• Heinrich W. von Kalkreuth to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Siegersdorf (Zebrzydowa, Niederschlesien) · Place of Destination: Unknown · Date: 07.08.1803
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Heinrich W. von Kalkreuth
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Siegersdorf (Zebrzydowa, Niederschlesien)
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 07.08.1803
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 160‒162.
  • Incipit: „[1] Siegersdorf d. 7ten Aug. 1803
    Sie bedürfen bey mir keiner Entschuldigung, wenn Sie zu Gunsten eines trefflichen Freundes den geringen Einfluß [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-33958
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.13,Nr.2
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 23 x 19,3 cm
    Language
  • German
[1] Siegersdorf d. 7ten Aug. 1803
Sie bedürfen bey mir keiner Entschuldigung, wenn Sie zu Gunsten eines trefflichen Freundes den geringen Einfluß zu benutzen wünschen, den ich etwa auf einige Männer von Gewicht und Ansehn haben mögte, umgekehrt aber komme ich in den Fall, bey Ihnen, lieber Professor, um Schonung, wenigstens um ruhige Ansicht der Sache zu bitten, wenn der Erfolg meiner Verwendung nicht der Absicht derselben entspricht. Herr Hülsen ist mir aus einigen Aufsätzen vorteilhaft bekannt. Es ist ein Mann von Geist. Er ist besonders dazu geeignet, schöne Gefühle zu erwecken, und ich wünschte daher, daß er sich dem Erziehungs-Geschäft fortwährend widmete. Sie sagen, daß er bey demselben die Sokratische Weise erwählt. Giebt es denn eine andere, die Thätigkeit des Zöglings zu beschäftigen, und zu stärken? – Indessen bin ich weit entfernt, Ihrem Freunde meinen [2] Rath aufdringen zu wollen, oder seinem künftigen Leben eine bestimte Richtung zu geben, ich erwarte vielmehr von Herrn Hülsen, daß er mir seine Wünsche offen mitteile. Ich bin so gewohnt, über die selbstgewählte Lebensweise eines Jeden behutsam zu urteilen, der Grund davon liegt so tief in unserem Innren, Freiheit und Zufall haben dabey einen so unverkennbaren Anteil, Selbsttäuschungen sind hier so brüderlich zu verzeihen, – daß ich nie weder über die Absicht noch über den Nutzen eines Geschäfts zu richten wage. Sie kennen aber mit mir die traurigen Verhältnisse, unter denen Männer von ächtem Geist endlich erliegen müssen, Sie kennen das erbärmliche Zeichen der Zeit, das wahrhaft Nationale, wie die B.[erliner] Zeitung es zu nennen beliebt so daß ich Ihnen nicht zu sagen brauche, wie wenig [3] Aussicht für Ihren Freund in dem bürgerlichen Geschäfts-Kreise ist. Eben das was ihn in meinen Augen schätzenswerth macht, würde ihm bei den gewöhnlichen Stellvergebern zur schlechten Empfelung dienen. Indessen will ich sehen, was ich vermag, so bald H. Hülsen mir erst seinen Plan zu erkennen gegeben hat. –
Ehe ich schließe, muß ich Ihnen lieber Professor noch ein Wort über Ihre Übersetzungen aus dem Spanischen des Calderon sagen, und ohne mit Ihnen länger über den Unterschied von Nachahmen, und Übersetzen zu streiten, so gestehe ich gern, daß Sie meine Zweifel siegreich durch die That, meine Gründe durch das eigne Geständnis meines Gefühls widerlegen. Die Acht Reime gerathen Ihnen mehrenteils vortrefflich, und ich erinere mich wenig gezwungener Abschnitte, oder harter Wendungen. Ich lese ein vollkommen Deutsches Produkt, und ahnde beständig das Spanische sowohl in der reichen Fülle des Ausdrucks, in der eignen [4] witzelnden Geschwätzigkeit eines durch Geselligkeit gebildeten Volks, als auch die Wärme, und das Gediegene der Empfindung, die wir in der südlichen Poesie antreffen. Die Andacht zum Kreuze gehört der romantischen Dichtkunst an, und im Ganzen mögte ich dieses Schauspiel den folgenden in der Samlung bey weitem vorziehen. – H. Bernhardi[s] phyl:[osophische] Sprachlehre habe ich noch nicht gelesen. Ich bin immer selbst zu sehr mit meinen eignen Meditazionen beschäftigt, und oft wird es mir herzlich schwer zu lesen, d. h. den Geist des Andern aufzunehmen. – Was sagen Sie zu Schellings Aufsatz über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts? Seine Schreibart über phyl:[osophische] Gegenstände ist mir nicht klar genung, die Worte ändern von bestimter Bedeutung, und der dichterische Anstrich verwirrt die Sache noch mehr. Rein wissenschaftlich ist der Vortrag gewiß nicht, und für populär, will ich ihn bey dem hohen Schwunge der Imagination, denn auch nicht anpreisen.
