Rue de lʼUniversité No. 90
chez M. le Duc de Broglie
Ich habe Ihnen, meine theuerste Freundin, kurz nach meiner Ankunft in Paris geschrieben, aber keine Antwort von Ihnen bekommen. Der Brief ist zuverläßig nicht verloren gegangen; ich darf auch hoffen, daß Sie mit den Ihrigen wohl sind, sonst wäre mir gewiß das Gegentheil gemeldet worden, da man weiß, wie lebhaften Antheil ich an Ihnen nehme. Ich sollte also eigentlich böse seyn: aber die Anmuth und die Liebenswürdigkeit haben eigne Vorrechte; man will es nicht gern mit Ihnen verderben, und wagt es daher nicht zu klagen, wenn man auch Ursache dazu hätte.
Sie werden vielleicht nun schon wissen, daß mir der König vor zehn Tagen eigenhändig den Orden der Ehrenlegion ertheilt hat. Das Nähere kann Hr. Lassen erzählen, die Art und Weise war unendlich schmeichelhaft. Übrigens befinde ich mich fortwährend außerordentlich wohl: ich bin nun etwas über drittehalb Monate hier, sie sind schnell vorübergeflogen, und es bieten sich immer neue Gegenstände zur Unterhaltung und Benutzung dar. Ich habe eine Menge neue Bekanntschaften gemacht, u die ehemaligen erneuert. Unter diesen ist Madame Recamier: noch immer liebenswürdig, vereinigt sie in ihrer entlegenen Wohnung einen angenehmen Abendzirkel. Viele Einladungen gaben mir [2] Gelegenheit die geschmackvollen Zimmerverzierungen und Tafel-Aufsätze zu bewundern. Der Russische Gesandte gab ein glänzendes Abendfest, der Vermählung seines Neffen mit der Tochter des Herzogs von Crillon zu Ehren. Heinrich war ganz außer sich über diese Pracht. Im Vorsaal standen zwölf Bediente in scharlachnen Staatslivreyen mit goldenen Tressen auf allen Näthen, die Aufwartung besorgten Kammerdiener in Hoftracht. Hätte er nun erst die Herrlichkeit im Innern sehen können! Die endlose Reihe blendend erleuchteter Zimmer, verziert mit Gemälden, seidnen Tapeten u kostbaren Teppichen, das Büffet mit Silbergeschirr u vergoldeter Bronze, welches die Länge eines ganzen Saales einnahm, endlich die mit Diamanten und weißen Schultern strahlenden Damen! Ich kann nicht sagen, daß ich alle Moden des weiblichen Putzes billige; doch ist mir ein kleines Stirnjuwel, das mit einer queerlaufenden Schnur unter der Scheitelung der Haare befestigt wird, als eine gefällige und originale Neuerung aufgefallen.
In das Schauspiel komme ich nicht oft: es collidirt zu sehr mit dem Mittagsessen u der Gesellschaft. Am meisten besuche ich die musikalischen Theater, die spät anfangen. Meyer-Beers neue Oper, Robert le Diable, wird heute zum viertenmal aufgeführt. Ich habe sie noch nicht sehen können u kann auch heute nicht, wegen einer Gesellschaft, wo Rubini singen wird. Der Zulauf ist noch immer sehr groß: da aber das Stück (von Scribe) viel grause Wunder-Begebenheiten darbietet, Decorations-Zaubereien u. s. w. [3] so läßt sich noch nicht genau unterscheiden, wie viel Antheil daran die bloße Neugier u der eigentliche Kennerbeifall hat. Gestern sah ich Don Juan bei den Italiänern, Mad. Schröder-Devrient in der zweiten Rolle nicht sehr zu ihren Vortheil.
Ich höre, daß meine Pferde noch in Ihrem Hause gut aufgehoben sind; ich hoffe, daß sie den ehrenvollen Dienst Sie und Ihre Fräulein Tochter spazieren zu fahren, gehörig verrichten, und der genossenen Erziehung Ehre machen.
Leben Sie recht wohl, u schreiben Sie mir bald, was es neues in Bonn giebt. Meine besten Empfehlungen an Hrn Forstheim u Ihre Fräulein Tochter.
Ganz der Ihrige
AWvSchlegel
[4] [leer]