• Johann Diederich Gries to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Jena · Place of Destination: Unknown · Date: 21.06.1812
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Johann Diederich Gries
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Jena
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 21.06.1812
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 275‒282.
  • Incipit: „[1] J.[ena] d 21sten Jun. 1812
    Schon längst, m.[ein] w.[erther] Fr.[eund], hätte ich Ihnen für die freundliche Recension des Ariost danken sollen; [...]“
    Manuscript
  • Provider: Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek
  • Classification Number: SUB Hamburg : CS 2 : Gries : 15‒20
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl. u. 4 S., hs. m. U.
    Language
  • German
[1] J.[ena] d 21sten Jun. 1812
Schon längst, m.[ein] w.[erther] Fr.[eund], hätte ich Ihnen für die freundliche Recension des Ariost danken sollen; auch gewollt habe ich es schon längst, aber theils die weite Entfernung, theils die Ungewißheit Ihres Aufenthalts (da man Sie bald in Wien, bald in Paris glaubte) haben mich bis jetzt zurückgehalten. Nun aber, da Hr. Frommann mir anbietet, diese Zeilen sicher bis zu Ihnen gelangen zu lassen, erfülle ich die Pflicht der Dankbarkeit mit willigem Herzen. Die Freude, mein liebstes Werk, von dem einzigen competenten Richter, den ich in diesem Fache anerkenne, so rühmlich beurtheilt zu sehen, war nicht gering. Aber Sie haben mich verwöhnt, lieber Schlegel; und wie Alexander (sans comparaison) sich nur vom Pyrgoteles stechen lassen wollte: so mag ich mich nun auch von Niemand weiter recensiren lassen, als von Ihnen.
Zwar mögte es scheinen, als wäre das Lob, was Sie meiner Uebersetzung ertheilen, eigentlich nur ein negatives („zum erstenmal besitzen wir die Dichtungen des Meister Ludwig in einer ihrer nicht unwürdigen Gestalt“) doch ich bescheide mich gern, für jetzt nicht mehr verdient zu haben, und behalte es mir vor, bei einer zweiten Auflage, (wozu es jedoch, bei der traurigen Lage des deutschen Buchhandels, wenig Anschein hat) mir auch ein positives Lob von Ihnen zu erwerben. Wenigstens werden Sie, bei Vergleichung der 2ten Auflage des Tasso (die Ihnen hoffentlich richtig zugestellt worden ist) mit der ersten, gefunden haben, daß ich weder Fleiß noch Mühe spare, um meine Arbeiten, so viel an mir liegt, erreichbarer Vollendung näher zu bringen. Und wie viel lieber würde ich diese dem trefflichen Meister Ludwig zuwenden!
[2] Was nun das Einzelne Ihrer Recension betrifft, so mögte ich mich tagelang mit Ihnen darüber unterhalten. An Stoff dazu sollte es uns wenigstens nicht fehlen; jetzt muß ich mich auf einige wenige Einwendungen beschränken, die ich in aller Bescheidenheit gegen manche Ihrer Ausstellungen wagen mögte.
Den Haupttadel („weniger Glätte und mehr Keckheit“) muß ich im Ganzen als gerecht anerkennen. Ich kann mich hier nur damit entschuldigen, daß ich diese überhaupt mehr dem Originaldichter als dem Uebersetzer erlaubt glaube, jene aber, um den leichten Redefluß des Ariost nachzubilden, für nothwendig hielt. Die Freiheiten, die ich mir allenfalls verstattete, haben leider Ihren Beifall nicht erhalten. Indessen mögte ich doch bezweifeln, ob der ungewöhnlichere Gebrauch der Wörter gewähren und verleihen wirklich so durchaus unstatthaft sey. Warum sollte man, um bei dem schlimmsten Falle stehen zu bleiben, nicht allenfalls sagen können, daß Jemanden Feigheit verliehen sey? Eine so unrühmliche Eigenschaft wird gewiß Niemand sich selbst geben noch wünschen; man kann vielmehr wohl annehmen, daß Natur oder Schicksal sie nach Willkühr verleihen, eben wie ihr Entgegengesetztes, den Muth.
Ueber die Art, wie ich in meinen Stanzen die Reime abwechseln lasse, habe ich mich schon in früheren Briefen so weitläuftig erklärt, daß wenig hinzuzusetzen seyn mögte. Daß ich diese Form nicht aus Bequemlichkeit gewählt habe, gestehen sie selber ein; gewiß vielmehr aus noch immer bestehender Ueberzeugung, daß sie für epische romantische Gedichte in unsrer Sprache die beste sey. Unstreitig gewährt die Mischung weiblicher und männlicher Reime größere Abwechselung. Unsre weiblichen Reime enden sich fast alle auf e und en; männliche haben wir auf alle mögliche einfache und zusammengesetzte Vokale. Und steht es unsrer ohnehin so reimarmen [3] Sprache wohl an, die ganze Hälfte der vorhandenen Reime auf einmal außer Dienst zu setzen? Bei kleineren Gedichten, zumal bei Sonetten pflege auch ich lauter weibliche Reime recht gern anzuwenden. Doch gestehe ich Ihnen, daß es mir unmöglich wäre 40 000 Verse (wie im Ariost) die fast alle auf e oder en ausgiengen, nacheinander zu ertragen.
