Liebster Bruder,
Wirklich machst du es diesmahl nicht gut mit uns! beynahe sind es 6 Wochen daß wir nichts von dir gehört und in deinem letzten Briefe versprachst du uns, nie so lange zu zaudern! Ich hoffe immer du bist etwa durch einer kleinen Reise davon abgehalten, aber zuweilen kann ich, und selbst der Vater uns der aengstlichen Gedanken nicht enthalten, nun kannst du denken wie es der Mutter geht, auf morgen habe ich noch meine letzte Hoffnung gesetzt daß da gewiß Nachrichten kommen werden! – Hast du denn auf einmahl so ganz alle Lust zum schreiben verlohren? Wenn du wüstest wie lieb und werth deine Briefe immer unserer ganzen Familie sind, du würdest gewis öfterer schreiben; und dann auch natürlich öfterer Briefe erhalten. Von Fritz schicke ich dir hier einen Brief mit, du wirst daraus sehen daß er in D. sehr vergnügt gelebt, und auch auf alle Art ursache dazu gehabt. Auch daß was er von Ernst schreibt ist uns sehr angenehm; den erwarten wir nun in den ersten Tagen, bestimmt ist es aber noch nicht; Cruse, der zur selbigen Zeit, zu Pfingsten zum Besuch kommen wollte und wozu wir uns schon recht gefreuet hatten, hier in der Einsamkeit auf den Garten, ist durch einen Auftrag, vom Geheimderath Feronçe in seinen Familien Angele[2]genheiten, davon abgehalten, er hat es gestern abgeschrieben, wenigstens muß er es, bis zum Ende des Sommers versparen. Er hoft aber, da er dadurch den mächtigsten Minister näher bekannt wird daß es zu seinem Glücke beförderlich seyn kann. Charlotte schreibt daß Fritz ihr sehr gut gefiele, zwar stiller geworden wäre aber auch bescheidener. Von den H. Hornemann schreibt Lottchen auch daß es ihr eine sehr angenehme Bekanntschaft gewesen, daß er beynahe beständig bey ihnen gelebt. Der Cousin hat, mit ihm an Lottchen geschrieben, sehr geklagt, daß er so wenig von unserer Familie hörte, aber der gute Mann sollte bedenken, daß er selbst durch seine Nachläßigkeit im schreiben schuld daran ist. Itzt sind in D. die Festivitäten wegen der Vermählung des Prinzen, dann ziehe sie wieder nach Pillnitz, wo sie auch schon einige Zeit gewesen, in ein anders Logis welches viel geräumiger, aber dagegen haben sie die vortrefliche Aussicht verlohren; in ihrem vorigen Logis ist die Frau von Feit eine gute Bekanntin von Charlotten gezogen, welches ihr angenehm, da es sonst in P. gar zu einsam ist.
Vor ein paar Tagen ist die Frau von Voigt mit Carolinen, abgereißt; sie ist beynahe 8 Tage hier gewesen, und es hat ihr hier sehr gut gefallen, so daß sie verschiedentlich sagte wenn sie ihren Vater hier hätte, möchte sie wohl in H. wohnen. Sehr viel Partien sind ihrentwegen angestellt, und sie war gleich vom ersten Tage an auf alle Abende versorgt. Wir haben sie doch ein paar mahl, ein paar ruhige Stündchen bey uns gehabt, daß kostete aber Künste, daß einmahl den Mittag wo niemand als Bialo [3] mit bey uns war, und wo wir uns freuten daß das Wetter gut war, beynahe der einzige gute Tag, während ihres hierseyns; sie schien recht vergnügt in unserm Familienzirkel, meinem Vater küßte sie verschiedentlich, und nekte sich nachher mit Carolinen darüber. Sie erinnerte sich deiner sehr oft, sie hält viel von dir; besonders hat daß ihr gefallen, daß du dort gleich so wie zu Hause gewesen wärst; sie hat mir auch die herzlichsten Grüße an dir aufgetragen. Caroline war nur so eben, mit genauer Noth so weit beser daß sie reisen konnte, und ich hoffe daß es ihr gut bekommen wird; eine fatale Blatterrose hat ihr viel Schmerzen und Noth gemacht. Nun freut sich die alte R. über das Vergnügen was Carolin[e] haben wird. Die Voigt hat uns allen sehr gut gefallen, ich wir haben sie auch gar so auffallend häßlich nicht gefunden. Bey Rehbergs war auch einmal Grand Tee, und denn aß ich und Carl mal den Abend da, wo niemand wie Meyers da waren.
Moritz mit seinen Kindern befindet sich gut, außer daß er immer über die schlechte Einnahme seufzt, und sie hat immer viel an Kopfweh zu leiden, er wünscht sehr daß ich sie diesen Sommer mal besuchen möchte, und ich auch, mich soll es wundern ob es sich wohl wird möglich machen laßen da sind immer gar zu viel convenienzen.
