis Meinungen, ebenfalls kaum eine halbe Tagereise, durch den Mangel an Pferden in Schmalkalden wurde ein Aufenthalt verursacht, indem wir ohne die Bedienten abgereist waren und sie bis Abends in Meinungen erwarten mußten. Wenn die Unruhe des Wartens nicht den Tag verleidet hätte, so wäre es dort besser als anderswo gewesen. Der Ort mit seinen Anlagen und die Gegend umher ist klein aber lachend. Der Engländer Mellish, den ich ehedem in Weimar und Dornburg gekannt, war dort und besuchte uns. Hardenberg hält sich jetzt nicht dort, sondern in Weißenfels auf, wie ich in Meinungen für gewiß erfuhr. Schreiben Sie ihm doch, und auch viel Freundschaftliches von mir. Ich hätte ihn sehen können, wenn ich es nicht Frau von St.[aël] mit Fleiß verschwiegen hätte, bis wir bey Naumburg waren, weil ich sie nicht verhindern wollte diesen Ort noch am Abend zu erreichen.
Von Meinungen bis Würzburg anderthalb Tage; wir kamen gegen Mittag an, ich schickte ein Billet an Schelling, es fand sich aber, daß er auf einer Landparthie aus war sowie auch Hufeland. Ich brachte daher den Nachmittag zum Theil damit zu, das Schloß und sonst allerley zu besehen. Würzburg wiewohl prächtiger, hat mir lange keinen so freundlichen Eindruck gemacht als Bamberg, die sehr angebauten fruchtbaren Hügel umher, bieten wenig Schatten und Gelegenheit zu Spaziergängen dar. Gegen Abend besuchte ich Paulus, und fand zuerst nur die Frau zu Hause, die mich freundschaftlich aufnahm, und gleich vieles von und gegen Carolinen sagte. Sie haben sich noch seit der Ankunft gesehen, sind aber jetzt so gespannt, daß die Männer sich nur in Geschäften und die Frauen gar nicht sehen. An wem die Schuld liegt, will ich nicht entscheiden. Paulus ist auf eine kleinliche Weise schlau, und seine Plane mögen nicht immer die besten seyn. So soll er sich viel Mühe gegeben haben, Schütz aus Jena mit der Allg.[emeinen] Lit.[eratur] Zeitung hinzubringen, ehe er nach Halle kam. Er ist übrigens mit seiner Lage zufrieden, und die auswärtigen Gerüchte darüber sind falsch. – Schelling kam, da er mein Billet gefunden hatte, noch Abends spät in den Gasthof, so wie auch Hufeland, ich machte sie mit Constant bekannt, da Frau von St.[aël] niemand sehen wollte. Sie war bereit, noch einen Theil des andern Vormittags in Würzburg zu bleiben, weil ich Schelling so wenig gesehen hatte. Er mußte aber selbst gleich am nächsten Morgen früh wieder verreisen, um Marcus, der am Tag nach unsrer Durchreise, zu einem gefährlichen Kranken nach Meinungen gerufen war, in Schweinfurt zu treffen und über Geschäfte zu sprechen. Schelling war äußerst verbindlich und freundschaftlich, bedauerte unendlich unser Verfehlen, und nöthigte mich noch um 11 Uhr Nachts mit ihm in seine Wohnung zu gehen, wo wir Caroline noch wach antrafen und ich bis nach ein Uhr blieb. Meine Reise hatten sie schon zuvor aus den Zeitungen erfahren. Schelling überlegte noch seinen Brief von Marcus, fand aber, daß sich die Reise nicht aufschieben ließ, und so reisten wir am nächsten Morgen um 8 Uhr ab, nachdem ich zuvor noch einen kurzen Besuch bey Carolinen gemacht hatte. Sie schien geneigt, alle Bitterkeit der Erinnerung auslöschen zu wollen, und war bey meinem Abschiede gerührt. Ihr Aussehen schien mir besser und