• Christian Lassen to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: London · Place of Destination: Bonn · Date: 20.06.1824
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Christian Lassen
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: London
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 20.06.1824
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 370508637
  • Bibliography: Schlegel, August Wilhelm; Lassen, Christian: Briefwechsel. Hg. v. Willibald Kirfel. Bonn 1914, S. 43‒47.
  • Incipit: „[1] London d. 20sten Junii 1824.
    Hochwohlgebohrner Herr Professor!
    Hochverehrtester Lehrer!
    Prof. Haughton, der während der Ferien sich hier einige Tage aufgehalten hat, läßt [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-34965
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.14,Nr.21
  • Number of Pages: 3 S. auf Doppelbl., hs. m. U. u. Adresse
  • Format: 22,5 x 18,5 cm
    Language
  • German
[1] London d. 20sten Junii 1824.
Hochwohlgebohrner Herr Professor!
Hochverehrtester Lehrer!
Prof. Haughton, der während der Ferien sich hier einige Tage aufgehalten hat, läßt Ihnen für die mitgetheilten Bemerkungen über seinen Manu den verbindlichsten Dank abstatten; er wird allernächstens selbst das Vergnügen haben an Sie zu schreiben. Er hofft das Ganze innerhalb 6 od. 7 Wochen vollendet zu haben. Die Asiatische Gesellschaft hat letzten Sonnabend für dieses Mahl ihre Sitzungen geschlossen; der erste Band ihrer Memoiren rückt rasch vorwärts und wird außer den Ihnen bekannt gewordenen Abhandlungen einen sehr ausführlichen Versuch über den Panchatantra von Dr. Wilson enthalten. Die Sammlung der Ges[ellschaft] an Manuscripten hat einen großen Zuwachs erhalten durch die Schenkung des Capt. Todd, der ihr alle seine Manuscripte, Inschriften und mehrere Basreliefs überlassen hat. Ich könnte Ihnen eine ausführliche Notiz über seine Sammlung geben, wenn ich hier den Raum dazu hätte, und ohnehin wird Herr Colebrooke einen Catalog darüber machen. So viel sey es mir erlaubt, hier zu bemerken, daß diese Sammlung in mehrfacher Rücksicht merkwürdig ist, sie enthält erstens mehrere Sachen, die sonst als verlohren betrachtet worden sind oder gänzlich unbekannt waren: wohin das Ṣilpi Ṣâstra od. viel mehr der architektonische Theil desselben gehört; ein sehr interessantes Werk, soviel ich nach einigem Blättern darin habe sehen können; ferner: eine vollständigere Litteratur der Jainas, als wir bisher kannten; endlich eine Sammlung von Lehrbüchern der Wahrsagekunst nach allen erdenklichen Zweigen derselben. Demnächst sind einige seiner Manuscripte von dem größten bisher bekannten Alter (z. B. ein Ratnamahôdhi (eine Grammatik) von S[a]mv[a]t 1151; ein Manjarîvivêka von Do͓ 1336: beide auf Palmblättern, in einer sehr deutlichen, aber alterthümlichen Dêvan[agari] Schrift; mehrere andre sind nicht viel jünger). Seine Purânas mögen deswegen vorzüglich schätzbar seyn, weil keine Abschriften von Wilfordʼs Exemplaren nach dieser entfernten Provinz sich verpflanzt haben können. Incorrect sind sie zwar, wie alle Handschriften [2] der Purânas, im höchsten Grade und es wird einem oft schwer, ihren ohnehin sehr verkünstelten Stil, in einer so verdorbenen Gestalt zu verstehen. Ich muß dieses Urtheil nach allen dem fällen, was ich von diesen Gedichten gesehen habe; nicht bloß vom Durgâ Mâhâtmyam, sondern noch weit mehr nach dem Stück aus dem Brahma Purâna, das Herr Chezy in Ihrer Ind[ischen] Bibl[iothek] zuerst mitgetheilt hat. Wenn man bloß nach der Sprache urtheilen kann, so möchte ich sehr geneigt seyn zu glauben, daß die Purânas zu einer Zeit geschrieben seyen, wo das Sanskrit auch unter den Brahminen aufgehört hatte, lebende Sprache zu