• Dorothea von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Wien · Place of Destination: Unknown · Date: 18.03.1829 bis 21.03.1829
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Dorothea von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Wien
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 18.03.1829 bis 21.03.1829
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 362647739
  • Bibliography: Geiger, Ludwig: Dichter und Frauen. Neue Sammlung. Berlin 1899, S. 144‒149.
  • Incipit: „[1] Wien 18. März 29.
    Theurer Schwager Wilhelm!
    Ich war eine Zeit lang unwohl, und durch ein Augenübel am Schreiben verhindert; ich bin [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34097
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.23,Nr.44
  • Number of Pages: 8S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 21,2 x 13 cm
    Language
  • German
[1] Wien 18. März 29.
Theurer Schwager Wilhelm!
Ich war eine Zeit lang unwohl, und durch ein Augenübel am Schreiben verhindert; ich bin auch noch jetzt nicht völlig davon befreyt, doch will ich wenigstens anfangen Ihnen zu antworten, wenn auch nur wenige Zeilen für heute. Sie versichern mich in Ihrem letzten Briefe vom 8. Febr. fortwährend brüderlichen Antheil an mein ferneres Schicksal zu nehmen, und so wird es Ihnen lieb seyn zu erfahren, daß ich durch die Gnade S. M. des Kaysers die Zusicherung einer lebenslänglichen Pension von 500 Fl. C. M. erhalten habe, die mir hinreichen wird, um bey meinen Söhnen zu leben, so lange es Gottes Willen ist; auch meine Geschwister in Berlin sind mehr dieser Meynung, als daß sie mir riethen nach Berlin zu kommen. Im Falle, wo eine größere Ausgabe nothwendig würde, bei Krankheiten u. s. w. haben meine Brüder mir die liebevolle Versicherung gegeben mich nicht zu verlassen; und so werde ich wohl gegen den Herbst mich auf den Weg nach Rom machen. Für jetzt habe ich noch vollauf hier zu ordnen und zu thun, und die Sommermonate denke ich irgend eine vorbereitende Kur zu unternehmen um mich zu erhohlen und zu stärken, da ich freilich die letzte Zeit her sehr angegriffen worden bin. ‒ Von dem theuern Bruder Karl habe ich einen (sic) überaus liebevollen, meiner wunden Seele [2] sehr trostreiches Schreiben erhalten, wofür ich ihm nicht dankbar genug seyn kann; nebst den brüderlichsten Antheil an meinen Schmerz und dem Ausdruck des Mitgefühls, trägt dieser Brief auch noch die unverkennbarsten Zeichen der Trauer um den eignen Schmerz durch den Verlust seines lieben Bruders und das ist was mir besonders wohl that, und ‒ was ich in Ihrem Briefe vermißte! doch ‒ vielleicht wollten Sie auch nur mich mit Ihrem eignen Sie selbst betreffenden Gefühl verschonen; auf jeden Fall habe ich keinen Grund mit Ihnen darüber zu rechten, und muß es Ihrem Gefühl allein überlassen. Der gute Bruder Karl verzichtet in seinem Briefe, auf den Nachlaß des Verstorbenen, zu meinen Gunsten, und erwartet, daß auch Sie lieber Wilhelm, um alle Weitläufigkeiten zu vermeiden, verzichten werden, da ohnehin der Verkauf der Bibliothek und der wenigen Effekten kaum hinreichen wird, um die Forderungen und Unkosten zu decken; an einer eigentlichen Erbschaft ist gar nicht zu denken. Da aber diese Verzichtleistung der nächsten Erben nothwendig gerichtlich seyn muß, um legal zu seyn, so habe ich heute dem Bruder Karl geschrieben, daß er die Güte habe ein solches gerichtliches Instrument aufzusetzen, wodurch die Verzichtleistung zu meinen Gunsten geschieht, und dieses Instrument von Ihnen sowohl als auch von den Erben und Kindern des seeligen Bruders Moritz unter[3]zeichnen lasse, und mir baldmöglichst zukommen lasse; denn ich sehne mich unbeschreiblich darnach, mit allen diesen gerichtlichen Behörden hier, auseinander gesetzt und in Ruhe zu seyn. Sollten diese nothwendigen Formalitäten den lieben Brüdern Unkosten verursachen, so bin ich