• August Wilhelm von Schlegel to Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling

  • Place of Dispatch: Clichy · Place of Destination: München · Date: 28.09.1814
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling
  • Place of Dispatch: Clichy
  • Place of Destination: München
  • Date: 28.09.1814
  • Notations: Empfänger sowie Empfangsort erschlossen. – Vgl. den Brief von Schelling vom 9. Mai 1812. Empfänger von der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften bestätigt.
    Manuscript
  • Provider: Dortmund, Stadt- und Landesbibliothek
  • Classification Number: Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Atg Nr.12766
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Incipit: „[1] Clichy d 28sten Sept. 1814
    Eine lange Zeit hindurch war eine große Kluft zwischen uns, werthester Freund: Ich habe eine [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
  • Varwig, Olivia
[1] Clichy d 28sten Sept. 1814
Eine lange Zeit hindurch war eine große Kluft zwischen uns, werthester Freund: Ich habe eine halbe Weltumseglung vollbracht, und nachher während des Feldzuges mit den Cosacken und Baschkiren gelebt, wie weiland Pythagoras unter den Gymnosophisten. Sogleich nach Beendigung des Krieges nahm ich mir vor, Ihnen wieder zu schreiben, aber meine zerstreute Lebensart, die Reisen von Flandern nach England, nach Paris, nach der Schweiz u von da hieher zurück haben mich bisher von einer so angenehmen Beschäftigung abgehalten. Rechnen Sie es mir nicht zu, und lassen Sie mich recht bald von sich, Ihrem und der Ihrigen Wohlbefinden und Ihren neuen Hervorbringungen hören. Von Ihrem häuslichen Glück vernahm ich einiges in Kiel durch Louise Wiedemann, und habe mich herzlich darüber gefreut. Sagen Sie mir noch mehr davon.
Wiedemanns haben durch die Zeitumstände manches gelitten, und sind wohl nicht ohne häusliche Sorgen. Die Gesundheit des Mannes ist immer schwach, und ihm wäre vor allen Dingen die Versetzung in ein südliches Klima zu wünschen. Sie haben gesunde und zum Theil schöne Kinder, dabey hat die gute Louise noch die beyden Söhne ihres Bruders, ein paar schöne und tüchtige Knaben zu sich genommen.
Was macht denn Ihre Akademie, von der ich ein unwürdiges Mitglied bin? Was macht Baader? [2] Vor drey Jahren hatte ich in Wien viele lebhafte Mittheilungen mit ihm.
Ich weiß so wenig von Deutschland, daß Sie mich durch alles was sie mir über den Gang der Philosophie und Litteratur sagen wollen, ungemein verbinden werden. Deutschland mag mich wohl vergessen haben, aber ich fühle eine neue Liebe zu dem fürs erste geretteten und hoffentlich bald auch wiedergebohrnen Vaterlande, u will mich ihm ferner nützlich zu machen suchen. Seit ich den politischen Gelegenheitsschriften entsagt, habe ich mich wieder mit allem Eifer auf die Erforschung unsrer Alterthümer gewandt, und denke meine große Ausgabe des Nibelungen-Liedes demnächst würdig zu Stande zu bringen. Sie können mir dabey sehr behülflich seyn. Vor allen Dingen muß ich die Lesearten der verschiednen Handschriften vollständig beysammen haben. Herr Docen hatte schon vor meiner großen Reise die Vergleichung der zweyten Münchner Handschrift (die erste seit jeher dort vorhandene habe ich selbst verglichen) übernommen. Ich bat Sie, die versprochne Vergütung für mich auszulegen. Diese Arbeit ist hoffentlich längst beendigt, u vielleicht schon in Ihrer Verwahrung. Auf jeden Fall bitte ich Sie, mir die Lesearten der ehemals Hohen-Emser jetzt Münchner Handschrift baldigst nach Paris zu fördern.