gesunder als in Berlin, und dann weiß sie sich immer noch vortheilhaft zu kleiden und ihre Umgebungen zierlich einzurichten. In einem großen Gesellschaftszimmer hatte sie die Büsten von Goethe und Augusten aufgestellt, und innen an den Fenstern zwey große Orangenbäume. In dem Wohnzimmer sah ich das geliebte Bild Augustens wieder. Über das Monument habe ich mit ihr verabredeter Maßen gesprochen, sie hat ihre Gedanken darüber verändert, und wird wohl selbst schon an Tieck geschrieben haben. Sie wünscht jetzt es lieber auf den Kirchhof selbst zu setzen, wo also eine christliche Idee besser passen würde. Ich sollte denken daß dieß unsern künstlerischen Freund Tieck selbst durch die Neuheit reizen könnte. Übrigens wollte sie ihn bitten die Skizzen zu den Basreliefs noch einmal zu senden, ob sie vielleicht ihre Einwendung gegen das dritte jetzt zurücknehmen möchte. – Schelling und sie vertrauten mir manches an über seine Lage und Plane, und die Cabalen gegen ihn. Caroline sprach natürlich eben so schlimm von der Paulus als diese von ihr. Auch über die Huber und deren scheinbare aber nicht haltbare Versöhnung mit ihr. Noch habe ich vergessen daß ich auf dem Wege nach Würzburg durch Münnerstadt kam, welches nur ein paar Stunden von Boklet und Augustens Grabe liegt.
Nach ein paar ziemlich schlechten Nachtlagern aber hübschen Gegenden beym Eintritt in Schwaben, besonders bey Ellwangen langten wir am 3ten Tage Nachmittags in Ulm an, wo wir bis zum nächsten Nachmittag blieben. Das Wetter, das bis dahin außerordentlich schön und selbst heiß gewesen war, wurde regnicht, ich begnügte mich daher die Donau unter unsern Fenstern rauschen zu hören, und ging nicht aus, da Constant den größten Theil des Tages bey seinen alten Bekannten, Hubers zubrachte. Am andern Morgen besah ich den Dom und bestieg den Thurm desselben recht ordentlich, der freylich ein ganz andrer Mann ist, als Huber, den ich bey der Zurückkunft bey Frau von St.[aël] antraf. Er ist jetzt bayrischer Landesdirections-Rath für den neuerworbnen Theil in Schwaben geworden, und die Uniform giebt ihm nebst seinem runden Gesichte und kleiner dicker Statur ein völlig altfränkisches und pfahlbürgerisches Ansehen. Gegen Fr.[au] von St.[aël] hatte er mich sehr gelobt, ich sprach natürlich eben nichts mit ihm von Literarischen Dingen. Er brachte mich zu seiner Frau, die gar häuslich mit ihm lebt, vor 8 Tagen mit ihrem 10ten Kinde, wo ich nicht irre, niedergekommen war, und schon frisch wieder auf. Sie erinnerte sich der alten Zeiten, denn sie hat als Mädchen bey einem Besuche in Hanover in meiner Eltern Hause mich als Knaben gekannt, nachher in Göttingen, wie sie mit Forster aus Wilna wieder dort war, und seitdem nicht wieder, welches Andenken sie bey meinem Eintritte in eine augenblickliche Bewegung setzte. Freylich ist dieß schon lange, gewiß ein 16 Jahre her, ich hätte mich daher nicht wundern sollen sie gealtert zu finden, da ich sie zwar niemals hübsch, aber bey ihrer geistreichen Lebhaftigkeit durch frische Jugend blendend gekannt hatte. Aber ich fand sie zum Erschrecken ihrem häßlichen schielenden Vater ähnlich geworden. Die Zeit war zu kurz, um wahrzunehmen, wie schlecht diese Leute sich würden in mich und ich mich in sie haben finden können.
