• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Wien · Place of Destination: Stockholm · Date: 12.01.1813
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Wien
  • Place of Destination: Stockholm
  • Date: 12.01.1813
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 362613826
  • Bibliography: Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm. Hg. v. Oskar Walzel. Berlin 1890, S. 533‒536.
  • Incipit: „[1] Wien den 12ten Januar 1813.
    Geliebter Bruder, Es ist mir fast unbegreiflich, daß ich nun immer noch keinen Brief von Dir [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34288
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.d,Nr.191
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl. u. 2 S., hs.
  • Format: 15,7 x 10,1 cm; 19,7 x 11,8 cm
    Language
  • German
  • Latin
[1] Wien den 12ten Januar 1813.
Geliebter Bruder, Es ist mir fast unbegreiflich, daß ich nun immer noch keinen Brief von Dir erhalte, da doch von S. an die Humbold vor einiger Zeit ein freylich sehr alter und kürzlich an Genz ein neuer richtig angekommen sind. Beyde Gelegenheiten hättest doch auch Du benutzen können. ‒ Da ich indessen nun endlich aus dem fast 4 Monathe auf Reisen gewesenen Briefe vom 6ten September Deine Addreße erfahren, da die über Brody natürlich lange nicht mehr anwendbar war, so werde ich auf mehreren Wegen es versuchen zu Dir hindurch zu dringen. Ich schreibe Dir aber ganz historisch, mache wenigstens den Anfang mit den Nachrichten, welche Dir wichtig seyn werden. Vor allen Dingen hast Du den Brief vom 5ten August über Brody noch erhalten? ‒ Es war einer von Reimer und auch einer aus Bern dabey. Deswegen ist es besonders wichtig. ‒
Mohr und Zimmer haben sich sehr [2] angelegentlich erboten, Dein Werk über die Nibelungen so wie auch Deine Ausgabe derselben zu verlegen. Tieck hat unter dem Nahmen Phantasus eine Sammlung seiner alten Volksmährchen und Dramolets mit neuen vermehrt, und mit einer Einleitung und Umgebung a la Decamerone oder wie in Goetheʼs Unterhaltungen herausgegeben und Dir gewidmet mit einer Zuschrift, auch unsrer sonst mehrmals freundschaftlich lobend erwähnt. ‒ Schelling hat wieder geheirathet eine Pauline Gotter, die Du wahrscheinlich noch von ältern Zeiten her kennst. Balk ist über Odessa glücklich in Constantinopel angelangt, was mich früherhin insonderheit wegen der Krankheit einigermaßen geängstigt hat. Denn ich habe ihn sehr lieb gewonnen. Indessen war er bis jetzt gesund und wohl in Bujukdere. ‒ Das Museum geht fort, obwohl mühsam, wenigstens für mich. Ein Publikum welches nicht mehr Gefühl hat wie ein alter Strohsack und noch weniger Beurtheilung; Mitarbeiter (nachdem Du fehlst) die meistens nicht wissen, was sie wollen [3] und ein knackscheeliger, filziger, unwissender Buchhändler; dabey manche Ungleichheiten der Stimmung in mir selber, eine leidende oder wenigstens in manchen Tagen zum äußern Arbeiten durchaus unfähige Gesundheit; das sind mächtige Hindernisse; aber dennoch gehts und soll gehen, schon weil Du es gewünscht hast. Sehr gut aber wäre es, wenn Du mir von dort aus einen Beytrag schicken könntest. Dies würde unglaublich helfen. Denke Dir nur. Es ist mir ein Manuscript der Nibelungen gezeigt und zum Verkauf angeboten worden. Mit dem letzten kommt man bey mir nun freylich Unrecht an, ich denke aber, wenn Du hier wärest, würdest Du es Dir doch nicht entgehn lassen. Vielleicht kauft Czerni es ad interim, mit der freundschaftlichen Absicht, ihn Dir abzutreten, sobald Du willst. Von 100 Ducaten reden die Leute, indessen für 60 denke ich würden wir ihn erhalten. Der Codex ist in der That herrlich, auf Pergament, in der saubersten Schrift, uralt. Ich weiß auch im Vertrauen wohl, wo er sonst war. Es ist mit einem Worte der Hohen-Emser. Indessen wird die Sache geheim behandelt, aus begreiflichen Gründen. Ich selbst weiß nicht, wie der wahre Besitzer heißt und habe es nur aus dritter Hand gesehen. Es fehlen einige Blätter. [4] Den Betrag des Defects habe ich mir genau notirt in meinem Exemplar, da dieses aber grade verliehen ist, kann ich Dir heute es nicht melden. ‒ Merkwürdig ist daß im Anfange auf dem vordersten Titelblatte steht
Hainrichen Durricher ist das Buch.
