• Karl August Moritz Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Harburg, Elbe · Place of Destination: Amsterdam · Date: 16.04.1795
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Karl August Moritz Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Harburg, Elbe
  • Place of Destination: Amsterdam
  • Date: 16.04.1795
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34097
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.23,Nr.91
  • Number of Pages: 3S. auf Doppelbl., hs. m. U. u. Adresse
  • Format: 22,7 x 19 cm
  • Incipit: „[1] Liebster Bruder,
    Daß mir Dein Brief sehr große Freude verursachte, nach so langem sehnlichen Warten auf Nachrichten von Dir, darf [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
  • Varwig, Olivia
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[1] Liebster Bruder,
Daß mir Dein Brief sehr große Freude verursachte, nach so langem sehnlichen Warten auf Nachrichten von Dir, darf ich Dir nicht erst versichern. Es gieng mir nahe, daß ich ihn erst so spät erhielt, und ihn also nicht gleich mit dem retournirenden Postschiffe beantworten konnte. Auch seitdem habe ich eine Gelegenheit ungenutzt vorüber gehen lassen müssen, welche erst so kurze Zeit vorher von dem Holländischen Postcomtoir in Hamburg bekannt gemacht wurde. Aber nun erhältst Du auch zugleich einen Brief von der Mutter, der ich Deinen Brief sogleich zugeschickt habe, da sie unstreitig das nächste Recht daran hatte. Ich hoffe, daß Du alles richtig erhalten wirst; aber es hat freylich lange gedauert, daß Du nach Nachrichten von uns hast aussehen müssen. Die Nachrichten, welche Dir die Mutter über Karls Verbindung mittheilt, werden Dich sehr interessiren. Ich muß gestehen, daß es mir sehr leid thut, daß ich nicht sogleich ein 50 r. anlegen kann, um mit den Meinigen im Sommer eine Reise nach Hannover zu machen, und ein Zeuge des Glücks meines Bruders zu seyn, das ich ihm so lange gegönnt habe, und daß ihm nun alle die Bitterkeiten versüßen wird, die er einen geraumen Zeitraum hindurch hat erfahren müssen. Was meine zu hoffende Superintendentur betrifft, so ist es damit noch nicht so weit. Es ist jetzt keine vacant als Stolzenau, und es ist mir gesteckt worden, daß ich darum anhalten möchte. Nach den genauen Erkundigungen aber, die ich darüber eingezogen habe, und denen zu folge es eine äußerst geringe Verbesserung für mich seyn würde, daß es nicht der Kosten des Umziehens verlohnte, werde ich gewiß nicht darum anhalten, und werde mich äußerst verlegen fühlen, wenn man die Stelle mir anbieten sollte. Die jetzigen traurigen Aussichten in meinem Stande, da ich nothwendig eine Verbesserung suchen muß, und doch schwer[2]lich mehr als eine kleine Verbesserung hoffen kann, bey der man eher weiter rückwärts als vorwärts kömmt, macht mich jetzt oft niedergeschlagen, und benimmt mir allen Muth zu aller nützlichen Anstrengung meiner Kräfte. Doch jeder hat ja seine Last zu tragen. Du willst nun auch bald Deine Carriere verändern. Ich urtheile nicht darüber, da ich Deine Gründe nicht kenne. Jedoch freue ich mich recht sehr der angenehmen Hoffnung, Dich vielleicht bald einmal zu sehen. Solltest Du Deine Reise über Hamburg machen und Dich einige Tage bey uns verweilen, so würde es mir eine außerordentliche Freude seyn; und meine Frau stimmt völlig in diese Versicherung mit ein. Ich glaube freylich, daß Du Dich über das Heranwachsen meiner Kinder sehr verwundern würdest. Es sind gute Kinder, welche mir viel Freude machen. Und Minchen wird gewiß kein uninteressantes Mädchen werden, wenn