Von Ulm kamen wir durch ziemlich unbekannte Ortschaften, aber angenehme, bevölkerte und fruchtbare Gegenden, die man gern gesehen hätte, wenn es nur helleres Wetter gewesen wäre, nach Schaffhausen, noch in vollem Regen. Am andern Morgen fuhren wir früher als Frau von Staël aus, um den Rheinfall mit Muße und von allen Punkten aus zu betrachten. Wir fuhren über den Rhein zum Schloß Laufen, unter welchem eine hölzerne Gallerie dicht unter dem Wasserfall angelegt ist. Fr.[au] von St.[aël] blieb am jenseitigen Ufer, da sie dieß Schauspiel schon andremale gesehen und wir trafen sie auf einer Anhöhe am Rheine, da wir zurückkamen. Unvorsichtiger Weise schickten wir unsern Führer zu früh weg und verirrten uns noch auf ziemlich steilen Anhöhen, ehe wir unsre Wagen wiederfanden. Gegen Abend kamen wir in Zürich an. Mad. Necker geb. Saussure, war ihrer Cousine entgegengereist, und schon dort, aber in einem andern Gasthofe. Dieses Wiedersehen erschütterte Frau von St.[aël] sehr und machte einen traurigen Abend. Sie bestand indessen auf der beschlossenen Nebenreise für mich und die beyden Söhne. Der jüngste war ihr nämlich mit ihrer Cousine entgegen gekommen. Es ist ein hübscher blonder wilder Junge von 12 Jahren der an äußerlicher Beweglichkeit das zu viel hat was der älteste zu wenig. – Wir haben also Zürich am nächsten Morgen nur äußerlich ein wenig in Augenschein genommen, und sind darauf vorgestern nach Lucern gereist, in Constants leichtem Wagen. Wir haben den Kammerdiener und noch einen Bedienten mit. Das Wetter begünstigte uns einigermaßen, schon auf dem Albis, einem sehr hohen Berg, der die Aussicht auf den ganzen Züricher See öffnet, hatten wir einige Sonnenblicke wie am Tag zuvor beym Rheinfall. Gestern machten wir eine Fahrt auf dem Lucerner See, landeten bey Küßnacht (sehen Sie die Karte an) und gingen zur Kapelle Tells, das heißt zu der, welche dem Andenken der Ermordung Geßlers gewidmet ist, von da auf eine Höhe wo man den Zuger See überschauen kann. Hier pflückte ich die Vergißmeinnicht, und schicke sie Ihnen als ein Zeichen, daß diese Blume der Erinnerung auch im Schoße entfernter Einsamkeit blüht. Am Abend machten wir noch einen Spaziergang auf einen Berg bey Lucern, von wo aus wir den See herrlich übersahen. Diese Stadt hat mir sehr gefallen, sie ist so still und katholisch. Jetzt reisen wir dem Waadtland entgegen. – Ich muß schließen, meine Augen fallen mir vor Müdigkeit zu. Alles übrige von Angelegenheiten von Coppet aus.
Ich kann Ihnen nicht sagen mit welcher Zärtlichkeit ich an Sie und Ihre kleinen Engel denke. Mit dem äußersten Verlangen sehe ich Nachrichten von Ihrer Gesundheit entgegen. Doch über meine Plane für Sie im nächsten Briefe ausführlich. Ich herze Wilhelm und Felix tausendmal in Gedanken. Ihr Andenken ist mir überall hin gefolgt. Leben Sie recht wohl, die brüderlichsten Grüße an Tieck. Von Coppet aus versäume ich keinen Posttag. Nochmals Adieu.