Der Interpret wollte ein Auricher draus machen, oder Kamrichter, dergl. sich in Rüxners Thurnirbuch findet. Es ist aber offenbar Durricher. Bedeutet dieß nun den Besitzer des Buchs oder gar den Dichter, Heinrich den Thüringer oder Durriger? Das müßte wohl mehr untersucht werden. ‒ Auf die Nibelungen folgt im Manuscript die Klage. Am Ende auf dem letzten Blatte steht
Et ſic eſt α) vinis per me β) Nestrotn von Osterrich.
Die Handschrift ist also ohne Zweifel in Oesterreich geschrieben. Die andren Worte sind deutlich, nur die nachgebildeten nicht α) ist wohl ein Sprachfehler für finis β) vermag ich nicht zu dechiffriren. Bey dieser Gelegenheit habe ich auch erfahren, daß zu Salzburg in der Bischöflichen Bibliothek [1] eine Handschrift der Nibelungen war. Dieß ist merkwürdig wegen des Zusammenhanges mit Passau. Vermuthlich ist die neuerdings in München gekaufte, also 2te Münchner diese ehemalige Salzburger. ‒ Lebe glücklich
Dein Friedrich.
[2] Ich schreibe mit mehrern Gelegenheiten, und mit andern auch über andres.
[5] Hast Du denn den ganzen Winter nichts gearbeitet, was Du mir für das Museum geben könntest? ‒ Es würde unglaublich vortheilhaft für dasselbe, und erquicklich für mich seyn. ‒ Es muß doch noch wohl irgend ein Stück von der Schrift über die Nibelungen so weit fertig seyn, als es für das Museum erfodert, wo Du ja überall abbrechen kannst. ‒ Ein großes Hinderniß für das Museum bleibt immer die sehr erschwerte Communication. Veranlaße doch, wenn es irgend möglich ist, eine Anzeige in Stockholm und dann in Koppenhagen. Versäume auch ja nicht, was ich Dir wegen der angelsächsischen Handschrift bey Thorkelin gesagt habe. Was sagst Du nur zu dem mir gezeigten Manuscript der Nibelungen? ‒ Es ist doch ewig Schade, daß er nicht in unsre Hände kommen soll, und vielleicht noch lange im Dunkeln bleibt. Czerni hatte wohl Lust, sich auf den Kauf einzulassen, und würde den ergatterten [6] Schatz dann Dir gegen den Kaufpreis wieder überlassen haben. Aber es ging nicht, leider fehlt es auch sonst wohlhabenden jetzt ganz an Gelde.
Ist es wahr, wie mir August sagt, daß von Deinen Gedichten welche in Upsala abgedruckt worden sind? ‒
[1] Wien den 12ten Januar 1813.
Geliebter Bruder, Es ist mir fast unbegreiflich, daß ich nun immer noch keinen Brief von Dir erhalte, da doch von S. an die Humbold vor einiger Zeit ein freylich sehr alter und kürzlich an Genz ein neuer richtig angekommen sind. Beyde Gelegenheiten hättest doch auch Du benutzen können. ‒ Da ich indessen nun endlich aus dem fast 4 Monathe auf Reisen gewesenen Briefe vom 6ten September Deine Addreße erfahren, da die über Brody natürlich lange nicht mehr anwendbar war, so werde ich auf mehreren Wegen es versuchen zu Dir hindurch zu dringen. Ich schreibe Dir aber ganz historisch, mache wenigstens den Anfang mit den Nachrichten, welche Dir wichtig seyn werden. Vor allen Dingen hast Du den Brief vom 5ten August über Brody noch erhalten? ‒ Es war einer von Reimer und auch einer aus Bern dabey. Deswegen ist es besonders wichtig. ‒
Mohr und Zimmer haben sich sehr [2] angelegentlich erboten, Dein Werk über die Nibelungen so wie auch Deine Ausgabe derselben zu verlegen. Tieck hat unter dem Nahmen Phantasus eine Sammlung seiner alten Volksmährchen und Dramolets mit neuen vermehrt, und mit einer Einleitung und Umgebung a la Decamerone oder wie in Goetheʼs Unterhaltungen herausgegeben und Dir gewidmet mit einer Zuschrift, auch unsrer sonst mehrmals freundschaftlich lobend erwähnt. ‒ Schelling hat wieder geheirathet eine Pauline Gotter, die Du wahrscheinlich noch von ältern Zeiten her kennst. Balk ist über Odessa glücklich in Constantinopel angelangt, was mich früherhin insonderheit wegen der Krankheit einigermaßen geängstigt hat. Denn ich habe ihn sehr lieb gewonnen. Indessen war er bis jetzt gesund und wohl in Bujukdere. ‒ Das Museum geht fort, obwohl mühsam, wenigstens