• Caroline von Schelling to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Harburg, Elbe · Place of Destination: Unknown · Date: 14.04.1801
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Caroline von Schelling
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Harburg, Elbe
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 14.04.1801
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 370516575
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 2. Leipzig 1913, S. 95‒99 u. S. 609 (Kommentar).
  • Incipit: „Haarburg d. 14ten Aprill [18]01.
    Eben erhalt ich Deinen Brief vom 11ten. Zwey Dinge machen mir Herzklopfen, die Ungeduld, daß ich noch [...]“
    Language
  • German
Haarburg d. 14ten Aprill [18]01.
Eben erhalt ich Deinen Brief vom 11ten. Zwey Dinge machen mir Herzklopfen, die Ungeduld, daß ich noch hier bin, und der ewige Wandernde.
Ich kann erst Übermorgen von hier gehn, aber ich rechne gewiß darauf vor dem 24sten in Jena zu seyn, das ist vermuthlich schon zu spät um Tiek zu logiren, allein doch hoffentlich nicht ihn zu sehn. Sehr ungern würd ich dieses entbehren. Ich schreibe ihm dorthin. Da der Mutter Überkunft hieher mit meiner Reise combinirt ist, so war es nicht möglich sie mehr zu beschleunigen, als ich gethan habe. Sie komt mir nun bis Zelle entgegen und wir wechseln Wagen und Begleitung aus.
Meine Ungeduld macht mich krank und dieses ungewohnte realistische Leben. ‒ Was ich nun versäume, muß ich den Göttern anheim stellen. Fast wieder Willen bin ich hieher gezogen, und ganz wieder Willen bin ich hier in diesem Augenblick, denn was ich in Jena vielleicht sprechen und thun könnte, wäre doch besser als dieses unbestimmte Geräusch um mich her, als die tausend lächerlichen Nachrichten, und das Ebben und Fluten von hunderterley Erwartungen. Hier haben nun die hannöverischen Truppen gänzlich den Plaz geräumt ‒ man hat sich dem ohngeachtet mit vielen Sagen geschmeichelt, daß der Besiznehmung der Preußen Einhalt geschehn würde, indessen sind sie in der Nähe, man sagt nur, in geringerer Anzahl, und man erwartet sie etwa Übermorgen. ‒ So viel scheint mir, daß das Gewitter für Niedersachsen noch abgewendet werden könnte, Dänemark und Engelland haben ja auf 3 Monat Waffenstillstand geschlossen. Vor wenig Tagen kamen Laurisson, der Adjudant von Buonaparte (er heißt auch vielleicht anders), und ein Sohn des Kriegsministers Berthier hier durch; sie traten nebst einem Kaufmann bey Philipps Schwager ab, und haben ihm gesagt, daß sie nach Koppenhagen gingen, um im Norden gewisse Artikel des Friedens, zu dem England gegen Frankreich sich geneigt bewiese, zu reguliren. Schweden scheint überhaupt zu warten, und vom neuen Kaiser hoft man in dieser Gegend viel Gutes ‒ worinn dieses Gute besteht, kannst Du denken; auf beyden Ufern der Elbe ist das Volk englisch, das heißt kaufmännisch gesinnt.
Des Hohns und Spotts über die Dänen ist kein Ende, et il y a dequoi. Sie reißen bey Dutzenden aus, und die Armee wird nächstens diesseits cantoniren.
Wenn mir mein Befinden, das mich zwischen wirblichter Lebhaftigkeit und Ermattung hinhält, eine genauere Benutzung meiner Zeit erlaubt hätte in Hamburg, so würde ich noch mehr haben sehn und hören können, doch hab ich völlig genug. Mad. Reimarus habe ich besucht, er war zu Kranken ausgegangen. Sie hat mich äußerst freundlich aufgenommen und kam mir damit entgegen, wie sehr sie gewünscht hätte usw., nachdem sie Briefe von mir gelesen ‒ was ich ihr denn wieder gab. Es ist eine gute Dame und doch lange so windschief nicht wie die Campe.
Ich würde Klopstock gesehn haben ‒ Meyers hätten ihn nehmlich zu einem Souper, das sie gaben, eingeladen, wenn nicht seiner Frau Schwiegertochter so eben in seinem Hause gestorben wäre in Wochen. Demohngeachtet wollte sie noch mit mir hingehn, als der Wagen mit meinen Altonaer Wirthen kam um mich abzuholen und es sich nicht mehr machen lassen wollte.
Ich habe so gut wie nichts verlohren an und für sich, nur einen Auftritt mehr, Dich damit zu unterhalten, mein lieber Schlegel ‒ es hätte indeß auch schlecht ablaufen können, obwohl er ein guter alter Mann seyn mag.