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Morgenthal d. 15 Mai 1804
Verzeihen Sie, meine theuerste Freundin, daß ich Ihnen auf der ganzen Reise heute zum erstenmal schreibe. An gutem Willen hat es nicht gefehlt, auch sind wir nicht eben schnell gereist, aber die halben Tage, die wir in einigen Städten zugebracht, sind theils mit Besuchen, theils mit Besehen der Merkwürdigkeiten und Spaziergängen hingegangen, manchmal leistete ich auch Gesellschaft, wenn wir uns ausruhten, zuweilen war ich Abends ermüdet, oder wenn ich es auch nicht war, nahm mir die Umgebung in schlechten Wirthshäusern die Lust zum Schreiben. Heute finde ich mich zum erstenmal in völliger Ruhe, und benutze die günstige Stunde. Wir sind zeitig hier angekommen, meine jungen Herren (denn es sind jetzt ihrer zwey) habe ich mit dem Kammerdiener spazieren geschickt, ich bin allein in einem niedlichen Zimmer, vor mir eine kleine Ebene mit Hügeln und blauen Bergen, die Abendsonne scheint noch freundlich unter dem Vordach herein. Das Dörfchen, wo wir so schöne Bewirthung finden, liegt nur eine kleine Tagreise von Bern, wo wir morgen Fr.[au] von Staël wieder einhohlen, die von Zürich gerade dahin gereist ist. Dann sind es noch drey oder viertehalb Tage bis Coppet, so daß mein Brief, wenn ich ihn morgen in Bern auf die Post gebe, eine Woche früher zu Ihnen gelangen muß, als wenn ich ihn bis zum Ziel der Reise verschöbe.
Sie werden keine förmliche Reisebeschreibung von mir erwarten, sondern nur das wissen wollen, was mich persönlich betrifft. Im Ganzen genommen war die Reise sehr bequem und angenehm. Constant hat in der That einen sehr geistreichen und eigenthümlichen Witz, so daß es oft, besonders bey der großen Verschiedenheit in den Meynungen, einen Wettstreit zwischen uns gegeben hat. Wir konnten uns oft gegenseitig unterstützen, um Frau von Staël aufzuheitern und zu unterhalten, meistens ist sie zwar sehr still gewesen, doch kehrte zuweilen die vorige Lebhaftigkeit der Theilnahme wieder. Wir hatten einen Goethe und andre Bücher im Wagen, es wurde viel vorgelesen, zuweilen auch gleich ins Französische übersetzt. Die Tochter habe ich jetzt erst recht kennen gelernt, Constant hat eine große Zärtlichkeit für sie, so daß er den halben Tag mit ihr spielt, und sie erwiedert es ihm mit Leidenschaft. Ich habe nicht leicht ein empfänglicheres Kind gesehen, sie hört Geschichten und Mährchen auf eine Weise an, daß man sich todt erzählen möchte. Dabey hat sie wunderbar viel Ausdruck in ihrer kleinen Physiognomie, rechte Magdalenen-Augen, braun und mit langen dunkeln Wimpern neben ihrem goldnen Haar.