Den Vorschlag einer ganz willkührlichen Stellung der männlichen und weiblichen Reime habe ich deswegen nicht befolgt, weil mir eben diese Willkührlichkeit der epischen Strenge zu widersprechen scheint. Das Erste, was ich an den italiänischen Stanzen wahrnehme, ist dieses, daß die eine der andern in Ansehung des äußern Baues vollkommen gleich ist. Dieses ist also, meiner Ueberzeugung nach, auch für den Uebersetzer ein unverbrüchliches Gesetz. (Die wenigen Ausnahmen beim Ariost – unter 5000 Stanzen finden sich kaum 5 mit gleitenden oder männlichen Reimen – wollen Sie selbst nicht in Anschlag bringen, auch dienen sie in der That nur dazu, die Regel zu bestätigen.) Wirklich kommt mir diese willkührliche Anordnung eben so vor, als wenn man in einem elegischen Gedichte die Hexameter und Pentameter nicht regelmäßig alterniren, sondern bald von jenen bald von diesen ein Paar aufeinander folgen ließe. Die schlimmste Wirkung thut zumal dieses, wenn die beiden Schlußverse der Stanze in männliche Reime ausgehen, was mir nicht anders vorkommt (wenn ein so niedriges Gleichniß erlaubt ist) als ob dem Hunde der Schwanz gekappt wäre.
Daß die Vermeidung des Hiatus eine Eigenheit der Gottschedischen Schule sey, habe ich nicht gewußt; aber ich muß bekennen daß ich dies für eine sehr gute Eigenheit halte. Mir wenigstens gehört der Hiat in Versen unter die aller unerträglichsten [4] Dinge. Auch halte ich diese Vermeidung gar nicht für unmöglich. In der ganzen Uebersetzung des Ariosts findet sich vielleicht kaum ein halbes Dutzend Hiate; in der zweiten Auflage des Tasso meines Wissens kein einziger. Doch nenne ich, in unsrer Sprache, nur das einen wirklichen Hiat, wenn auf das unbetonte e am Ende eines Wortes ein Vokal folgt. Die andern Vokale kommen, unbetont, im Deutschen ohnehin fast nie, oder selten, am Ende eines Wortes vor.
Die Auslassung der Zeitwörter haben und seyn wenn sie nicht bloß Hülfswörter vorstellen, sondern einen wirklichen Besitz oder Zustand bezeichnen, ist auch mir nichts weniger als angenehm; auch habe ich mich dieser Sünde nur im Nothfall schuldig gemacht, und sie in der neuen Auflage des Tasso möglichst vermieden. Ganz gerecht scheint mir dennoch Ihr Tadel in dieser Hinsicht nicht zu seyn. Denn nicht nur findet sich diese Auslassung gar oft bei andern Dichtern, sondern auch Sie selbst, mein theurer Freund, haben sich derselben manchmal bedient. Ich führe Ihnen in der Geschwindigkeit nur ein Paar Stellen an:

Daß seine Haut so hart wie Diamant
Von Kopf zu Fuß, war Ihnen nicht bekannt
Athenäum 2 B. S. 265.
Ihr Pilger, die ihr in Gedanken gehet,
Vielleicht an etwas, das euch nicht vorhanden.
Blumensträuße S. 10
Und Schaam ist nun die Frucht der Eitelkeiten,
Und büßendes Bereun, und klar Erkennen,
Daß, was der Welt gefällt, ein kurzes Träumen.
ibid. S. 11.

[5] Soll ich Ihnen nun noch aus Ihres Bruders, aus Tiecks und Andrer Gedichten eine Menge ähnlicher Beispiele anführen?
Doch, wie gesagt, ich selbst billige diese Art der Auslassung keinesweges; doch die der Hülfswörter scheint mir völlig erlaubt.
Die meisten der von Ihnen getadelten einzelnen Stellen finde auch ich wirklich tadelhaft, wenngleich sich gegen eine oder die andre Ausstellung vielleicht noch Einwendungen machen ließen. Nur eine einzige Bemerkung erlauben Sie mir. Den 3ten Vers der Stanze La verginella è simile allas rosa, habe ich übersetzt: C.1. St. 42. Geschützt vom Dorn, umhegt vom zarten Moose. Sie fragen hiebei: Wie kommt das Moos zur Rose? Aber warum sollte es nicht erlaubt seyn, hier an die schönste aller Rosen, an die Moosrose zu denken, die ja wirklich vom Moose umhegt ist? Freilich hat Ariost diese nicht ausdrücklich genannt, aber auch nicht ausgeschlossen, und hier verschaffte sie mir noch dazu einen der wohlklingendsten Reime, der fast mit dem des Originals übereintönt.
Die Schwierigkeit des Uebertragens der Eigennahmen gestehen Sie selber ein; und hiebei muß ich mir wirklich alle nur irgend mögliche Freiheit und Nachsicht erbitten. Diese Schwierigkeit ist so groß, daß sie mich in der That oft der Verzweiflung nahe gebracht hat. Herzlich gern wollte ich den ganzen Ariost noch einmal übersetzen, wenn nur gar keine Namen darin vorkämen. Wollen Sie sich überzeugen, daß ich nicht zu viel sage, so übersetzen Sie nur einmal zur Probe die 19 ersten Stanzen aus dem 46sten Gesange des Ariostexperto crede Ruperto. [6] Ich habe mich bemüht, die Namen so viel möglich unverändert zu lassen, nur mit Weglassung der italiänischen Endung. Daher habe ich ihnen auch die Accentuirung gelassen, die sie im Italiänischen haben, wie bei Rinäld, Ŏbērt u.s.w. Uebersetzt habe ich von den oft vorkommenden Namen nur die des Orlando und Ruggieri. Der erste ist nun einmal als Roland überall bekannt, der letzte klingt im Deutschen gar zu fremd. Aber o wie gern hätte ich den guten Roland auch mit einem jambischen und reimfähigen Namen getauscht! Sie glauben nicht, wie unendlich diese beiden Eigenschaften das ganze Werk erleichtern. Eben deswegen wählte ich den Namen Rinald, den ich sonst auch nicht liebe. Rüdiger gab mir wenigstens den unschätzbaren Vortheil, daß ich diesen Namen bald zwei- bald dreisylbig gebrauchen konnte. Fiordiligi habe ich Flördelise genannt. Diese Übersetzung ist nun freilich ganz erbärmlich, denn dieser Name gehört eigentlich gar keiner Sprache an. Aber er reimt sich doch; und hier brauchte ich noch dazu einen Namen, der sich auch in der Mitte reimen ließe; denn die schöne Stelle, C. 42. St. 14, wo der sterbende Brandimart mit dem gebrochenen Namen seiner Geliebten die Seele verhaucht, hätte ich um keinen Preis weggelassen.
