• August Wilhelm von Schlegel to Johannes Schulze

  • Place of Dispatch: Bonn · Place of Destination: Unknown · Date: 11.11.1825
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johannes Schulze
  • Place of Dispatch: Bonn
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 11.11.1825
  • Notations: Unvollständiger Druck.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 365370983
  • Bibliography: Dorow, Wilhelm: Erlebtes. 4 Teile. 4. Teil: Erlebtes aus den Jahren 1790‒1827. Leipzig 1843‒45, S. 246‒256.
  • Incipit: „[1] Bonn, den 11. November 1825.
    Ew. Hochwohlgeboren bitte ich mein langes Stillschweigen zu verzeihen, das ich in der That nicht zu [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-37174
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XX,Bd.6,Nr.59(3)
  • Number of Pages: 12 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 25,5 x 21,3 cm
    Language
  • German
  • Latin
[1] Bonn, den 11. November 1825.
Ew. Hochwohlgeboren bitte ich mein langes Stillschweigen zu verzeihen, das ich in der That nicht zu rechtfertigen weiß. Wenigstens hätte ich Ihnen sogleich meine lebhaft empfundene Dankbarkeit wegen der geneigten Aufnahme des Dr. Bach ausdrücken sollen. Ich will die Versäumniß nicht allein auf die vielen Geschäfte und Störungen schieben, die mir während der letzten Hälfte des Sommers zur Last fielen, da ich neben dem Rektorat noch die Stelle des Herrn Regierungs-Bevollmächtigten zu vertreten hatte. Größern Antheil daran hatte meine Unentschlüssigkeit, ob ich Ihnen über die Sache des Prof. Heinrich schreiben sollte oder nicht. Ihr letzter Brief enthielt ein so vollkommen richtiges Urtheil darüber, daß es überflüssig schien, Ew. Hochwohlgeboren noch weiter aufklären zu wollen. Ich hatte bisher in dieser Sache nothgedrungen erhandelt, nicht mehr gethan, als meine Stellung gebieterisch forderte, und wurde dennoch hier von einer Parthei beschuldigt, ein Verfolger des Beklagten zu sein. Endlich konnte ich nach Zurückkunft des Herrn Geh. R. Rehfues das Geschäft ganz ruhig in die Hände eines Mannes niederlegen, der für die Interessen der Universität, auch bei einem leidenden Gesundheitszustande, unermüdlich ist und sich dabei durch keine Rücksicht [2] stören läßt. Gern wollte ich mir nun den verdrießlichen Handel aus dem Sinne schlagen, worüber ich schon Tribulationen genug ausgestanden hatte. Ich wußte wohl, es sei kein periculum in mora; denn die laut geäußerte Hoffnung der Anhänger des Prof. Heinrich, es werde sofort eine günstige Entscheidung für ihn – warum nicht durch einen Kourier? – eintreffen, mußte mir nach Lesung seiner Vertheidigung ganz chimärisch erscheinen. Da ich aber weiß, wie viel Ueberwindung es dem uns vorgeordneten Ministerium bei seiner gewohnten Milde kostet, einen gerechten, aber streng entscheidenden Beschluß zu fassen ; da ich ferner sehe, wie man Alles aufbietet, um einen Menschen von längst anrüchigem Ruf und der weder Achtung noch Mitleiden verdient, vor den natürlichen Folgen seiner, soll ich sagen Verrücktheit oder Bösartigkeit zu schützen; so will ich doch meinerseits auch nichts versäumen, was im mindesten dazu dienen kann, eine klägliche Zerrüttung aller Verhältniss von unserer Universität abzuwenden. Ich beschränke mich dabei auf die Schilderung der Umtriebe (dies ist hier der passende Ausdruck), welche während der Abwesenheit des Geh. R. Rehfues stattgefunden haben, welche dieser also nur mittelbar erfahren konnte, und auf die Schätzung der hiesigen Wirksamkeit des Prof. Heinrich in wissenschaftlicher Hinsicht.
Zuvor muß ich um Erlaubniß bitten, ganz offen mein persönliches Verhältniß zu einem Manne darzulegen, dessen ausgezeichnete Talente ich bewundre, dessen launenhafte und leidenschaftliche Reizbarkeit ich nur beklagen kann. Es ist nothwendig, da dieser durch seinen Rang, wie durch seinen Ruf angesehene Mann, wie wohl außerhalb der Uni[3]versität stehend, sich so thätig in die Sache gemischt hat, als ob sie vor sein Forum gehörte, ja als ob er schon eine Autorität über uns auszuüben hätte.
