• August Wilhelm von Schlegel to Dorothea von Schlegel

  • Place of Dispatch: Bonn · Place of Destination: Wien · Date: 27.01.1830
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Dorothea von Schlegel
  • Place of Dispatch: Bonn
  • Place of Destination: Wien
  • Date: 27.01.1830
  • Notations: Da der Brief im Druck nur teilweise wiedergegeben ist, wurde er neu transkribiert. – Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 362647739
  • Bibliography: Geiger, Ludwig: Dichter und Frauen. Neue Sammlung. Berlin 1899, S. 156‒157.
  • Incipit: „[1] Bonn d. 27sten Jan. 1830
    Theuerste Frau Schwester!
    Ihren Brief vom 9ten d. M. habe ich dankbar empfangen, u Ihren Auftrag an [...]“
    Manuscript
  • Provider: Privatarchiv Dopfer, Sigmaringen (Mendelssohn-Gesellschaft, Berlin)
  • Classification Number: # 730
  • Number of Pages: 1 Dbl., 4 S.
    Language
  • German
    Editors
  • Lindemann, Anke
  • Varwig, Olivia
[1] Bonn d. 27sten Jan. 1830
Theuerste Frau Schwester!
Ihren Brief vom 9ten d. M. habe ich dankbar empfangen, u Ihren Auftrag an Windischmann sogleich besorgt. Hiebei erfolgt der eingelöste Schuldschein; einige Zeilen von ihm an mich, lege ich nur deswegen bei, damit Sie sehen, daß sich alles so verhält, wie ich sagte. Denn seine Ausdrücke über mein Verfahren hiebei kann ich freilich nicht gelten lassen, da sich dergleichen, wie mich dünkt, von selbst versteht. Ich sende auch meine Quittung für das im Herbste 1818 gemachte Darlehn, welches nun ganz berichtigt ist. Mit der Auslage von 150 fl. Rh. für die gemeinschaftliche Reise im Sommer desselben Jahres halten Sie es ganz nach Gutdünken: ich beziehe mich deßhalb auf meine früheren Briefe.
Möge Ihnen das verdienstliche Werk, das Sie übernommen haben, nur nicht allzu schwer fallen! Freilich hätte der selige Friedrich Ihnen in Absicht auf seine ökonomische Lage nichts verheimlichen sollen, vielleicht hätte er dann auch den Entschluß gefaßt, in manchen Stücken andre Gewöhnungen anzunehmen, u dieß hätte für seine Heiterkeit, Regsamkeit, u Erhaltung der Gesundheit vortheilhaft gewirkt. Aber so ist es nun [2] einmal: der Grad unserer Selbstbeherrschung, u die fortwährend ausgeübte Macht des Willens bestimmt großentheils unser Schicksal.
Es freut mich, daß Sie Hoffnung haben, die Sammlung der Werke Friedrichs vollends zu Stande zu bringen. Wird Reimer auch den Verlag der früher erschienenen Bände an sich kaufen? Wie stark war die Auflage, und wie viel ist davon abgesetzt? – Wie ist es mit der Schrift über die Sprache und älteste Weisheit der Indier? Sie ist vortrefflich angelegt, und mit einfacher Würde geschrieben. Sie bedurfte einer neuen Bearbeitung, gar nicht wegen irgend einer früheren Versäumniß, sondern weil sich in den seitdem verflossenen zwanzig Jahren der wissenschaftliche Schauplatz hier ganz verändert hat. Die Sprachkunde hat Riesenschritte gethan, u es ist unendlich viel unbekanntes ans Licht gefördert worden. Ich habe ihm mehrmals darüber geschrieben, u immer bedauert, daß er nicht zu diesen Studien zurückkehrte. Was ihm damals in Paris unsägliche Anstrengung kostete, u ihm doch nur einen geringen Erwerb von Kenntnissen eintrug, das wurde ihm jetzt, so zu sagen, entgegengebracht, u er durfte es sich nur zueignen.
Manche Äußerungen Schillers über Friedrich in dem Briefwechsel mit Goethe haben mich sehr verdrossen, u ich bin gesonnen, irgend eine Genugthuung dafür zu nehmen. Goethe’n ist dabei nichts vorzurücken, [3] als daß er diese Dinge hat drucken lassen. Aber Friedrich ist meines Erachtens in seinen späteren Äußerungen auch zuweilen ungerecht gegen ihn gewesen. – Ich habe hierüber an Tieck geschrieben.