Außerordentlich angenehm wäre es mir, wenn Sie [3] für einen billigen Preis durch einen geschickten Manne von dem Anfange und Schluß beyder Handschriften ein genaues Facsimile könnten zeichnen lassen. Es bedarf nur einiger Strophen, doch muß so viel zur Probe gegeben werden, daß ein vollständiger Begriff der Schriftzüge daraus hervorgehe. Ich denke von allen Handschriften dergleichen Facsimileʼs bey meiner Ausgabe in Kupfer stechen zu lassen, um den Kennern ein sichres Mittel zur Entscheidung über deren Alter in die Hand zu geben.
Wir haben noch ein anders Geschäft miteinander abzuthun. Ich bin allzu lange in Ihrer Schuld geblieben, wegen der Zinsen des abgetragnen Capitals, u ich befürchte einige hierauf bezügliche Papiere verlohren zu haben: ich bitte Sie also, mir von neuem die Berechnung vorzulegen, u ich werde dieß, so wie Ihre sonstigen Auslagen, baldigst berichtigen.
Den Winter werde ich in Paris zubringen, bis Ende des Jahres aber vor der Stadt auf einem Landhause, wo ich den Trost habe, daß der Montmartre mit seinen nat körperlichen Windmühlen, die figürlichen Windmühlen und Windmüller in einiger Entfernung von mir hält. Sie sollten auch einmal nach Paris kommen, viel zu sehen giebt es da doch wirklich, und Sie könnten noch oben ein ihren Spaß mit den Physikern haben, worunter sich ja auch einige von unsern Landsleuten verlaufen.
[4] Leben Sie tausendmal, behalten Sie mich in gutem Andenken, u geben Sie mir bald einen Beweis davon. Meine besten Grüße an Ihre Gattin.
Mit den Lesearten, das kann ich Ihnen nicht dringend genug machen. Die alten Helden werden es Ihnen danken, wenn Sie zur Erneuerung ihres Denkmals die Hand bieten. Wenn Hr. Docen die Vergleichung der Nibel. Handschrift gründlich vollbracht hat, u zu andern ähnlichen Arbeiten geneigt wäre, so möchte ich mir wohl noch manches andre aus der Münchner Bibliothek für Geld u Gute Worte verschaffen. Der Ihrige
AW v Schlegel
Meine Adresse ist bey Frau von Stael, in Paris abzugeben chez Mr Rocheux Rue royale, 8.
[1] Clichy d 28sten Sept. 1814
Eine lange Zeit hindurch war eine große Kluft zwischen uns, werthester Freund: Ich habe eine halbe Weltumseglung vollbracht, und nachher während des Feldzuges mit den Cosacken und Baschkiren gelebt, wie weiland Pythagoras unter den Gymnosophisten. Sogleich nach Beendigung des Krieges nahm ich mir vor, Ihnen wieder zu schreiben, aber meine zerstreute Lebensart, die Reisen von Flandern nach England, nach Paris, nach der Schweiz u von da hieher zurück haben mich bisher von einer so angenehmen Beschäftigung abgehalten. Rechnen Sie es mir nicht zu, und lassen Sie mich recht bald von sich, Ihrem und der Ihrigen Wohlbefinden und Ihren neuen Hervorbringungen hören. Von Ihrem häuslichen Glück vernahm ich einiges in Kiel durch Louise Wiedemann, und habe mich herzlich darüber gefreut. Sagen Sie mir noch mehr davon.
Wiedemanns haben durch die Zeitumstände manches gelitten, und sind wohl nicht ohne häusliche Sorgen. Die Gesundheit des Mannes ist immer schwach, und ihm wäre vor allen Dingen die Versetzung in ein südliches Klima zu wünschen. Sie haben gesunde und zum Theil schöne Kinder, dabey hat die gute Louise noch die beyden Söhne ihres Bruders, ein paar schöne und tüchtige Knaben zu sich genommen.