Als man uns zuerst den Entschluß des Geh. Staatsraths Niebuhr ankündigte, sich in Bonn niederzulassen, erfreute ich mich der Aussicht auf den Umgang mit einem Manne von so gebildetem Geist, von so tiefer und umfassender Gelehrsamkeit. Die Voraussetzung, daß eine Kritik, worin ich meines Bedünkens einen partiellen Widerspruch mit achtungsvoller Anerkennung vorgetragen hatte, eine nach vielen Jahren noch rege Antipathie bewirkt haben könne, ist meiner Denkart fremd. Ich wußte nicht, daß Herr Niebuhr in Rom, wie er selbst sagt, das Gelübde gethan hatte, bei seiner Zurückkunft in Deutschland an dem ersten Tadler, der ihm begegnen würde, ein Jephta-Opfer zu vollbringen. Bald mußte ich es anders erfahren. Ein Verehrer des Herrn Niebuhr, der in Rom ihm näher bekannt geworden war, sprach von jener Recension nur als von einem Attentat, von einem Verbrechen der beleidigten Majestät. Herr Niebuhr besuchte mich nicht, er vermied mich sichtbar, wo wir zufällig zusammentrafen ; wohlwollende Versuche, uns in gesellschaftliche Berührung zu bringen, schlugen fehl. Ich konnte hierbei nichts thun, ich bin nicht gewohnt mich aufzudringen. Sobald ich aber das Rektorat angetreten hatte, benutzte ich die Gelegenheit, ihm mit Höflichkeit zuvorzukommen. Als das königl. Ministerium uns seinen Entschluß eröffnete, hier Vorlesungen zu halten, eilte ich dem, nicht ohne Widerspruch auf mein Andringen gefaßten Beschluß des Senats, zuerst ein Schreiben an ihn zu erlassen, zuvor, indem ich ihn in meinem eigenen Namen bewillkommente, ihm meine Freude bezeugte und dem Publikum durch einen Zeitungs-Artikel [4] seinen Beitritt ankündigte. Hierauf wurden einige, von Herrn Niebuhr’s Seite mehr als verbindliche Briefe, und nach seiner Zurückkunft aus Berlin Besuche zwischen uns gewechselt. Ich versäumte den Sommer hindurch nichts, was dazu dienen konnte, ein offenes, freundschaftliches und zuverlässiges Verhältniß zu begründen. Dies schien auch einigermaßen zu gelingen, bis das verhänißvolle Dekret über die Suspension des Prof. Heinrich ankam. Herr Niebuhr schien mir die ganze Schuld davon beizumessen, wiewohl ich nichts dabei gethan hatte.
Ich war genau unterrichtet, daß er sich über mich nicht nur gegen Professoren, sondern auch gegen Studenten auf das heftigste geäußert hatte. Ich fuhr jedoch in der bisherigen Weise fort, als wäre nichts vorgefallen, und Herr Niebuhr nahm auch einigemal meine Einladungen an. Noch in meiner Rede bei Niederlegung des Rektorats, wo er gegenwärtig war, erwähnte ich auf das ehrenvollste seine hiesige Wirksamkeit.
Alles dies kann mir nichts helfen: es gilt den Liebling, den Auserwählten. Wer hätte sich eine solche Disparate, wie dieses Bündniß ist, als möglich denken sollen. Wer hätte nicht erwartet, dem welterfahrenen Manne werde die Falschheit niedriger Schmeichelei nicht entgehen, der gebildete Mann werde vor dem Gemeinen und Pöbelhaften Ekel empfinden? Die Freundschaft war durch einige gegenseitig gebilligte Emendationen zuerst gestiftet. Herr Niebuhr hatte die Autorität des Prof. Heinrich als Aegide einem Leipziger Magister entgegengehalten, ohne auf diesen sonderlichen Eindruck zu machen. Dies mochte hingehen: nun aber erklärte er seinen Schützling für den Meister im Stuhl der Sprachkritik, für den großen Krondiamanten der Grammatik, für den Einzigen, Unersetzlichen, Unerreichbaren. Er ist [5] ihm mit einem Wort ὀ πἀνυ. Wie läßt sich dies anders erklären als dadurch, daß Jemand, den es sehr gekränkt hat, einmal adeptus in passiver Bedeutung und vel für an gesetzt zu haben (worüber ich mich meinerseits leicht trösten würde), für künftige philologische Arbeiten sein Vertrauen auf die vermeintlich untrügliche Latinität seines Bundesgenossen gesetzt hat? Es ist schon beklagenswerth, wenn ein Schriftsteller von wahrem Verdienst ein ungebührliches Gewicht auf Nebendinge legt, worin er nun einmal keine sonderliche Stärke besitzt. Was soll man aber vollends sagen, wenn eine solche Grille ihn zu leidenschaftlichen Handlungen, zum Verkennen seiner Verhältniße, zur Ueberschreitung des Anstandes verleitet?
Ich sagte vorhin, daß ich große Tribulationen erlitten habe, und meine Freunde werden es bezeugen. Jedoch hatte die Sache auch ihre lustige Seite, woran sich ein unbetheiligter Beobachter wohl hätte ergötzen mögen. Von jeher hatte mich das Betragen des Prof. Heinrich an die Verse unseres alten Hagedorn erinnert:
Allhier sind die Grammatici
Streitbare Ziegenböcke ;
Sie dünken sich kein schlechtes Vieh,
Das zeigt ihr stolz Geblöke.
