• Heinrich W. von Kalkreuth to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Unknown · Place of Destination: Berlin · Date: [ca. 1803]
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Heinrich W. von Kalkreuth
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Unknown
  • Place of Destination: Berlin
  • Date: [ca. 1803]
  • Notations: Datum sowie Empfangsort erschlossen.
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-33958
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.13,Nr.1
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,6 x 11,5 cm
  • Incipit: „[1] Ich bin Ihnen für die gütige Mitteilung Ihrer Übersetzungen aus den alten Tragikern u. dem Lucrez vielen Dank schuldig. [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
  • Varwig, Olivia
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[1] Ich bin Ihnen für die gütige Mitteilung Ihrer Übersetzungen aus den alten Tragikern u. dem Lucrez vielen Dank schuldig. Sie erfolgen anbey zurük. Den Lucrez habe ich nicht zur Hand, u. wegen Unkunde der grieschischen Sprache kann ich mir kein Urteil über den eigentlichen Werth der Übersetzung herausnehmen. So viel ist indessen für mich gewiß, dß wenn irgend ein deutscher Schriftsteller berechtigt ist, die geistreichen Werke der Alten im Deutschen nachzubilden, so sind Sie es, denn in Ihren eigenen Werken, hescht durchgehends edle Sprache, u. reiner Geschmak. Stollbergs Aeschylus, den ich vor einigen Tagen gelesen habe, erlaubt sich öfters [2] sehr unedler Ausdrücke, ist unangenehm weitschweifig, u. scheint mir nur mit blinder Vorliebe für die Alten noch genießbar. Überhaupt frägt es sich erst, was heißt Übersetzen, und sind wahre Übersetzungen möglich? Wenn zwey Personen, beyde von gleich feinem u. richtigem Kunsturteil, beyde auf einer u. derselben Stufe der Bildung die eine das Original, die andere die Übersetzung, lesen, u. beyde einen u. denselben Eindruk wahrnehmen, sich von einem u demselb. Geist belebt fühlen, so sage ich das Werk ist übersetzt. Da ich mit dem Worte Geist ein von einem bestimte Punkte des Bewußtseyns uns zu erklärendes, u. nur dadurch zu erklärendes [3] Streben, sich (das Bewußtseyn) auszusprechen, bezeichnen will, so versteht es sich von selbst, dß in jedem wahren Produkte des Geistes Einheit, u völlige Übereinstimmung herscht. Ist nun Übersetzen möglich? Sprache ist pararell mit der Bildung einer Nation. Der Begriff wird bezeichnet, die Empfindung wird übertragen – Der Begriff durch angenommene Zeichen, ist mitzuteilen, aber die Empfindung spricht sich nur in den feinsten Wendungen, durch Farbe u Charakter der Rede aus. Der Künstler benutzt die ganze Geschichte der Bildung einer Nation als Mittel, um den Geist auszusprechen, der ihn beseelt, um Andern verständlich zu machen, was er fühlt. Daher übersetzt man nicht nur Worte, u Wortverbindungen, sondern den ganzen [4] Geist einer Nation, nicht allein das Produkt des Geistes, sondern den Geist selbst mittelst des Produkts. Nun ist der Geist selbst nur mitteilbar durch Beziehung auf einen höhern Geist, wenn ich so sagen darf, als deutend auf ihn, u. daher ist er nicht übersetzbar, sondern nur aufzuweisen. Werke ohne Geist, sind auch nicht übersetzbar, denn das Eine, was sich übertragen ließe, wäre der Geist. Es kann daher nur Nachbildungen geben, u. ich fürchte beinah, dß die besten Übersetzungen die schlechtesten Nachbildungen sind.
Verzeihen Sie meine flüchtig hingeworfenen Bemerkungen. Niemand schätzt Sie mehr als ich. Durch einige von Ihren Gedichten haben Sie mich entzükt, aber bey Ihren Übersetzungen bewundere ich nur Ihre Gewalt über die Sprache, ich bewundere Sie als gründlichen, gelehrten Phylologen.
Kalkreuth
Ich werde Ihre Vorlesungen besuchen.
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[1] Ich bin Ihnen für die gütige Mitteilung Ihrer Übersetzungen aus den alten Tragikern u. dem Lucrez vielen Dank schuldig. Sie erfolgen anbey zurük. Den Lucrez habe ich nicht zur Hand, u. wegen Unkunde der grieschischen Sprache kann ich mir kein Urteil über den eigentlichen Werth der Übersetzung herausnehmen. So viel ist indessen für mich gewiß, dß wenn irgend ein deutscher Schriftsteller berechtigt ist, die geistreichen Werke der Alten im Deutschen nachzubilden, so sind Sie es, denn in Ihren eigenen Werken, hescht durchgehends edle Sprache, u. reiner Geschmak. Stollbergs Aeschylus, den ich vor einigen Tagen gelesen habe, erlaubt sich öfters [2] sehr unedler Ausdrücke, ist unangenehm weitschweifig, u. scheint mir nur mit blinder Vorliebe für die Alten noch genießbar. Überhaupt frägt es sich erst, was heißt Übersetzen, und sind wahre Übersetzungen möglich? Wenn zwey Personen, beyde von gleich feinem u. richtigem Kunsturteil, beyde auf einer u. derselben Stufe der Bildung die eine das Original, die andere die Übersetzung, lesen, u. beyde einen u. denselben Eindruk wahrnehmen, sich von einem u demselb. Geist belebt fühlen, so sage ich das Werk ist übersetzt. Da ich mit dem Worte Geist ein von einem bestimte Punkte des Bewußtseyns uns zu erklärendes, u. nur dadurch zu erklärendes [3] Streben, sich (das Bewußtseyn) auszusprechen, bezeichnen will, so versteht es sich von selbst, dß in jedem wahren Produkte des Geistes Einheit, u völlige Übereinstimmung herscht. Ist nun Übersetzen möglich? Sprache ist pararell mit der Bildung einer Nation. Der Begriff wird bezeichnet, die Empfindung wird übertragen – Der Begriff durch angenommene Zeichen, ist mitzuteilen, aber die Empfindung spricht sich nur in den feinsten Wendungen, durch Farbe u Charakter der Rede aus. Der Künstler benutzt die ganze Geschichte der Bildung einer Nation als Mittel, um den Geist auszusprechen, der ihn beseelt, um Andern verständlich zu machen, was er fühlt. Daher übersetzt man nicht nur Worte, u Wortverbindungen, sondern den ganzen [4] Geist einer Nation, nicht allein das Produkt des Geistes, sondern den Geist selbst mittelst des Produkts. Nun ist der Geist selbst nur mitteilbar durch Beziehung auf einen höhern Geist, wenn ich so sagen darf, als deutend auf ihn, u. daher ist er nicht übersetzbar, sondern nur aufzuweisen. Werke ohne Geist, sind auch nicht übersetzbar, denn das Eine, was sich übertragen ließe, wäre der Geist. Es kann daher nur Nachbildungen geben, u. ich fürchte beinah, dß die besten Übersetzungen die schlechtesten Nachbildungen sind.
Verzeihen Sie meine flüchtig hingeworfenen Bemerkungen. Niemand schätzt Sie mehr als ich. Durch einige von Ihren Gedichten haben Sie mich entzükt, aber bey Ihren Übersetzungen bewundere ich nur Ihre Gewalt über die Sprache, ich bewundere Sie als gründlichen, gelehrten Phylologen.
Kalkreuth
Ich werde Ihre Vorlesungen besuchen.
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