noch mehrere Jahre hin sind. Was die Verbindung betrifft, worüber meine Mutter einige Worte fallen läßt, so sage ich darüber nichts. Ich habe schon seit geraumer Zeit die bestimmtesten Nachrichten darüber aus Hamburg erhalten, die ich aber gänzlich dahin habe gestellt seyn lassen. Meine Mutter weiß es auch nicht von mir, sondern hat es in Hannover selbst erfahren. Die Zeit der politischen Zänkereyen ist hoffentlich bald vorüber; aber es wird ewig mein Grundsatz bleiben, was ein franz. General im Bentheimischen gesagt hat: Jʼestime les hommes, qui sont attaché a leur pays. Wir glauben hier nun einer guten ruhigen Zeit entgegensehen zu können; die hier verbreiteten Friedensgerüchte, die sich jetzt fast schon in zuverlässige Nachrichten verwandeln, werden Dir nicht weniger als mir bekannt seyn. Ein kleines Ungemach vom Kriege fiel vor Kurzem auch uns zu, der Durchmarsch des englischen Emigrantencorps, welches hier aber im Ganzen das beste Lob wegen seines guten Betragens zurückgelassen hat. Die Einquartirung war so stark, daß alle Freyhäuser, und auch wir Geistliche uns dazu verstehen mußten. Wir bekamen zwey Officiere, unter denen der jüngere sich sehr zu uns hielt, ein liebenswürdiger Mann von einer der ersten Familien, [3] und naher Verwandter von einem Mann, der mir im höchsten Grade interessant gewesen ist. Es war wirklich sehr angenehm, daß lebhafte und bunte Gewimmel von größtentheils sehr gebildeten Leuten in dem sonst so stillen Harburg anzusehen.
Deine litterarischen Commissionen an Fritz glaubte ich nicht besser bestellen zu können, als wenn ich in Hannover bat, ihm Deinen Brief sogleich zukommen zu lassen, welches auch geschehen ist. Ich bin sehr begierig auf Schillers Thalia, und habe mich sehr gefreut, Deinen Namen unter den Mitarbeitern angeführt zu finden. Wir haben sie schon längst auf hiesigem Postcomtoire bestellt, haben sie aber noch nicht erhalten können. Der Plan ist vortrefflich, und bezieht sich auf ein wichtiges Bedürfniß unsrer Zeit; und wenn sich nicht solche Männer vor den Rieß stellen, so ist der einreißenden Barbarey nicht mehr zu steuern. A propos, hast Du Jacobis Woldemar noch nicht gelesen? Es ist eins der ersten Meisterstücke unsrer Litteratur. Und dieses Meisterstück scheint äußerst geringe Sensation zu machen und wenige Leser zu finden. Des Vaters Lebensbeschreibung ist nun in Schlichtegrolls Nekrolog abgedruckt, fast ganz nach meinem eingeschickten Aufsatz, aber leider mit Einschiebseln, die mir im höchsten Grade ärgerlich sind. Sein poetisches Verdienst wird sehr unbillig behandelt, und ihm kaum etwas dichterisches Talent eingeräumt. Auch in Absicht seines moralischen Charakters kömmt eine mir sehr verdrießliche und gewiß sehr unbillige Stelle vor. Ich war Willens, eine Erklärung darüber in die Litterat. Zeitung einrücken zu lassen, weil es vielen bekannt ist, daß diese Lebensbeschreibung im Ganzen von mir herrührt; aber unsre Familie in Hannover widerräth es mir. Und freylich kömmt nicht leicht etwas mehr als unangenehme und unnütze Zänkerey dabey heraus. Der erste Band meiner populären Betrachtungen ist auch sehr ungünstig vom jenem dictatorischen Tribunal beurtheilt worden, welches mich freylich sehr gekränkt hat. Ich habe jedoch die Satisfaction gehabt, daß diese Recension allgemein, und insbesondre von mehreren von mir verehrten Gelehrten sehr gemisbilligt worden ist. Lebe tausendmal wohl, lieber Bruder, und gieb uns recht oft gute Nachrichten von Dir, bis wir die Freude haben, Dich wiederzusehen. Harburg d. 16. Apr. 95. Der Deinige, Moriz Schlegel.
