• Karl Lachmann to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Bonn · Date: 07.06.1826
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Karl Lachmann
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 07.06.1826
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 366871668
  • Bibliography: Briefe aus der Frühzeit der deutschen Philologie an Georg Friedrich Benecke. Hg. v. Rudolf Baier. Leipzig 1901, S. 68‒69.
  • Incipit: „[1] Herrn Professor von Schlegel.
    Hochwohlgeboren.
    Bonn.
    Hochwohlgeborner Herr, Hochzuehrender Herr Professor. Ew. Hochwohlgeboren haben neulich in einem Briefe an Herrn Reimer ein Urtheil [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-34965
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.14,Nr.1
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 25,2 x 20,9 cm
    Language
  • German
[1] Herrn Professor von Schlegel.
Hochwohlgeboren.
Bonn.
Hochwohlgeborner Herr, Hochzuehrender Herr Professor. Ew. Hochwohlgeboren haben neulich in einem Briefe an Herrn Reimer ein Urtheil über meinen Charakter ausgesprochen, dessen weitere Verbreitung, weil sie meinem guten Ruf schaden könnte, ich durch Darlegung der Wahrheit wo möglich zu verhindern mich gedrungen fühle. – Ich soll meine Pflicht versäumt und in meiner Vorrede zu den Nibelungen Ihre Verdienste nicht anerkannt haben. Seien diese Verdienste so groß sie wollen, für die Constitution des Textes der Nibelungen, wovon in der Vorrede einzig gesprochen wird, haben Ew. Hochwohlgeboren, so viel ich weiß, nichts gethan. Auch meine ich nicht, daß Sie über das Verhältniß der Handschriften unter einander irgendwo Untersuchungen geführt haben: hierauf beruhete [2] aber die Constitution des Textes größtentheils: wie konnte ich mich also dabei auf Sie berufen? Weit eher hätte ich Grimm nennen können, ohne dessen grammatische Untersuchungen manches in meinem Text anders aussehen würde: daß aber durch die Ihrigen auch nur ein Buchstab bedingt wäre, wüßte ich nicht zu sagen. – Aber als den „Anfänger und Anreger dieser Untersuchungen" hätte ich Sie nennen sollen. Ich verstehe nicht, wie ich dazu sollte verbunden gewesen sein. Wenn ich es nun als bekannt angenommen hätte? oder wenn ich es gar leugnete? – Ew. Hochwohlgeboren haben vor 15 Jahren gesagt, Herr von der Hagen sei von Ihnen angeregt worden. Aber ich bin es weder durch Sie noch durch diesen Jünger. Auch hat noch niemand Spuren einer Mitschülerschaft mit Herrn von der Hagen an mir bemerkt. Meine philologischen Lehrer haben mich von der Liebe zur Wahrheit und vom Factischen ausgehn gelehrt, nicht von blendendem Schein und vornehmen Wortprunk; und so oft ich geirrt haben mag, ihrer Gesinnung bin ich nie untreu gewor[3]den. Daß Ew. Hochwohlgeboren an altdeutscher Litteratur ein philologisches Interesse nähmen, habe ich zu der Zeit als ich dies Studium anfing, nicht einmahl gewußt: sondern weil Benecke Jahr aus Jahr ein Vorlesungen über Gedichte des 13. Jahrhunderts hielt, fühlte ich mich gereizt Altdeutsch zu lernen wie man Englisch und Italienisch lernt: dann, je mehr ein wissenschaftliches Studium sich belohnte, habe ich mich ihm desto eifriger hingegeben. Können Sie nun behaupten, Benecke sei erst von Ihnen angeregt, so mögen Sie mich allenfalls wie einen im dritten Gliede von Ihnen erregten