Wir sind seit dem 1sten May hier auf dem Garten, aber schon den Tag daß wir heraus zogen, änderte sich das Wetter, und wir haben hier tapfer gefroren, und immer einheitzen laßen und nun ist dem Vater auch ein kleiner niedlicher Ofen in seinem Cabinett gesetzt, der gar nicht sehr beengt, und doch niedlich heizt
[4] Dienstag Mittag
Heute wieder vergebens auf Briefe gehoft! – Ich bitte dich bester Wilhelm, wenn du uns lieb hast, so schreibe öfterer! Briefe habe ich die Lust zum schreiben auch ganz verlohren. – Nun will ich dir nur noch von einem kleinen Feste erzählen, was Bialoblotzky, dem Kindern seiner Industrie Schule, meinem Vater zu ehren gab. Ich habe dir wo ich nicht irre schon im vorigen Herbst von einer solchen kleinen Solembität erzählt. Dieß war in Platens Garten, und sollte ihre Frühlingsfeyer seyn. Der Platz unter schönen hohen Linden, das Wetter alles trug dazu bey, die Sçene hübsch und interessant zu machen. Die Kinder saßen alle auf Bänken in einem Kreise mit ihrer Arbeit, alle übrigen Zuschauer worunter auch die Gräfin Platen mit ihren Kindern war stunden vornehm und geringe untereinander, umher. Wie mein Vater kam, w[u]rde er gleich mit einen FrühlingsLiedchen empfangen; die Kinder singen gröstentheils recht hübsch, B. unterrichtet sie selbst darin, einige Hoboisten accompagnirten. Meinem Vater war mitten im Kreise, ein Lehnstuhl gesetzt, und die Gräfin achtete selbst darauf daß er immer sich wieder hinsetzen muste, da es ihm verlegen machte der einzige zu seyn, für dem ein Stuhl gesetzt war. Eins von den kleinen Mädchen welche sich immer durch Fleiß [5] und durch ihr übriges Betragen ausgezeichnet hatte, und von ihren Gespielinnen durch mehrheit der Stimmen dazu gewählt war wurde besonders gelobt, und den anderen zum exempe[l] vorgestellt, es wurde ihr ein Band um den Kopf gebunden worauf mit Gold gestickt war Fleiß und Sittsamkeit die kleinen Comtessen banden ihr ein Halßtuch, einen Leibbund um. Es war aber auch ein holdes Geschöpf daß sich alerliebst dabey betrug, Carl sagte er wünschte sich eine Zeichnung davon! auch Pape war sehr von dem ganzen auch von der Art des Unterrichts wie B. es macht sehr eingenommen. Nun sagte er viel vom Vater, nannte ihn den jugendlichen Greiß! wie er sich in allen Dingen ihrer so väterlich annehme, itzt dafür gesorgt hätte daß diese Schule bestehn könnte, da er jährlich 30 Rth. aus der Kirche und 30 vom vom Magistrat dazu ausgewirkt hätte ja so gar eine Stube in seinem Hause dazu hergebe und es erlauben wolle daß sie in seinem Hause arbeiteten! (die Saalstube im Hinterhause ward dazu zurecht gemacht, der Eingang gleich von außen; es sind itzt schon 99 Kinder.) auch von der Confirmation gedachte er, da verschiedene darunter, die nun abgiengen, die ermahnte er noch zu allen guten; kurz alles was er sagte was auch den Vater betraf war sehr [6] rührend, so daß nicht nur der Vater sondern alle anwesende sehr gerührt waren. Der Vater sagte auch ein paar Worte zur Ermahnung an die Kinder, und nun wurde noch ein kleines Liedchen ganz für meinen Vater von den Kindern gesungen, eine sehr feyerliche paßende Melodie dazu, die Kinder konnten den ersten Vers vor Rührung kaum singen. Nun änderte sich die Scene, ein jede machte meinen Vater sein Compliment, auch die Gräfin, und B. betrug sich sehr gut, wie ein Sohn gegen seinen Vater so daß er sich so gar verschiedentlich bemühet hat ihm die Hand zu küßen, aber der Vater hat daß immer verhindert und ihm dagegen herzlich umarmt; Es kamen ein paar Mägde mit Eymern mit Buttermilch große Körbe mit Zwieback damit wurden die Kinder tracktirt, dann im frey getanzt, wette gelaufen &. dann ein jeder zufrieden nach Haus. Wie gefällt dir dieß kleine Fest, ich habe nur einzelne Züge herausgehoben, und bey der Erzählung verliert es immer, aber mir deucht es war recht hübsch. Sie nennen es hier das Rasenfest!
tausend Grüße von Carl; itzt ist Pape zum Besuch nach seiner Braut in Brunnstein. Die Eltern laßen dich auch herzlich grüßen, und aufs dringendste bitten, gleich zu schreiben, ich wiederhole auch noch mahls meine Bitte und bin Deine Zärtlich liebende Schwester
H. Schlegel.
[7] Gesang.
Der Kinder der Induestrie Schule
bey ihrer Frühlings Feier
Du lieber Gott, hörst gern es an
Wenn Kinder Dank dir bringen
Drum will ich auch so gut ich kann
Dir jetzt ein Loblied singen,
Für unsern Vater der sich hier
Auch unsrer Freude freuet
Und deßen Kraft sich – dank sey dir!
Auch dieses Jahr verneuet.
O! laß den Theuren Greis uns noch
recht lange lange Leben!
Thu lieber Gott, o thuʼ es doch!
laß ihn noch lange leben!
[8] [leer]