Seine Verblendung bis zur Ankunft des Suspensions-Dekretes war unglaublich groß. Der anstößige öffentliche Auftritt, den er bei dem Besuche des Kronprinzen veranlaßte, gab davon einen auffallenden Beweis. Die leider ohne Folge gebliebene Klage des Prof. Walter liegt bei unseren Akten. Das Dekret traf eben vor der Rektorwahl ein, es hatte dem Beklagten aber noch nicht amtlich zugefertigt werden können; ich mußte ihn also zulassen und die Schmach erleben, daß ihm noch [6] zwei meiner Kollegen, eben vor Thorschluß, ihre Stimme gaben. Am Tage nach der Zufertigung sendete Prof. Heinrich einen Anschlag-Zettel, gegen den ich nichts einzuwenden hatte. Er kam aber auch selbst, versammelte die Seminaristen im Hofe des Universitäts-Gebäudes um sich her, nahm einen rührenden Abschied von ihnen, weinte, oder schien wenigstens die vergossenen Thränen abzutrocknen. Die Zerknirschung war Anfangs groß. Ajar, endlich zur Besinnung gekommen, saß in seinem Zelt und betrachtete die in der Raserei erwürgten Hammel. Bald aber wurde ihm von allen Seiten Trost zugebracht. Zuerst das Kondolenz-Schreiben der Seminaristen. Dieses ward von den beiden ältesten, Grauert und Lucas (die sich zwar bei der Promotion des Dr. Bach tadelnswerth benommen, aber doch auf meine ausdrückliche Warnung in gewissen Gränzen gehalten hatten) den übrigen zur Unterschrift vorgelegt. Es war ihnen aber höhern Orts diktirt worden, und der eigentliche Verfasser war dabei aus der Rolle gefallen, indem er die jungen Leute sagen ließ, nicht nur was sie nicht sagen sollten, sondern auch was sie nicht sagen konnten. Ich habe mir keine Abschrift verschaffen können, doch sind mir Stellen daraus glaubwürdig berichtet worden. Wo Prof. Heinrich gelehrt habe, hieß es, sei die Philologie aufgeblüht, nachher wieder in Verfall gerathen. „Ihr Urtheil entscheidet über den Werth eines Menschen; wie sollten wir Sie je verkennen?“ Dies sind in der That große Ungehörigkeiten, die wohl eine derbe Rüge verdienten.
Hierauf kam, aus derselben Quelle, die Supplik der Professoren. Wie es mit dem Sammeln der Unterschriften zugegangen, habe ich im Allgemeinen gleichzeitig nach Berlin berichtet. Es haben sich dabei besonders zwei Professoren thätig bewiesen, für die es grade am un[7]schicklichsten war, weil sie, erst neuerdings angekommen, die bisherigen Verhältnisse nicht kannten. Der eine hat die Supplik mit einem Circular an seine Kollegen begleitet, der andere wiederholt einem Pedell zugemuthet, es herumzutragen, der aber klug genug war, es zu verweigern, ehe ich es ihm ausdrücklich untersagte.
Durch solche Gönnerschaft, solche zu seinen Gunsten gemachte Partheiung wurde nun der alte Trotz und Uebermuth des Prof. Heinrich bald wieder hergestellt, wie er in seiner zu Protokoll diktirten Vertheidigung am Tage liegt. Er verreiste nach Kiel, um seine Frau abzuholen. Es verlautete ein Gerücht, er werde die erledigte Stelle eines Professors der Philologie dort wieder antreten. Vergebliche Hoffnung! Man beruft ihn nicht wieder, wo man ihn einmal kennen gelernt hat.
Ich komme nun auf seine wissenschaftlichen Leistungen und seine Wirksamkeit als Lehrer. Es ist klar, daß Prof. Heinrich zu dem auswärtigen Glanze unserer Universität nichts beiträgt. Seit den sieben Jahren, die er hier zugebracht, ist keine gelehrte Arbeit von ihm, weder große noch kleine, an’s Licht getreten. Man wird doch einen bloßen Abdruck der Bruchstücke des Cicero, vielleicht mit einigen Conjekturen, nicht dafür anrechnen? Er hat sich sogar wegen der versprochenen und nicht gelieferten Anmerkungen von dem Buchhändler verklagen lassen. Seine Freunde sagen, er strebe nach einer solchen Vollkommenheit, daß er sich niemals selbst befriedigen könne. Die Wahrheit ist aber, daß er sich vor scharfen Beurtheilungen scheut und überhaupt mit einer unsäglichen Sterilität des Geistes behaftet ist. Sonst hätte er ja die Gelegenheit benutzt, in akademischen Schriften mit seiner Latinität zu glänzen. Was er aber im Namen der Universität geschrieben, wird sich bequem auf zwei Blättchen [8] bringen lassen und nur bis zur Ankunft des Prof. Näke hat er nothgedrungen die Feder angesetzt. Diesem hat er sogar das Programm für den Geburtstag Sr. Majestät zugeschoben, als an ihm als Dekan die Reihe war, es zu schreiben. Niemals hat er die Festrede bei derselben Gelegenheit übernommen, wie es Andere gethan. Eine solche Rede alljährlich zu halten, ist eine schwere Aufgabe, weil man Gefahr läuft, sich zu erschöpfen und zu wiederholen; wer sie nicht ein einziges Mal schicklich zu Stande zu bringen weiß, muß von allem rednerischen Talente entblößt sein.
Prof. Heinrich behandelt den lateinischen Styl als ein Arcanum, das sich nur den Adepten mittheilen lasse. Dies ist baare Charlatanerie. Wer die Meisterschaft in einer Kunst besitzt, findet auch Vergnügen daran sie auszuüben und entzieht sich nicht dem öffentlichen Urtheil. An den kleinen, oben erwähnten Proben konnte ich nichts Besonders wahrnehmen, als das Peinliche und Geschraubte. Es kann nicht anders sein. Der Styl ist nur der Ausdruck des Geistes. Wer ohne wahren Gehalt nach einer zierlichen Schreibart hascht, wird nichts als gedrechselte Redensarten herausbringen.