ansehen: indessen habe ich von Benecke nie etwas darüber gehört, und muß also bis jetzt um Verzeihung bitten, weil ich von der Verwandtschaft nichts weiß. – Daß Ew. Hochwohlgeboren das Studium der deutschen Sprache oder der älteren hochdeutschen Litteratur zuerst in Anregung gebracht, werden Sie wohl in Ernst nicht behaupten. Auch wäre nicht viel Ehre dabei, denn im Ganzen ist es jetzt verschmäht und verachtet. – Und die Untersuchungen über die Nibelungen haben Sie doch wohl auch wahrlich nicht angefangen, auch nicht dazu angereizt. Denn Johannes Müllers Worte, nach Bodmer der erste Anfang einer Untersuchung der Fabel, stehen in der Müllerischen Sammlung so vor den Augen jedes Lehrlings, daß sie den Wunsch und den [4] Trieb zu weiterer Forschung erwecken müssen. Die ersten kritischen Untersuchungen aber sind meines Wissens die Grimmischen in den Studien (1808). Ich finde, daß Sie eben so wenig als ich Sie genannt habe, Grimms in den Aufsätzen des Deutschen Museums Erwähnung thun als eines Vorgängers oder Anregers: ja es ist nicht einmahl gesagt, daß der größte Theil der Gelehrsamkeit aus Grimms Aufsatze genommen ist. – Aber die Abhandlungen im Deutschen Museum soll ich gar mißachtet haben: mir wird vorgeworfen, ich habe etwas als Vermutung ausgesprochen, was darin bewiesen sei. Dabei ist es mir eben so neu, daß in jenen Abhandlungen irgend etwas soll bewiesen sein, als es mir neu ist, daß in meiner Vorrede Vermutungen vorkommen. Denn was man etwa so nennen kann (S. VI Anmerkung *) **), das betrifft Handschriften, deren Dasein zur Zeit jener Abhandlungen noch nicht bekannt war und die auch durch jene Abhandlungen nicht ans Licht gebracht worden sind. Ich kann daher nicht begreifen, worauf die Beschuldigung gehen soll. – Wenn ich auf diese Weise in der Verschweigung Ihres Namens in meiner Vorrede keine Schuld finden kann, so werde ich doch das Gefühl des erlittenen Unrechts immer sehr wohl mit der Hochachtung zu vereinigen wissen, mit der ich jederzeit sein werde Ew. Hochwohlgeboren ergebenster C. L.
Berlin d. 7. Juni 1826.
[1] Herrn Professor von Schlegel.
Hochwohlgeboren.
Bonn.
Hochwohlgeborner Herr, Hochzuehrender Herr Professor. Ew. Hochwohlgeboren haben neulich in einem Briefe an Herrn Reimer ein Urtheil über meinen Charakter ausgesprochen, dessen weitere Verbreitung, weil sie meinem guten Ruf schaden könnte, ich durch Darlegung der Wahrheit wo möglich zu verhindern mich gedrungen fühle. – Ich soll meine Pflicht versäumt und in meiner Vorrede zu den Nibelungen Ihre Verdienste nicht anerkannt haben. Seien diese Verdienste so groß sie wollen, für die Constitution des Textes der Nibelungen, wovon in der Vorrede einzig gesprochen wird, haben Ew. Hochwohlgeboren, so viel ich weiß, nichts gethan. Auch meine ich nicht, daß Sie über das Verhältniß der Handschriften unter einander irgendwo Untersuchungen geführt haben: hierauf beruhete [2] aber die Constitution des Textes größtentheils: wie konnte ich mich also dabei auf Sie berufen? Weit eher hätte ich Grimm nennen können, ohne dessen grammatische Untersuchungen manches in meinem Text anders aussehen würde: daß aber durch die Ihrigen auch nur ein Buchstab bedingt wäre, wüßte ich nicht zu sagen. – Aber als den „Anfänger und Anreger dieser Untersuchungen" hätte ich Sie nennen sollen. Ich verstehe