[4] A Monsieur
Guillaume Schlegel,
chez Mr de Muilmann
à
Amsterdam.
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[1] Liebster Bruder,
Daß mir Dein Brief sehr große Freude verursachte, nach so langem sehnlichen Warten auf Nachrichten von Dir, darf ich Dir nicht erst versichern. Es gieng mir nahe, daß ich ihn erst so spät erhielt, und ihn also nicht gleich mit dem retournirenden Postschiffe beantworten konnte. Auch seitdem habe ich eine Gelegenheit ungenutzt vorüber gehen lassen müssen, welche erst so kurze Zeit vorher von dem Holländischen Postcomtoir in Hamburg bekannt gemacht wurde. Aber nun erhältst Du auch zugleich einen Brief von der Mutter, der ich Deinen Brief sogleich zugeschickt habe, da sie unstreitig das nächste Recht daran hatte. Ich hoffe, daß Du alles richtig erhalten wirst; aber es hat freylich lange gedauert, daß Du nach Nachrichten von uns hast aussehen müssen. Die Nachrichten, welche Dir die Mutter über Karls Verbindung mittheilt, werden Dich sehr interessiren. Ich muß gestehen, daß es mir sehr leid thut, daß ich nicht sogleich ein 50 r. anlegen kann, um mit den Meinigen im Sommer eine Reise nach Hannover zu machen, und ein Zeuge des Glücks meines Bruders zu seyn, das ich ihm so lange gegönnt habe, und daß ihm nun alle die Bitterkeiten versüßen wird, die er einen geraumen Zeitraum hindurch hat erfahren müssen. Was meine zu hoffende Superintendentur betrifft, so ist es damit noch nicht so weit. Es ist jetzt keine vacant als Stolzenau, und es ist mir gesteckt worden, daß ich darum anhalten möchte. Nach den genauen Erkundigungen aber, die ich darüber eingezogen habe, und denen zu folge es eine äußerst geringe Verbesserung für mich seyn würde, daß es nicht der Kosten des Umziehens verlohnte, werde ich gewiß nicht darum anhalten, und werde mich äußerst verlegen fühlen, wenn man die Stelle mir anbieten sollte. Die jetzigen traurigen Aussichten in meinem Stande, da ich nothwendig eine Verbesserung suchen muß, und doch schwer[2]lich mehr als eine kleine Verbesserung hoffen kann, bey der man eher weiter rückwärts als vorwärts kömmt, macht mich jetzt oft niedergeschlagen, und benimmt mir allen Muth zu aller nützlichen Anstrengung meiner Kräfte. Doch jeder hat ja seine Last zu tragen. Du willst nun auch bald Deine Carriere verändern. Ich urtheile nicht darüber, da ich Deine Gründe nicht kenne. Jedoch freue ich mich recht sehr der angenehmen Hoffnung, Dich vielleicht bald einmal zu sehen. Solltest Du Deine Reise über Hamburg machen und Dich einige Tage bey uns verweilen, so würde es mir eine außerordentliche Freude seyn; und meine Frau stimmt völlig in diese Versicherung mit ein. Ich glaube freylich, daß Du Dich über das Heranwachsen meiner Kinder sehr verwundern würdest. Es sind gute Kinder, welche mir viel Freude machen. Und Minchen wird gewiß kein uninteressantes Mädchen werden, wenn noch mehrere Jahre hin sind. Was die Verbindung betrifft, worüber meine Mutter einige Worte fallen läßt, so sage ich darüber nichts. Ich habe schon seit geraumer Zeit die bestimmtesten Nachrichten darüber aus Hamburg erhalten, die ich aber gänzlich dahin habe gestellt seyn lassen. Meine Mutter weiß es auch nicht von mir, sondern hat es in Hannover selbst erfahren. Die Zeit der politischen Zänkereyen ist