• August Wilhelm von Schlegel to Christian Gottlob Heyne

  • Place of Dispatch: Amsterdam · Place of Destination: Göttingen · Date: 02.07.1791
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Christian Gottlob Heyne
  • Place of Dispatch: Amsterdam
  • Place of Destination: Göttingen
  • Date: 02.07.1791
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 13‒15.
  • Incipit: „[1] Amsterdam. d. 2 Jul 1791
    Wohlgebohrner Herr Hofrath!
    Schreiben Sie es nicht meiner Nachläßigkeit zu, daß ich Ihre gütige Zuschrift erst jetzt [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-37113
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XX,Bd.3,Nr.30(2)
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 23,3 x 19 cm
    Language
  • German
[1] Amsterdam. d. 2 Jul 1791
Wohlgebohrner Herr Hofrath!
Schreiben Sie es nicht meiner Nachläßigkeit zu, daß ich Ihre gütige Zuschrift erst jetzt beantworte. Ich verließ gleich nach dem Empfange Ihres Briefes Amsterdam, und brachte einige Zeit auf dem Lande zu; erst vor wenigen Tagen bin ich zurückgekommen. Ich danke recht sehr für Ihre Nachrichten von dem was in Göttingen vorgefallen, und freue mich über Herrn Smithʼs glückliche Überkunft; ich selbst habe noch keinen Brief von ihm gehabt.
Ich habe mich bey dem deutschen Buchhändler, den mir Herr Matthiae (der einzige Bekannte, den ich hier angetroffen) empfahl, nach dem Bliomberis erkundigt. Er hat ihn aber noch nicht, und überhaupt einen schlechten Laden. Es giebt hier außer ihm noch einen oder zwey andre; ich habe aber bis jetzt ihre Wohnung noch nicht erfahren können.
Sie fragen mich über die Holländische Litteratur. Bis jetzt habe ich noch keine Übersicht derselben, und rede auch die Sprache noch wenig, weil ich fast immer mit Leuten bin, mit denen ich Französisch oder Englisch sprechen kann. Prosaische Bücher zu verstehn ist für einen Deutschen sehr leicht. Interessant wird es mir seyn, die Frage aufzulösen, ob das Unedle, was wir Deutsche mit dem Begriff der Holländischen Sprache unzertrennlich verbinden, wirklich in ihrem Wesen liegt, oder nur scheinbar ist, und von der Ähnlichkeit mit dem Plattdeutschen herrührt. Und warum ist das Englische, dem das Holländische so viel näher verwandt ist als das Deutsche, wieder so edel? Oder ist das alles nur Vorurtheil und Gewöhnung? – Wenn Sie mich mit litterarischen Aufträgen beehren wollen, so werde ich sie allezeit mit dem größten Eifer zu besorgen suchen. Von [2] dem sonderbaren Phaenomen in der hiesigen theologischen Welt, einem förmlichen Schisma in der Lutherschen Gemeine, welches schon seit mehrern Jahren dauert und vermuthlich nicht so leicht wieder aufgehoben werden wird, werden Sie wohl wissen. Bey einer so republikanischen Verfassung der Religionen, wo jeder Mensch gleich auf der Stelle eine neue Religion stiften darf, wenn sie nur nichts gegen den Staat und die Sitten enthält, kann Einigkeit nicht durch einen Machtspruch geboten werden. Eine Synode von Geistlichen hat die für heterodox ausgeschrienen Prediger für vollkommen rechtgläubig erklärt. Die rechtsinnigen, oder vielmehr steifsinnigen Lutheraner, die hier eine eigne Gemeine errichtet haben, und Geld zum Bau einer eignen Kirche sammeln, haben gegen die Gültigkeit dieser Synode protestirt, und sie selbst der Heterodoxie beschuldigt. Was die Parteyen nun weiter thun werden, weiß ich nicht. Welch einen großen Artikel die dahin einschlagenden Brochüren, die beständig herauskommen, ausmachen, werden Sie aus den beygefügten Verzeichnissen neuer Bücher sehen.