Wir reisten erst gegen Mittag von Weimar ab, kamen Nachmittags in Gotha an, und gleich nach Tisch ließ sich der junge Herzog bey Frau von St.[aël] melden, und brachte den Abend bis gegen zehn Uhr meistens allein, am andern Vormittage noch eine Stunde bey ihr zu. Ich bin ihm auf die vortheilhafteste Weise bekannt gemacht worden, er hat mit mir viel deutsch über Poesie gesprochen, und mich durch seine seltsame Fantasie und Reizbarkeit in Verwunderung gesetzt. Sie wissen vermuthlich, daß man ihn meistens sehr ungünstig beurtheilt, ich muß aber glauben, daß er, eben durch seine Auszeichnung, der steifen Gewöhnlichkeit misfällt. Es ist wahr, daß er bey seinem krankhaft blonden Ansehen etwas verstörtes und überspanntes hat, was die geistreichen Ausdrücke hervorzutreiben scheint. Wie dem auch sey, er hat auf eine solche Art gesprochen, daß es mir Lust gemacht, die Bekanntschaft zu benutzen und ihm den 2. B.[and] Spanisches Theater zu schicken. – Den zweyten Tag reisten wir nur bis Schmalkalden, es ist großentheils schlechter Weg, und die Berge des Thüringer Waldes hinüber. Den 3ten Tag bis Meinungen, ebenfalls kaum eine halbe Tagereise, durch den Mangel an Pferden in Schmalkalden wurde ein Aufenthalt verursacht, indem wir ohne die Bedienten abgereist waren und sie bis Abends in Meinungen erwarten mußten. Wenn die Unruhe des Wartens nicht den Tag verleidet hätte, so wäre es dort besser als anderswo gewesen. Der Ort mit seinen Anlagen und die Gegend umher ist klein aber lachend. Der Engländer Mellish, den ich ehedem in Weimar und Dornburg gekannt, war dort und besuchte uns. Hardenberg hält sich jetzt nicht dort, sondern in Weißenfels auf, wie ich in Meinungen für gewiß erfuhr. Schreiben Sie ihm doch, und auch viel Freundschaftliches von mir. Ich hätte ihn sehen können, wenn ich es nicht Frau von St.[aël] mit Fleiß verschwiegen hätte, bis wir bey Naumburg waren, weil ich sie nicht verhindern wollte diesen Ort noch am Abend zu erreichen.
Von Meinungen bis Würzburg anderthalb Tage; wir kamen gegen Mittag an, ich schickte ein Billet an Schelling, es fand sich aber, daß er auf einer Landparthie aus war sowie auch Hufeland. Ich brachte daher den Nachmittag zum Theil damit zu, das Schloß und sonst allerley zu besehen. Würzburg wiewohl prächtiger, hat mir lange keinen so freundlichen Eindruck gemacht als Bamberg, die sehr angebauten fruchtbaren Hügel umher, bieten wenig Schatten und Gelegenheit zu Spaziergängen dar. Gegen Abend besuchte ich Paulus, und fand zuerst nur die Frau zu Hause, die mich freundschaftlich aufnahm, und gleich vieles von und gegen Carolinen sagte. Sie haben sich noch seit der Ankunft gesehen, sind aber jetzt so gespannt, daß die Männer sich nur in Geschäften und die Frauen gar nicht sehen. An wem die Schuld liegt, will ich nicht entscheiden. Paulus ist auf eine kleinliche Weise schlau, und seine Plane mögen nicht immer die besten seyn. So soll er sich viel Mühe gegeben haben, Schütz aus Jena mit der Allg.[emeinen] Lit.[eratur] Zeitung hinzubringen, ehe er nach Halle kam. Er ist übrigens mit seiner Lage zufrieden, und die auswärtigen Gerüchte darüber sind falsch. – Schelling kam, da er mein Billet gefunden hatte, noch Abends spät in den Gasthof, so wie auch Hufeland, ich machte sie mit Constant bekannt, da Frau von St.