• August Wilhelm von Schlegel to Johann Diederich Gries

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Unknown · Date: 17.09.1803
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johann Diederich Gries
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 17.09.1803
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 167‒169.
  • Incipit: „[1] Berlin d. 17 Sept 1803
    Sie erhalten hier, mein werthester Freund, das Taschenbuch welches so eben fertig geworden ist. Ein paar [...]“
    Manuscript
  • Provider: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg
  • Classification Number: SUB Hamburg : CS 4 : Schlegel AW : 22‒23
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
    Language
  • German
[1] Berlin d. 17 Sept 1803
Sie erhalten hier, mein werthester Freund, das Taschenbuch welches so eben fertig geworden ist. Ein paar von Ihren Sonetten habe ich zurückgelegt, da ich Übersetzungen von denselben schon fertig hatte. In Ansehung des Giove habe ich eine Auskunft getroffen, wodurch Sie, wie ich hoffe befriedigt seyn werden. Mit dem Sonett S. 67 habe ich mir einige Freyheiten genommen, jedoch nach Ihrem eignen Grundsatz, die Reimstellung des Originals beyzubehalten, da Sie übersehen hatten, daß die Reime in den Quartetts hier alterniren und sich nicht einschließen.
Das übersetzte Stück aus dem Ariost finden Sie hier, Ihrem Wunsche gemäß, abgedruckt. Wenn es mir als einem Veteranen erlaubt ist Ihnen einen Rath zu geben, so sey es der, so dreist als möglich zu Werke zu gehn, das Charakteristische, ja Bizarre und Capriciöse fest zu halten, und lieber an allem andern aufzuopfern.
Was meine Einwendung gegen die von Ihnen gewählte, einförmig und in der That durch den bestimmten Fall der Reime weit mehr [2] lyrisch als episch gebildete Stanze betrifft, so werden Sie meine Argumente am bündigsten in dem übersetzten Stück von Camoens ausgeführt finden. Wenn man die durchgängigen weiblichen Reime in 30 Stanzen nicht überdrüßig wird, so hat es auch in 1000 keine Noth. Ich sehe hier gar nicht was den Unterschied zwischen uns und den Italiänern, und besonders den Spaniern macht, die genug männliche Reime haben, und dennoch Gedichte von vielen Gesängen ununterbrochen in weiblichen Stanzen schreiben. Diese sind wie der Hexameter, der eben wegen seiner Unbestimmtheit und Homogeneität der epische Vers ist; jede Richtung, dergleichen eine bestimmte Anordnung giebt, beschränkt und macht einseitig.
Das Gesetz des regelmäßigen Wechsels der männlichen und weiblichen Reime – wo steht es geschrieben? Es hat in unsrer Sprache nur sehr neue und schwache Autoritäten für sich. Opitz und seine Zeitgenossen haben es aus Nachahmung der Franzosen und Holländer eingeführt, vorher ist nie die Rede davon gewesen. – Überdieß beobachten Sie es auf diesem Wege gar nicht einmal genau, denn nun [3] treffen zu Anfange und Ende der Strophen weibliche Zeilen zusammen; abwechselnd sollten Sie nur drey weibliche Reime enthalten.
Ich rieht Ihnen beym Ariost, sich völlige Freyheit zu lassen, weil das abschweifende in seinem Charakter liegt, und es andre Freyheiten dafür hat, die wir schwerlich nachahmen können. Es giebt hiefür eine sehr große Autorität, nämlich den Camoens, der zwar im Ganzen seine Octaven weiblich reimt, aber dann und wann ohne Regel männliche Reime einstreut. Soll eine Form der Strophe beybehalten werden, so würde ich ganz entschieden statt der von Ihnen gewählten, zu dem ausschließenden Gebrauch der weiblichen Reime rathen, so wie ich jetzt ebenfalls beym Tasso thun würde, wenn Sie diese Arbeit noch vor sich hätten.
Sie sehen leicht, daß ich kein andres Interesse bey meiner Beharrlichkeit im rathen haben kann, als daß ich Ihnen das beste Gelingen bey Ihrer Arbeit wünsche. Erwägen Sie, daß jetzt eben die Epoche ist, wo sich unser ganzes metrisches System umwandelt, daß in wenigen Jahren die Ohren für das gestimmt [4] seyn werden, was ihnen jetzt als fremd und ungewohnt auffällt. Zu Anfange einer Arbeit kann man seine Maximen so oder so bestimmen, nachher ist es zu spät.
Wie abweichend die Begriffe von Correctheit sind, werden Sie daraus sehen, daß ich gar großen Anstoß an den vielen unächten Reimen, von ü auf i, eu auf ei, ö auf e, und dergl. mehr nehme. Ich fliehe sie jetzt wie die Pest, sie werden sowohl im Calderon als in diesem Taschenbuch äußerst wenige finden. Ich nehme den Fall der ganz seltnen Reime aus und wo die Bedeutsamkeit der Consonanten den Vocal überstimmt, oder wo ein Gedankenreim Statt findet, wie bey Freund und Feind. – Wenn Sie für meine Ohren sorgen wollen, so merzen Sie solche sämtlich aus; glauben Sie mir, Sie verlieren nichts dabey, wenn Sie sie ein für allemal für unmöglich erklären. Ich habe sie ehedem auch ohne Bedenken gebraucht, aber man muß sich von diesem traurigen Reste des goldnen Zeitalters losmachen.
