• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Braunschweig · Date: [November 1795]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Braunschweig
  • Date: [November 1795]
  • Notations: Datum erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 259‒261.
  • Incipit: „[1] Es war mir sehr angenehm, einmal wieder Deine Hand auf einem Briefe an mich zu erblicken. Eine so seltne Erscheinung [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34222
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.b,Nr.71
  • Number of Pages: 7S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,8 x 11,5 cm
    Language
  • German
[1] Es war mir sehr angenehm, einmal wieder Deine Hand auf einem Briefe an mich zu erblicken. Eine so seltne Erscheinung erforderte eigentlich wohl einen langen und reichhaltigen Brief. Dazu fehlt es mir noch ganz an Muße. Also nur wenigstens ein paar Zeilen.
Mit Ungeduld sehe ich Deinen poetischen Briefen entgegen. Ich habe, wie ich schon letzthin schrieb, Hoffnung, daß sie im 11ten Stück gedruckt werden. Was Du wohl Gutes und Schönes bringen wirst? Ohne Zweifel sehr vieles, was mir besonders sehr neu und fremd seyn wird, vielleicht neben manchen alten Freund. Wir gehen von sehr verschiedenen Anschauungen und Begriffen aus; aber ich wüßte doch eigentlich nichts, dem ich mein Gefühl so ähnlich halten könnte und möchte, als dem Deinigen. Ich bin schon im voraus ge[2]wiß, daß Dir die historische Arbeit so vollkommen gelingen wird, daß für meine Kritik wenigstens kein Raum bleibt. Ich freue mich daher auf die Briefe; denn hier wird wenigstens im Inhalt Anlaß genug zum Disputiren seyn. Es ist so langweilig an einem Werke nichts tadeln zu können!
Von Körner ist ein Aufsatz über Musik im 5ten Stück der Horen. K.[örner] gehört unter die hartleibigen Schriftsteller. Er druckt Vierteljahrlang ehe ein ganz kleines Produkt zum Vorschein kommt. Man könnte ihm mit dem Katull sagen:
nec toto decies cacas in anno;
atque id durius est faba et lapillis. etc.

In den letzten Stücken der Thalia finden sich auch einige Ideen über Deklamation von ihm. Jetzt arbeitet er an einer Abhandlung über den Tanz. In dem musikal.[ischen] Aufsatze sind ei[3]nige sehr wahre und grosse Gedanken, aber unreif ausgeführt. Hie und da bin ich ganz einverstanden und manches hat sich gemeinschaftlich in unsern Gespräch[en] entwickelt. Von mir wird nichts eher in den Horen erscheinen, als bis ich mit den zwey Bänden der Beyträge fertig bin. Michaelis ist ietzt so eifrig, diese drucken zu lassen, daß ich hoffe, Du wirst wenigstens einen Band noch im Dezember haben können. Er hat sich sehr entschuldigt, daß er Dir wegen vieler Geschäfte noch nicht habe antworten können. –
Die Art, wie Du den Sh.[akespeare] bearbeiten willst, hat meinen ganzen Beyfall. Kannst Du eine solche poetische Uebersetzung nicht, wie doch <selbst> Raphael und Mengs ihre grossen Erfindungen ausführten, als Arbeit treiben? – Wenn Du das nicht kannst, so rathe ich Dir unverzüglich eine andre zu wählen [4] mit der dieß der Fall. Denn ich halte eine solche Beschäftigung für unentbehrlich. Die ruhige Freude, gut und fleissig gearbeitet zu haben erhält uns, und befördert grade die glücklichste Stimmung die zum eigentlichen Erfinden und Bilden (ποιειν) so nothwendig ist. Erlaube mir immer etwas über Schriftstellerdiät zu schwatzen. Ich rede als ein junger Bursche zu einem ältern Meister. Aber Du bist erst seit kurzer Zeit in dem Fall, ganz schriftstellerisch zu leben, ich schon dritthalb Jahr: denn ich darf das letzte halbe Jahr in L[eipzig] wohl mitrechnen. Man muß die glückliche Stimmung nur gleich nutzen, wenn sie kommt: wartet man