erbötig sie sogleich zu erstatten, wegen der Unruhe und der Störung aber, bitte ich sehr um liebevolle Nachsicht und Entschuldigung. Herzlich danke ich Ihnen für Ihr genereuses Erbieten mir die Schuld von Ihren Bruder zu erlassen! Sie erlauben aber wohl, daß ich dieses Ihr Geschenk nur zum Theil anzunehmen mich entschließen kann ‒ nämlich nur in so fern, daß ich diese Schuld, die den armen Friedrich so unsäglich gekränkt und gedrückt hatte, nicht gleich jetzt, und nicht aus eignen Mitteln zahle, welches bey meiner Lage unmöglich wäre; sondern daß der Erlös des Drucks der letzten Vorlesung in Dresden bestimmt sey, Ihre Schuld sowohl, als noch andere Schulden zu tilgen. Ich werde Sorge tragen, auch wenn ich abwesend seyn sollte, daß diese Schuld abgetragen wird, lieber Wilhelm; und Sie werden gewiß es mir nicht verweigern, da ich es mir zur Pflicht mache, um so mehr, da ich aus einigen Aeußerungen in Ihrem letzten Briefe über diesen Gegenstand zu verstehen glaube, daß Sie das Geld zu einem wohlthätigen Zweck bestimmt hatten; es würde mich schmerzen, wenn ich einen solchen verhindern wollte. Das Verzeichniß der Bibliothek wird so eben gemacht, [4] es werden wohl 3 bis 400 Bände sein, so viel man ungefähr berechnen kann vor der Hand. Das Verzeichniß wird gedruckt und Ihnen mit nächster bester Gelegenheit zugesendet werden. Zwei Bände in Folio, mit Sannskritt-Manuscript von Friedrichs Hand, die Ihnen wohl aus früherer Zeit noch bekannt seyn werden, kommen nicht mit in das Verzeichniß. Sollten diese Handschriften als ein Andenken an die Bemühungen des Verstorbenen einen Werth für Sie haben, und Sie dieselben in Ihrer eignen Bibliothek einen Platz vergönnen wollen, so werde ich Sorge tragen, daß Sie Ihnen durch Buchhändler zukommen. Sollten sie Ihnen aber unbequem seyn, so werde ich sie einer öffentlichen Lehranstalt oder Bibliothek hier in Wien zum Geschenk machen. Hierüber erbitte ich mir recht bald Ihre Bestimmung wissen zu lassen. Wie wollten Sie daß Friedrich auf Ihre Schrift: Berichtigung [et cetera] [et cetera] ‒ hätte antworten sollen? öffentlich doch wohl nicht; Einen Theil des Publikums hätte es vielleicht gute Unterhaltung gewährt, die Brüder, die so lange vereint waren, auf öffentlichem Kampfplatze feindlich gegeneinander streiten zu sehen; Friedrich hatte aber auch ein Publikum, diesem wäre dies Schauspiel ein Greuel gewesen, und ihm selbst war es vollends gar nicht denkbar. Sie wissen ja auch, daß er nie feindliche Angriffe beantwortet hat; sollte er gegen Sie damit anfangen? auch hatte er Ihnen ja auf Ihren Absagebrief geantwortet; und daß dieser Brief Ihre Absicht, Ihren Vorsatz ihn anzugreifen [5] nicht abändern machte, ist ein großer Beweis, nicht allein wie Ihr Herz von den Bruder abwendig gemacht, sondern wie Sie eigentlich ganz und gar sich verändert haben in allen Gedanken und Empfindungen. Man erkennt Sie nicht mehr darin. Wie sehr ich auch Friedrich anlag von jenen Brief an Sie eine Abschrift zu nehmen; nie wollte er es zugestehen; ich kann mir keinen Grund zu seiner Weigerung denken, als daß er nie wieder durch etwas erinnert seyn wollte, wie sehr Sie ihn kränkten; er hielt Sie ohne Zweifel für versöhnt, das Erscheinen jener Schrift belehrte ihn vom Gegentheil, was hätte er Ihnen nun noch antworten sollen? ‒ Alles was sich von Ihren Briefen an Ihren Bruder vorgefunden, habe ich Ihrem Verlangen gemäß, vernichtet. Es war wahrlich kein Freudenfeuer für mich, das werden Sie mir wohl glauben! Aus einigen Epochen hätte ich wohl gern die Briefe aufbewahren mögen, als Zeugnisse, daß Ihre Unzufriedenheit mit Friedrich, von Ihnen selbst ausgehend, sich weder mit seinem religieusen, noch mit seinem politischen Glaubensbekenntnisse und consequenten Handeln angefangen, und daß fremde Ansichten hier vielmehr die Ihrigen hingerissen haben müssen. Jedoch wozu das Alles jetzt? es ist Alles vernichtet.