Nicht einmal in der Grammatik und dem lateinischen Sprachgebrauch ist Prof. Heinrich so untrüglich, als er es immerfort zu verstehen giebt. Als die Fakultät dem Grafen v. Beust ein Ehrendiplom ertheilte, übersetzte er den Titel Berghauptmann durch subterraneae cohortis centurio. Wie lächerlich! Es sollte metallorum praefectus heißen. Bei dem Vorfalle, welcher den Austritt des Dr. Bach aus dem Seminarium veranlaßte, hatten nach dem Bericht des Stud. Grauert in [9] Bezug auf Latinität sowohl der Schüler als der Lehrer unrecht. Sowie die getadelte Redensart dasteht, ist sie allerdings nicht lateinisch und Dr. Bach hätte den Sprachgebrauch durch eine classische Autorität und nicht durch die seines Schullehrers erweisen sollen. Allein Prof. Heinrich behauptete, adulterium könne durchaus nicht für adulteratio stehen, und es kommt wenigstens viermal bei dem älteren Plinius vor: adulterium mellis, vini und noch kühner adulteria naturae, künstliche Verfälschung der einfachen Stoffe, welche die Natur liefert. Warum sollte man also nicht sagen können adulterium carminis? Ein junger Physiker und Mathematiker meldet sich zur Habilitation und kündigt eine Theorie des Regenbogens, arci coelestis, an. Prof. Heinrich schreibt nach seiner Weise an den Rand: „Disce grammaticam, geometra!“ Nun findet sich’s, daß Varro und Cicero den Regenbogen nach der zweiten, den Bogen als Geschoß nach der vierten Deklination abgewandelt haben. Dem Physiker war also nichts vorzuwerfen, als daß er eine classische, aber veraltete Unterscheidung geltend gemacht hatte.
Ew. Hochwohlgeboren trauen mir wohl nicht zu, daß ich die Genauigkeit in solchen Dingen nicht überschätze. Wer aber das ganze Wesen der Philologie darein setzt, kein anderes Verdienst anerkennt und jeden Gelehrten, der ein Versehen hierin begeht, unerbittlich verhöhnt, mit dem darf man es ebenfalls genau nehmen.
Ich bin nicht gesonnen, das Verdienst der gelehrten Arbeiten zu verkennen, welche Prof. Heinrich vor einigen zwanzig Jahren an’s Licht gestellt hat. Damals war er bescheiden und thätig, weil er Beförderung suchte; er kam eben aus einer bessern Schule, als die seinige nachher geworden ist. Wenn er jetzt in seinen Lehrvorträgen und gelehrten [10] Forschungen und in den Verhältnissen des Lebens sich noch eben so bewährte, als er in der Zuschrift an Heyne vor dem Scut. Hercul. erscheinen wollte, so würde er ein nützliches, willkommenes Mitglied jeder Universität sein. Aber seine diktaturischen Anmaßungen bei einer so höchst beschränkten Einseitigkeit sind ganz unerträglich. Sachkenntnisse vom classischen Alterthum, ohne welche ja doch alle Interpretationen ein leeres Geschwätz bleibt, vollends philosophische Ansichten sind nach seiner Lehre durchaus verwerflich und der Tod aller echten Philologie. Er hält das materielle Gerüste, grammatische Sprachkenntniß und Wortkritik für das Wesen der Sache. Auch solche Handlanger sind nützlich, nur müssen sie sich nicht für die Meister des Baues ausgeben. Vom Prof. Heinrich können seine Schüler keinen umfassenden, am wenigsten einen philosophischen Ueberblick des classischen Alterthums empfangen, weil er ihn selbst nicht besitzt. Er ist belesener in den neuern Commentatoren als in den Classikern und in beiden hat er mehr nachgeschlagen als gelesen. Wenn Ew. Hochwohlgeboren sich die Mühe geben wollen, das Verzeichniß seiner seit sieben Jahren gehaltenen Vorlesungen durchzugehen, so werden Sie finden, daß fast Alles in der Auslegung weniger Autoren besteht. Hier, wo er immer dasselbe wieder durchgearbeitet hat, mag er gründlich sein. Vorlesungen über griechische und römische Antiquitäten, über Geschichte der griechischen und römischen Literatur, über Mythologie, Paläographie und Archäologie der bildenden Künste zu halten, ist er ganz unfähig: wenn es ihm auferlegt würde, könnte er nichts anders thun, als Compendien ausschreiben und diktiren, weil es ihm an einem Vorrath eigener Gedanken und Forschungen fehlt. Er sollte als seine Schüler an andere Lehrer verweisen. Aber [11] es ist notorisch, daß er grade im Gegentheil sie davon abmahnt, und das königl. Ministerium hat es selbst anerkannt, indem es den Seminaristen zur Pflicht gemacht, die Vorlesungen des Prof. Welcker zu hören. Kann man wohl im Ernst den Prof. Heinrich mit einem Wolf, einem Hermann, einem Böckh in gleichen Rang stellen? Wäre er aber auch ein Scaliger, ein Casaubonus, ein Bentley, so würde sein Beispiel, der Ton seiner Sitten, sein Benehmen in allen Verhältnissen jenes transcendente Verdienst mehr als aufwiegen. Grade in dem Fache, worin man den Prof. Heinrich für unersetzlich hält, besitzt unser Prof. Näke eine besondere Stärke, freilich ein Mann von ganz anderm Geist und Charakter, mit welchem Amtsgeschäfte jederzeit erwünscht sind, dessen Schüler zu sein, sehr aufmunternd sein muß. Auch sein Urtheil ist keineswegs einseitig: er ist anerkennend und empfänglich für fremdartiges Verdienst. In der Unmuth und Leichtigkeit des mündlichen lateinischen Vortrags ist er seinem Kollegen entschieden überlegen.