drauf, so pflegt sie eigensinnig zu seyn, wie eine schöne Frau. Ich denke noch mit Schrecken an den Mis[5]muth und den Zeitverlust, den ich mir im Sommer 94 selbst zuzog, da ich mich hinsetzte an einem Roman und einigen alten philosophisch-moralischen Projekten zu erfinden und zu arbeiten. Bey jeder Arbeit muß man einen äussern Anhalt haben, ein völlig Gegebnes, wo unser Geist daran hinwandelt, hineinarbeitet, vertieft, bestimmt, tappt und leise fühlt. Wenn wir eben auch nicht jeden Augenblick grosse Blicke ins Innre thun, so kommen wir doch ganz leise immer weiter. – Meine Arbeiten über die Gr.[iechen] sind fast alle Arbeiten in diesem Sinne, und ich befinde mich wohl dabey. Ich weiß, Du wirst nicht eher in Ruhe kommen, nicht eher schöne Organisazion in Dein ganzes Leben bringen, bis Du ein solches gefunden hast. Die Erfahrung würde Dich bald belehren, aber ich möchte [6] gern, daß Dir die kleinen Vortheile, die ich theuer erkauft habe, gleich geschenkt wären. Für mich ist eine historische, kritische Arbeit eine solche Grundlage, und ich habe guten Grund zu glauben, daß bey allen Menschen eigentlich philosophische und poetische Arbeiten, Sache der Begeisterung sind, und nicht permanent gebildet werden können. Von grossem Vortheil ist es mir gewesen, alle Plane sogleich zu Papier zu bringen, wenn auch nur mit einigen Worten, was ein Buch werden soll. Ich wende dann rhapsodisch dazu, was mir während der permanenten Arbeit von selbst einfällt, und ich habe gewöhnlich zusammen mehr Plane, als ich bestreiten kann. Vor diesem zu Papier bringen hat man [7] gewöhnlich eine lebhafte Abneigung. Diese muß überwunden werden, und man kann sich hier ohne allen Nachtheil Zwang anthun. Es ist eine natürliche Empfindung, was wir in dunkler Form ahndeten mit warmer Gluth, wo sich das Unbestimmte regt wie der schwangre Keim einer werdenden Welt, das erscheint in den kahlen Zügen, die sich grade fassen lassen, dürftig und oft genung sogar lächerlich. Dadurch kommt in unser Bilden und Weben Beharrlichkeit, die dem Künstler und Denker so nothwendig ist, wie dem Helden. Ich verstehe nicht die eiserne Hartnäckigkeit der Armuth, sondern ein sanftes Zusammenhalten seiner Selbst ohne Gewalt. – Die Post geht. Adio.
Fr. Schl.
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[1] Es war mir sehr angenehm, einmal wieder Deine Hand auf einem Briefe an mich zu erblicken. Eine so seltne Erscheinung erforderte eigentlich wohl einen langen und reichhaltigen Brief. Dazu fehlt es mir noch ganz an Muße. Also nur wenigstens ein paar Zeilen.
Mit Ungeduld sehe ich Deinen poetischen Briefen entgegen. Ich habe, wie ich schon letzthin schrieb, Hoffnung, daß sie im 11ten Stück gedruckt werden. Was Du wohl Gutes und Schönes bringen wirst? Ohne Zweifel sehr vieles, was mir besonders sehr neu und fremd seyn wird, vielleicht neben manchen alten Freund. Wir gehen von sehr verschiedenen Anschauungen und Begriffen aus; aber ich wüßte doch eigentlich nichts, dem ich mein Gefühl so ähnlich halten könnte und möchte, als dem Deinigen. Ich bin schon im voraus ge[2]wiß, daß Dir die historische Arbeit so vollkommen gelingen wird, daß für meine Kritik wenigstens kein Raum bleibt. Ich freue mich daher auf die Briefe; denn hier wird wenigstens im Inhalt Anlaß genug zum Disputiren seyn. Es ist so langweilig an einem Werke nichts tadeln zu können!
Von Körner ist ein Aufsatz über Musik im 5ten Stück der Horen. K.[örner] gehört unter die hartleibigen Schriftsteller. Er druckt Vierteljahrlang ehe ein ganz kleines Produkt zum Vorschein kommt. Man könnte ihm mit dem Katull sagen:
nec toto decies cacas in anno;
atque id durius est faba et lapillis. etc.

