• Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Jena · Place of Destination: Unknown · Date: 13.10.1802
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Jena
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 13.10.1802
    Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Historisch-kritische Ausgabe. Hg. v. Thomas Buchheim, Jochen Hennigfeld, Wilhelm G. Jacobs, Jörg Jantzen u. Siegbert Peetz. Stuttgart 1976ff. Reihe III: Briefe 2,1: Briefwechsel 1800–1802. Hg. v. Thomas Kisser unter Mitwirkung von Walter Schieche und Alois Wieshuber. Stuttgart 2010, S. 495–497.
  • Incipit: „[1] Jena, 13. Oct. 02
    Heute habe ich Ihre Schrift hier bekannt gemacht: von den Wirkungen derselben konnte ich begreiflich noch nichts [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-36872
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.20,Nr.28
  • Number of Pages: 6 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,5 x 11,2 cm
    Language
  • German
[1] Jena, 13. Oct. 02
Heute habe ich Ihre Schrift hier bekannt gemacht: von den Wirkungen derselben konnte ich begreiflich noch nichts erfahren. Es schien mir wichtig, ihr hier, wo alles in dieser Sache unsre Meynung theilt, die größte Verbreitung zu geben; ich habe sie daher den meisten Professoren, auch Griesbach, zugeschickt: ich werde gegen 50. Exemplarien in meinen Vorlesungen an Zuhörer geben, auch ist bereits eine Quantität der acad[emischen] Buchhandlung zum Verschleiß überlassen worden.
Nach außen sind Exemp[lare] nach Bamberg, Landshut, Tübingen, Halle (an Schelver), Hamburg (Perthes), Braunschweig (Wiedemann) Erlangen (Mehmel), Coburg (Forberg) gegangen. Heute nach Gotha. Genug ich fürchte nicht für die Verbreitung.
Über die Wirkung Ihres Briefs auf S[chütz] haben Sie ganz richtig gesehen. Er hatte den Kopf völlig verloren, wenn er verlieren konnte, was er längst nicht mehr hat. Er wird ihn nun auf’s Neue verlieren, und sowohl seiner Wuth als Niederträchtigkeit freyen Lauf lassen. Ich bin gesonnen, seine Antwort gar nicht zu lesen, nach Ihrem Verlangen aber will ich sie Ihnen zusenden.
[2] Mir scheint es, daß wir großes Unrecht gegen uns selbst hätten, wenn wir diesem Elenden die geringste Wirkung auf uns zuließen. Von der andern Seite dünkt mir, daß, da es Einmal so weit ist, wir in Ansehung derselben auf nichts Geringeres als das förmliche Halsbrechen ausgehen können. Jedes andre wäre unwürdig. Wollte Gott, dieses Talent wäre mir wie Ihnen bescheert! Warum entschließen Sie sich nicht kurzweg, gegen Schütz und die Lit.Zeitung die Scene mit Kotzebue zu erneuern? Gegen unsere von Grundsätzen der Honnetetät ausgehende Erörterungen wird Schütz sich immer halten können, da er den tiefsten Grund der Infamie aufzuwühlen sich nicht scheut. Gegen den Witz hält auch dieser Heroismus der Niederträchtigkeit nicht Stich. Eine große That dieser Art befreyt uns [3] auf immer. ‒ Rücksichten sind hier keine mehr zu beobachten. Machen Sie gegen Schütz was Sie wollen, er wird ohnmächtig stampfen, und sich wüthig anstellen, aber in die Falle des Verklagens geht er gewiß nicht mehr, gegen welches wir auch ein ganz sicheres Mittel haben, nämlich das Perhorresciren des hiesigen Forums. Von Seiten der Regierung in Weimar ist durchaus kein Schritt zu erwarten: sie hat die Maxime des gänzlichen Ignorirens angenommen, und wünscht, nur von Jena gar nichts mehr zu hören. ‒ Was ich oben geschrieben, ist im Grunde auch die Meynung Goetheʼs, der eben jezt auf einige Tage hier war. Er hatte gegen Ihre Schrift nichts auszusetzen, als daß sie kein radicaler Todschlag sey.
Wenn Goethe in dieser Sache weniger thut, so ist es weil er im Grunde ganz in derselben Lage ist, wie wir, da er in Weimar ganz allein steht, und selbst seine unmittelbaren Bekannten mehr oder weniger auf beiden Achseln Wasser tragen. So viel ich merken kann, denkt er auf eine ziemliche Zeit wegzugehen, [4] wohin, weiß ich nicht. ‒ Sie werden seinen und aller Verständigen Beyfall haben, wenn Sie mit Einem Streich alles vollführen.