21. ‒ Recht gerührt hat mich die Aeußerung in Ihrem Briefe „daß Sie gewünscht hätten ihn noch einmal recht offen und von Herz zu Herz zu sprechen, obgleich Sie fürchten es würde nichts genützt haben“, ‒ denn ganz genau und Wort für Wort hat er mehremal [6] dasselbe zu mir gesagt. ‒ Schwerlich wohl sind ihm die „Angriffe aus England“ zu Gesicht gekommen und was Sie unter den „hemmenden Umständen“ verstehen, welche in Deutschland ähnliche Angriffe verhindern, verstehe ich nicht; er hat dergleichen niemals gelesen, viel weniger beantwortet, wo immer es erscheinen mochte. Hätte er in diesem Feder Ballspiel mitspielen mögen, so würde es ihm ein Leichtes gewesen seyn eine Hand zu finden die den Ball zurückwirft, selbst in dem Lande, aus welchem er ihm zugeworfen ward. Aber was ist das Alles? Für seinen Ruhm lieber Bruder Wilhelm, dafür lassen Sie uns unbesorgt seyn; der ist zu wohl begründet ‒ zu hoch, und zu tief, als daß irgend ein Wind der bewegten Partheymeynung ihn erschüttern könnte! ‒ ‒
Jetzt noch einige Worte zur Beantwortung die Minna-Sophia-Huntersche Angelegenheit betreffend. Das sind ja alles recht besondre Geschichten, die mir sehr leid thun; auch den armen Hunter bedaure ich, er ist gar kein übler Mensch; wir mochten ihn hier alle sehr gern leiden, und Sophie hätte gewiß mit ihm zufrieden seyn können, wenn sie einer ordinären Vernunft gemäßen Aufführung fähig wäre; eine kleine Anlage zur Unordnung im Oberstübchen zeigte sich gleich Anfangs bey ihr, als wir sie kennen lernten; sie war jedoch in den ersten drey Monathen recht gut hier; sie lebte ruhig mit uns, und in den Kreisen unsrer Bekannten beschäftigte sich auch ziemlich regelmäßig, gab mir ihre ganze Baarschaft in Verwahrung, von welcher [7] nach Abzug ihres Kostgeldes, immer etwas blieb um ihre rückständigen Schulden in Dresden zu tilgen und obgleich sie manchmal durch Lächerlichkeiten Veranlassung zu Witz und Spott gab, so hatten wir doch keine gegründete Ursache uns zu beklagen. Sie schrieb auch sehr oft ihrem angenommenen Vater, und erhielt Briefe von ihm, und wir glaubten alles wäre so ziemlich in der Ordnung. Alles war aber wie umgedreht, als sie, ich weiß noch nicht durch wen, Bekanntschaft mit einigen Engländern machte, unter denen der arme Sir David. Anfangs hielt sich die Sache noch so ziemlich in den Gränzen einer ordinären Courmacherey, englisch lesen und schreiben [et cetera] Wir giengen auf ein paar Monathe aufs Land, hier fieng dann die Sache an, eine so bestimmte Gestalt zu gewinnen, ohne daß wir im Stande waren auf den Grund ihrer lügenhaften Umtriebe zu kommen, daß wir froh waren, als sie uns verließ, ohne daß sie uns eigentlich in ihr ganzes Geheimniß blicken ließ; nähmlich daß sie schon mit Hunter eine Zusammenkunft verabredet habe. Uns hatt sie blos gesagt sie wolle nach Italien reisen. Als sie uns in der Folge schrieb daß sie mit ihm, und verheyrathet sei, hielten wir es für ein sehr glückliches Eräugniß, insbesondere als wir sie in England, in der Familie selbst etablirt wußten, hielten wir ihre Zukunft für gesichert, und Friedrich schrieb in diesem Sinne an die Familie in Hannover. Was Sie damit meynen daß Friedr. dem Bruder die Augen [8] über sie hätte öffnen sollen, verstehe ich nicht. War denn etwa die verrückte Verkehrtheit dieser Person ein Geheimniß