Wenn Ew. Hochwohlgeboren Gelegenheit gehabt hätten, hier am Orte die Lehrmethode des Prof. Heinrich zu beobachten, so würde obige Erörterung bei Ihnen, als einem Kenner der classischen Literatur, überflüssig erscheinen. So aber muß ich gewichtigen Autoritäten entgegen zu wirken suchen. Herr Niebuhr hat bei Eröffnung seiner jetzigen Vorlesungen ihn als einen Meister der philologischen Kritik bezeichnet, dessen gegenwärtiges unfreiwilliges Stillschweigen, als eine Calamität für die Universität zu betrachten sei. Das Auditorium war zahlreich besetzt, und Prof. Heinrich befand sich unter den Zuhörern. Ich enthalte mich aller weiteren Bemerkungen.
[1] Bonn, den 11. November 1825.
Ew. Hochwohlgeboren bitte ich mein langes Stillschweigen zu verzeihen, das ich in der That nicht zu rechtfertigen weiß. Wenigstens hätte ich Ihnen sogleich meine lebhaft empfundene Dankbarkeit wegen der geneigten Aufnahme des Dr. Bach ausdrücken sollen. Ich will die Versäumniß nicht allein auf die vielen Geschäfte und Störungen schieben, die mir während der letzten Hälfte des Sommers zur Last fielen, da ich neben dem Rektorat noch die Stelle des Herrn Regierungs-Bevollmächtigten zu vertreten hatte. Größern Antheil daran hatte meine Unentschlüssigkeit, ob ich Ihnen über die Sache des Prof. Heinrich schreiben sollte oder nicht. Ihr letzter Brief enthielt ein so vollkommen richtiges Urtheil darüber, daß es überflüssig schien, Ew. Hochwohlgeboren noch weiter aufklären zu wollen. Ich hatte bisher in dieser Sache nothgedrungen erhandelt, nicht mehr gethan, als meine Stellung gebieterisch forderte, und wurde dennoch hier von einer Parthei beschuldigt, ein Verfolger des Beklagten zu sein. Endlich konnte ich nach Zurückkunft des Herrn Geh. R. Rehfues das Geschäft ganz ruhig in die Hände eines Mannes niederlegen, der für die Interessen der Universität, auch bei einem leidenden Gesundheitszustande, unermüdlich ist und sich dabei durch keine Rücksicht [2] stören läßt. Gern wollte ich mir nun den verdrießlichen Handel aus dem Sinne schlagen, worüber ich schon Tribulationen genug ausgestanden hatte. Ich wußte wohl, es sei kein periculum in mora; denn die laut geäußerte Hoffnung der Anhänger des Prof. Heinrich, es werde sofort eine günstige Entscheidung für ihn – warum nicht durch einen Kourier? – eintreffen, mußte mir nach Lesung seiner Vertheidigung ganz chimärisch erscheinen. Da ich aber weiß, wie viel Ueberwindung es dem uns vorgeordneten Ministerium bei seiner gewohnten Milde kostet, einen gerechten, aber streng entscheidenden Beschluß zu fassen ; da ich ferner sehe, wie man Alles aufbietet, um einen Menschen von längst anrüchigem Ruf und der weder Achtung noch Mitleiden verdient, vor den natürlichen Folgen seiner, soll ich sagen Verrücktheit oder Bösartigkeit zu schützen; so will ich doch meinerseits auch nichts versäumen, was im mindesten dazu dienen kann, eine klägliche Zerrüttung aller Verhältniss von unserer Universität abzuwenden. Ich beschränke mich dabei auf die Schilderung der Umtriebe (dies ist hier der passende Ausdruck), welche während der Abwesenheit des Geh. R. Rehfues stattgefunden haben, welche dieser also nur mittelbar erfahren konnte, und auf die Schätzung der hiesigen Wirksamkeit des Prof. Heinrich in wissenschaftlicher Hinsicht.
Zuvor muß ich um Erlaubniß bitten, ganz offen mein persönliches Verhältniß zu einem Manne darzulegen, dessen ausgezeichnete Talente ich bewundre, dessen launenhafte und leidenschaftliche Reizbarkeit ich nur beklagen kann. Es ist nothwendig, da dieser durch seinen Rang, wie durch seinen Ruf angesehene Mann, wie wohl außerhalb der Uni[3]versität stehend, sich so thätig in die Sache gemischt hat, als ob sie vor sein Forum gehörte, ja als ob er schon eine Autorität über uns auszuüben hätte.
Als man uns zuerst den Entschluß des Geh. Staatsraths Niebuhr ankündigte, sich in Bonn niederzulassen, erfreute ich mich der Aussicht auf den Umgang mit einem Manne von so gebildetem Geist, von so tiefer und umfassender Gelehrsamkeit. Die Voraussetzung, daß eine Kritik, worin ich meines Bedünkens einen partiellen Widerspruch mit achtungsvoller Anerkennung vorgetragen hatte, eine nach vielen Jahren noch rege Antipathie bewirkt haben könne, ist meiner Denkart fremd. Ich wußte nicht, daß Herr Niebuhr in Rom, wie er selbst sagt, das Gelübde gethan hatte, bei seiner Zurückkunft in Deutschland an dem ersten Tadler, der ihm begegnen würde, ein Jephta-Opfer zu vollbringen. Bald mußte ich es anders erfahren. Ein Verehrer des Herrn Niebuhr, der in Rom ihm näher bekannt geworden war, sprach von jener Recension nur als von einem Attentat, von einem Verbrechen der beleidigten Majestät. Herr Niebuhr besuchte mich nicht, er vermied mich sichtbar, wo wir zufällig zusammentrafen ; wohlwollende Versuche, uns in gesellschaftliche Berührung zu bringen, schlugen fehl. Ich konnte hierbei nichts thun, ich bin nicht gewohnt mich aufzudringen. Sobald ich aber das Rektorat angetreten hatte, benutzte ich die Gelegenheit, ihm mit Höflichkeit zuvorzukommen. Als das königl. Ministerium uns seinen Entschluß eröffnete, hier Vorlesungen zu halten, eilte ich dem, nicht ohne Widerspruch auf mein Andringen gefaßten Beschluß des Senats, zuerst ein Schreiben an ihn zu erlassen, zuvor, indem ich ihn in meinem eigenen Namen bewillkommente, ihm meine Freude bezeugte und dem Publikum durch einen Zeitungs-Artikel [4] seinen Beitritt ankündigte. Hierauf wurden einige, von Herrn Niebuhr’s Seite mehr als verbindliche Briefe, und nach seiner Zurückkunft aus Berlin Besuche zwischen uns gewechselt. Ich versäumte den Sommer hindurch nichts, was dazu dienen konnte, ein offenes, freundschaftliches und zuverlässiges Verhältniß zu begründen. Dies schien auch einigermaßen zu gelingen, bis das verhänißvolle Dekret über die Suspension des Prof. Heinrich ankam. Herr Niebuhr schien mir die ganze Schuld davon beizumessen, wiewohl ich nichts dabei gethan hatte.