Leben Sie recht wohl, ich wünsche bey Ihrer Arbeit den besten Fortgang.
Ihr
A. W. Schlegel
[1] Berlin d. 17 Sept 1803
Sie erhalten hier, mein werthester Freund, das Taschenbuch welches so eben fertig geworden ist. Ein paar von Ihren Sonetten habe ich zurückgelegt, da ich Übersetzungen von denselben schon fertig hatte. In Ansehung des Giove habe ich eine Auskunft getroffen, wodurch Sie, wie ich hoffe befriedigt seyn werden. Mit dem Sonett S. 67 habe ich mir einige Freyheiten genommen, jedoch nach Ihrem eignen Grundsatz, die Reimstellung des Originals beyzubehalten, da Sie übersehen hatten, daß die Reime in den Quartetts hier alterniren und sich nicht einschließen.
Das übersetzte Stück aus dem Ariost finden Sie hier, Ihrem Wunsche gemäß, abgedruckt. Wenn es mir als einem Veteranen erlaubt ist Ihnen einen Rath zu geben, so sey es der, so dreist als möglich zu Werke zu gehn, das Charakteristische, ja Bizarre und Capriciöse fest zu halten, und lieber an allem andern aufzuopfern.
Was meine Einwendung gegen die von Ihnen gewählte, einförmig und in der That durch den bestimmten Fall der Reime weit mehr [2] lyrisch als episch gebildete Stanze betrifft, so werden Sie meine Argumente am bündigsten in dem übersetzten Stück von Camoens ausgeführt finden. Wenn man die durchgängigen weiblichen Reime in 30 Stanzen nicht überdrüßig wird, so hat es auch in 1000 keine Noth. Ich sehe hier gar nicht was den Unterschied zwischen uns und den Italiänern, und besonders den Spaniern macht, die genug männliche Reime haben, und dennoch Gedichte von vielen Gesängen ununterbrochen in weiblichen Stanzen schreiben. Diese sind wie der Hexameter, der eben wegen seiner Unbestimmtheit und Homogeneität der epische Vers ist; jede Richtung, dergleichen eine bestimmte Anordnung giebt, beschränkt und macht einseitig.
Das Gesetz des regelmäßigen Wechsels der männlichen und weiblichen Reime – wo steht es geschrieben? Es hat in unsrer Sprache nur sehr neue und schwache Autoritäten für sich. Opitz und seine Zeitgenossen haben es aus Nachahmung der Franzosen und Holländer eingeführt, vorher ist nie die Rede davon gewesen. – Überdieß beobachten Sie es auf diesem Wege gar nicht einmal genau, denn nun [3] treffen zu Anfange und Ende der Strophen weibliche Zeilen zusammen; abwechselnd sollten Sie nur drey weibliche Reime enthalten.
Ich rieht Ihnen beym Ariost, sich völlige Freyheit zu lassen, weil das abschweifende in seinem Charakter liegt, und es andre Freyheiten dafür hat, die wir schwerlich nachahmen können. Es giebt hiefür eine sehr große Autorität, nämlich den Camoens, der zwar im Ganzen seine Octaven weiblich reimt, aber dann und wann ohne Regel männliche Reime einstreut. Soll eine Form der Strophe beybehalten werden, so würde ich ganz entschieden statt der von Ihnen gewählten, zu dem ausschließenden Gebrauch der weiblichen Reime rathen, so wie ich jetzt ebenfalls beym Tasso thun würde, wenn Sie diese Arbeit noch vor sich hätten.
Sie sehen leicht, daß ich kein andres Interesse bey meiner Beharrlichkeit im rathen haben kann, als daß ich Ihnen das beste Gelingen bey Ihrer Arbeit wünsche. Erwägen Sie, daß jetzt eben die Epoche ist, wo sich unser ganzes metrisches System umwandelt, daß in wenigen Jahren die Ohren für das gestimmt [4] seyn werden, was ihnen jetzt als fremd und ungewohnt auffällt. Zu Anfange einer Arbeit kann man seine Maximen so oder so bestimmen, nachher ist es zu spät.
Wie abweichend die Begriffe von Correctheit sind, werden Sie daraus sehen, daß ich gar großen Anstoß an den vielen unächten Reimen, von ü auf i, eu auf ei, ö auf e, und dergl. mehr nehme. Ich fliehe sie jetzt wie die Pest, sie werden sowohl im Calderon als in diesem Taschenbuch äußerst wenige finden. Ich nehme den Fall der ganz seltnen Reime aus und wo die Bedeutsamkeit der Consonanten den Vocal überstimmt, oder wo ein Gedankenreim Statt findet, wie bey Freund und Feind. – Wenn Sie für meine Ohren sorgen wollen, so merzen Sie solche sämtlich aus; glauben Sie mir, Sie verlieren nichts dabey, wenn Sie sie ein für allemal für unmöglich erklären. Ich habe sie ehedem auch ohne Bedenken gebraucht, aber man muß sich von diesem traurigen Reste des goldnen Zeitalters losmachen.
Leben Sie recht wohl, ich wünsche bey Ihrer Arbeit den besten Fortgang.
Ihr
A. W. Schlegel
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