für ihre Erzieher? War die sich uns nicht zu verbergende Bemerkung, daß sie ohne Grundsätze, ohne Bildung und ohne alles sittliche Gefühl, überhaupt, ohne alles was man Erziehung nennt, aufgewachsen sey, etwas, worauf man den armen Bruder aufmerksam zu machen habe? Sollten wir, ihn zu kränken und zu betrüben für unsern Beruf halten? besonders da sie Anfangs wirklich sich ganz gut betrug und zuletzt uns beschwor, ihre Verirrungen nur dem Vater (wie sie ihn nennt) nicht anzuzeigen, weil eine solche neue Nachricht über sie, sein Tod seyn würde sollten wir riskiren dies für eine übertriebene Aeußerung zu halten? Sie war uns überhaupt auf keine Weise von der Familie zur Aufsicht anvertraut, sondern sie kam uns sehr willkürlich und aus eignen Willen ins Haus; sie war alt genug um auf sich selber acht zu geben, wir nicht jung genug dieses Amt übernehmen zu wollen und wir hielten den Bruder Karl und die Schwägerin nicht im Geringsten über ihre Ziehtochter getäuscht oder verblendet, da man sie nur zu leicht richtig beurtheilen konnte. Was kann denn also das seyn weshalb Sie Fried. über diese arme Verwirrte Person gerechtfertigt sehen möchten, da es wohl schwerlich etwas giebt wessen man ihn in Hinsicht ihrer anklagen könnte als seine sich immer, und bei allen Gelegenheiten sich gleich bleibende Gutmüthigkeit, die ihm nicht erlaubte etwas Arges anzunehmen, und sein Haß gegen Wiedersagerey. Genug davon. Leben Sie wohl und glücklich! Dieß der herzliche Wunsch
Ihrer Schwester Dorothea S.
[1] Wien 18. März 29.
Theurer Schwager Wilhelm!
Ich war eine Zeit lang unwohl, und durch ein Augenübel am Schreiben verhindert; ich bin auch noch jetzt nicht völlig davon befreyt, doch will ich wenigstens anfangen Ihnen zu antworten, wenn auch nur wenige Zeilen für heute. Sie versichern mich in Ihrem letzten Briefe vom 8. Febr. fortwährend brüderlichen Antheil an mein ferneres Schicksal zu nehmen, und so wird es Ihnen lieb seyn zu erfahren, daß ich durch die Gnade S. M. des Kaysers die Zusicherung einer lebenslänglichen Pension von 500 Fl. C. M. erhalten habe, die mir hinreichen wird, um bey meinen Söhnen zu leben, so lange es Gottes Willen ist; auch meine Geschwister in Berlin sind mehr dieser Meynung, als daß sie mir riethen nach Berlin zu kommen. Im Falle, wo eine größere Ausgabe nothwendig würde, bei Krankheiten u. s. w. haben meine Brüder mir die liebevolle Versicherung gegeben mich nicht zu verlassen; und so werde ich wohl gegen den Herbst mich auf den Weg nach Rom machen. Für jetzt habe ich noch vollauf hier zu ordnen und zu thun, und die Sommermonate denke ich irgend eine vorbereitende Kur zu unternehmen um mich zu erhohlen und zu stärken, da ich freilich die letzte Zeit her sehr angegriffen worden bin. ‒ Von dem theuern Bruder Karl habe ich einen (sic) überaus liebevollen, meiner wunden Seele [2] sehr trostreiches Schreiben erhalten, wofür ich ihm nicht dankbar genug seyn kann; nebst den brüderlichsten Antheil an meinen Schmerz und dem Ausdruck des Mitgefühls, trägt dieser Brief auch noch die unverkennbarsten Zeichen der Trauer um den eignen Schmerz durch den Verlust seines lieben Bruders und das ist was mir besonders wohl that, und ‒ was ich in Ihrem Briefe vermißte! doch ‒ vielleicht wollten Sie auch nur mich mit Ihrem eignen Sie selbst betreffenden Gefühl