Ich war genau unterrichtet, daß er sich über mich nicht nur gegen Professoren, sondern auch gegen Studenten auf das heftigste geäußert hatte. Ich fuhr jedoch in der bisherigen Weise fort, als wäre nichts vorgefallen, und Herr Niebuhr nahm auch einigemal meine Einladungen an. Noch in meiner Rede bei Niederlegung des Rektorats, wo er gegenwärtig war, erwähnte ich auf das ehrenvollste seine hiesige Wirksamkeit.
Alles dies kann mir nichts helfen: es gilt den Liebling, den Auserwählten. Wer hätte sich eine solche Disparate, wie dieses Bündniß ist, als möglich denken sollen. Wer hätte nicht erwartet, dem welterfahrenen Manne werde die Falschheit niedriger Schmeichelei nicht entgehen, der gebildete Mann werde vor dem Gemeinen und Pöbelhaften Ekel empfinden? Die Freundschaft war durch einige gegenseitig gebilligte Emendationen zuerst gestiftet. Herr Niebuhr hatte die Autorität des Prof. Heinrich als Aegide einem Leipziger Magister entgegengehalten, ohne auf diesen sonderlichen Eindruck zu machen. Dies mochte hingehen: nun aber erklärte er seinen Schützling für den Meister im Stuhl der Sprachkritik, für den großen Krondiamanten der Grammatik, für den Einzigen, Unersetzlichen, Unerreichbaren. Er ist [5] ihm mit einem Wort ὀ πἀνυ. Wie läßt sich dies anders erklären als dadurch, daß Jemand, den es sehr gekränkt hat, einmal adeptus in passiver Bedeutung und vel für an gesetzt zu haben (worüber ich mich meinerseits leicht trösten würde), für künftige philologische Arbeiten sein Vertrauen auf die vermeintlich untrügliche Latinität seines Bundesgenossen gesetzt hat? Es ist schon beklagenswerth, wenn ein Schriftsteller von wahrem Verdienst ein ungebührliches Gewicht auf Nebendinge legt, worin er nun einmal keine sonderliche Stärke besitzt. Was soll man aber vollends sagen, wenn eine solche Grille ihn zu leidenschaftlichen Handlungen, zum Verkennen seiner Verhältniße, zur Ueberschreitung des Anstandes verleitet?
Ich sagte vorhin, daß ich große Tribulationen erlitten habe, und meine Freunde werden es bezeugen. Jedoch hatte die Sache auch ihre lustige Seite, woran sich ein unbetheiligter Beobachter wohl hätte ergötzen mögen. Von jeher hatte mich das Betragen des Prof. Heinrich an die Verse unseres alten Hagedorn erinnert:
Allhier sind die Grammatici
Streitbare Ziegenböcke ;
Sie dünken sich kein schlechtes Vieh,
Das zeigt ihr stolz Geblöke.
Seine Verblendung bis zur Ankunft des Suspensions-Dekretes war unglaublich groß. Der anstößige öffentliche Auftritt, den er bei dem Besuche des Kronprinzen veranlaßte, gab davon einen auffallenden Beweis. Die leider ohne Folge gebliebene Klage des Prof. Walter liegt bei unseren Akten. Das Dekret traf eben vor der Rektorwahl ein, es hatte dem Beklagten aber noch nicht amtlich zugefertigt werden können; ich mußte ihn also zulassen und die Schmach erleben, daß ihm noch [6] zwei meiner Kollegen, eben vor Thorschluß, ihre Stimme gaben. Am Tage nach der Zufertigung sendete Prof. Heinrich einen Anschlag-Zettel, gegen den ich nichts einzuwenden hatte. Er kam aber auch selbst, versammelte die Seminaristen im Hofe des Universitäts-Gebäudes um sich her, nahm einen rührenden Abschied von ihnen, weinte, oder schien wenigstens die vergossenen Thränen abzutrocknen. Die Zerknirschung war Anfangs groß. Ajar, endlich zur Besinnung gekommen, saß in seinem Zelt und betrachtete die in der Raserei erwürgten Hammel. Bald aber wurde ihm von allen Seiten Trost zugebracht. Zuerst das Kondolenz-Schreiben der Seminaristen. Dieses ward von den beiden ältesten, Grauert und Lucas (die sich zwar bei der Promotion des Dr. Bach tadelnswerth benommen, aber doch auf meine ausdrückliche Warnung in gewissen Gränzen gehalten hatten) den übrigen zur Unterschrift vorgelegt. Es war ihnen aber höhern Orts diktirt worden, und der eigentliche Verfasser war dabei aus der Rolle gefallen, indem er die jungen Leute sagen ließ, nicht nur was sie nicht sagen sollten, sondern auch was sie nicht sagen konnten. Ich habe mir keine Abschrift verschaffen können, doch sind mir Stellen daraus glaubwürdig berichtet worden. Wo Prof. Heinrich gelehrt habe, hieß es, sei die Philologie aufgeblüht, nachher wieder in Verfall gerathen. „Ihr Urtheil entscheidet über den Werth eines Menschen; wie sollten wir Sie je verkennen?“ Dies sind in der That große Ungehörigkeiten, die wohl eine derbe Rüge verdienten.