In Ansehung der politischen Verhältnisse ist hier die Ruhe nur scheinbar. Die Parteyen sind so getrennt als sie seyn können, und die überwundne äußerst erbittert. Vor einigen Tagen ist es auch einmahl zu Thätlichkeiten gekommen. Sechs bis sieben Officiere trinken Abends zusammen in einer Schenke, wo eine Art von Vauxhall gegeben wird. Einige Patrioten, die dort sind, fodern sie auf, die Gesundheit des alten Mannes zu trinken. So nennen sie ihren großen Führer, Vater Hooft, dessen Geburtstag grade an dem Tage war. Die Officiere verweigern es unter allerley Vorwänden, man insultirt sie, sie ziehen die Degen, und vertheidigen sich glücklich gegen ein 50 Menschen [3] von denen viele auch Degen haben. Verschiedne Bürger sind stark verwundet – die Sache ist jetzt in Untersuchung. Vorläufig hat die Sache für die Garnison eine unangenehme Folge gehabt. Der Commandant hat den Officieren ein neues Geschäft auferlegt, das ihnen wenig Zeit lassen wird des Nachts in den Schenken zu trinken.
Eine Sache, die ich hier bey aller Zufriedenheit mit meiner Lage sehr vermisse, ist litterarischer Umgang. Eingeschränktheit der Kenntnisse ist gewöhnlich und daher nicht auffallend. Ein sehr vernünftiger Mann, der grade auf dem Punkt stand nach Deutschland zu reisen, hat mit mir disputirt, „Hanover liege nicht in Niedersachsen“. Der gute Mann magʼs mir verzeihen, wenn mir dabey die Anekdote von einem Bewindhebber der ostindischen Compagnie einfiel, der, als berichtet wurde, der Ganges sey übergetreten, gesagt hatte: „Wat is dat voor een Kaerel, de Ganges? Die sulle men laten uphangen!“ – Je weniger Interesse für Litterarische Gegenstände sich hier äußert desto stärker wendet sichs auf politische. Bey Vorfällen, wie die Flucht des Königs aus Frankreich, bekommen die größten Handelshäuser eigne Kouriere. Das französische Caffeehaus ist um die Zeit, wo man Neuigkeiten zu hören hoffte, beynah gestürmt worden. Es giebt hier aber auch eine Menge französische Aristokraten.
Verzeihen Sie die Länge meines Briefs. Ich ersuche Sie um die Erlaubniß, Ihnen immer mittheilen zu dürfen, was mir von Gegenständen, die Ihnen interessant seyn können, bekannt wird. Freylich habe ich schon vorgegriffen und sie mir für dießmahl selbst genommen. [4] Ich wünsche und hoffe von ihrem fortdauernden Wohlseyn und dem Wohlseyn Ihres Hauses von Zeit zu Zeit zu hören. Ich bin mit wahrer Ehrerbietung und unbegränzter Hochachtung
Ew. Wohlgebohren
gehorsamster Diener
A. W. Schlegel

Meine Addresse ist: chez Mr. Henry Muilman Conseiller & Echevin de la Ville dʼAmsterdam.
[1] Amsterdam. d. 2 Jul 1791
Wohlgebohrner Herr Hofrath!
Schreiben Sie es nicht meiner Nachläßigkeit zu, daß ich Ihre gütige Zuschrift erst jetzt beantworte. Ich verließ gleich nach dem Empfange Ihres Briefes Amsterdam, und brachte einige Zeit auf dem Lande zu; erst vor wenigen Tagen bin ich zurückgekommen. Ich danke recht sehr für Ihre Nachrichten von dem was in Göttingen vorgefallen, und freue mich über Herrn Smithʼs glückliche Überkunft; ich selbst habe noch keinen Brief von ihm gehabt.
Ich habe mich bey dem deutschen Buchhändler, den mir Herr Matthiae (der einzige Bekannte, den ich hier angetroffen) empfahl, nach dem Bliomberis erkundigt. Er hat ihn aber noch nicht, und überhaupt einen schlechten Laden. Es giebt hier außer ihm noch einen oder zwey andre; ich habe aber bis jetzt ihre Wohnung noch nicht erfahren können.