Die Stimmung habe ich übrigens genugsam durchschaut und werde Dir mündlich davon erzählen. Meyer fürchtete sich gewiß so sehr mich zu sehn, als wenn ich sein Gewissen wäre ‒ hier lege ich Dir das Blatt bey, das er mir nachgeschickt und seine affectirten Skizzen mir damit zu Füßen gelegt hat. Sie ist Dir recht gut, überhaupt giltst Du einigermaßen für ehrlich ‒ nimms nicht übel ‒ aber Friedrich schlechtweg für toll. ‒ Das war denn doch mehr, als ich dachte, daß Meyers Deine Ehrenpforte noch nicht kannten, da er doch der erste Literator in Hamburg ist. ‒ Wenn das auch die Matadore sind, die sie zum Essen geladen hatten (lauter Herren), so ist sein unbeschreibliches Selbstgefühl erklärlicher. Veit Weber blieb aus, den Doktor Veit hatte Meyer nicht getroffen; ein Bruder von Rambach, ein Arzt, war da.
–––––
Recht ordentlich kann ich Dir über den wandernden Juden nicht schreiben ‒ wenn ihn mir nur jemand vorlesen könnte! Dann würde er mich befriedigen. Ich denke ihn mir diesen Abend noch selbst vorzulesen. Was sagten die andern dazu? Mich däucht, er ist sehr gut ausgeführt. ‒ Das blutrothe Kreuz erschreckte mich, so gut ich es kannte, es steht so an der rechten Stelle. Ja ich glaube, es ist, wie es seyn soll. Wenn ich es Schelling vorlese, so wird er Fieber bekommen. Ich fürchte ihn in seiner Gesundheit nicht gebessert anzutreffen. ‒ Schiller ist bis auf den 5ten Akt mit Wallenstein fertig; vielleicht werden nun aus dem 5ten wieder so viel wie vorher. Schelling muß seine Rezension der Ehrenpforte oft schmähen hören, unter anders bei Frommans, wo er mit Loder aß. Er wird doch gewiß noch als Rezensent bekannt werden, da sie so angefochten wird. Es thut ihm nichts. ‒ Du bist schlecht, daß Du mir nur das große Geheimniß vertraust, weil ich in Böotien sitze. Böser, habe ich je etwas verrathen ‒ auch in Athen weiß ich zu schweigen, wenn alles mich zur Rede lockt.
–––––
Ja wohl seh ich aus der heutigen Zeitung, daß dieses dürre Volk sich auch in Franken weiter ausbreiten will.
–––––
Gott friste Charlottens Leben! Besuche sie ja, sollt ich Dich auch später darum sehn. Ich werde an Deine Mutter schreiben.
Adieu, ich muß schließen. Wenn ich nur noch erst über 8 Tage hin wäre. Weg aus dieser Gegend. Die Sonne scheint, aber die Luft ist rauh. Leb wohl, mein lieber lieber Schlegel.
Haarburg d. 14ten Aprill [18]01.
Eben erhalt ich Deinen Brief vom 11ten. Zwey Dinge machen mir Herzklopfen, die Ungeduld, daß ich noch hier bin, und der ewige Wandernde.
Ich kann erst Übermorgen von hier gehn, aber ich rechne gewiß darauf vor dem 24sten in Jena zu seyn, das ist vermuthlich schon zu spät um Tiek zu logiren, allein doch hoffentlich nicht ihn zu sehn. Sehr ungern würd ich dieses entbehren. Ich schreibe ihm dorthin. Da der Mutter Überkunft hieher mit meiner Reise combinirt ist, so war es nicht möglich sie mehr zu beschleunigen, als ich gethan habe. Sie komt mir nun bis Zelle entgegen und wir wechseln Wagen und Begleitung aus.
Meine Ungeduld macht mich krank und dieses ungewohnte realistische Leben. ‒ Was ich nun versäume, muß ich den Göttern anheim stellen. Fast wieder Willen bin ich hieher gezogen, und ganz wieder Willen bin ich hier in diesem Augenblick, denn was ich in Jena vielleicht sprechen und thun könnte, wäre doch besser als dieses unbestimmte Geräusch um mich her, als die tausend lächerlichen Nachrichten, und das Ebben und Fluten von hunderterley Erwartungen. Hier haben nun die hannöverischen Truppen gänzlich den Plaz geräumt ‒ man hat sich dem ohngeachtet mit vielen Sagen geschmeichelt, daß der Besiznehmung der Preußen Einhalt geschehn würde, indessen sind sie in der Nähe, man sagt nur, in geringerer Anzahl, und man erwartet sie etwa Übermorgen. ‒ So viel scheint mir, daß das Gewitter für Niedersachsen noch abgewendet werden könnte, Dänemark und Engelland haben ja auf 3 Monat Waffenstillstand geschlossen. Vor wenig Tagen kamen Laurisson, der Adjudant von Buonaparte (er heißt auch vielleicht anders), und ein Sohn des Kriegsministers Berthier hier durch; sie traten nebst einem Kaufmann bey Philipps Schwager ab, und haben ihm gesagt, daß sie nach Koppenhagen gingen, um im Norden gewisse Artikel des Friedens, zu dem England gegen Frankreich sich geneigt bewiese, zu reguliren. Schweden scheint überhaupt zu warten, und vom neuen Kaiser hoft man in dieser Gegend viel Gutes ‒ worinn dieses Gute besteht, kannst Du denken; auf beyden Ufern der Elbe ist das Volk englisch, das heißt kaufmännisch gesinnt.