Hierauf kam, aus derselben Quelle, die Supplik der Professoren. Wie es mit dem Sammeln der Unterschriften zugegangen, habe ich im Allgemeinen gleichzeitig nach Berlin berichtet. Es haben sich dabei besonders zwei Professoren thätig bewiesen, für die es grade am un[7]schicklichsten war, weil sie, erst neuerdings angekommen, die bisherigen Verhältnisse nicht kannten. Der eine hat die Supplik mit einem Circular an seine Kollegen begleitet, der andere wiederholt einem Pedell zugemuthet, es herumzutragen, der aber klug genug war, es zu verweigern, ehe ich es ihm ausdrücklich untersagte.
Durch solche Gönnerschaft, solche zu seinen Gunsten gemachte Partheiung wurde nun der alte Trotz und Uebermuth des Prof. Heinrich bald wieder hergestellt, wie er in seiner zu Protokoll diktirten Vertheidigung am Tage liegt. Er verreiste nach Kiel, um seine Frau abzuholen. Es verlautete ein Gerücht, er werde die erledigte Stelle eines Professors der Philologie dort wieder antreten. Vergebliche Hoffnung! Man beruft ihn nicht wieder, wo man ihn einmal kennen gelernt hat.
Ich komme nun auf seine wissenschaftlichen Leistungen und seine Wirksamkeit als Lehrer. Es ist klar, daß Prof. Heinrich zu dem auswärtigen Glanze unserer Universität nichts beiträgt. Seit den sieben Jahren, die er hier zugebracht, ist keine gelehrte Arbeit von ihm, weder große noch kleine, an’s Licht getreten. Man wird doch einen bloßen Abdruck der Bruchstücke des Cicero, vielleicht mit einigen Conjekturen, nicht dafür anrechnen? Er hat sich sogar wegen der versprochenen und nicht gelieferten Anmerkungen von dem Buchhändler verklagen lassen. Seine Freunde sagen, er strebe nach einer solchen Vollkommenheit, daß er sich niemals selbst befriedigen könne. Die Wahrheit ist aber, daß er sich vor scharfen Beurtheilungen scheut und überhaupt mit einer unsäglichen Sterilität des Geistes behaftet ist. Sonst hätte er ja die Gelegenheit benutzt, in akademischen Schriften mit seiner Latinität zu glänzen. Was er aber im Namen der Universität geschrieben, wird sich bequem auf zwei Blättchen [8] bringen lassen und nur bis zur Ankunft des Prof. Näke hat er nothgedrungen die Feder angesetzt. Diesem hat er sogar das Programm für den Geburtstag Sr. Majestät zugeschoben, als an ihm als Dekan die Reihe war, es zu schreiben. Niemals hat er die Festrede bei derselben Gelegenheit übernommen, wie es Andere gethan. Eine solche Rede alljährlich zu halten, ist eine schwere Aufgabe, weil man Gefahr läuft, sich zu erschöpfen und zu wiederholen; wer sie nicht ein einziges Mal schicklich zu Stande zu bringen weiß, muß von allem rednerischen Talente entblößt sein.
Prof. Heinrich behandelt den lateinischen Styl als ein Arcanum, das sich nur den Adepten mittheilen lasse. Dies ist baare Charlatanerie. Wer die Meisterschaft in einer Kunst besitzt, findet auch Vergnügen daran sie auszuüben und entzieht sich nicht dem öffentlichen Urtheil. An den kleinen, oben erwähnten Proben konnte ich nichts Besonders wahrnehmen, als das Peinliche und Geschraubte. Es kann nicht anders sein. Der Styl ist nur der Ausdruck des Geistes. Wer ohne wahren Gehalt nach einer zierlichen Schreibart hascht, wird nichts als gedrechselte Redensarten herausbringen.
Nicht einmal in der Grammatik und dem lateinischen Sprachgebrauch ist Prof. Heinrich so untrüglich, als er es immerfort zu verstehen giebt. Als die Fakultät dem Grafen v. Beust ein Ehrendiplom ertheilte, übersetzte er den Titel Berghauptmann durch subterraneae cohortis centurio. Wie lächerlich! Es sollte metallorum praefectus heißen. Bei dem Vorfalle, welcher den Austritt des Dr. Bach aus dem Seminarium veranlaßte, hatten nach dem Bericht des Stud. Grauert in [9] Bezug auf Latinität sowohl der Schüler als der Lehrer unrecht. Sowie die getadelte Redensart dasteht, ist sie allerdings nicht lateinisch und Dr. Bach hätte den Sprachgebrauch durch eine classische Autorität und nicht durch die seines Schullehrers erweisen sollen. Allein Prof. Heinrich behauptete, adulterium könne durchaus nicht für adulteratio stehen, und es kommt wenigstens viermal bei dem älteren Plinius vor: adulterium mellis, vini und noch kühner adulteria naturae, künstliche Verfälschung der einfachen Stoffe, welche die Natur liefert. Warum sollte man also nicht sagen können adulterium carminis? Ein junger Physiker und Mathematiker meldet sich zur Habilitation und kündigt eine Theorie des Regenbogens, arci coelestis, an. Prof. Heinrich schreibt nach seiner Weise an den Rand: „Disce grammaticam, geometra!“ Nun findet sich’s, daß Varro und Cicero den Regenbogen nach der zweiten, den Bogen als Geschoß nach der vierten Deklination abgewandelt haben. Dem Physiker war also nichts vorzuwerfen, als daß er eine classische, aber veraltete Unterscheidung geltend gemacht hatte.