seyn. Es fehlt ihnen durchaus der lebendige Hauch und die Fülle der Poesie, die das Ram[ayana] und Mahâbh[ârata] belebt. In der genannten Episode hat Chezy die letzte Hälfte ganz weggelassen und sie ist allerdings sehr langweilig. Interessant sind dagegen in den Purânas die geographischen Capitel, und es ist sehr zu bedauern, daß eben die Nahmen am allerincorre[c]testen geschrieben sind. Capt. Todd besitzt 3 originale Charten zur Geographie der Purânas, ich gestehe aber, daß ich nicht recht klug daraus geworden bin; nur davon habe ich mich überzeugt, daß sie eben so wenig das Wilfordʼsche System, als das der Wirklichkeit darbieten. ‒ Schließlich hat Herr Todd mir sehr interessante Münzen von den griechisch-baktrischen Königen gezeigt, die er selbst in den Ruinen alter Städte gefunden hat. Die Legende ist ganz deutlich, z. B. auf einer απολλοδωτου βασιλεως etc. auf der Reverse ist eine Pehlevi-Inschrift. ‒ Endlich sind die Werke in der Brij Bhakh für die Provinzial-Geschichte des Punjab sehr wichtig. Einen sehr großen Schritt zur wirklichen Geschichte Indiens haben wir aber in der That von der Geschichte Kaschmirʼs, in Sanskrit abgefaßt, zu erwarten; Wilson hat eine Abhandlung darüber im 15ten Bde der As[iatic] Researches geliefert, die ich mit höchstem Interesse gelesen habe.
Der Gewinn, der durch Herrn Toddʼs Manuscript vom Ram[ayana] uns gebracht worden ist, muß einzig und allein nach dem 2ten und den darauf folgenden Büchern beurtheilt werden; denn hier sind wir auf einem ganz andern Felde als im ersten Buche. Das Manuscript ist hier vom Anfange an von [3] einer gelehrten Hand geschrieben u[nd mit] ziemlicher Genauigkeit von einer spätern corrigirt. Nach meiner Erfahrung auf diesem Gebiete halte ich es in dieser Rücksicht für eines der bessern. Es bleiben zwar Stellen übrig, wo wirkliche grammatische Fehler sind: aber an solchen fehlt es auch in den besten Hdschrften nicht. Der Text scheint mir, wenigstens im Vergleich mit den Manuscripten im East- India-House, nicht eben vorzüglicher und authentischer, aber er ist oft eigenthümlich und giebt an mehrern Stellen Züge, die in den andern nicht vorkommen, und so viel mir erinnerlich ist, auch in der Ed[itio] Ser[amporica] nicht sind. Um den Text des Ram[ayana] zu reinigen ist die Collation gewiß von beträchtlichem Nutzen; viel wichtiger scheint mir aber dieser Codex für die Geschichte des Textes überhaupt zu seyn. Dann allerdings sind es zwei verschiedene Aufgaben, einen lesbaren und correcten Text des Ram[ayana] zu liefern, und zweitens zu untersuchen, welche Auctorität des Ram[ayana] in Untersuchungen über Gegenstände des Indisch. Alterthums habe. Zur Lösung der ersten Aufgabe haben wir, denke ich, Hülfsmittel genug, zur zweiten muß es uns weniger daran gelegen seyn, viele verschiedene Hdschrften zu besitzen, als Hdschrften aus sehr verschiedenen Gegenden. Und hier fehlen uns allerdings Beiträge aus Guzerate, Nepal, und vorzüglich aus dem Dekhan. Ich bin jetzt beim fol. 46 d[ie]ses Codex, der ohngefähr dem 36sten Capitel des zweiten Buchs in der Ser[amporer Ausgabe] entsprechen wird. Den Bengal. Codex hoffe ich in 8‒10 Tagen vollenden zu können; mit der Redaction, die mir meine Stunden zu Hause sehr wegnimmt, bin ich freilich nicht völlig so weit. Von dem Cod. A habe ich 75 fol. abgeschrieben. Da ich aber in 14 Tagen einen neuen Codex des Ram[ayana] zu erhalten hoffe und zwar den des Dr. Leyden, dessen Papiere die Compagnie gekauft, so wünsche ich sehr zu erfahren, auf welche Weise Ewr. Hochwohlgebohren wünschen, daß ich mit den verschiedenen Codd. fortfahren soll, da ich nicht genau wissen kann, was Sie nach der vollständigen Collation des ersten Buches am liebsten zu erhalten wünschen.
