• August Wilhelm von Schlegel to Gottfried August Bürger

  • Place of Dispatch: Amsterdam · Place of Destination: Unknown · Date: 19.11.1791
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Gottfried August Bürger
  • Place of Dispatch: Amsterdam
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 19.11.1791
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 36284268X
  • Bibliography: Strodtmann, Adolf: Briefe von und an Gottfried August Bürger. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte seiner Zeit. Aus dem Nachlasse Bürger’s und anderen, meist handschriftlichen Quellen. Bd. 4. Berlin 1874, S. 137‒139.
  • Incipit: „[1] Amsterdam, den 19. Nov. 1791.
    Wie gehts Ihnen denn, allerliebster Herzens-Bürger? Hört man doch gar nichts von Ihnen, als was etwan [...]“
    Manuscript
  • Provider: Marbach am Neckar, Deutsches Literaturarchiv
  • Classification Number: A:Bürger 1916
  • Number of Pages: 6 S., hs. m. U.
  • Format: 8°
    Language
  • German
[1] Amsterdam, den 19. Nov. 1791.
Wie gehts Ihnen denn, allerliebster Herzens-Bürger? Hört man doch gar nichts von Ihnen, als was etwan andre Leute berichten. Meldete man mir nicht von Zeit zu Zeit, daß Sie wirklich noch in leiblicher Gestalt auf dem Erdboden wandeln, so könnte ich immerhin glauben, Sie existirten nicht mehr: so wenig rühren und regen Sie sich. Mad. Böhmer hat mir indessen letzthin angekündigt, daß ich bald den heurigen Allmanach von Ihnen zu erwarten habe, den Blumenbach mir mitbringen soll. Ich freue mich auf ihn und den Allmanach ‒ bis jetzt ist von der Ankunft des einen und des andern noch nichts zu mir erschollen. Wie sind Sie selbst mit dem Reichthum der Lese dießmahl zufrieden? Mir glaubʼ ich, wird es Freude machen, einmahl Deutsche Gedichte zu lesen, selbst wenn sie mittelmäßig sind – und immer finde ich ja meine eignen, über die Sie mir, wie ich hoffe noch etwas schönes sagen werden. – Die zuletzt heraus gekommenen Stücke der Akademie habʼ ich gar noch nicht einmahl gesehen – es ist ordentlich Sünde. Schreiben Sie mir doch, wie es damit ist, ob noch mehr Stücke herauskommen werden, oder ob Meyers Weißagung eintrifft? Im ersten Falle müßten Sie freylich wohl an [2] meiner Stelle einen Andern ordentlichen Mitarbeiter annehmen, ob ich gleich gewiß hoffe Euch dann und wann Beyträge liefern zu können. Hört, Ihr dort in Deutschland, Ihr müßt mich nicht aus eurer Gemeinschaft stoßen wie einen Sünder, weil ich in der Entfernung leben muß! – Kürzlich habe ich von ohngefähr vernommen, daß Eschenburg meine Ariadne sehr hoch gepriesen hat, in seiner Beyspielsammlung, bey Gelegenheit der Cantate von Gerstenberg. Sie solltens mir doch mittheilen, wenn Ihnen öffentliche Urtheile über mich vorkommen – ich bin der Deutschen Litterarischen Welt ganz fremd geworden, und bekomme nichts dergleichen zu sehen. Sollte ich hier für eine längere Zeit bleiben, so muß ich mir durchaus eine Bibliothek von den classischen Schriftstellern unser[er] Nation anschaffen ‒ immer wird mirs an mündlichen Unterhaltungen über dergleichen Gegenstände fehlen. Ach! die glückliche Zeit, wo wir so viel für die Kunst zusammen arbeiteten, kommt vielleicht nie wieder. Wahrlich, lieber Bürger, ich denke immer mit dem größten Vergnügen daran zurück. Mit der Productionswuth bin ich hier eben nicht geplagt – meine Muße ist zu wenig ruhig – und um etwas prosaisches zu schreiben, fehlt es mir an tausend Büchern, die man gern über dieß und jenes nachschlüge. Seit den Sachen, die ich Ihnen [3] für den Allmanach geschickt, habe ich keine Poësie zum Vorscheine gebracht, und überhaupt keine Prosa außer meine Briefe, und mit diesen bin ich auch nicht immer zur rechten Zeit fertig. Immer bin ich noch ein weit bessrer Correspondent als Sie und Fiorillo: mit Euch beyden ist wahrlich gar nichts anzufangen.
Hätten Sie mir geschrieben, so würde ich Ihnen heute nicht einen so leeren Brief senden. Ich kann Ihnen nichts schreiben, als was ich in hiesigen Landen sehe und bemerke, und ich weiß nicht ob Sie davon hören mögen, bis Sie sich mit mir in Correspondenz einzulassen würdigen. Dagegen schmachtʼ ich darnach, etwas aus Deutschland zu hören. Erlauben Sie also, daß ich ein volles, gerütteltes und geschütteltes Maaß von Fragen in Ihren Schooß ausschütte.