Nun noch ein Wort über meine Benutzung Ihrer Uebersetzung des eilften Gesanges. Als Sie mir in Ihrem Briefe aus Berlin vom 25sten Jul. 1803 diese Arbeit erb- und eigenthümlich überließen, empfieng ich eine so schöne Gabe zwar mit allem Dank, doch zugleich mit dem Vorsatze, Ihre freundschaftliche Güte nicht zu mißbrauchen. Daher las ich Ihre Uebersetzung nicht eher wieder, [7] als bis ich, im Lauf der Arbeit, die meinige geendet hatte. Nun verglich ich beide und besserte die meinige nach der Ihrigen aus, so viel die Verschiedenheit des Versmaaßes es erlaubte. Dies that ich überall, wo Ihre Uebersetzung nur unleugbaren Vorzug zu haben schien. Wo ich zweifelhaft war, behielt ich die meinige; nicht aus Eitelkeit, sondern weil ich sie doch mehr als mein Eigenthum betrachten konnte. Die von Ihnen getadelten Stellen im 11ten Gesange sind wirklich schlechter, als die Ihrigen; aber ich bitte Sie zu bedenken, daß diese abgerissenen Stellen mit der ganzen Stanze nothwendig zusammenhangen (es sind meistens solche, wo der leidige Reim die Schuld hat) und daß die Vergleichung sich nur von Stanze zu Stanze anstellen läßt. Oft mußte ich einen einzelnen fehlerhaften Vers oder Ausdruck stehen lassen, weil die Stanze mir im Ganzen getreuer übersetzt schien, und weil ich die Treue doch immer noch für eins der ersten Gesetze der Nachbildung halte.
In einem Ihrer früheren Briefe thaten Sie mir, als ich die Übersetzung des Ariost unternahm, den Vorschlag die sogenannten unächten Reime von ü auf i, eu auf ei, ö auf e usw. sämmtlich für unmöglich zu erklären. Damals aber hielt ich die Ausführung dieses Vorschlages in einem Gedichte von so großem Umfang selbst noch für ganz unmöglich. Indessen habe ich vor kurzem einen Versuch damit gemacht, der nicht mißlungen ist. Ich habe nemlich den 12ten Gesang des Orlando innamorato übersetzt und in diesen 90 Stanzen jene Reime wirklich vollkommen vermieden. Dies macht mich glauben, daß die Sache doch so unmöglich nicht ist; wenigstens werde ich versuchen auf diese Weise fortzufahren [8] und hoffentlich wird es mir durch fortgesetzte Uebung immer leichter werden – vires adquirit eundo.
Nun aber erlauben Sie mir, lieber Freund, Sie um die Auflösung eines Widerspruchs zu bitten, den ich zwischen Ihrer Theorie des Reims und Ihrer Praxis zu finden glaube. Sie eifern gegen diese zwar unächten, doch durch wenigstens 200jährigen Gebrauch aller deutschen Dichter, ohne Ausnahme, gleichsam legitimirten Reime (ich fliehe sie, wie die Pest, sagen Sie in dem angeführten Briefe). Gleichwohl finde ich selbst in der neuen Ausgabe Ihrer Gedichte Reime wie flößen und lösen, übte und Gelübde, Rose und Schooße, horcht und geborgt, ja sogar finden und Labyrinthen, die mir sehr viel verwerflicher scheinen als jene von Ihnen getadelten Reime, auch gewiß keine so durchgreifende Autorität für sich haben. Besonders anstößig ist mir der zuletzt angeführte Reim, den Sie recht absichtlich gewählt zu haben scheinen; denn der reine Reim (etwa mit Irrgewinden, wo dann freilich der vorhergehende Irrthum mit einem andern Worte hätte vertauscht werden müssen) liegt so nahe, daß es abgeschmackt wäre, zu glauben, Sie hätten ihn nicht gesehen. Hierüber erbitte ich mir Ihre Belehrung, Die Ausrede, daß man es mit diesen Dingen nicht so genau nehmen müsse (die ich in einem ähnlichen Falle von Tieck gehört habe) erwarte ich von Ihnen nicht. Sie nehmen es ja sonst, und gewiß mit vollkommenem Recht, mit dem Technischen der Dichtkunst genau genug.
[9] Ich erschrecke, indem ich die Länge dieses Briefes übersehe, der fast das Ansehen einer Antikritik bekommen hat und Ihnen vermuthlich viel Langeweile gemacht haben wird. Auf alle Fälle bitte ich Sie, zu glauben, daß das bisher Gesagte nicht etwa elende Autoreitelkeit oder beschränkten Eigensinn zur Quelle hat, sondern das Resultat oft wiederholten Forschens und einer, wenigstens in Ansehung der Masse, nicht unbedeutenden Uebung ist. Niemand kann bereitwilliger seyn, als ich, seine Meinungen besserer Ueberzeugung aufzuopfern; und wenn hie und da meine Ansichten noch von den Ihrigen abweichen, so bleibt es mein Trost, daß wir dennoch über die Hauptgrundsätze und das Wesentliche der Sache vollkommen einverstanden sind.