Des Hohns und Spotts über die Dänen ist kein Ende, et il y a dequoi. Sie reißen bey Dutzenden aus, und die Armee wird nächstens diesseits cantoniren.
Wenn mir mein Befinden, das mich zwischen wirblichter Lebhaftigkeit und Ermattung hinhält, eine genauere Benutzung meiner Zeit erlaubt hätte in Hamburg, so würde ich noch mehr haben sehn und hören können, doch hab ich völlig genug. Mad. Reimarus habe ich besucht, er war zu Kranken ausgegangen. Sie hat mich äußerst freundlich aufgenommen und kam mir damit entgegen, wie sehr sie gewünscht hätte usw., nachdem sie Briefe von mir gelesen ‒ was ich ihr denn wieder gab. Es ist eine gute Dame und doch lange so windschief nicht wie die Campe.
Ich würde Klopstock gesehn haben ‒ Meyers hätten ihn nehmlich zu einem Souper, das sie gaben, eingeladen, wenn nicht seiner Frau Schwiegertochter so eben in seinem Hause gestorben wäre in Wochen. Demohngeachtet wollte sie noch mit mir hingehn, als der Wagen mit meinen Altonaer Wirthen kam um mich abzuholen und es sich nicht mehr machen lassen wollte.
Ich habe so gut wie nichts verlohren an und für sich, nur einen Auftritt mehr, Dich damit zu unterhalten, mein lieber Schlegel ‒ es hätte indeß auch schlecht ablaufen können, obwohl er ein guter alter Mann seyn mag.
Die Stimmung habe ich übrigens genugsam durchschaut und werde Dir mündlich davon erzählen. Meyer fürchtete sich gewiß so sehr mich zu sehn, als wenn ich sein Gewissen wäre ‒ hier lege ich Dir das Blatt bey, das er mir nachgeschickt und seine affectirten Skizzen mir damit zu Füßen gelegt hat. Sie ist Dir recht gut, überhaupt giltst Du einigermaßen für ehrlich ‒ nimms nicht übel ‒ aber Friedrich schlechtweg für toll. ‒ Das war denn doch mehr, als ich dachte, daß Meyers Deine Ehrenpforte noch nicht kannten, da er doch der erste Literator in Hamburg ist. ‒ Wenn das auch die Matadore sind, die sie zum Essen geladen hatten (lauter Herren), so ist sein unbeschreibliches Selbstgefühl erklärlicher. Veit Weber blieb aus, den Doktor Veit hatte Meyer nicht getroffen; ein Bruder von Rambach, ein Arzt, war da.
–––––
Recht ordentlich kann ich Dir über den wandernden Juden nicht schreiben ‒ wenn ihn mir nur jemand vorlesen könnte! Dann würde er mich befriedigen. Ich denke ihn mir diesen Abend noch selbst vorzulesen. Was sagten die andern dazu? Mich däucht, er ist sehr gut ausgeführt. ‒ Das blutrothe Kreuz erschreckte mich, so gut ich es kannte, es steht so an der rechten Stelle. Ja ich glaube, es ist, wie es seyn soll. Wenn ich es Schelling vorlese, so wird er Fieber bekommen. Ich fürchte ihn in seiner Gesundheit nicht gebessert anzutreffen. ‒ Schiller ist bis auf den 5ten Akt mit Wallenstein fertig; vielleicht werden nun aus dem 5ten wieder so viel wie vorher. Schelling muß seine Rezension der Ehrenpforte oft schmähen hören, unter anders bei Frommans, wo er mit Loder aß. Er wird doch gewiß noch als Rezensent bekannt werden, da sie so angefochten wird. Es thut ihm nichts. ‒ Du bist schlecht, daß Du mir nur das große Geheimniß vertraust, weil ich in Böotien sitze. Böser, habe ich je etwas verrathen ‒ auch in Athen weiß ich zu schweigen, wenn alles mich zur Rede lockt.
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Ja wohl seh ich aus der heutigen Zeitung, daß dieses dürre Volk sich auch in Franken weiter ausbreiten will.
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Gott friste Charlottens Leben! Besuche sie ja, sollt ich Dich auch später darum sehn. Ich werde an Deine Mutter schreiben.
Adieu, ich muß schließen. Wenn ich nur noch erst über 8 Tage hin wäre. Weg aus dieser Gegend. Die Sonne scheint, aber die Luft ist rauh. Leb wohl, mein lieber lieber Schlegel.
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