[aël] niemand sehen wollte. Sie war bereit, noch einen Theil des andern Vormittags in Würzburg zu bleiben, weil ich Schelling so wenig gesehen hatte. Er mußte aber selbst gleich am nächsten Morgen früh wieder verreisen, um Marcus, der am Tag nach unsrer Durchreise, zu einem gefährlichen Kranken nach Meinungen gerufen war, in Schweinfurt zu treffen und über Geschäfte zu sprechen. Schelling war äußerst verbindlich und freundschaftlich, bedauerte unendlich unser Verfehlen, und nöthigte mich noch um 11 Uhr Nachts mit ihm in seine Wohnung zu gehen, wo wir Caroline noch wach antrafen und ich bis nach ein Uhr blieb. Meine Reise hatten sie schon zuvor aus den Zeitungen erfahren. Schelling überlegte noch seinen Brief von Marcus, fand aber, daß sich die Reise nicht aufschieben ließ, und so reisten wir am nächsten Morgen um 8 Uhr ab, nachdem ich zuvor noch einen kurzen Besuch bey Carolinen gemacht hatte. Sie schien geneigt, alle Bitterkeit der Erinnerung auslöschen zu wollen, und war bey meinem Abschiede gerührt. Ihr Aussehen schien mir besser und gesunder als in Berlin, und dann weiß sie sich immer noch vortheilhaft zu kleiden und ihre Umgebungen zierlich einzurichten. In einem großen Gesellschaftszimmer hatte sie die Büsten von Goethe und Augusten aufgestellt, und innen an den Fenstern zwey große Orangenbäume. In dem Wohnzimmer sah ich das geliebte Bild Augustens wieder. Über das Monument habe ich mit ihr verabredeter Maßen gesprochen, sie hat ihre Gedanken darüber verändert, und wird wohl selbst schon an Tieck geschrieben haben. Sie wünscht jetzt es lieber auf den Kirchhof selbst zu setzen, wo also eine christliche Idee besser passen würde. Ich sollte denken daß dieß unsern künstlerischen Freund Tieck selbst durch die Neuheit reizen könnte. Übrigens wollte sie ihn bitten die Skizzen zu den Basreliefs noch einmal zu senden, ob sie vielleicht ihre Einwendung gegen das dritte jetzt zurücknehmen möchte. – Schelling und sie vertrauten mir manches an über seine Lage und Plane, und die Cabalen gegen ihn. Caroline sprach natürlich eben so schlimm von der Paulus als diese von ihr. Auch über die Huber und deren scheinbare aber nicht haltbare Versöhnung mit ihr. Noch habe ich vergessen daß ich auf dem Wege nach Würzburg durch Münnerstadt kam, welches nur ein paar Stunden von Boklet und Augustens Grabe liegt.
Nach ein paar ziemlich schlechten Nachtlagern aber hübschen Gegenden beym Eintritt in Schwaben, besonders bey Ellwangen langten wir am 3ten Tage Nachmittags in Ulm an, wo wir bis zum nächsten Nachmittag blieben. Das Wetter, das bis dahin außerordentlich schön und selbst heiß gewesen war, wurde regnicht, ich begnügte mich daher die Donau unter unsern Fenstern rauschen zu hören, und ging nicht aus, da Constant den größten Theil des Tages bey seinen alten Bekannten, Hubers zubrachte. Am andern Morgen besah ich den Dom und bestieg den Thurm desselben recht ordentlich, der freylich ein ganz andrer Mann ist, als Huber, den ich bey der Zurückkunft bey Frau von St.[aël] antraf. Er ist jetzt bayrischer Landesdirections-Rath für den neuerworbnen Theil in Schwaben geworden, und die Uniform giebt ihm nebst seinem runden Gesichte und kleiner dicker Statur ein völlig altfränkisches und pfahlbürgerisches Ansehen. Gegen Fr.[au] von St.[aël] hatte er mich sehr gelobt, ich sprach natürlich eben nichts mit ihm von Literarischen Dingen. Er brachte mich zu seiner Frau, die gar häuslich mit ihm lebt, vor 8 Tagen mit ihrem 10ten Kinde, wo ich nicht irre, niedergekommen war, und schon frisch wieder auf. Sie erinnerte sich der alten Zeiten, denn sie hat als Mädchen bey einem Besuche in Hanover in meiner Eltern Hause mich als Knaben gekannt, nachher in Göttingen, wie sie mit Forster aus Wilna wieder dort war, und seitdem nicht wieder, welches Andenken sie bey meinem Eintritte in eine augenblickliche Bewegung setzte. Freylich ist dieß schon lange, gewiß ein 16 Jahre her, ich hätte mich daher nicht wundern sollen sie gealtert zu finden, da ich sie zwar niemals hübsch, aber bey ihrer geistreichen Lebhaftigkeit durch frische Jugend blendend gekannt hatte. Aber ich fand sie zum Erschrecken ihrem häßlichen schielenden Vater ähnlich geworden. Die Zeit war zu kurz, um wahrzunehmen, wie schlecht diese Leute sich würden in mich und ich mich in sie haben finden können.