Es wäre nun meine Pflicht, Ihnen für die große Freude zu danken, die Sie mir, und so vielen Andern, durch die neue Ausgabe Ihrer Gedichte bereitet haben. Aber ich mögte Ihnen gern etwas mehr als den bloßen Ausdruck der Dankbarkeit vorlegen können, und dazu bin ich leider für jetzt nicht im Stande. Durch ein unverschuldetes Mißverständniß habe ich versäumt, mir das trefflich Werk gleich bei seiner Erscheinung zu bestellen, und so habe ich es erst ganz vor kurzem erhalten. Ueberhaupt wäre es anmaaßend, wenn der Schüler den Meister loben wollte, und des Lobes bedürfen Sie ohnehin nicht. Aber unterhalten mögte ich mich mit Ihnen über jedes einzelne Stück der schönen Sammlung, über so manche bedeutende Auslassung des Aeltern, manches hinzugekommene Neue. Hier muß ich von neuem mit wehmütiger Sehnsucht die glückliche Zeit zurückwünschen, wo ich Ihres belehrenden Umgangs genoß; eine Zeit, die in so mancher Hinsicht die schönste und bedeutendste meines Lebens war. Jetzt habe ich gar Niemand, mit dem ich mich über die Gegenstände, die mir die interessantesten sind, auf eine fruchtbringende Weise zu unterhalten wüßte; noch weniger Jemand, dem ich, wie damals, nacheifern könnte. So ist es denn gekommen, daß ich den directen Verkehr mit den Musen fast gänzlich aufgegeben habe und nur noch durch Vermittelung eines dritten, als Uebersetzer, mit ihnen in einiger Verbindung stehe. An eine Sammlung meiner eignen Poesieen habe ich wohl einmal gedacht, auch sogar schon einige Vorarbeiten dazu begonnen. Aber weniger die für dergleichen Unternehmungen so ungünstige Zeit, als die Wahrnehmung, daß ich, um nur einige Masse zu gewinnen, des Mittelmäßigen gar zu viel aufnehmen müßte, hat mich bewogen, diese Arbeit wieder bei Seite zu legen.
Daß ich einen Gesang des Orlando innamorato übersetzt habe ich schon oben erwähnt. Ich wäre nicht übel willens das ganze, obwohl sehr lange, Gedicht zu übertragen, wenn die Sache nicht ihre eigenen Schwierigkeiten hätte. Von diesen besteht die hauptsächlichste in der sonderbaren Beschaffenheit des Werkes. Sie wissen ohne Zweifel, daß das eigentliche Original des Bojardo zu den größten litterarischen Seltenheiten gehört. Bouterweck, dem doch so große Hülfsmittel zu Gebote standen, sagt in der Vorrede zu seiner Geschichte der italiänischen Poesie, dieses Werk sey das einzige, um welches er sich ganz vergebens bemüht habe. Auch Fernow hat mir gesagt, es sey ihm selbst in Italien niemals zu Gesichte gekommen. Die Umarbeitung von Berni findet sich freilich häufig genug; aber selbst italiänische Kritiker gestehen, daß er durch seine oft unerträglichen Witzeleien, seine kalten Allegorieen und unnützen Einschiebsel den Bojardo eigentlich nur verballhornt habe.
Domenichinoʼs Bearbeitung ist ziemlich selten; indessen habe ich sie, doch von der Weimarer Bibliothek aus Fernowʼs Nachlaß, auf kurze Zeit erhalten. Sie ist freilich viel trockener, als jene, aber einfacher, naiver, und daher, wie es scheint, weniger vom Original abweichend. Bei der Unmöglichkeit, dieses zu erhalten, wäre nun mein Plan, beide Bearbeitungen der Uebersetzung zum Grunde zu legen. Wo sie übereinstimmen, läßt sich ziemlich gewiß vermuthen, daß sie den Bojardo nicht verfälscht haben; wo sie aber von einander abweichen, bliebe wohl kein andrer Rath, als nach bestem Wissen und Gewissen aus beiden das Vorzüglichste zu wählen. Was sagen Sie zu diesem Unternehmen? Sie würden mich äußerst verbinden, wenn Sie mir ganz unumwunden Ihre Meinung darüber eröffnen wollten.
Indessen ist die ganze Sache noch im weiten Felde. Denn außer der Schwierigkeit in jetzigen betrübten Zeiten zu einem so weitläuftigen Werke (es enthält kaum 200 Stanzen weniger, als der Ariost) einen Verleger zu finden, der die darauf verwandte Mühe nur einigermaaßen vergelten mögte, fehlt es mir auch noch an einem eigenen Exemplare des Domenichino, das ich mir, aller angewandten Mühe ungeachtet, selbst durch Aufforderungen in öffentlichen Blättern, noch nicht habe verschaffen können. Wüßten Sie mir vielleicht Mittel und Wege anzugeben, wie ich es allenfalls aus Italien bekommen könnte? Ich würde gern die Kosten daran wenden und ihnen auf ewige Zeiten verpflichtet bleiben.
In Rücksicht auf das Gedicht selbst, werden Sie sicher mit mir übereinstimmen, daß es wohl verdient, den Deutschen bekannter zu werden. An Erfindung und Phantasie steht Bojardo dem Ariost gewiß nicht nach, wenn er ihm vielleicht an Witz und Lebhaftigkeit weichen muß. Dagegen hat Bojardo dann wieder den Vorzug der Priorität und Originalität; denn ohne ihn würde Ariost vielleicht nie auf den Gedanken gekommen seyn, ein Gedicht, wie der Furioso ist, zu schreiben. Vorgänger habe ich keinen. Meines Wissens ist, außer einigen wässerigten Nachahmungen von Nicolai, keine Uebersetzung, weder des ganzen Bojardo noch einzelner Theile, in deutscher Sprache erschienen.