für mich. Ein Publikum welches nicht mehr Gefühl hat wie ein alter Strohsack und noch weniger Beurtheilung; Mitarbeiter (nachdem Du fehlst) die meistens nicht wissen, was sie wollen [3] und ein knackscheeliger, filziger, unwissender Buchhändler; dabey manche Ungleichheiten der Stimmung in mir selber, eine leidende oder wenigstens in manchen Tagen zum äußern Arbeiten durchaus unfähige Gesundheit; das sind mächtige Hindernisse; aber dennoch gehts und soll gehen, schon weil Du es gewünscht hast. Sehr gut aber wäre es, wenn Du mir von dort aus einen Beytrag schicken könntest. Dies würde unglaublich helfen. Denke Dir nur. Es ist mir ein Manuscript der Nibelungen gezeigt und zum Verkauf angeboten worden. Mit dem letzten kommt man bey mir nun freylich Unrecht an, ich denke aber, wenn Du hier wärest, würdest Du es Dir doch nicht entgehn lassen. Vielleicht kauft Czerni es ad interim, mit der freundschaftlichen Absicht, ihn Dir abzutreten, sobald Du willst. Von 100 Ducaten reden die Leute, indessen für 60 denke ich würden wir ihn erhalten. Der Codex ist in der That herrlich, auf Pergament, in der saubersten Schrift, uralt. Ich weiß auch im Vertrauen wohl, wo er sonst war. Es ist mit einem Worte der Hohen-Emser. Indessen wird die Sache geheim behandelt, aus begreiflichen Gründen. Ich selbst weiß nicht, wie der wahre Besitzer heißt und habe es nur aus dritter Hand gesehen. Es fehlen einige Blätter. [4] Den Betrag des Defects habe ich mir genau notirt in meinem Exemplar, da dieses aber grade verliehen ist, kann ich Dir heute es nicht melden. ‒ Merkwürdig ist daß im Anfange auf dem vordersten Titelblatte steht
Hainrichen Durricher ist das Buch.
Der Interpret wollte ein Auricher draus machen, oder Kamrichter, dergl. sich in Rüxners Thurnirbuch findet. Es ist aber offenbar Durricher. Bedeutet dieß nun den Besitzer des Buchs oder gar den Dichter, Heinrich den Thüringer oder Durriger? Das müßte wohl mehr untersucht werden. ‒ Auf die Nibelungen folgt im Manuscript die Klage. Am Ende auf dem letzten Blatte steht
Et ſic eſt α) vinis per me β) Nestrotn von Osterrich.
Die Handschrift ist also ohne Zweifel in Oesterreich geschrieben. Die andren Worte sind deutlich, nur die nachgebildeten nicht α) ist wohl ein Sprachfehler für finis β) vermag ich nicht zu dechiffriren. Bey dieser Gelegenheit habe ich auch erfahren, daß zu Salzburg in der Bischöflichen Bibliothek [1] eine Handschrift der Nibelungen war. Dieß ist merkwürdig wegen des Zusammenhanges mit Passau. Vermuthlich ist die neuerdings in München gekaufte, also 2te Münchner diese ehemalige Salzburger. ‒ Lebe glücklich
Dein Friedrich.
[2] Ich schreibe mit mehrern Gelegenheiten, und mit andern auch über andres.
[5] Hast Du denn den ganzen Winter nichts gearbeitet, was Du mir für das Museum geben könntest? ‒ Es würde unglaublich vortheilhaft für dasselbe, und erquicklich für mich seyn. ‒ Es muß doch noch wohl irgend ein Stück von der Schrift über die Nibelungen so weit fertig seyn, als es für das Museum erfodert, wo Du ja überall abbrechen kannst. ‒ Ein großes Hinderniß für das Museum bleibt immer die sehr erschwerte Communication. Veranlaße doch, wenn es irgend möglich ist, eine Anzeige in Stockholm und dann in Koppenhagen. Versäume auch ja nicht, was ich Dir wegen der angelsächsischen Handschrift bey Thorkelin gesagt habe. Was sagst Du nur zu dem mir gezeigten Manuscript der Nibelungen? ‒ Es ist doch ewig Schade, daß er nicht in unsre Hände kommen soll, und vielleicht noch lange im Dunkeln bleibt. Czerni hatte wohl Lust, sich auf den Kauf einzulassen, und würde den ergatterten [6] Schatz dann Dir gegen den Kaufpreis wieder überlassen haben. Aber es ging nicht, leider fehlt es auch sonst wohlhabenden jetzt ganz an Gelde.
Ist es wahr, wie mir August sagt, daß von Deinen Gedichten welche in Upsala abgedruckt worden sind? ‒
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