Ich schreibe Ihnen hier, theuerste Schwester, an den wegen ihrer Lieblichkeit gepriesenen Ufern der Loire, gerade zwischen Blois und Amboise, auf einer alten stattlichen Burg, mit runden unverwüstlichen Thürmen umbollwerkt, ehemals von Königen besessen und bewohnt, von dem Cardinal von Amboise, dem Vertrauten Ludwigs XII, großentheils wieder erbaut, und wo ein Zauberer, Catherinen von Medicis zu Gefallen, die höllischen Geister beschworen, um ihr die Schicksale ihrer Nachkommenschaft erscheinen zu lassen. (Daß es Nostradamus gewesen, ist ein Irrthum in der Zeitrechnung; mit allem übrigen hat es seine vollkommne Richtigkeit.) Dieß ritterliche Schloß liegt auf einem Felsen, zu unsern Füßen das Dorf, zweyhundert Stufen führen zu uns herauf, die Heerstraße zieht sich jenseits hin, die Freunde, die uns besuchen wollen, müssen erst ihren Charon finden, der sie zu uns Abgeschiedenen herüber bringe; aber wie in den elysäischen Gefilden, so giebt es auch um uns her blühende Gebüsche, worin die Nachtigallen unaufhörlich singen. Von unserer Platteforme beherrschen wir eine weite Aussicht, zwar nicht auf Schweizer-Gebirge, aber auf eine fruchtbare bewohnte Ebne. Seitwärts liegt unter alten Bäumen die länd[2]liche Pfarrkirche, deren Glocke um die Zeit der Messe, des Angelus und Ave Maria zu frommen Regungen anmahnt. Auf dem Flusse gleiten kleine Schiffchen mit Segeln vorüber, und scheinen die Gedanken sich nach, zum Meere und einer kühneren Schiffahrt, zu locken. Alles dieses wäre schön und herrlich, wenn es nur nicht in Frankreich und zwar im Herzen von Frankreich läge, wofern dieß Land anders ein Herz hat. Indessen was ist zu thun? Ich folge einmal fremden Gestirnen, und wer weiß, wie lange es dauern wird, bis ich wieder dazu gelange, ein eignes gutes oder übles Schicksal zu haben.
Doch genug von mir und meinem jetzigen Aufenthalt. Ihr Brief, liebes Julchen, hat mich nicht nur lebhaft unterhalten, er hat mir, was mehr ist, wahre Freude gemacht. Was Sie mir von dem Unterricht, den Sie in der Blumenkunst ertheilen, und der Verwendung des Ertrages schreiben, ist recht sehr liebenswürdig. Möge ihr Blumenfleiß Ihnen immer aufs beste gedeihen! Längst hätte ich Sie gebeten, mir die für Frau von Stael bestimmte Pflanze zu schicken, wenn sie nicht, bey unsrer unstäten Lebensart, doch jetzt unbewandert in Coppet stehen müßte. Sobald wir dahin zurückkehren, oder sonst einen festen Aufenthalt erwählen, werde ich Sie darum bitten, unterdessen dankt Ihnen meine Freundin bestens im voraus.
[3] Gewiß werde ich Auftrag ertheilen, meine Büste nach Hannover zu schicken, sobald sie zu haben ist. Allein der verzweifelte Bildhauer hält mich so damit hin, daß ich vor Ungeduld schwarz werden möchte, jedoch ohne diese Farbe auf die Abgüsse übertragen zu wollen.
Wenn Sie Madame Rehberg sehen, so empfehlen Sie mich ihrem Andenken bestens. Ich wäre sehr begierig, ihres Mannes Beurtheilung von Goetheʼs Roman, und die Anmerkungen zum Macchiavell zu lesen. Wiewohl ich mir beydes noch nicht verschaffen können in meiner Entfernung von deutscher Litteratur, bin ich im voraus überzeugt, daß ich ganz damit übereinstimmen werde. Ich schätze die freymüthige Strenge des Verfassers sehr hoch, und wünschte, er ließe seine zerstreuten Schriften sammeln. Sagen Sie alles dieß nur Mad. Rehberg.
Grüßen Sie Ihre Minna von mir, ich freue mich ihrer Fortschritte, und hoffe, ihre Gesundheit wird sich mehr festgesetzt haben.
Von Ihnen selbst hoffe ich bald erfreuliche Nachrichten zu hören, und umarme Sie in Gedanken.
Ihr
A. W. S.
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