Was macht denn Ihre Akademie, von der ich ein unwürdiges Mitglied bin? Was macht Baader? [2] Vor drey Jahren hatte ich in Wien viele lebhafte Mittheilungen mit ihm.
Ich weiß so wenig von Deutschland, daß Sie mich durch alles was sie mir über den Gang der Philosophie und Litteratur sagen wollen, ungemein verbinden werden. Deutschland mag mich wohl vergessen haben, aber ich fühle eine neue Liebe zu dem fürs erste geretteten und hoffentlich bald auch wiedergebohrnen Vaterlande, u will mich ihm ferner nützlich zu machen suchen. Seit ich den politischen Gelegenheitsschriften entsagt, habe ich mich wieder mit allem Eifer auf die Erforschung unsrer Alterthümer gewandt, und denke meine große Ausgabe des Nibelungen-Liedes demnächst würdig zu Stande zu bringen. Sie können mir dabey sehr behülflich seyn. Vor allen Dingen muß ich die Lesearten der verschiednen Handschriften vollständig beysammen haben. Herr Docen hatte schon vor meiner großen Reise die Vergleichung der zweyten Münchner Handschrift (die erste seit jeher dort vorhandene habe ich selbst verglichen) übernommen. Ich bat Sie, die versprochne Vergütung für mich auszulegen. Diese Arbeit ist hoffentlich längst beendigt, u vielleicht schon in Ihrer Verwahrung. Auf jeden Fall bitte ich Sie, mir die Lesearten der ehemals Hohen-Emser jetzt Münchner Handschrift baldigst nach Paris zu fördern.
Außerordentlich angenehm wäre es mir, wenn Sie [3] für einen billigen Preis durch einen geschickten Manne von dem Anfange und Schluß beyder Handschriften ein genaues Facsimile könnten zeichnen lassen. Es bedarf nur einiger Strophen, doch muß so viel zur Probe gegeben werden, daß ein vollständiger Begriff der Schriftzüge daraus hervorgehe. Ich denke von allen Handschriften dergleichen Facsimileʼs bey meiner Ausgabe in Kupfer stechen zu lassen, um den Kennern ein sichres Mittel zur Entscheidung über deren Alter in die Hand zu geben.
Wir haben noch ein anders Geschäft miteinander abzuthun. Ich bin allzu lange in Ihrer Schuld geblieben, wegen der Zinsen des abgetragnen Capitals, u ich befürchte einige hierauf bezügliche Papiere verlohren zu haben: ich bitte Sie also, mir von neuem die Berechnung vorzulegen, u ich werde dieß, so wie Ihre sonstigen Auslagen, baldigst berichtigen.
Den Winter werde ich in Paris zubringen, bis Ende des Jahres aber vor der Stadt auf einem Landhause, wo ich den Trost habe, daß der Montmartre mit seinen nat körperlichen Windmühlen, die figürlichen Windmühlen und Windmüller in einiger Entfernung von mir hält. Sie sollten auch einmal nach Paris kommen, viel zu sehen giebt es da doch wirklich, und Sie könnten noch oben ein ihren Spaß mit den Physikern haben, worunter sich ja auch einige von unsern Landsleuten verlaufen.
[4] Leben Sie tausendmal, behalten Sie mich in gutem Andenken, u geben Sie mir bald einen Beweis davon. Meine besten Grüße an Ihre Gattin.
Mit den Lesearten, das kann ich Ihnen nicht dringend genug machen. Die alten Helden werden es Ihnen danken, wenn Sie zur Erneuerung ihres Denkmals die Hand bieten. Wenn Hr. Docen die Vergleichung der Nibel. Handschrift gründlich vollbracht hat, u zu andern ähnlichen Arbeiten geneigt wäre, so möchte ich mir wohl noch manches andre aus der Münchner Bibliothek für Geld u Gute Worte verschaffen. Der Ihrige
AW v Schlegel
Meine Adresse ist bey Frau von Stael, in Paris abzugeben chez Mr Rocheux Rue royale, 8.
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