verschonen; auf jeden Fall habe ich keinen Grund mit Ihnen darüber zu rechten, und muß es Ihrem Gefühl allein überlassen. Der gute Bruder Karl verzichtet in seinem Briefe, auf den Nachlaß des Verstorbenen, zu meinen Gunsten, und erwartet, daß auch Sie lieber Wilhelm, um alle Weitläufigkeiten zu vermeiden, verzichten werden, da ohnehin der Verkauf der Bibliothek und der wenigen Effekten kaum hinreichen wird, um die Forderungen und Unkosten zu decken; an einer eigentlichen Erbschaft ist gar nicht zu denken. Da aber diese Verzichtleistung der nächsten Erben nothwendig gerichtlich seyn muß, um legal zu seyn, so habe ich heute dem Bruder Karl geschrieben, daß er die Güte habe ein solches gerichtliches Instrument aufzusetzen, wodurch die Verzichtleistung zu meinen Gunsten geschieht, und dieses Instrument von Ihnen sowohl als auch von den Erben und Kindern des seeligen Bruders Moritz unter[3]zeichnen lasse, und mir baldmöglichst zukommen lasse; denn ich sehne mich unbeschreiblich darnach, mit allen diesen gerichtlichen Behörden hier, auseinander gesetzt und in Ruhe zu seyn. Sollten diese nothwendigen Formalitäten den lieben Brüdern Unkosten verursachen, so bin ich erbötig sie sogleich zu erstatten, wegen der Unruhe und der Störung aber, bitte ich sehr um liebevolle Nachsicht und Entschuldigung. Herzlich danke ich Ihnen für Ihr genereuses Erbieten mir die Schuld von Ihren Bruder zu erlassen! Sie erlauben aber wohl, daß ich dieses Ihr Geschenk nur zum Theil anzunehmen mich entschließen kann ‒ nämlich nur in so fern, daß ich diese Schuld, die den armen Friedrich so unsäglich gekränkt und gedrückt hatte, nicht gleich jetzt, und nicht aus eignen Mitteln zahle, welches bey meiner Lage unmöglich wäre; sondern daß der Erlös des Drucks der letzten Vorlesung in Dresden bestimmt sey, Ihre Schuld sowohl, als noch andere Schulden zu tilgen. Ich werde Sorge tragen, auch wenn ich abwesend seyn sollte, daß diese Schuld abgetragen wird, lieber Wilhelm; und Sie werden gewiß es mir nicht verweigern, da ich es mir zur Pflicht mache, um so mehr, da ich aus einigen Aeußerungen in Ihrem letzten Briefe über diesen Gegenstand zu verstehen glaube, daß Sie das Geld zu einem wohlthätigen Zweck bestimmt hatten; es würde mich schmerzen, wenn ich einen solchen verhindern wollte. Das Verzeichniß der Bibliothek wird so eben gemacht, [4] es werden wohl 3 bis 400 Bände sein, so viel man ungefähr berechnen kann vor der Hand. Das Verzeichniß wird gedruckt und Ihnen mit nächster bester Gelegenheit zugesendet werden. Zwei Bände in Folio, mit Sannskritt-Manuscript von Friedrichs Hand, die Ihnen wohl aus früherer Zeit noch bekannt seyn werden, kommen nicht mit in das Verzeichniß. Sollten diese Handschriften als ein Andenken an die Bemühungen des Verstorbenen einen Werth für Sie haben, und Sie dieselben in Ihrer eignen Bibliothek einen Platz vergönnen wollen, so werde ich Sorge tragen, daß Sie Ihnen durch Buchhändler zukommen. Sollten sie Ihnen aber unbequem seyn, so werde ich sie einer öffentlichen Lehranstalt oder Bibliothek hier in Wien zum Geschenk machen. Hierüber erbitte ich mir recht bald Ihre Bestimmung wissen zu lassen. Wie wollten Sie daß Friedrich auf Ihre Schrift: Berichtigung [et cetera] [et cetera] ‒ hätte antworten sollen? öffentlich doch wohl nicht; Einen Theil des Publikums