Ist Ihre Streitsache mit Schiller bey seiner Antwort auf Ihre Erklärung stehen geblieben? Ich wünscht es nicht. Habt Ihr einmahl A gesagt, so müßt Ihr auch B sagen. Schiller war kein Hund aus der Pfennigsschenke, so daß es Euch wohl anstand ihm zu antworten. Ihr hättet anfangs schweigen können, aber nun solltet Ihrs nicht, bis Ihr einen entscheidenden Vortheil davon getragen hättet. Seine Duplik war doch in der That nicht von der Art, daß man sie nicht mit Grund wiederlegen könnte.
[4] Von Bouterwek ist mir eine seltsame Geschichte wegen eines Weimarschen Rathstitels vorgekommen: ist sie wahr? Schreibt er noch immer so viel? Ist ein zweyter Theil des Donamar heraus? – Was treibt Woltmann? Immer noch auf den alten Fuß, daß er nicht recht weiß, was er will, und was mit ihm werden soll? – Was macht Fr[au] von Berlepsch und ist sie jetzt hold- oder feindselig gegen Sie gesinnt? – Wandelt Meta noch immer vor dem Herrn und schreibt Uebersetzungen?
Möchten Sie etwas von Holländischer Litteratur hören? Ich weiß auf Ehre nichts davon zu sagen. Die Sprache ist mir so zuwider, daß mir davor eckelt ein Holländisches Buch nur in die Hand zu nehmen; und eins auszulesen, das übersteigt beynah meine Kräfte. Mit der Poësie des Landes habʼ ich mich fast noch gar nicht abgegeben, und weiß nicht, ob gute existirt. Poëtischen Sinn hat die Nation wenig, und man kann oft Leute ohne Hehl sagen hören: „Ich frage nichts nach Poësie.“ – Meine Abneigung gegen die Sprache ist gewiß nicht Vorurtheil – ich machte mich mit dem besten Willen daran; entschlossen alles gute darin zu finden was wirklich darin wäre. Allein, ich denke, es wird jedem Deutschen von Geschmack und gebildetem Ohr eben so gehen [5] wie mir. Indessen wären selbst in diesem Misthaufen vielleicht Perlen zu finden, womit wir unsre eigne Sprache schmücken könnten; wer nur die Geduld hätte sie heraus zu suchen.
Wenn Sie Professor Heeren sehen, so machen Sie Ihm doch meine verbindlichsten Complimente, und sagen Sie ihm, daß ich durch sein Empfehlungsschreiben eine sehr angenehme Bekanntschaft mit Herrn Redlich gemacht habe, von der ich mir für den Winter viel verspreche.
Ihrer Frau Gemahlin machen Sie meine ehrerbietigsten Empfehlungen; und wenn Ihnen sonst jemand begegnet, der mir gut ist, so wünschen Sie ihm in meinem Nahmen Gotteslohn. Leben Sie recht wohl, bester Bürger, und vergessen Ihren lieben Getreuen, Ihren Jünger, nicht ganz. Ich bin Ihnen immer treu ergeben
Schlegel.
Haben Sie doch die Güte, den eingeschloßnen Brief so bald als möglich zu besorgen.
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[1] Amsterdam, den 19. Nov. 1791.
Wie gehts Ihnen denn, allerliebster Herzens-Bürger? Hört man doch gar nichts von Ihnen, als was etwan andre Leute berichten. Meldete man mir nicht von Zeit zu Zeit, daß Sie wirklich noch in leiblicher Gestalt auf dem Erdboden wandeln, so könnte ich immerhin glauben, Sie existirten nicht mehr: so wenig rühren und regen Sie sich. Mad. Böhmer hat mir indessen letzthin angekündigt, daß ich bald den heurigen Allmanach von Ihnen zu erwarten habe, den Blumenbach mir mitbringen soll. Ich freue mich auf ihn und den Allmanach ‒ bis jetzt ist von der Ankunft des einen und des andern noch nichts zu mir erschollen. Wie sind Sie selbst mit dem Reichthum der Lese dießmahl zufrieden? Mir glaubʼ ich, wird es Freude machen, einmahl Deutsche Gedichte zu lesen, selbst wenn sie mittelmäßig sind – und immer finde ich ja meine eignen, über die Sie mir, wie ich hoffe noch etwas schönes sagen werden. – Die zuletzt heraus gekommenen Stücke der Akademie habʼ ich gar noch nicht einmahl gesehen – es ist ordentlich Sünde. Schreiben Sie mir doch, wie es damit ist, ob noch mehr Stücke herauskommen werden, oder ob Meyers Weißagung eintrifft? Im ersten Falle müßten Sie freylich wohl an [2] meiner Stelle einen Andern ordentlichen Mitarbeiter annehmen, ob ich gleich gewiß hoffe Euch dann und wann Beyträge liefern zu können. Hört, Ihr dort in Deutschland, Ihr müßt mich nicht aus eurer Gemeinschaft stoßen wie einen Sünder, weil ich in der Entfernung leben muß! – Kürzlich habe ich von ohngefähr vernommen, daß Eschenburg meine Ariadne sehr hoch gepriesen hat, in seiner Beyspielsammlung, bey Gelegenheit der Cantate von Gerstenberg. Sie solltens mir doch mittheilen, wenn Ihnen öffentliche Urtheile über mich vorkommen – ich bin der Deutschen Litterarischen Welt ganz fremd geworden, und bekomme nichts dergleichen zu sehen. Sollte ich hier für eine längere Zeit bleiben, so muß ich mir durchaus eine Bibliothek von den classischen Schriftstellern unser[er] Nation anschaffen ‒ immer wird mirs an mündlichen Unterhaltungen über dergleichen Gegenstände fehlen. Ach! die glückliche Zeit, wo wir so viel für die Kunst zusammen arbeiteten, kommt vielleicht nie wieder. Wahrlich, lieber Bürger, ich denke immer mit dem größten Vergnügen daran zurück. Mit der Productionswuth bin ich hier eben nicht geplagt – meine Muße ist zu wenig ruhig – und um etwas prosaisches zu schreiben, fehlt es mir an tausend Büchern, die man gern über dieß und jenes nachschlüge. Seit den Sachen, die ich Ihnen [3] für den Allmanach geschickt, habe ich keine Poësie zum Vorscheine gebracht, und überhaupt keine Prosa außer meine Briefe, und mit diesen bin ich auch nicht immer zur rechten Zeit fertig. Immer bin ich noch ein weit bessrer Correspondent als Sie und Fiorillo: mit Euch beyden ist wahrlich gar nichts anzufangen.