Mit de[r größ]ten Dankbarkeit und Hochachtung
Ewr. Hochwohlgebohren
Chr. Laßen.
[4]
[1] London d. 20sten Junii 1824.
Hochwohlgebohrner Herr Professor!
Hochverehrtester Lehrer!
Prof. Haughton, der während der Ferien sich hier einige Tage aufgehalten hat, läßt Ihnen für die mitgetheilten Bemerkungen über seinen Manu den verbindlichsten Dank abstatten; er wird allernächstens selbst das Vergnügen haben an Sie zu schreiben. Er hofft das Ganze innerhalb 6 od. 7 Wochen vollendet zu haben. Die Asiatische Gesellschaft hat letzten Sonnabend für dieses Mahl ihre Sitzungen geschlossen; der erste Band ihrer Memoiren rückt rasch vorwärts und wird außer den Ihnen bekannt gewordenen Abhandlungen einen sehr ausführlichen Versuch über den Panchatantra von Dr. Wilson enthalten. Die Sammlung der Ges[ellschaft] an Manuscripten hat einen großen Zuwachs erhalten durch die Schenkung des Capt. Todd, der ihr alle seine Manuscripte, Inschriften und mehrere Basreliefs überlassen hat. Ich könnte Ihnen eine ausführliche Notiz über seine Sammlung geben, wenn ich hier den Raum dazu hätte, und ohnehin wird Herr Colebrooke einen Catalog darüber machen. So viel sey es mir erlaubt, hier zu bemerken, daß diese Sammlung in mehrfacher Rücksicht merkwürdig ist, sie enthält erstens mehrere Sachen, die sonst als verlohren betrachtet worden sind oder gänzlich unbekannt waren: wohin das Ṣilpi Ṣâstra od. viel mehr der architektonische Theil desselben gehört; ein sehr interessantes Werk, soviel ich nach einigem Blättern darin habe sehen können; ferner: eine vollständigere Litteratur der Jainas, als wir bisher kannten; endlich eine Sammlung von Lehrbüchern der Wahrsagekunst nach allen erdenklichen Zweigen derselben. Demnächst sind einige seiner Manuscripte von dem größten bisher bekannten Alter (z. B. ein Ratnamahôdhi (eine Grammatik) von S[a]mv[a]t 1151; ein Manjarîvivêka von Do͓ 1336: beide auf Palmblättern, in einer sehr deutlichen, aber alterthümlichen Dêvan[agari] Schrift; mehrere andre sind nicht viel jünger). Seine Purânas mögen deswegen vorzüglich schätzbar seyn, weil keine Abschriften von Wilfordʼs Exemplaren nach dieser entfernten Provinz sich verpflanzt haben können. Incorrect sind sie zwar, wie alle Handschriften [2] der Purânas, im höchsten Grade und es wird einem oft schwer, ihren ohnehin sehr verkünstelten Stil, in einer so verdorbenen Gestalt zu verstehen. Ich muß dieses Urtheil nach allen dem fällen, was ich von diesen Gedichten gesehen habe; nicht bloß vom Durgâ Mâhâtmyam, sondern noch weit mehr nach dem Stück aus dem Brahma Purâna, das Herr Chezy in Ihrer Ind[ischen] Bibl[iothek] zuerst mitgetheilt hat. Wenn man bloß nach der Sprache urtheilen kann, so möchte ich sehr geneigt seyn zu glauben, daß die Purânas zu einer Zeit geschrieben seyen, wo das Sanskrit auch unter den Brahminen aufgehört hatte, lebende Sprache zu seyn. Es fehlt ihnen durchaus der lebendige Hauch und die Fülle der Poesie, die das Ram[ayana] und Mahâbh[ârata] belebt. In der genannten Episode hat Chezy die letzte Hälfte ganz weggelassen und sie ist allerdings sehr langweilig. Interessant sind dagegen in den Purânas die geographischen Capitel, und es ist sehr zu bedauern, daß eben die Nahmen am allerincorre[c]testen geschrieben sind. Capt. Todd besitzt 3 originale Charten zur Geographie der Purânas, ich gestehe aber, daß ich nicht recht klug daraus geworden bin; nur davon habe ich mich überzeugt, daß sie eben so wenig das Wilfordʼsche System, als das der Wirklichkeit darbieten. ‒ Schließlich hat Herr Todd mir sehr interessante Münzen von den griechisch-baktrischen Königen gezeigt, die er selbst in den Ruinen alter Städte gefunden hat. Die Legende ist ganz deutlich, z. B. auf einer απολλοδωτου βασιλεως etc. auf der Reverse ist eine Pehlevi-Inschrift. ‒ Endlich sind die Werke in der Brij Bhakh für die Provinzial-Geschichte des Punjab sehr wichtig. Einen sehr großen Schritt zur wirklichen Geschichte Indiens haben wir aber in der That von der Geschichte Kaschmirʼs, in Sanskrit abgefaßt, zu erwarten; Wilson hat eine Abhandlung darüber im 15ten Bde der As[iatic] Researches geliefert, die ich mit höchstem Interesse gelesen habe.