[1] J.[ena] d 21sten Jun. 1812
Schon längst, m.[ein] w.[erther] Fr.[eund], hätte ich Ihnen für die freundliche Recension des Ariost danken sollen; auch gewollt habe ich es schon längst, aber theils die weite Entfernung, theils die Ungewißheit Ihres Aufenthalts (da man Sie bald in Wien, bald in Paris glaubte) haben mich bis jetzt zurückgehalten. Nun aber, da Hr. Frommann mir anbietet, diese Zeilen sicher bis zu Ihnen gelangen zu lassen, erfülle ich die Pflicht der Dankbarkeit mit willigem Herzen. Die Freude, mein liebstes Werk, von dem einzigen competenten Richter, den ich in diesem Fache anerkenne, so rühmlich beurtheilt zu sehen, war nicht gering. Aber Sie haben mich verwöhnt, lieber Schlegel; und wie Alexander (sans comparaison) sich nur vom Pyrgoteles stechen lassen wollte: so mag ich mich nun auch von Niemand weiter recensiren lassen, als von Ihnen.
Zwar mögte es scheinen, als wäre das Lob, was Sie meiner Uebersetzung ertheilen, eigentlich nur ein negatives („zum erstenmal besitzen wir die Dichtungen des Meister Ludwig in einer ihrer nicht unwürdigen Gestalt“) doch ich bescheide mich gern, für jetzt nicht mehr verdient zu haben, und behalte es mir vor, bei einer zweiten Auflage, (wozu es jedoch, bei der traurigen Lage des deutschen Buchhandels, wenig Anschein hat) mir auch ein positives Lob von Ihnen zu erwerben. Wenigstens werden Sie, bei Vergleichung der 2ten Auflage des Tasso (die Ihnen hoffentlich richtig zugestellt worden ist) mit der ersten, gefunden haben, daß ich weder Fleiß noch Mühe spare, um meine Arbeiten, so viel an mir liegt, erreichbarer Vollendung näher zu bringen. Und wie viel lieber würde ich diese dem trefflichen Meister Ludwig zuwenden!
[2] Was nun das Einzelne Ihrer Recension betrifft, so mögte ich mich tagelang mit Ihnen darüber unterhalten. An Stoff dazu sollte es uns wenigstens nicht fehlen; jetzt muß ich mich auf einige wenige Einwendungen beschränken, die ich in aller Bescheidenheit gegen manche Ihrer Ausstellungen wagen mögte.
Den Haupttadel („weniger Glätte und mehr Keckheit“) muß ich im Ganzen als gerecht anerkennen. Ich kann mich hier nur damit entschuldigen, daß ich diese überhaupt mehr dem Originaldichter als dem Uebersetzer erlaubt glaube, jene aber, um den leichten Redefluß des Ariost nachzubilden, für nothwendig hielt. Die Freiheiten, die ich mir allenfalls verstattete, haben leider Ihren Beifall nicht erhalten. Indessen mögte ich doch bezweifeln, ob der ungewöhnlichere Gebrauch der Wörter gewähren und verleihen wirklich so durchaus unstatthaft sey. Warum sollte man, um bei dem schlimmsten Falle stehen zu bleiben, nicht allenfalls sagen können, daß Jemanden Feigheit verliehen sey? Eine so unrühmliche Eigenschaft wird gewiß Niemand sich selbst geben noch wünschen; man kann vielmehr wohl annehmen, daß Natur oder Schicksal sie nach Willkühr verleihen, eben wie ihr Entgegengesetztes, den Muth.
Ueber die Art, wie ich in meinen Stanzen die Reime abwechseln lasse, habe ich mich schon in früheren Briefen so weitläuftig erklärt, daß wenig hinzuzusetzen seyn mögte. Daß ich diese Form nicht aus Bequemlichkeit gewählt habe, gestehen sie selber ein; gewiß vielmehr aus noch immer bestehender Ueberzeugung, daß sie für epische romantische Gedichte in unsrer Sprache die beste sey. Unstreitig gewährt die Mischung weiblicher und männlicher Reime größere Abwechselung. Unsre weiblichen Reime enden sich fast alle auf e und en; männliche haben wir auf alle mögliche einfache und zusammengesetzte Vokale. Und steht es unsrer ohnehin so reimarmen [3] Sprache wohl an, die ganze Hälfte der vorhandenen Reime auf einmal außer Dienst zu setzen? Bei kleineren Gedichten, zumal bei Sonetten pflege auch ich lauter weibliche Reime recht gern anzuwenden. Doch gestehe ich Ihnen, daß es mir unmöglich wäre 40 000 Verse (wie im Ariost) die fast alle auf e oder en ausgiengen, nacheinander zu ertragen.
Den Vorschlag einer ganz willkührlichen Stellung der männlichen und weiblichen Reime habe ich deswegen nicht befolgt, weil mir eben diese Willkührlichkeit der epischen Strenge zu widersprechen scheint. Das Erste, was ich an den italiänischen Stanzen wahrnehme, ist dieses, daß die eine der andern in Ansehung des äußern Baues vollkommen gleich ist. Dieses ist also, meiner Ueberzeugung nach, auch für den Uebersetzer ein unverbrüchliches Gesetz. (Die wenigen Ausnahmen beim Ariost – unter 5000 Stanzen finden sich kaum 5 mit gleitenden oder männlichen Reimen – wollen Sie selbst nicht in Anschlag bringen, auch dienen sie in der That nur dazu, die Regel zu bestätigen.) Wirklich kommt mir diese willkührliche Anordnung eben so vor, als wenn man in einem elegischen Gedichte die Hexameter und Pentameter nicht regelmäßig alterniren, sondern bald von jenen bald von diesen ein Paar aufeinander folgen ließe. Die schlimmste Wirkung thut zumal dieses, wenn die beiden Schlußverse der Stanze in männliche Reime ausgehen, was mir nicht anders vorkommt (wenn ein so niedriges Gleichniß erlaubt ist) als ob dem Hunde der Schwanz gekappt wäre.