Friedrich wird doch die witzigen Einfälle aus seiner Jugendzeit, so fern sie bloß litterarische Dinge betreffen, nicht verdammt haben? Warum sollte man sie also zu Grunde gehen lassen? Ich erinnre mich unter andern eines ungemein witzigen Briefes über die Xenien. Dieses wäre eine vortreffliche Erwiederung auf Schillers Feindseligkeiten. Wenn ich mir das von Reichardt herausgegebene Deutschland auftreiben kann, worin der Aufsatz zuerst gedruckt war.
Sagen Sie mir doch offenherzig, wie Sie den Gesundheits-Zustand meiner guten Nichte Augusta beurtheilen. Ich grüße sie aufs herzlichste, u werde ihr allernächstens schreiben.
Die Lage meines Neffen in Hamburg war keinesweges glänzend. Er war Collaborator am Johanneum gab bloß in den unteren Classen Unterricht, u mußte bei einem sehr mäßigen Gehalt, womit er an dem theuren Orte nicht auskommen konnte, sich durch Privatstunden helfen. Dieser Erwerb hatte nun sehr abgenommen, da es allgemeine Sitte ward, die Knaben in die Gymnasien zu schicken. Bei jeder Amtsbesetzung war er übersprungen worden, so daß jede Aussicht zur Beförderung verschwunden war. Vergeblich habe ich vor drittehalb [4] Jahren allen Schulvorstehern Besuche gemacht. Endlich wird auch eine Collaborator-Stelle nicht als eine lebens längliche Anstellung betrachtet, u man hätte ihn also wegschicken können, um einem einheimischen Philologen Platz zu machen. Nun hat er doch seine Entlassung auf ehrenvollere Art erhalten, mit Bewilligung seines Gehaltes auf ein Jahr. So giebt er selbst die Gründe seines Entschlusses an. Doch dem sey, wie ihm wolle, man muß jetzt auf seine Versorgung bedacht seyn; ich sehe dazu noch keine Aussicht, u die ganze Sorge fällt auf mich, da seine Mutter in kärglichen Umständen lebt, u nichts für ihn thun kann.
Wenn Sie nach Frankfurt kommen, so hoffe ich, Sie dann auch in Bonn zu sehen: die Reise zu Wasser ist im Sommer äußerst leicht und bequem. Ich heiße Sie im voraus bestens willkommen, u bitte Sie nur, mir Ihre Plane zeitig zu melden, damit Ihr Zimmer in meinem Hause bereit stehe.
Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung u aufrichtigen Wünschen für Ihr Wohlergehen, theuerste Frau Schwester
Ihr treugesinnter
AWvSchlegel
[1] Bonn d. 27sten Jan. 1830
Theuerste Frau Schwester!
Ihren Brief vom 9ten d. M. habe ich dankbar empfangen, u Ihren Auftrag an Windischmann sogleich besorgt. Hiebei erfolgt der eingelöste Schuldschein; einige Zeilen von ihm an mich, lege ich nur deswegen bei, damit Sie sehen, daß sich alles so verhält, wie ich sagte. Denn seine Ausdrücke über mein Verfahren hiebei kann ich freilich nicht gelten lassen, da sich dergleichen, wie mich dünkt, von selbst versteht. Ich sende auch meine Quittung für das im Herbste 1818 gemachte Darlehn, welches nun ganz berichtigt ist. Mit der Auslage von 150 fl. Rh. für die gemeinschaftliche Reise im Sommer desselben Jahres halten Sie es ganz nach Gutdünken: ich beziehe mich deßhalb auf meine früheren Briefe.
Möge Ihnen das verdienstliche Werk, das Sie übernommen haben, nur nicht allzu schwer fallen! Freilich hätte der selige Friedrich Ihnen in Absicht auf seine ökonomische Lage nichts verheimlichen sollen, vielleicht hätte er dann auch den Entschluß gefaßt, in manchen Stücken andre Gewöhnungen anzunehmen, u dieß hätte für seine Heiterkeit, Regsamkeit, u Erhaltung der Gesundheit vortheilhaft gewirkt. Aber so ist es nun [2] einmal: der Grad unserer Selbstbeherrschung, u die fortwährend ausgeübte Macht des Willens bestimmt großentheils unser Schicksal.