Der Gewinn, der durch Herrn Toddʼs Manuscript vom Ram[ayana] uns gebracht worden ist, muß einzig und allein nach dem 2ten und den darauf folgenden Büchern beurtheilt werden; denn hier sind wir auf einem ganz andern Felde als im ersten Buche. Das Manuscript ist hier vom Anfange an von [3] einer gelehrten Hand geschrieben u[nd mit] ziemlicher Genauigkeit von einer spätern corrigirt. Nach meiner Erfahrung auf diesem Gebiete halte ich es in dieser Rücksicht für eines der bessern. Es bleiben zwar Stellen übrig, wo wirkliche grammatische Fehler sind: aber an solchen fehlt es auch in den besten Hdschrften nicht. Der Text scheint mir, wenigstens im Vergleich mit den Manuscripten im East- India-House, nicht eben vorzüglicher und authentischer, aber er ist oft eigenthümlich und giebt an mehrern Stellen Züge, die in den andern nicht vorkommen, und so viel mir erinnerlich ist, auch in der Ed[itio] Ser[amporica] nicht sind. Um den Text des Ram[ayana] zu reinigen ist die Collation gewiß von beträchtlichem Nutzen; viel wichtiger scheint mir aber dieser Codex für die Geschichte des Textes überhaupt zu seyn. Dann allerdings sind es zwei verschiedene Aufgaben, einen lesbaren und correcten Text des Ram[ayana] zu liefern, und zweitens zu untersuchen, welche Auctorität des Ram[ayana] in Untersuchungen über Gegenstände des Indisch. Alterthums habe. Zur Lösung der ersten Aufgabe haben wir, denke ich, Hülfsmittel genug, zur zweiten muß es uns weniger daran gelegen seyn, viele verschiedene Hdschrften zu besitzen, als Hdschrften aus sehr verschiedenen Gegenden. Und hier fehlen uns allerdings Beiträge aus Guzerate, Nepal, und vorzüglich aus dem Dekhan. Ich bin jetzt beim fol. 46 d[ie]ses Codex, der ohngefähr dem 36sten Capitel des zweiten Buchs in der Ser[amporer Ausgabe] entsprechen wird. Den Bengal. Codex hoffe ich in 8‒10 Tagen vollenden zu können; mit der Redaction, die mir meine Stunden zu Hause sehr wegnimmt, bin ich freilich nicht völlig so weit. Von dem Cod. A habe ich 75 fol. abgeschrieben. Da ich aber in 14 Tagen einen neuen Codex des Ram[ayana] zu erhalten hoffe und zwar den des Dr. Leyden, dessen Papiere die Compagnie gekauft, so wünsche ich sehr zu erfahren, auf welche Weise Ewr. Hochwohlgebohren wünschen, daß ich mit den verschiedenen Codd. fortfahren soll, da ich nicht genau wissen kann, was Sie nach der vollständigen Collation des ersten Buches am liebsten zu erhalten wünschen.
Mit de[r größ]ten Dankbarkeit und Hochachtung
Ewr. Hochwohlgebohren
Chr. Laßen.
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