Ew. Hochwohlgeboren trauen mir wohl nicht zu, daß ich die Genauigkeit in solchen Dingen nicht überschätze. Wer aber das ganze Wesen der Philologie darein setzt, kein anderes Verdienst anerkennt und jeden Gelehrten, der ein Versehen hierin begeht, unerbittlich verhöhnt, mit dem darf man es ebenfalls genau nehmen.
Ich bin nicht gesonnen, das Verdienst der gelehrten Arbeiten zu verkennen, welche Prof. Heinrich vor einigen zwanzig Jahren an’s Licht gestellt hat. Damals war er bescheiden und thätig, weil er Beförderung suchte; er kam eben aus einer bessern Schule, als die seinige nachher geworden ist. Wenn er jetzt in seinen Lehrvorträgen und gelehrten [10] Forschungen und in den Verhältnissen des Lebens sich noch eben so bewährte, als er in der Zuschrift an Heyne vor dem Scut. Hercul. erscheinen wollte, so würde er ein nützliches, willkommenes Mitglied jeder Universität sein. Aber seine diktaturischen Anmaßungen bei einer so höchst beschränkten Einseitigkeit sind ganz unerträglich. Sachkenntnisse vom classischen Alterthum, ohne welche ja doch alle Interpretationen ein leeres Geschwätz bleibt, vollends philosophische Ansichten sind nach seiner Lehre durchaus verwerflich und der Tod aller echten Philologie. Er hält das materielle Gerüste, grammatische Sprachkenntniß und Wortkritik für das Wesen der Sache. Auch solche Handlanger sind nützlich, nur müssen sie sich nicht für die Meister des Baues ausgeben. Vom Prof. Heinrich können seine Schüler keinen umfassenden, am wenigsten einen philosophischen Ueberblick des classischen Alterthums empfangen, weil er ihn selbst nicht besitzt. Er ist belesener in den neuern Commentatoren als in den Classikern und in beiden hat er mehr nachgeschlagen als gelesen. Wenn Ew. Hochwohlgeboren sich die Mühe geben wollen, das Verzeichniß seiner seit sieben Jahren gehaltenen Vorlesungen durchzugehen, so werden Sie finden, daß fast Alles in der Auslegung weniger Autoren besteht. Hier, wo er immer dasselbe wieder durchgearbeitet hat, mag er gründlich sein. Vorlesungen über griechische und römische Antiquitäten, über Geschichte der griechischen und römischen Literatur, über Mythologie, Paläographie und Archäologie der bildenden Künste zu halten, ist er ganz unfähig: wenn es ihm auferlegt würde, könnte er nichts anders thun, als Compendien ausschreiben und diktiren, weil es ihm an einem Vorrath eigener Gedanken und Forschungen fehlt. Er sollte als seine Schüler an andere Lehrer verweisen. Aber [11] es ist notorisch, daß er grade im Gegentheil sie davon abmahnt, und das königl. Ministerium hat es selbst anerkannt, indem es den Seminaristen zur Pflicht gemacht, die Vorlesungen des Prof. Welcker zu hören. Kann man wohl im Ernst den Prof. Heinrich mit einem Wolf, einem Hermann, einem Böckh in gleichen Rang stellen? Wäre er aber auch ein Scaliger, ein Casaubonus, ein Bentley, so würde sein Beispiel, der Ton seiner Sitten, sein Benehmen in allen Verhältnissen jenes transcendente Verdienst mehr als aufwiegen. Grade in dem Fache, worin man den Prof. Heinrich für unersetzlich hält, besitzt unser Prof. Näke eine besondere Stärke, freilich ein Mann von ganz anderm Geist und Charakter, mit welchem Amtsgeschäfte jederzeit erwünscht sind, dessen Schüler zu sein, sehr aufmunternd sein muß. Auch sein Urtheil ist keineswegs einseitig: er ist anerkennend und empfänglich für fremdartiges Verdienst. In der Unmuth und Leichtigkeit des mündlichen lateinischen Vortrags ist er seinem Kollegen entschieden überlegen.
Wenn Ew. Hochwohlgeboren Gelegenheit gehabt hätten, hier am Orte die Lehrmethode des Prof. Heinrich zu beobachten, so würde obige Erörterung bei Ihnen, als einem Kenner der classischen Literatur, überflüssig erscheinen. So aber muß ich gewichtigen Autoritäten entgegen zu wirken suchen. Herr Niebuhr hat bei Eröffnung seiner jetzigen Vorlesungen ihn als einen Meister der philologischen Kritik bezeichnet, dessen gegenwärtiges unfreiwilliges Stillschweigen, als eine Calamität für die Universität zu betrachten sei. Das Auditorium war zahlreich besetzt, und Prof. Heinrich befand sich unter den Zuhörern. Ich enthalte mich aller weiteren Bemerkungen.
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