Daß die Vermeidung des Hiatus eine Eigenheit der Gottschedischen Schule sey, habe ich nicht gewußt; aber ich muß bekennen daß ich dies für eine sehr gute Eigenheit halte. Mir wenigstens gehört der Hiat in Versen unter die aller unerträglichsten [4] Dinge. Auch halte ich diese Vermeidung gar nicht für unmöglich. In der ganzen Uebersetzung des Ariosts findet sich vielleicht kaum ein halbes Dutzend Hiate; in der zweiten Auflage des Tasso meines Wissens kein einziger. Doch nenne ich, in unsrer Sprache, nur das einen wirklichen Hiat, wenn auf das unbetonte e am Ende eines Wortes ein Vokal folgt. Die andern Vokale kommen, unbetont, im Deutschen ohnehin fast nie, oder selten, am Ende eines Wortes vor.
Die Auslassung der Zeitwörter haben und seyn wenn sie nicht bloß Hülfswörter vorstellen, sondern einen wirklichen Besitz oder Zustand bezeichnen, ist auch mir nichts weniger als angenehm; auch habe ich mich dieser Sünde nur im Nothfall schuldig gemacht, und sie in der neuen Auflage des Tasso möglichst vermieden. Ganz gerecht scheint mir dennoch Ihr Tadel in dieser Hinsicht nicht zu seyn. Denn nicht nur findet sich diese Auslassung gar oft bei andern Dichtern, sondern auch Sie selbst, mein theurer Freund, haben sich derselben manchmal bedient. Ich führe Ihnen in der Geschwindigkeit nur ein Paar Stellen an:

Daß seine Haut so hart wie Diamant
Von Kopf zu Fuß, war Ihnen nicht bekannt
Athenäum 2 B. S. 265.
Ihr Pilger, die ihr in Gedanken gehet,
Vielleicht an etwas, das euch nicht vorhanden.
Blumensträuße S. 10
Und Schaam ist nun die Frucht der Eitelkeiten,
Und büßendes Bereun, und klar Erkennen,
Daß, was der Welt gefällt, ein kurzes Träumen.
ibid. S. 11.

[5] Soll ich Ihnen nun noch aus Ihres Bruders, aus Tiecks und Andrer Gedichten eine Menge ähnlicher Beispiele anführen?
Doch, wie gesagt, ich selbst billige diese Art der Auslassung keinesweges; doch die der Hülfswörter scheint mir völlig erlaubt.
Die meisten der von Ihnen getadelten einzelnen Stellen finde auch ich wirklich tadelhaft, wenngleich sich gegen eine oder die andre Ausstellung vielleicht noch Einwendungen machen ließen. Nur eine einzige Bemerkung erlauben Sie mir. Den 3ten Vers der Stanze La verginella è simile allas rosa, habe ich übersetzt: C.1. St. 42. Geschützt vom Dorn, umhegt vom zarten Moose. Sie fragen hiebei: Wie kommt das Moos zur Rose? Aber warum sollte es nicht erlaubt seyn, hier an die schönste aller Rosen, an die Moosrose zu denken, die ja wirklich vom Moose umhegt ist? Freilich hat Ariost diese nicht ausdrücklich genannt, aber auch nicht ausgeschlossen, und hier verschaffte sie mir noch dazu einen der wohlklingendsten Reime, der fast mit dem des Originals übereintönt.
Die Schwierigkeit des Uebertragens der Eigennahmen gestehen Sie selber ein; und hiebei muß ich mir wirklich alle nur irgend mögliche Freiheit und Nachsicht erbitten. Diese Schwierigkeit ist so groß, daß sie mich in der That oft der Verzweiflung nahe gebracht hat. Herzlich gern wollte ich den ganzen Ariost noch einmal übersetzen, wenn nur gar keine Namen darin vorkämen. Wollen Sie sich überzeugen, daß ich nicht zu viel sage, so übersetzen Sie nur einmal zur Probe die 19 ersten Stanzen aus dem 46sten Gesange des Ariostexperto crede Ruperto. [6] Ich habe mich bemüht, die Namen so viel möglich unverändert zu lassen, nur mit Weglassung der italiänischen Endung. Daher habe ich ihnen auch die Accentuirung gelassen, die sie im Italiänischen haben, wie bei Rinäld, Ŏbērt u.s.w. Uebersetzt habe ich von den oft vorkommenden Namen nur die des Orlando und Ruggieri. Der erste ist nun einmal als Roland überall bekannt, der letzte klingt im Deutschen gar zu fremd. Aber o wie gern hätte ich den guten Roland auch mit einem jambischen und reimfähigen Namen getauscht! Sie glauben nicht, wie unendlich diese beiden Eigenschaften das ganze Werk erleichtern. Eben deswegen wählte ich den Namen Rinald, den ich sonst auch nicht liebe. Rüdiger gab mir wenigstens den unschätzbaren Vortheil, daß ich diesen Namen bald zwei- bald dreisylbig gebrauchen konnte. Fiordiligi habe ich Flördelise genannt. Diese Übersetzung ist nun freilich ganz erbärmlich, denn dieser Name gehört eigentlich gar keiner Sprache an. Aber er reimt sich doch; und hier brauchte ich noch dazu einen Namen, der sich auch in der Mitte reimen ließe; denn die schöne Stelle, C. 42. St. 14, wo der sterbende Brandimart mit dem gebrochenen Namen seiner Geliebten die Seele verhaucht, hätte ich um keinen Preis weggelassen.