hätte es vielleicht gute Unterhaltung gewährt, die Brüder, die so lange vereint waren, auf öffentlichem Kampfplatze feindlich gegeneinander streiten zu sehen; Friedrich hatte aber auch ein Publikum, diesem wäre dies Schauspiel ein Greuel gewesen, und ihm selbst war es vollends gar nicht denkbar. Sie wissen ja auch, daß er nie feindliche Angriffe beantwortet hat; sollte er gegen Sie damit anfangen? auch hatte er Ihnen ja auf Ihren Absagebrief geantwortet; und daß dieser Brief Ihre Absicht, Ihren Vorsatz ihn anzugreifen [5] nicht abändern machte, ist ein großer Beweis, nicht allein wie Ihr Herz von den Bruder abwendig gemacht, sondern wie Sie eigentlich ganz und gar sich verändert haben in allen Gedanken und Empfindungen. Man erkennt Sie nicht mehr darin. Wie sehr ich auch Friedrich anlag von jenen Brief an Sie eine Abschrift zu nehmen; nie wollte er es zugestehen; ich kann mir keinen Grund zu seiner Weigerung denken, als daß er nie wieder durch etwas erinnert seyn wollte, wie sehr Sie ihn kränkten; er hielt Sie ohne Zweifel für versöhnt, das Erscheinen jener Schrift belehrte ihn vom Gegentheil, was hätte er Ihnen nun noch antworten sollen? ‒ Alles was sich von Ihren Briefen an Ihren Bruder vorgefunden, habe ich Ihrem Verlangen gemäß, vernichtet. Es war wahrlich kein Freudenfeuer für mich, das werden Sie mir wohl glauben! Aus einigen Epochen hätte ich wohl gern die Briefe aufbewahren mögen, als Zeugnisse, daß Ihre Unzufriedenheit mit Friedrich, von Ihnen selbst ausgehend, sich weder mit seinem religieusen, noch mit seinem politischen Glaubensbekenntnisse und consequenten Handeln angefangen, und daß fremde Ansichten hier vielmehr die Ihrigen hingerissen haben müssen. Jedoch wozu das Alles jetzt? es ist Alles vernichtet.
21. ‒ Recht gerührt hat mich die Aeußerung in Ihrem Briefe „daß Sie gewünscht hätten ihn noch einmal recht offen und von Herz zu Herz zu sprechen, obgleich Sie fürchten es würde nichts genützt haben“, ‒ denn ganz genau und Wort für Wort hat er mehremal [6] dasselbe zu mir gesagt. ‒ Schwerlich wohl sind ihm die „Angriffe aus England“ zu Gesicht gekommen und was Sie unter den „hemmenden Umständen“ verstehen, welche in Deutschland ähnliche Angriffe verhindern, verstehe ich nicht; er hat dergleichen niemals gelesen, viel weniger beantwortet, wo immer es erscheinen mochte. Hätte er in diesem Feder Ballspiel mitspielen mögen, so würde es ihm ein Leichtes gewesen seyn eine Hand zu finden die den Ball zurückwirft, selbst in dem Lande, aus welchem er ihm zugeworfen ward. Aber was ist das Alles? Für seinen Ruhm lieber Bruder Wilhelm, dafür lassen Sie uns unbesorgt seyn; der ist zu wohl begründet ‒ zu hoch, und zu tief, als daß irgend ein Wind der bewegten Partheymeynung ihn erschüttern könnte! ‒ ‒
Jetzt noch einige Worte zur Beantwortung die Minna-Sophia-Huntersche Angelegenheit betreffend. Das sind ja alles recht besondre Geschichten, die mir sehr leid thun; auch den armen Hunter bedaure ich, er ist gar kein übler Mensch; wir mochten ihn hier alle sehr gern leiden, und Sophie hätte gewiß mit ihm zufrieden seyn können, wenn sie einer ordinären Vernunft gemäßen Aufführung fähig wäre; eine kleine Anlage zur Unordnung im Oberstübchen zeigte sich gleich Anfangs bey ihr, als wir sie kennen lernten; sie war jedoch in den ersten drey Monathen