Hätten Sie mir geschrieben, so würde ich Ihnen heute nicht einen so leeren Brief senden. Ich kann Ihnen nichts schreiben, als was ich in hiesigen Landen sehe und bemerke, und ich weiß nicht ob Sie davon hören mögen, bis Sie sich mit mir in Correspondenz einzulassen würdigen. Dagegen schmachtʼ ich darnach, etwas aus Deutschland zu hören. Erlauben Sie also, daß ich ein volles, gerütteltes und geschütteltes Maaß von Fragen in Ihren Schooß ausschütte.
Ist Ihre Streitsache mit Schiller bey seiner Antwort auf Ihre Erklärung stehen geblieben? Ich wünscht es nicht. Habt Ihr einmahl A gesagt, so müßt Ihr auch B sagen. Schiller war kein Hund aus der Pfennigsschenke, so daß es Euch wohl anstand ihm zu antworten. Ihr hättet anfangs schweigen können, aber nun solltet Ihrs nicht, bis Ihr einen entscheidenden Vortheil davon getragen hättet. Seine Duplik war doch in der That nicht von der Art, daß man sie nicht mit Grund wiederlegen könnte.
[4] Von Bouterwek ist mir eine seltsame Geschichte wegen eines Weimarschen Rathstitels vorgekommen: ist sie wahr? Schreibt er noch immer so viel? Ist ein zweyter Theil des Donamar heraus? – Was treibt Woltmann? Immer noch auf den alten Fuß, daß er nicht recht weiß, was er will, und was mit ihm werden soll? – Was macht Fr[au] von Berlepsch und ist sie jetzt hold- oder feindselig gegen Sie gesinnt? – Wandelt Meta noch immer vor dem Herrn und schreibt Uebersetzungen?
Möchten Sie etwas von Holländischer Litteratur hören? Ich weiß auf Ehre nichts davon zu sagen. Die Sprache ist mir so zuwider, daß mir davor eckelt ein Holländisches Buch nur in die Hand zu nehmen; und eins auszulesen, das übersteigt beynah meine Kräfte. Mit der Poësie des Landes habʼ ich mich fast noch gar nicht abgegeben, und weiß nicht, ob gute existirt. Poëtischen Sinn hat die Nation wenig, und man kann oft Leute ohne Hehl sagen hören: „Ich frage nichts nach Poësie.“ – Meine Abneigung gegen die Sprache ist gewiß nicht Vorurtheil – ich machte mich mit dem besten Willen daran; entschlossen alles gute darin zu finden was wirklich darin wäre. Allein, ich denke, es wird jedem Deutschen von Geschmack und gebildetem Ohr eben so gehen [5] wie mir. Indessen wären selbst in diesem Misthaufen vielleicht Perlen zu finden, womit wir unsre eigne Sprache schmücken könnten; wer nur die Geduld hätte sie heraus zu suchen.
Wenn Sie Professor Heeren sehen, so machen Sie Ihm doch meine verbindlichsten Complimente, und sagen Sie ihm, daß ich durch sein Empfehlungsschreiben eine sehr angenehme Bekanntschaft mit Herrn Redlich gemacht habe, von der ich mir für den Winter viel verspreche.
Ihrer Frau Gemahlin machen Sie meine ehrerbietigsten Empfehlungen; und wenn Ihnen sonst jemand begegnet, der mir gut ist, so wünschen Sie ihm in meinem Nahmen Gotteslohn. Leben Sie recht wohl, bester Bürger, und vergessen Ihren lieben Getreuen, Ihren Jünger, nicht ganz. Ich bin Ihnen immer treu ergeben
Schlegel.
Haben Sie doch die Güte, den eingeschloßnen Brief so bald als möglich zu besorgen.
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