Von dem spanischen Stück kann Goethe nicht aufhören zu reden. Wenn man Guido sehe, sagt er, so meyne man, daß niemand besser gemahlt habe, wenn Raphaël, daß die Antike nicht besser sey. So mit dem Calderon: nicht nur Shakespear gleich, sondern wenn es möglich wäre ihm noch mehr zuzugestehen! ‒ Unbegreiflicher Verstand in der Construction, Genie in der Erfindung. ‒ Genug diesmal kann man ihm nicht vorwerfen, daß er ⌜zu⌝ kalt lobt. Die Aufführung, meynte er, sey unmöglich, da es auf die Menge doch nur durch den Stoff wirke, der als fremdartig, selbst schon durch die Freyheit, womit er behandelt sey, gerade den Protestanten anstößig sey. Mit Ihrer Antwort gegen den Schwadke schien er nicht zufrieden. Sie verderben die Leute, sagte er, indem Sie sich darauf einließen, sie zu belehren, und er hätte gar zu gern gesehen, [5] wenn Sie dem Kerl das Fell über die Ohren gezogen und dann ausgestopft ihm selbst zurükgegeben hätten.
Stellen Sie sich die Plattheit von Schadow vor, daß er Goethe’n gleich nach dem ersten Willkomm darum ansprach seinen Kopf ausmessen zu dürfen. Goethe sagte davon: er habe ihn, wie der Oberon den Sultan, gleich um ein Paar Backenzähne und Haare aus seinem Bart gebeten. Nach dem Eindruck den er auf Goethe gemacht hat, muß er gegen ihn wie ein Bierbruder sich aufgeführt haben.
Schadowʼs Ankunft in W[eimar] war für Bötticher ein Signal, irgend eine Tücke auszuführen. Es wurde veranstaltet, daß er Wielands Büste machen sollte, die für Tieck schon bestimmt war. Er hat sich alle Mühe gegeben, den Schadow mit diesem zu entzweyen. Goethe, sagt man, suchte jenes bey der Herzogin zu hintertreiben. Allein er hat den Alten doch wirklich modellirt.
Wegen der andern Angelegenheit wird außer dem Ihnen Zugeschickten nichts nöthig seyn, und es scheint, [6] daß die Nichterscheinung denn doch durchgehen wird.
Leben Sie recht wohl; ich bemerke noch, daß Sie wegen Ihres Bruders wirklich vollkommen Recht gehabt haben, das Wichtigste, der Plato, ist zu allgemeiner Freude wirklich angekommen.
Sch.
Haben Sie die Güte mir ja bestimmt zu sagen, wann Sie Ihr Manuscript wieder brauchen, und ob gleich ganz, u. wo nicht, welchen Theil?
Sch[ütz]s Brief hat Goethe nicht mit herüber gebracht, ich kann ihn daher heute nicht beylegen.
[7]
[8]
[1] Jena, 13. Oct. 02
Heute habe ich Ihre Schrift hier bekannt gemacht: von den Wirkungen derselben konnte ich begreiflich noch nichts erfahren. Es schien mir wichtig, ihr hier, wo alles in dieser Sache unsre Meynung theilt, die größte Verbreitung zu geben; ich habe sie daher den meisten Professoren, auch Griesbach, zugeschickt: ich werde gegen 50. Exemplarien in meinen Vorlesungen an Zuhörer geben, auch ist bereits eine Quantität der acad[emischen] Buchhandlung zum Verschleiß überlassen worden.
Nach außen sind Exemp[lare] nach Bamberg, Landshut, Tübingen, Halle (an Schelver), Hamburg (Perthes), Braunschweig (Wiedemann) Erlangen (Mehmel), Coburg (Forberg) gegangen. Heute nach Gotha. Genug ich fürchte nicht für die Verbreitung.
Über die Wirkung Ihres Briefs auf S[chütz] haben Sie ganz richtig gesehen. Er hatte den Kopf völlig verloren, wenn er verlieren konnte, was er längst nicht mehr hat. Er wird ihn nun auf’s Neue verlieren, und sowohl seiner Wuth als Niederträchtigkeit freyen Lauf lassen. Ich bin gesonnen, seine Antwort gar nicht zu lesen, nach Ihrem Verlangen aber will ich sie Ihnen zusenden.