hoffentlich bald vorüber; aber es wird ewig mein Grundsatz bleiben, was ein franz. General im Bentheimischen gesagt hat: Jʼestime les hommes, qui sont attaché a leur pays. Wir glauben hier nun einer guten ruhigen Zeit entgegensehen zu können; die hier verbreiteten Friedensgerüchte, die sich jetzt fast schon in zuverlässige Nachrichten verwandeln, werden Dir nicht weniger als mir bekannt seyn. Ein kleines Ungemach vom Kriege fiel vor Kurzem auch uns zu, der Durchmarsch des englischen Emigrantencorps, welches hier aber im Ganzen das beste Lob wegen seines guten Betragens zurückgelassen hat. Die Einquartirung war so stark, daß alle Freyhäuser, und auch wir Geistliche uns dazu verstehen mußten. Wir bekamen zwey Officiere, unter denen der jüngere sich sehr zu uns hielt, ein liebenswürdiger Mann von einer der ersten Familien, [3] und naher Verwandter von einem Mann, der mir im höchsten Grade interessant gewesen ist. Es war wirklich sehr angenehm, daß lebhafte und bunte Gewimmel von größtentheils sehr gebildeten Leuten in dem sonst so stillen Harburg anzusehen.
Deine litterarischen Commissionen an Fritz glaubte ich nicht besser bestellen zu können, als wenn ich in Hannover bat, ihm Deinen Brief sogleich zukommen zu lassen, welches auch geschehen ist. Ich bin sehr begierig auf Schillers Thalia, und habe mich sehr gefreut, Deinen Namen unter den Mitarbeitern angeführt zu finden. Wir haben sie schon längst auf hiesigem Postcomtoire bestellt, haben sie aber noch nicht erhalten können. Der Plan ist vortrefflich, und bezieht sich auf ein wichtiges Bedürfniß unsrer Zeit; und wenn sich nicht solche Männer vor den Rieß stellen, so ist der einreißenden Barbarey nicht mehr zu steuern. A propos, hast Du Jacobis Woldemar noch nicht gelesen? Es ist eins der ersten Meisterstücke unsrer Litteratur. Und dieses Meisterstück scheint äußerst geringe Sensation zu machen und wenige Leser zu finden. Des Vaters Lebensbeschreibung ist nun in Schlichtegrolls Nekrolog abgedruckt, fast ganz nach meinem eingeschickten Aufsatz, aber leider mit Einschiebseln, die mir im höchsten Grade ärgerlich sind. Sein poetisches Verdienst wird sehr unbillig behandelt, und ihm kaum etwas dichterisches Talent eingeräumt. Auch in Absicht seines moralischen Charakters kömmt eine mir sehr verdrießliche und gewiß sehr unbillige Stelle vor. Ich war Willens, eine Erklärung darüber in die Litterat. Zeitung einrücken zu lassen, weil es vielen bekannt ist, daß diese Lebensbeschreibung im Ganzen von mir herrührt; aber unsre Familie in Hannover widerräth es mir. Und freylich kömmt nicht leicht etwas mehr als unangenehme und unnütze Zänkerey dabey heraus. Der erste Band meiner populären Betrachtungen ist auch sehr ungünstig vom jenem dictatorischen Tribunal beurtheilt worden, welches mich freylich sehr gekränkt hat. Ich habe jedoch die Satisfaction gehabt, daß diese Recension allgemein, und insbesondre von mehreren von mir verehrten Gelehrten sehr gemisbilligt worden ist. Lebe tausendmal wohl, lieber Bruder, und gieb uns recht oft gute Nachrichten von Dir, bis wir die Freude haben, Dich wiederzusehen. Harburg d. 16. Apr. 95. Der Deinige, Moriz Schlegel.
[4] A Monsieur
Guillaume Schlegel,
chez Mr de Muilmann
à
Amsterdam.
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