nicht, wie ich dazu sollte verbunden gewesen sein. Wenn ich es nun als bekannt angenommen hätte? oder wenn ich es gar leugnete? – Ew. Hochwohlgeboren haben vor 15 Jahren gesagt, Herr von der Hagen sei von Ihnen angeregt worden. Aber ich bin es weder durch Sie noch durch diesen Jünger. Auch hat noch niemand Spuren einer Mitschülerschaft mit Herrn von der Hagen an mir bemerkt. Meine philologischen Lehrer haben mich von der Liebe zur Wahrheit und vom Factischen ausgehn gelehrt, nicht von blendendem Schein und vornehmen Wortprunk; und so oft ich geirrt haben mag, ihrer Gesinnung bin ich nie untreu gewor[3]den. Daß Ew. Hochwohlgeboren an altdeutscher Litteratur ein philologisches Interesse nähmen, habe ich zu der Zeit als ich dies Studium anfing, nicht einmahl gewußt: sondern weil Benecke Jahr aus Jahr ein Vorlesungen über Gedichte des 13. Jahrhunderts hielt, fühlte ich mich gereizt Altdeutsch zu lernen wie man Englisch und Italienisch lernt: dann, je mehr ein wissenschaftliches Studium sich belohnte, habe ich mich ihm desto eifriger hingegeben. Können Sie nun behaupten, Benecke sei erst von Ihnen angeregt, so mögen Sie mich allenfalls wie einen im dritten Gliede von Ihnen erregten ansehen: indessen habe ich von Benecke nie etwas darüber gehört, und muß also bis jetzt um Verzeihung bitten, weil ich von der Verwandtschaft nichts weiß. – Daß Ew. Hochwohlgeboren das Studium der deutschen Sprache oder der älteren hochdeutschen Litteratur zuerst in Anregung gebracht, werden Sie wohl in Ernst nicht behaupten. Auch wäre nicht viel Ehre dabei, denn im Ganzen ist es jetzt verschmäht und verachtet. – Und die Untersuchungen über die Nibelungen haben Sie doch wohl auch wahrlich nicht angefangen, auch nicht dazu angereizt. Denn Johannes Müllers Worte, nach Bodmer der erste Anfang einer Untersuchung der Fabel, stehen in der Müllerischen Sammlung so vor den Augen jedes Lehrlings, daß sie den Wunsch und den [4] Trieb zu weiterer Forschung erwecken müssen. Die ersten kritischen Untersuchungen aber sind meines Wissens die Grimmischen in den Studien (1808). Ich finde, daß Sie eben so wenig als ich Sie genannt habe, Grimms in den Aufsätzen des Deutschen Museums Erwähnung thun als eines Vorgängers oder Anregers: ja es ist nicht einmahl gesagt, daß der größte Theil der Gelehrsamkeit aus Grimms Aufsatze genommen ist. – Aber die Abhandlungen im Deutschen Museum soll ich gar mißachtet haben: mir wird vorgeworfen, ich habe etwas als Vermutung ausgesprochen, was darin bewiesen sei. Dabei ist es mir eben so neu, daß in jenen Abhandlungen irgend etwas soll bewiesen sein, als es mir neu ist, daß in meiner Vorrede Vermutungen vorkommen. Denn was man etwa so nennen kann (S. VI Anmerkung *) **), das betrifft Handschriften, deren Dasein zur Zeit jener Abhandlungen noch nicht bekannt war und die auch durch jene Abhandlungen nicht ans Licht gebracht worden sind. Ich kann daher nicht begreifen, worauf die Beschuldigung gehen soll. – Wenn ich auf diese Weise in der Verschweigung Ihres Namens in meiner Vorrede keine Schuld finden kann, so werde ich doch das Gefühl des erlittenen Unrechts immer sehr wohl mit der Hochachtung zu vereinigen wissen, mit der ich jederzeit sein werde Ew. Hochwohlgeboren ergebenster C. L.
Berlin d. 7. Juni 1826.
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