Ihr ganz ergebener Diener
G. v. Kalckreuth
[1] Siegersdorf d. 7ten Aug. 1803
Sie bedürfen bey mir keiner Entschuldigung, wenn Sie zu Gunsten eines trefflichen Freundes den geringen Einfluß zu benutzen wünschen, den ich etwa auf einige Männer von Gewicht und Ansehn haben mögte, umgekehrt aber komme ich in den Fall, bey Ihnen, lieber Professor, um Schonung, wenigstens um ruhige Ansicht der Sache zu bitten, wenn der Erfolg meiner Verwendung nicht der Absicht derselben entspricht. Herr Hülsen ist mir aus einigen Aufsätzen vorteilhaft bekannt. Es ist ein Mann von Geist. Er ist besonders dazu geeignet, schöne Gefühle zu erwecken, und ich wünschte daher, daß er sich dem Erziehungs-Geschäft fortwährend widmete. Sie sagen, daß er bey demselben die Sokratische Weise erwählt. Giebt es denn eine andere, die Thätigkeit des Zöglings zu beschäftigen, und zu stärken? – Indessen bin ich weit entfernt, Ihrem Freunde meinen [2] Rath aufdringen zu wollen, oder seinem künftigen Leben eine bestimte Richtung zu geben, ich erwarte vielmehr von Herrn Hülsen, daß er mir seine Wünsche offen mitteile. Ich bin so gewohnt, über die selbstgewählte Lebensweise eines Jeden behutsam zu urteilen, der Grund davon liegt so tief in unserem Innren, Freiheit und Zufall haben dabey einen so unverkennbaren Anteil, Selbsttäuschungen sind hier so brüderlich zu verzeihen, – daß ich nie weder über die Absicht noch über den Nutzen eines Geschäfts zu richten wage. Sie kennen aber mit mir die traurigen Verhältnisse, unter denen Männer von ächtem Geist endlich erliegen müssen, Sie kennen das erbärmliche Zeichen der Zeit, das wahrhaft Nationale, wie die B.[erliner] Zeitung es zu nennen beliebt so daß ich Ihnen nicht zu sagen brauche, wie wenig [3] Aussicht für Ihren Freund in dem bürgerlichen Geschäfts-Kreise ist. Eben das was ihn in meinen Augen schätzenswerth macht, würde ihm bei den gewöhnlichen Stellvergebern zur schlechten Empfelung dienen. Indessen will ich sehen, was ich vermag, so bald H. Hülsen mir erst seinen Plan zu erkennen gegeben hat. –
Ehe ich schließe, muß ich Ihnen lieber Professor noch ein Wort über Ihre Übersetzungen aus dem Spanischen des Calderon sagen, und ohne mit Ihnen länger über den Unterschied von Nachahmen, und Übersetzen zu streiten, so gestehe ich gern, daß Sie meine Zweifel siegreich durch die That, meine Gründe durch das eigne Geständnis meines Gefühls widerlegen. Die Acht Reime gerathen Ihnen mehrenteils vortrefflich, und ich erinere mich wenig gezwungener Abschnitte, oder harter Wendungen. Ich lese ein vollkommen Deutsches Produkt, und ahnde beständig das Spanische sowohl in der reichen Fülle des Ausdrucks, in der eignen [4] witzelnden Geschwätzigkeit eines durch Geselligkeit gebildeten Volks, als auch die Wärme, und das Gediegene der Empfindung, die wir in der südlichen Poesie antreffen. Die Andacht zum Kreuze gehört der romantischen Dichtkunst an, und im Ganzen mögte ich dieses Schauspiel den folgenden in der Samlung bey weitem vorziehen. – H. Bernhardi[s] phyl:[osophische] Sprachlehre habe ich noch nicht gelesen. Ich bin immer selbst zu sehr mit meinen eignen Meditazionen beschäftigt, und oft wird es mir herzlich schwer zu lesen, d. h. den Geist des Andern aufzunehmen. – Was sagen Sie zu Schellings Aufsatz über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts? Seine Schreibart über phyl:[osophische] Gegenstände ist mir nicht klar genung, die Worte ändern von bestimter Bedeutung, und der dichterische Anstrich verwirrt die Sache noch mehr. Rein wissenschaftlich ist der Vortrag gewiß nicht, und für populär, will ich ihn bey dem hohen Schwunge der Imagination, denn auch nicht anpreisen.
Ihr ganz ergebener Diener
G. v. Kalckreuth
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