• Emilie von Berlepsch to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Erlenbach (Kanton Zürich) · Place of Destination: Unknown · Date: 18.03.1812
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Emilie von Berlepsch
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Erlenbach (Kanton Zürich)
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 18.03.1812
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 252‒253.
  • Incipit: „[1] Erlenbach 18 Merz 1812.
    Sehr, sehr unverzeihlich muß Ihnen, mein sehr geschäzter Landsmann die Nachläßigkeit vorkommen mit der ich Ihre freundliche [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-6
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,21,41
  • Number of Pages: 3 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 24,9 x 20,7 cm
    Language
  • German
[1] Erlenbach 18 Merz 1812.
Sehr, sehr unverzeihlich muß Ihnen, mein sehr geschäzter Landsmann die Nachläßigkeit vorkommen mit der ich Ihre freundliche Briefe, und die dreymahlige Zusendung Ihrer schönen Arbeiten unerwiedert lies. Es ist auch würcklich zu arg! Nie hätte ich früherhin geglaubt, daß mein rascher hochfliegender Geist so in die Nebel des kranken schweren Stofs versinken könne, um sich einer solchen Sünde gegen sich selbst, und so gar gegen die gemeinsten Höflichkeits-Pflichten schuldig zu machen. Aber leider geht es so mit dem stumpf werden der geistigen Flügel; ist nur ein kleiner Theil davon verkleistert, so wird der Anflug immer schwerer, und man kann mit dem übrigen Theil nichts anfangen als sein Angesicht damit verhüllen, wie ein ent[t]hronter Cherub.
Ein klein wenig tröste ich mich damit, daß Ihre helle gute Seele, meine Verschuldung für nichts schlimmers ansieht als für die fast unvermeidliche Folge des unausgesezten Krankseyns, und statt zu zürnen mich freundlich bedauert. Und dieser Glaube gibt mir Muth den bösen Zauber endlich zu lösen. Ich kann Sie nicht unbegrüßt verschwinden laßen aus dem guten Bern, daß noch einigen Wiederschein und Anklänge unsers Deutschlands [2] hat, aus der Nähe unsrer lieblichen Marie; ich muß Ihnen einige Töne des herzlichen Wohlwollen, der Aufrichtigkeit, Dankbarkeit und Hochachtung zurufen. Nehmen Sie solche gütig auf, und verstummen Sie künftig doch auch nicht gegen die so lange verstummte.
Eine der widrigen Neckereien, womit das Schicksal von jeher mich verfolgte, ists, daß ich vieler Ursachen wegen, gerade in diesem Winter nicht nach Bern kommen konnte. Ihre Anwesenheit machte mir die Entbehrung weit sichtbarer, füllte meine Phantasie mit Bilder von vielen schönen Stunden, die wir im herrlichsten – Schnack – dulden Sie das hübsche vaterländische Wörtchen! – hätten zubringen können. So bin ich unruhiger, ungenügsamer geworden, als ichs vielleicht auf dem Punckt der geistigen Unterhaltung und Zerstreuung gewesen wäre, und wenn ich gleich sang: „Der Winter auch könne heiter seyn“, und „ächte Freude sey uns nah“ so will ich Ihnen doch – aber ganz heimlich ins Ohr gestehen, daß meine idealisierende, abgezogne Philosophie mir in manchen Stunden nicht so ganz kurzweilig und rosenfarb vorkam! Würcklich bin ich seit ich das Vergnügen hatte Sie zu sehen, unaufhör[3]lich krank gewesen, nicht einen Tag, ja kaum eine Stunde leidenfrey, so daß mir alle Beschäftigung, ja sogar oft das Lesen unmöglich ward.
Nun reisen Sie wieder nach Copet? Das gibt mir Hofnung, daß alle Ideen einer weiten Entfernung verschwunden sind. Sehr gerne mögt ich etwas von Ihrer vermuthlichen Zukunft erfahren. Marie ist ganz stumm hierüber. Sagen Sie doch der Frau von Stahl recht viel von meiner Bewunderung und Theilnahme. Wenn mir die Umstände nur irgend eine Reise in Ihre Gegenden erlaubten, so würde ich gewis nicht unterlassen Ihr durch meine persönliche Aufwartung, diese meine Gesinnungen zu bezeugen. Ist es wahr daß auch Ihre Gesundheit leidet?