Es freut mich, daß Sie Hoffnung haben, die Sammlung der Werke Friedrichs vollends zu Stande zu bringen. Wird Reimer auch den Verlag der früher erschienenen Bände an sich kaufen? Wie stark war die Auflage, und wie viel ist davon abgesetzt? – Wie ist es mit der Schrift über die Sprache und älteste Weisheit der Indier? Sie ist vortrefflich angelegt, und mit einfacher Würde geschrieben. Sie bedurfte einer neuen Bearbeitung, gar nicht wegen irgend einer früheren Versäumniß, sondern weil sich in den seitdem verflossenen zwanzig Jahren der wissenschaftliche Schauplatz hier ganz verändert hat. Die Sprachkunde hat Riesenschritte gethan, u es ist unendlich viel unbekanntes ans Licht gefördert worden. Ich habe ihm mehrmals darüber geschrieben, u immer bedauert, daß er nicht zu diesen Studien zurückkehrte. Was ihm damals in Paris unsägliche Anstrengung kostete, u ihm doch nur einen geringen Erwerb von Kenntnissen eintrug, das wurde ihm jetzt, so zu sagen, entgegengebracht, u er durfte es sich nur zueignen.
Manche Äußerungen Schillers über Friedrich in dem Briefwechsel mit Goethe haben mich sehr verdrossen, u ich bin gesonnen, irgend eine Genugthuung dafür zu nehmen. Goethe’n ist dabei nichts vorzurücken, [3] als daß er diese Dinge hat drucken lassen. Aber Friedrich ist meines Erachtens in seinen späteren Äußerungen auch zuweilen ungerecht gegen ihn gewesen. – Ich habe hierüber an Tieck geschrieben.
Friedrich wird doch die witzigen Einfälle aus seiner Jugendzeit, so fern sie bloß litterarische Dinge betreffen, nicht verdammt haben? Warum sollte man sie also zu Grunde gehen lassen? Ich erinnre mich unter andern eines ungemein witzigen Briefes über die Xenien. Dieses wäre eine vortreffliche Erwiederung auf Schillers Feindseligkeiten. Wenn ich mir das von Reichardt herausgegebene Deutschland auftreiben kann, worin der Aufsatz zuerst gedruckt war.
Sagen Sie mir doch offenherzig, wie Sie den Gesundheits-Zustand meiner guten Nichte Augusta beurtheilen. Ich grüße sie aufs herzlichste, u werde ihr allernächstens schreiben.
Die Lage meines Neffen in Hamburg war keinesweges glänzend. Er war Collaborator am Johanneum gab bloß in den unteren Classen Unterricht, u mußte bei einem sehr mäßigen Gehalt, womit er an dem theuren Orte nicht auskommen konnte, sich durch Privatstunden helfen. Dieser Erwerb hatte nun sehr abgenommen, da es allgemeine Sitte ward, die Knaben in die Gymnasien zu schicken. Bei jeder Amtsbesetzung war er übersprungen worden, so daß jede Aussicht zur Beförderung verschwunden war. Vergeblich habe ich vor drittehalb [4] Jahren allen Schulvorstehern Besuche gemacht. Endlich wird auch eine Collaborator-Stelle nicht als eine lebens längliche Anstellung betrachtet, u man hätte ihn also wegschicken können, um einem einheimischen Philologen Platz zu machen. Nun hat er doch seine Entlassung auf ehrenvollere Art erhalten, mit Bewilligung seines Gehaltes auf ein Jahr. So giebt er selbst die Gründe seines Entschlusses an. Doch dem sey, wie ihm wolle, man muß jetzt auf seine Versorgung bedacht seyn; ich sehe dazu noch keine Aussicht, u die ganze Sorge fällt auf mich, da seine Mutter in kärglichen Umständen lebt, u nichts für ihn thun kann.
Wenn Sie nach Frankfurt kommen, so hoffe ich, Sie dann auch in Bonn zu sehen: die Reise zu Wasser ist im Sommer äußerst leicht und bequem. Ich heiße Sie im voraus bestens willkommen, u bitte Sie nur, mir Ihre Plane zeitig zu melden, damit Ihr Zimmer in meinem Hause bereit stehe.
Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung u aufrichtigen Wünschen für Ihr Wohlergehen, theuerste Frau Schwester
Ihr treugesinnter
AWvSchlegel
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