Von Ulm kamen wir durch ziemlich unbekannte Ortschaften, aber angenehme, bevölkerte und fruchtbare Gegenden, die man gern gesehen hätte, wenn es nur helleres Wetter gewesen wäre, nach Schaffhausen, noch in vollem Regen. Am andern Morgen fuhren wir früher als Frau von Staël aus, um den Rheinfall mit Muße und von allen Punkten aus zu betrachten. Wir fuhren über den Rhein zum Schloß Laufen, unter welchem eine hölzerne Gallerie dicht unter dem Wasserfall angelegt ist. Fr.[au] von St.[aël] blieb am jenseitigen Ufer, da sie dieß Schauspiel schon andremale gesehen und wir trafen sie auf einer Anhöhe am Rheine, da wir zurückkamen. Unvorsichtiger Weise schickten wir unsern Führer zu früh weg und verirrten uns noch auf ziemlich steilen Anhöhen, ehe wir unsre Wagen wiederfanden. Gegen Abend kamen wir in Zürich an. Mad. Necker geb. Saussure, war ihrer Cousine entgegengereist, und schon dort, aber in einem andern Gasthofe. Dieses Wiedersehen erschütterte Frau von St.[aël] sehr und machte einen traurigen Abend. Sie bestand indessen auf der beschlossenen Nebenreise für mich und die beyden Söhne. Der jüngste war ihr nämlich mit ihrer Cousine entgegen gekommen. Es ist ein hübscher blonder wilder Junge von 12 Jahren der an äußerlicher Beweglichkeit das zu viel hat was der älteste zu wenig. – Wir haben also Zürich am nächsten Morgen nur äußerlich ein wenig in Augenschein genommen, und sind darauf vorgestern nach Lucern gereist, in Constants leichtem Wagen. Wir haben den Kammerdiener und noch einen Bedienten mit. Das Wetter begünstigte uns einigermaßen, schon auf dem Albis, einem sehr hohen Berg, der die Aussicht auf den ganzen Züricher See öffnet, hatten wir einige Sonnenblicke wie am Tag zuvor beym Rheinfall. Gestern machten wir eine Fahrt auf dem Lucerner See, landeten bey Küßnacht (sehen Sie die Karte an) und gingen zur Kapelle Tells, das heißt zu der, welche dem Andenken der Ermordung Geßlers gewidmet ist, von da auf eine Höhe wo man den Zuger See überschauen kann. Hier pflückte ich die Vergißmeinnicht, und schicke sie Ihnen als ein Zeichen, daß diese Blume der Erinnerung auch im Schoße entfernter Einsamkeit blüht. Am Abend machten wir noch einen Spaziergang auf einen Berg bey Lucern, von wo aus wir den See herrlich übersahen. Diese Stadt hat mir sehr gefallen, sie ist so still und katholisch. Jetzt reisen wir dem Waadtland entgegen. – Ich muß schließen, meine Augen fallen mir vor Müdigkeit zu. Alles übrige von Angelegenheiten von Coppet aus.
Ich kann Ihnen nicht sagen mit welcher Zärtlichkeit ich an Sie und Ihre kleinen Engel denke. Mit dem äußersten Verlangen sehe ich Nachrichten von Ihrer Gesundheit entgegen. Doch über meine Plane für Sie im nächsten Briefe ausführlich. Ich herze Wilhelm und Felix tausendmal in Gedanken. Ihr Andenken ist mir überall hin gefolgt. Leben Sie recht wohl, die brüderlichsten Grüße an Tieck. Von Coppet aus versäume ich keinen Posttag. Nochmals Adieu.
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