In den letzten Stücken der Thalia finden sich auch einige Ideen über Deklamation von ihm. Jetzt arbeitet er an einer Abhandlung über den Tanz. In dem musikal.[ischen] Aufsatze sind ei[3]nige sehr wahre und grosse Gedanken, aber unreif ausgeführt. Hie und da bin ich ganz einverstanden und manches hat sich gemeinschaftlich in unsern Gespräch[en] entwickelt. Von mir wird nichts eher in den Horen erscheinen, als bis ich mit den zwey Bänden der Beyträge fertig bin. Michaelis ist ietzt so eifrig, diese drucken zu lassen, daß ich hoffe, Du wirst wenigstens einen Band noch im Dezember haben können. Er hat sich sehr entschuldigt, daß er Dir wegen vieler Geschäfte noch nicht habe antworten können. –
Die Art, wie Du den Sh.[akespeare] bearbeiten willst, hat meinen ganzen Beyfall. Kannst Du eine solche poetische Uebersetzung nicht, wie doch <selbst> Raphael und Mengs ihre grossen Erfindungen ausführten, als Arbeit treiben? – Wenn Du das nicht kannst, so rathe ich Dir unverzüglich eine andre zu wählen [4] mit der dieß der Fall. Denn ich halte eine solche Beschäftigung für unentbehrlich. Die ruhige Freude, gut und fleissig gearbeitet zu haben erhält uns, und befördert grade die glücklichste Stimmung die zum eigentlichen Erfinden und Bilden (ποιειν) so nothwendig ist. Erlaube mir immer etwas über Schriftstellerdiät zu schwatzen. Ich rede als ein junger Bursche zu einem ältern Meister. Aber Du bist erst seit kurzer Zeit in dem Fall, ganz schriftstellerisch zu leben, ich schon dritthalb Jahr: denn ich darf das letzte halbe Jahr in L[eipzig] wohl mitrechnen. Man muß die glückliche Stimmung nur gleich nutzen, wenn sie kommt: wartet man drauf, so pflegt sie eigensinnig zu seyn, wie eine schöne Frau. Ich denke noch mit Schrecken an den Mis[5]muth und den Zeitverlust, den ich mir im Sommer 94 selbst zuzog, da ich mich hinsetzte an einem Roman und einigen alten philosophisch-moralischen Projekten zu erfinden und zu arbeiten. Bey jeder Arbeit muß man einen äussern Anhalt haben, ein völlig Gegebnes, wo unser Geist daran hinwandelt, hineinarbeitet, vertieft, bestimmt, tappt und leise fühlt. Wenn wir eben auch nicht jeden Augenblick grosse Blicke ins Innre thun, so kommen wir doch ganz leise immer weiter. – Meine Arbeiten über die Gr.[iechen] sind fast alle Arbeiten in diesem Sinne, und ich befinde mich wohl dabey. Ich weiß, Du wirst nicht eher in Ruhe kommen, nicht eher schöne Organisazion in Dein ganzes Leben bringen, bis Du ein solches gefunden hast. Die Erfahrung würde Dich bald belehren, aber ich möchte [6] gern, daß Dir die kleinen Vortheile, die ich theuer erkauft habe, gleich geschenkt wären. Für mich ist eine historische, kritische Arbeit eine solche Grundlage, und ich habe guten Grund zu glauben, daß bey allen Menschen eigentlich philosophische und poetische Arbeiten, Sache der Begeisterung sind, und nicht permanent gebildet werden können. Von grossem Vortheil ist es mir gewesen, alle Plane sogleich zu Papier zu bringen, wenn auch nur mit einigen Worten, was ein Buch werden soll. Ich wende dann rhapsodisch dazu, was mir während der permanenten Arbeit von selbst einfällt, und ich habe gewöhnlich zusammen mehr Plane, als ich bestreiten kann. Vor diesem zu Papier bringen hat man [7] gewöhnlich eine lebhafte Abneigung. Diese muß überwunden werden, und man kann sich hier ohne allen Nachtheil Zwang anthun. Es ist eine natürliche Empfindung, was wir in dunkler Form ahndeten mit warmer Gluth, wo sich das Unbestimmte regt wie der schwangre Keim einer werdenden Welt, das erscheint in den kahlen Zügen, die sich grade fassen lassen, dürftig und oft genung sogar lächerlich. Dadurch kommt in unser Bilden und Weben Beharrlichkeit, die dem Künstler und Denker so nothwendig ist, wie dem Helden. Ich verstehe nicht die eiserne Hartnäckigkeit der Armuth, sondern ein sanftes Zusammenhalten seiner Selbst ohne Gewalt. – Die Post geht. Adio.
Fr. Schl.
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