Ihnen, edler teutscher Sänger wünsch ich Glück daß nichts Sie hindert aus der ewig frischen castalischen Quelle zu schöpfen, die sogar für die trübe Gegenwart, und manchen giftigen Hauch den sie uns zuweht ein Lethe ist. Fahren Sie fort Ihrer schönen Bestimmung zu leben, und vergessen Sie Ihre aufrichtigen Freunde und Bewunderer nicht, zu denen auch mein Mann gern gerechnet seyn will.
Emilie Harms geb. von Oppel
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[1] Erlenbach 18 Merz 1812.
Sehr, sehr unverzeihlich muß Ihnen, mein sehr geschäzter Landsmann die Nachläßigkeit vorkommen mit der ich Ihre freundliche Briefe, und die dreymahlige Zusendung Ihrer schönen Arbeiten unerwiedert lies. Es ist auch würcklich zu arg! Nie hätte ich früherhin geglaubt, daß mein rascher hochfliegender Geist so in die Nebel des kranken schweren Stofs versinken könne, um sich einer solchen Sünde gegen sich selbst, und so gar gegen die gemeinsten Höflichkeits-Pflichten schuldig zu machen. Aber leider geht es so mit dem stumpf werden der geistigen Flügel; ist nur ein kleiner Theil davon verkleistert, so wird der Anflug immer schwerer, und man kann mit dem übrigen Theil nichts anfangen als sein Angesicht damit verhüllen, wie ein ent[t]hronter Cherub.
Ein klein wenig tröste ich mich damit, daß Ihre helle gute Seele, meine Verschuldung für nichts schlimmers ansieht als für die fast unvermeidliche Folge des unausgesezten Krankseyns, und statt zu zürnen mich freundlich bedauert. Und dieser Glaube gibt mir Muth den bösen Zauber endlich zu lösen. Ich kann Sie nicht unbegrüßt verschwinden laßen aus dem guten Bern, daß noch einigen Wiederschein und Anklänge unsers Deutschlands [2] hat, aus der Nähe unsrer lieblichen Marie; ich muß Ihnen einige Töne des herzlichen Wohlwollen, der Aufrichtigkeit, Dankbarkeit und Hochachtung zurufen. Nehmen Sie solche gütig auf, und verstummen Sie künftig doch auch nicht gegen die so lange verstummte.
Eine der widrigen Neckereien, womit das Schicksal von jeher mich verfolgte, ists, daß ich vieler Ursachen wegen, gerade in diesem Winter nicht nach Bern kommen konnte. Ihre Anwesenheit machte mir die Entbehrung weit sichtbarer, füllte meine Phantasie mit Bilder von vielen schönen Stunden, die wir im herrlichsten – Schnack – dulden Sie das hübsche vaterländische Wörtchen! – hätten zubringen können. So bin ich unruhiger, ungenügsamer geworden, als ichs vielleicht auf dem Punckt der geistigen Unterhaltung und Zerstreuung gewesen wäre, und wenn ich gleich sang: „Der Winter auch könne heiter seyn“, und „ächte Freude sey uns nah“ so will ich Ihnen doch – aber ganz heimlich ins Ohr gestehen, daß meine idealisierende, abgezogne Philosophie mir in manchen Stunden nicht so ganz kurzweilig und rosenfarb vorkam! Würcklich bin ich seit ich das Vergnügen hatte Sie zu sehen, unaufhör[3]lich krank gewesen, nicht einen Tag, ja kaum eine Stunde leidenfrey, so daß mir alle Beschäftigung, ja sogar oft das Lesen unmöglich ward.
Nun reisen Sie wieder nach Copet? Das gibt mir Hofnung, daß alle Ideen einer weiten Entfernung verschwunden sind. Sehr gerne mögt ich etwas von Ihrer vermuthlichen Zukunft erfahren. Marie ist ganz stumm hierüber. Sagen Sie doch der Frau von Stahl recht viel von meiner Bewunderung und Theilnahme. Wenn mir die Umstände nur irgend eine Reise in Ihre Gegenden erlaubten, so würde ich gewis nicht unterlassen Ihr durch meine persönliche Aufwartung, diese meine Gesinnungen zu bezeugen. Ist es wahr daß auch Ihre Gesundheit leidet?
Ihnen, edler teutscher Sänger wünsch ich Glück daß nichts Sie hindert aus der ewig frischen castalischen Quelle zu schöpfen, die sogar für die trübe Gegenwart, und manchen giftigen Hauch den sie uns zuweht ein Lethe ist. Fahren Sie fort Ihrer schönen Bestimmung zu leben, und vergessen Sie Ihre aufrichtigen Freunde und Bewunderer nicht, zu denen auch mein Mann gern gerechnet seyn will.
Emilie Harms geb. von Oppel
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