Nun noch ein Wort über meine Benutzung Ihrer Uebersetzung des eilften Gesanges. Als Sie mir in Ihrem Briefe aus Berlin vom 25sten Jul. 1803 diese Arbeit erb- und eigenthümlich überließen, empfieng ich eine so schöne Gabe zwar mit allem Dank, doch zugleich mit dem Vorsatze, Ihre freundschaftliche Güte nicht zu mißbrauchen. Daher las ich Ihre Uebersetzung nicht eher wieder, [7] als bis ich, im Lauf der Arbeit, die meinige geendet hatte. Nun verglich ich beide und besserte die meinige nach der Ihrigen aus, so viel die Verschiedenheit des Versmaaßes es erlaubte. Dies that ich überall, wo Ihre Uebersetzung nur unleugbaren Vorzug zu haben schien. Wo ich zweifelhaft war, behielt ich die meinige; nicht aus Eitelkeit, sondern weil ich sie doch mehr als mein Eigenthum betrachten konnte. Die von Ihnen getadelten Stellen im 11ten Gesange sind wirklich schlechter, als die Ihrigen; aber ich bitte Sie zu bedenken, daß diese abgerissenen Stellen mit der ganzen Stanze nothwendig zusammenhangen (es sind meistens solche, wo der leidige Reim die Schuld hat) und daß die Vergleichung sich nur von Stanze zu Stanze anstellen läßt. Oft mußte ich einen einzelnen fehlerhaften Vers oder Ausdruck stehen lassen, weil die Stanze mir im Ganzen getreuer übersetzt schien, und weil ich die Treue doch immer noch für eins der ersten Gesetze der Nachbildung halte.
In einem Ihrer früheren Briefe thaten Sie mir, als ich die Übersetzung des Ariost unternahm, den Vorschlag die sogenannten unächten Reime von ü auf i, eu auf ei, ö auf e usw. sämmtlich für unmöglich zu erklären. Damals aber hielt ich die Ausführung dieses Vorschlages in einem Gedichte von so großem Umfang selbst noch für ganz unmöglich. Indessen habe ich vor kurzem einen Versuch damit gemacht, der nicht mißlungen ist. Ich habe nemlich den 12ten Gesang des Orlando innamorato übersetzt und in diesen 90 Stanzen jene Reime wirklich vollkommen vermieden. Dies macht mich glauben, daß die Sache doch so unmöglich nicht ist; wenigstens werde ich versuchen auf diese Weise fortzufahren [8] und hoffentlich wird es mir durch fortgesetzte Uebung immer leichter werden – vires adquirit eundo.
Nun aber erlauben Sie mir, lieber Freund, Sie um die Auflösung eines Widerspruchs zu bitten, den ich zwischen Ihrer Theorie des Reims und Ihrer Praxis zu finden glaube. Sie eifern gegen diese zwar unächten, doch durch wenigstens 200jährigen Gebrauch aller deutschen Dichter, ohne Ausnahme, gleichsam legitimirten Reime (ich fliehe sie, wie die Pest, sagen Sie in dem angeführten Briefe). Gleichwohl finde ich selbst in der neuen Ausgabe Ihrer Gedichte Reime wie flößen und lösen, übte und Gelübde, Rose und Schooße, horcht und geborgt, ja sogar finden und Labyrinthen, die mir sehr viel verwerflicher scheinen als jene von Ihnen getadelten Reime, auch gewiß keine so durchgreifende Autorität für sich haben. Besonders anstößig ist mir der zuletzt angeführte Reim, den Sie recht absichtlich gewählt zu haben scheinen; denn der reine Reim (etwa mit Irrgewinden, wo dann freilich der vorhergehende Irrthum mit einem andern Worte hätte vertauscht werden müssen) liegt so nahe, daß es abgeschmackt wäre, zu glauben, Sie hätten ihn nicht gesehen. Hierüber erbitte ich mir Ihre Belehrung, Die Ausrede, daß man es mit diesen Dingen nicht so genau nehmen müsse (die ich in einem ähnlichen Falle von Tieck gehört habe) erwarte ich von Ihnen nicht. Sie nehmen es ja sonst, und gewiß mit vollkommenem Recht, mit dem Technischen der Dichtkunst genau genug.
[9] Ich erschrecke, indem ich die Länge dieses Briefes übersehe, der fast das Ansehen einer Antikritik bekommen hat und Ihnen vermuthlich viel Langeweile gemacht haben wird. Auf alle Fälle bitte ich Sie, zu glauben, daß das bisher Gesagte nicht etwa elende Autoreitelkeit oder beschränkten Eigensinn zur Quelle hat, sondern das Resultat oft wiederholten Forschens und einer, wenigstens in Ansehung der Masse, nicht unbedeutenden Uebung ist. Niemand kann bereitwilliger seyn, als ich, seine Meinungen besserer Ueberzeugung aufzuopfern; und wenn hie und da meine Ansichten noch von den Ihrigen abweichen, so bleibt es mein Trost, daß wir dennoch über die Hauptgrundsätze und das Wesentliche der Sache vollkommen einverstanden sind.