recht gut hier; sie lebte ruhig mit uns, und in den Kreisen unsrer Bekannten beschäftigte sich auch ziemlich regelmäßig, gab mir ihre ganze Baarschaft in Verwahrung, von welcher [7] nach Abzug ihres Kostgeldes, immer etwas blieb um ihre rückständigen Schulden in Dresden zu tilgen und obgleich sie manchmal durch Lächerlichkeiten Veranlassung zu Witz und Spott gab, so hatten wir doch keine gegründete Ursache uns zu beklagen. Sie schrieb auch sehr oft ihrem angenommenen Vater, und erhielt Briefe von ihm, und wir glaubten alles wäre so ziemlich in der Ordnung. Alles war aber wie umgedreht, als sie, ich weiß noch nicht durch wen, Bekanntschaft mit einigen Engländern machte, unter denen der arme Sir David. Anfangs hielt sich die Sache noch so ziemlich in den Gränzen einer ordinären Courmacherey, englisch lesen und schreiben [et cetera] Wir giengen auf ein paar Monathe aufs Land, hier fieng dann die Sache an, eine so bestimmte Gestalt zu gewinnen, ohne daß wir im Stande waren auf den Grund ihrer lügenhaften Umtriebe zu kommen, daß wir froh waren, als sie uns verließ, ohne daß sie uns eigentlich in ihr ganzes Geheimniß blicken ließ; nähmlich daß sie schon mit Hunter eine Zusammenkunft verabredet habe. Uns hatt sie blos gesagt sie wolle nach Italien reisen. Als sie uns in der Folge schrieb daß sie mit ihm, und verheyrathet sei, hielten wir es für ein sehr glückliches Eräugniß, insbesondere als wir sie in England, in der Familie selbst etablirt wußten, hielten wir ihre Zukunft für gesichert, und Friedrich schrieb in diesem Sinne an die Familie in Hannover. Was Sie damit meynen daß Friedr. dem Bruder die Augen [8] über sie hätte öffnen sollen, verstehe ich nicht. War denn etwa die verrückte Verkehrtheit dieser Person ein Geheimniß für ihre Erzieher? War die sich uns nicht zu verbergende Bemerkung, daß sie ohne Grundsätze, ohne Bildung und ohne alles sittliche Gefühl, überhaupt, ohne alles was man Erziehung nennt, aufgewachsen sey, etwas, worauf man den armen Bruder aufmerksam zu machen habe? Sollten wir, ihn zu kränken und zu betrüben für unsern Beruf halten? besonders da sie Anfangs wirklich sich ganz gut betrug und zuletzt uns beschwor, ihre Verirrungen nur dem Vater (wie sie ihn nennt) nicht anzuzeigen, weil eine solche neue Nachricht über sie, sein Tod seyn würde sollten wir riskiren dies für eine übertriebene Aeußerung zu halten? Sie war uns überhaupt auf keine Weise von der Familie zur Aufsicht anvertraut, sondern sie kam uns sehr willkürlich und aus eignen Willen ins Haus; sie war alt genug um auf sich selber acht zu geben, wir nicht jung genug dieses Amt übernehmen zu wollen und wir hielten den Bruder Karl und die Schwägerin nicht im Geringsten über ihre Ziehtochter getäuscht oder verblendet, da man sie nur zu leicht richtig beurtheilen konnte. Was kann denn also das seyn weshalb Sie Fried. über diese arme Verwirrte Person gerechtfertigt sehen möchten, da es wohl schwerlich etwas giebt wessen man ihn in Hinsicht ihrer anklagen könnte als seine sich immer, und bei allen Gelegenheiten sich gleich bleibende Gutmüthigkeit, die ihm nicht erlaubte etwas Arges anzunehmen, und sein Haß gegen Wiedersagerey. Genug davon. Leben Sie wohl und glücklich! Dieß der herzliche Wunsch
Ihrer Schwester Dorothea S.
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