Sie fragen mich über die Holländische Litteratur. Bis jetzt habe ich noch keine Übersicht derselben, und rede auch die Sprache noch wenig, weil ich fast immer mit Leuten bin, mit denen ich Französisch oder Englisch sprechen kann. Prosaische Bücher zu verstehn ist für einen Deutschen sehr leicht. Interessant wird es mir seyn, die Frage aufzulösen, ob das Unedle, was wir Deutsche mit dem Begriff der Holländischen Sprache unzertrennlich verbinden, wirklich in ihrem Wesen liegt, oder nur scheinbar ist, und von der Ähnlichkeit mit dem Plattdeutschen herrührt. Und warum ist das Englische, dem das Holländische so viel näher verwandt ist als das Deutsche, wieder so edel? Oder ist das alles nur Vorurtheil und Gewöhnung? – Wenn Sie mich mit litterarischen Aufträgen beehren wollen, so werde ich sie allezeit mit dem größten Eifer zu besorgen suchen. Von [2] dem sonderbaren Phaenomen in der hiesigen theologischen Welt, einem förmlichen Schisma in der Lutherschen Gemeine, welches schon seit mehrern Jahren dauert und vermuthlich nicht so leicht wieder aufgehoben werden wird, werden Sie wohl wissen. Bey einer so republikanischen Verfassung der Religionen, wo jeder Mensch gleich auf der Stelle eine neue Religion stiften darf, wenn sie nur nichts gegen den Staat und die Sitten enthält, kann Einigkeit nicht durch einen Machtspruch geboten werden. Eine Synode von Geistlichen hat die für heterodox ausgeschrienen Prediger für vollkommen rechtgläubig erklärt. Die rechtsinnigen, oder vielmehr steifsinnigen Lutheraner, die hier eine eigne Gemeine errichtet haben, und Geld zum Bau einer eignen Kirche sammeln, haben gegen die Gültigkeit dieser Synode protestirt, und sie selbst der Heterodoxie beschuldigt. Was die Parteyen nun weiter thun werden, weiß ich nicht. Welch einen großen Artikel die dahin einschlagenden Brochüren, die beständig herauskommen, ausmachen, werden Sie aus den beygefügten Verzeichnissen neuer Bücher sehen.
In Ansehung der politischen Verhältnisse ist hier die Ruhe nur scheinbar. Die Parteyen sind so getrennt als sie seyn können, und die überwundne äußerst erbittert. Vor einigen Tagen ist es auch einmahl zu Thätlichkeiten gekommen. Sechs bis sieben Officiere trinken Abends zusammen in einer Schenke, wo eine Art von Vauxhall gegeben wird. Einige Patrioten, die dort sind, fodern sie auf, die Gesundheit des alten Mannes zu trinken. So nennen sie ihren großen Führer, Vater Hooft, dessen Geburtstag grade an dem Tage war. Die Officiere verweigern es unter allerley Vorwänden, man insultirt sie, sie ziehen die Degen, und vertheidigen sich glücklich gegen ein 50 Menschen [3] von denen viele auch Degen haben. Verschiedne Bürger sind stark verwundet – die Sache ist jetzt in Untersuchung. Vorläufig hat die Sache für die Garnison eine unangenehme Folge gehabt. Der Commandant hat den Officieren ein neues Geschäft auferlegt, das ihnen wenig Zeit lassen wird des Nachts in den Schenken zu trinken.
Eine Sache, die ich hier bey aller Zufriedenheit mit meiner Lage sehr vermisse, ist litterarischer Umgang. Eingeschränktheit der Kenntnisse ist gewöhnlich und daher nicht auffallend. Ein sehr vernünftiger Mann, der grade auf dem Punkt stand nach Deutschland zu reisen, hat mit mir disputirt, „Hanover liege nicht in Niedersachsen“. Der gute Mann magʼs mir verzeihen, wenn mir dabey die Anekdote von einem Bewindhebber der ostindischen Compagnie einfiel, der, als berichtet wurde, der Ganges sey übergetreten, gesagt hatte: „Wat is dat voor een Kaerel, de Ganges? Die sulle men laten uphangen!“ – Je weniger Interesse für Litterarische Gegenstände sich hier äußert desto stärker wendet sichs auf politische. Bey Vorfällen, wie die Flucht des Königs aus Frankreich, bekommen die größten Handelshäuser eigne Kouriere. Das französische Caffeehaus ist um die Zeit, wo man Neuigkeiten zu hören hoffte, beynah gestürmt worden. Es giebt hier aber auch eine Menge französische Aristokraten.
Verzeihen Sie die Länge meines Briefs. Ich ersuche Sie um die Erlaubniß, Ihnen immer mittheilen zu dürfen, was mir von Gegenständen, die Ihnen interessant seyn können, bekannt wird. Freylich habe ich schon vorgegriffen und sie mir für dießmahl selbst genommen. [4] Ich wünsche und hoffe von ihrem fortdauernden Wohlseyn und dem Wohlseyn Ihres Hauses von Zeit zu Zeit zu hören. Ich bin mit wahrer Ehrerbietung und unbegränzter Hochachtung
Ew. Wohlgebohren
gehorsamster Diener
A. W. Schlegel

Meine Addresse ist: chez Mr. Henry Muilman Conseiller & Echevin de la Ville dʼAmsterdam.
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