[2] Mir scheint es, daß wir großes Unrecht gegen uns selbst hätten, wenn wir diesem Elenden die geringste Wirkung auf uns zuließen. Von der andern Seite dünkt mir, daß, da es Einmal so weit ist, wir in Ansehung derselben auf nichts Geringeres als das förmliche Halsbrechen ausgehen können. Jedes andre wäre unwürdig. Wollte Gott, dieses Talent wäre mir wie Ihnen bescheert! Warum entschließen Sie sich nicht kurzweg, gegen Schütz und die Lit.Zeitung die Scene mit Kotzebue zu erneuern? Gegen unsere von Grundsätzen der Honnetetät ausgehende Erörterungen wird Schütz sich immer halten können, da er den tiefsten Grund der Infamie aufzuwühlen sich nicht scheut. Gegen den Witz hält auch dieser Heroismus der Niederträchtigkeit nicht Stich. Eine große That dieser Art befreyt uns [3] auf immer. ‒ Rücksichten sind hier keine mehr zu beobachten. Machen Sie gegen Schütz was Sie wollen, er wird ohnmächtig stampfen, und sich wüthig anstellen, aber in die Falle des Verklagens geht er gewiß nicht mehr, gegen welches wir auch ein ganz sicheres Mittel haben, nämlich das Perhorresciren des hiesigen Forums. Von Seiten der Regierung in Weimar ist durchaus kein Schritt zu erwarten: sie hat die Maxime des gänzlichen Ignorirens angenommen, und wünscht, nur von Jena gar nichts mehr zu hören. ‒ Was ich oben geschrieben, ist im Grunde auch die Meynung Goetheʼs, der eben jezt auf einige Tage hier war. Er hatte gegen Ihre Schrift nichts auszusetzen, als daß sie kein radicaler Todschlag sey.
Wenn Goethe in dieser Sache weniger thut, so ist es weil er im Grunde ganz in derselben Lage ist, wie wir, da er in Weimar ganz allein steht, und selbst seine unmittelbaren Bekannten mehr oder weniger auf beiden Achseln Wasser tragen. So viel ich merken kann, denkt er auf eine ziemliche Zeit wegzugehen, [4] wohin, weiß ich nicht. ‒ Sie werden seinen und aller Verständigen Beyfall haben, wenn Sie mit Einem Streich alles vollführen.
Von dem spanischen Stück kann Goethe nicht aufhören zu reden. Wenn man Guido sehe, sagt er, so meyne man, daß niemand besser gemahlt habe, wenn Raphaël, daß die Antike nicht besser sey. So mit dem Calderon: nicht nur Shakespear gleich, sondern wenn es möglich wäre ihm noch mehr zuzugestehen! ‒ Unbegreiflicher Verstand in der Construction, Genie in der Erfindung. ‒ Genug diesmal kann man ihm nicht vorwerfen, daß er ⌜zu⌝ kalt lobt. Die Aufführung, meynte er, sey unmöglich, da es auf die Menge doch nur durch den Stoff wirke, der als fremdartig, selbst schon durch die Freyheit, womit er behandelt sey, gerade den Protestanten anstößig sey. Mit Ihrer Antwort gegen den Schwadke schien er nicht zufrieden. Sie verderben die Leute, sagte er, indem Sie sich darauf einließen, sie zu belehren, und er hätte gar zu gern gesehen, [5] wenn Sie dem Kerl das Fell über die Ohren gezogen und dann ausgestopft ihm selbst zurükgegeben hätten.
Stellen Sie sich die Plattheit von Schadow vor, daß er Goethe’n gleich nach dem ersten Willkomm darum ansprach seinen Kopf ausmessen zu dürfen. Goethe sagte davon: er habe ihn, wie der Oberon den Sultan, gleich um ein Paar Backenzähne und Haare aus seinem Bart gebeten. Nach dem Eindruck den er auf Goethe gemacht hat, muß er gegen ihn wie ein Bierbruder sich aufgeführt haben.
Schadowʼs Ankunft in W[eimar] war für Bötticher ein Signal, irgend eine Tücke auszuführen. Es wurde veranstaltet, daß er Wielands Büste machen sollte, die für Tieck schon bestimmt war. Er hat sich alle Mühe gegeben, den Schadow mit diesem zu entzweyen. Goethe, sagt man, suchte jenes bey der Herzogin zu hintertreiben. Allein er hat den Alten doch wirklich modellirt.
Wegen der andern Angelegenheit wird außer dem Ihnen Zugeschickten nichts nöthig seyn, und es scheint, [6] daß die Nichterscheinung denn doch durchgehen wird.
Leben Sie recht wohl; ich bemerke noch, daß Sie wegen Ihres Bruders wirklich vollkommen Recht gehabt haben, das Wichtigste, der Plato, ist zu allgemeiner Freude wirklich angekommen.
Sch.
Haben Sie die Güte mir ja bestimmt zu sagen, wann Sie Ihr Manuscript wieder brauchen, und ob gleich ganz, u. wo nicht, welchen Theil?
Sch[ütz]s Brief hat Goethe nicht mit herüber gebracht, ich kann ihn daher heute nicht beylegen.
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