Es wäre nun meine Pflicht, Ihnen für die große Freude zu danken, die Sie mir, und so vielen Andern, durch die neue Ausgabe Ihrer Gedichte bereitet haben. Aber ich mögte Ihnen gern etwas mehr als den bloßen Ausdruck der Dankbarkeit vorlegen können, und dazu bin ich leider für jetzt nicht im Stande. Durch ein unverschuldetes Mißverständniß habe ich versäumt, mir das trefflich Werk gleich bei seiner Erscheinung zu bestellen, und so habe ich es erst ganz vor kurzem erhalten. Ueberhaupt wäre es anmaaßend, wenn der Schüler den Meister loben wollte, und des Lobes bedürfen Sie ohnehin nicht. Aber unterhalten mögte ich mich mit Ihnen über jedes einzelne Stück der schönen Sammlung, über so manche bedeutende Auslassung des Aeltern, manches hinzugekommene Neue. Hier muß ich von neuem mit wehmütiger Sehnsucht die glückliche Zeit zurückwünschen, wo ich Ihres belehrenden Umgangs genoß; eine Zeit, die in so mancher Hinsicht die schönste und bedeutendste meines Lebens war. Jetzt habe ich gar Niemand, mit dem ich mich über die Gegenstände, die mir die interessantesten sind, auf eine fruchtbringende Weise zu unterhalten wüßte; noch weniger Jemand, dem ich, wie damals, nacheifern könnte. So ist es denn gekommen, daß ich den directen Verkehr mit den Musen fast gänzlich aufgegeben habe und nur noch durch Vermittelung eines dritten, als Uebersetzer, mit ihnen in einiger Verbindung stehe. An eine Sammlung meiner eignen Poesieen habe ich wohl einmal gedacht, auch sogar schon einige Vorarbeiten dazu begonnen. Aber weniger die für dergleichen Unternehmungen so ungünstige Zeit, als die Wahrnehmung, daß ich, um nur einige Masse zu gewinnen, des Mittelmäßigen gar zu viel aufnehmen müßte, hat mich bewogen, diese Arbeit wieder bei Seite zu legen.
Daß ich einen Gesang des Orlando innamorato übersetzt habe ich schon oben erwähnt. Ich wäre nicht übel willens das ganze, obwohl sehr lange, Gedicht zu übertragen, wenn die Sache nicht ihre eigenen Schwierigkeiten hätte. Von diesen besteht die hauptsächlichste in der sonderbaren Beschaffenheit des Werkes. Sie wissen ohne Zweifel, daß das eigentliche Original des Bojardo zu den größten litterarischen Seltenheiten gehört. Bouterweck, dem doch so große Hülfsmittel zu Gebote standen, sagt in der Vorrede zu seiner Geschichte der italiänischen Poesie, dieses Werk sey das einzige, um welches er sich ganz vergebens bemüht habe. Auch Fernow hat mir gesagt, es sey ihm selbst in Italien niemals zu Gesichte gekommen. Die Umarbeitung von Berni findet sich freilich häufig genug; aber selbst italiänische Kritiker gestehen, daß er durch seine oft unerträglichen Witzeleien, seine kalten Allegorieen und unnützen Einschiebsel den Bojardo eigentlich nur verballhornt habe.
Domenichinoʼs Bearbeitung ist ziemlich selten; indessen habe ich sie, doch von der Weimarer Bibliothek aus Fernowʼs Nachlaß, auf kurze Zeit erhalten. Sie ist freilich viel trockener, als jene, aber einfacher, naiver, und daher, wie es scheint, weniger vom Original abweichend. Bei der Unmöglichkeit, dieses zu erhalten, wäre nun mein Plan, beide Bearbeitungen der Uebersetzung zum Grunde zu legen. Wo sie übereinstimmen, läßt sich ziemlich gewiß vermuthen, daß sie den Bojardo nicht verfälscht haben; wo sie aber von einander abweichen, bliebe wohl kein andrer Rath, als nach bestem Wissen und Gewissen aus beiden das Vorzüglichste zu wählen. Was sagen Sie zu diesem Unternehmen? Sie würden mich äußerst verbinden, wenn Sie mir ganz unumwunden Ihre Meinung darüber eröffnen wollten.
Indessen ist die ganze Sache noch im weiten Felde. Denn außer der Schwierigkeit in jetzigen betrübten Zeiten zu einem so weitläuftigen Werke (es enthält kaum 200 Stanzen weniger, als der Ariost) einen Verleger zu finden, der die darauf verwandte Mühe nur einigermaaßen vergelten mögte, fehlt es mir auch noch an einem eigenen Exemplare des Domenichino, das ich mir, aller angewandten Mühe ungeachtet, selbst durch Aufforderungen in öffentlichen Blättern, noch nicht habe verschaffen können. Wüßten Sie mir vielleicht Mittel und Wege anzugeben, wie ich es allenfalls aus Italien bekommen könnte? Ich würde gern die Kosten daran wenden und ihnen auf ewige Zeiten verpflichtet bleiben.
In Rücksicht auf das Gedicht selbst, werden Sie sicher mit mir übereinstimmen, daß es wohl verdient, den Deutschen bekannter zu werden. An Erfindung und Phantasie steht Bojardo dem Ariost gewiß nicht nach, wenn er ihm vielleicht an Witz und Lebhaftigkeit weichen muß. Dagegen hat Bojardo dann wieder den Vorzug der Priorität und Originalität; denn ohne ihn würde Ariost vielleicht nie auf den Gedanken gekommen seyn, ein Gedicht, wie der Furioso ist, zu schreiben. Vorgänger habe ich keinen. Meines Wissens ist, außer einigen wässerigten Nachahmungen von Nicolai, keine Uebersetzung, weder des ganzen Bojardo noch einzelner Theile, in deutscher Sprache erschienen.
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