• Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Unknown · Place of Destination: Unknown · Date: 04.01.1802
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Unknown
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 04.01.1802
    Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Historisch-kritische Ausgabe. Hg. v. Thomas Buchheim, Jochen Hennigfeld, Wilhelm G. Jacobs, Jörg Jantzen u. Siegbert Peetz. Stuttgart 1976ff. Reihe III: Briefe 2,1: Briefwechsel 1800–1802. Hg. v. Thomas Kisser unter Mitwirkung von Walter Schieche und Alois Wieshuber. Stuttgart 2010, S.392–396.
  • Incipit: „[1] den 4ten Jan. 02.
    Von der Aufführung des Ion, theurester Freund, werden Sie die vollständigste Nachricht durch Carolinens Hand erhalten, [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-36872
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.20,Nr.13
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 23,4 x 18,8 cm
    Language
  • German
[1] den 4ten Jan. 02.
Von der Aufführung des Ion, theurester Freund, werden Sie die vollständigste Nachricht durch Carolinens Hand erhalten, und sollte ihr das Geringste während des Schreibens entgangen seyn, so wird sie oder ich es in der Folge suppliren. Es bleibt mir demnach nichts übrig, als in meinem Theil zu bezeugen, wie gelungen die Darstellung war, und wie sehr die innre Vortrefflichkeit des Stüks sich durch diese entwikelt hat. Die Aufführung ˹war,˺ wie das Werk selbst, aus Einem Geiste gebohren; dieß sah und fühlte man durchaus, und ich erinnre mich nicht, jemals auf dem Theater eine so harmonische Anschauung genossen zu haben. Ich bin davon entzükt, und im Innersten erfreut gewesen. Nehmen Sie die Bezeugung meiner reinsten Bewunderung an, die ich dem Talent zollen muß, das mit dem ersten dramatischen Werk, das aus ihm hervorgeht, und der innern Voll[2]kommenheit desselben, gleich auch diesen äußeren Effect zu vermählen wußte. Es war mir, als ob ich nicht nur für Sie, sondern für die ganze dramatische Kunst die Laufbahn eröffnet, die Schranken aufgethan sehe. Es ist das erstemal, daß ich angefangen habe mit sicherem Zutrauen zu glauben, daß das Antike in diesem Theil der Kunst aufhören könne, es zu seyn, und unser werden. Nachdem ich dieses gesehen habe, glaube ich auch an die Möglichkeit des Höchsten in dieser Art, und in Ihrem Geiste erkenne ich das, was sonst als ungewiße Ferne erschien, als sichere Gegenwart.
Von einigen wenigen Wortverändrungen, welche Goethe vorgenommen, wird Ihnen Caroline geschrieben haben; ebenso von der ganz besondern Art der dießmaligen Aufmerksamkeit, von der wirklichen – man kann sagen – Allgemeinheit ˹wenn nicht˺ des Erkennens, doch des Beifalls, die so weit gieng, daß selbst der innigste Ingrimm ˹sogar bei Böttiger˺ nur im Pedanten ausbrechen und sichtbar zu werden wagen durfte. Von äußerst bestimmten und bis in’s Einzelne gehenden Rüksichten [3] bei der Aufführung, wird Caroline gleichfalls geschrieben haben. Es war in allem Absicht, Überlegung, Übereinstimmung; das ganze Drama durch die Repræsentation vollständig reconstruirt, und gleichsam genetisch wieder gegeben. Goethe hat den größten Fleiß darauf gerwendet, er verdient Ihren Dank; auch habe ich ihn selten oder niemals so erfreut über einen theatralischen Erfolg, so guter Laune gesehen, als die ˹war˺, in welche ihn dieser Succeß versetzt hat.
Das Einzige, was uns zu bedauren übrig bleibt, ist daß Sie nicht selbst Zeuge gewesen sind, und die Erfüllung, von Wünschen und Absichten vielleicht, die ich nur in der Wirkung erkannt habe, nicht selbst mit Augen und gegenwärtig gesehen haben.

Anbei erhalten Sie das 1ste Heft von meinem und Hegels kritischem Journal, das ich Sie als Geschenk von uns beiden anzunehmen bitte. Ich rechne, daß Sie es von vorn bis hinten lesen, daß Sie an einigen Orten sich daran vergnügen, und mir Ihre etwaigen Bemerkungen darüber mittheilen sollen –
[4] Das zweite Exemplar bitte ich Sie, als von mir, an Fichte zu geben; nebst dem beiliegenden Brief. Daß Fichte, welcher nicht ganz frei ist von der Versuchung, Klatschereien anzunehmen, die Erklærung von mir gegen ihn erwartet hat, begreife ich; daß Sie, der Sie die Umstände und meine Gesinnung über diesen Punct kennen, es glaublich gefunden haben, kann ich mir nur aus einer schlechthin categorischen Versicherung von Seiten Fichteʼs erklären. Die einzige Möglichkeit, dieß Geschwäz auch nur zu begreifen, kann ich darinn finden, daß durch irgend eine Unvorsichtigkeit etwas von meinem Entschluß, über die Umstände von Fichteʼs Dimission eine Erklärung vorgehen zu lassen, ausgekommen ist, und daß jemand es seinem Interesse gemäß gefunden hat, diese Erklärung, die für Fichte gewesen wäre, zu einer gegen ihn zu machen. Um desto mehr bitte ich Sie, Ihrerseits so viel möglich zu versuchen, dem Urheber der Nachricht bei F[ichte] auf die Spur zu kommen; ferner: ihm zu bezeugen, daß ich schon bei Ihrer Abreise von hier Sie gebeten, Fichte’n um seine Einwilligung und Meinung wegen einer solchen Erklärung in meinem Namen zu befragen, zum Beweis, daß auch diese Erklærung für ihn nicht hinter seinem Rüken geschehen sollte.
Was Schleyermacher von wegen des Jacobi sagt ist allerdings gegründet. Denn allerdings muß jede Kritik weit über ihren Gegenstand hinausgehen, auf Grundsätze, die nicht in ihm liegen. – Herzlichsten Gruß.
Ihr Schelling.
[1] den 4ten Jan. 02.
Von der Aufführung des Ion, theurester Freund, werden Sie die vollständigste Nachricht durch Carolinens Hand erhalten, und sollte ihr das Geringste während des Schreibens entgangen seyn, so wird sie oder ich es in der Folge suppliren. Es bleibt mir demnach nichts übrig, als in meinem Theil zu bezeugen, wie gelungen die Darstellung war, und wie sehr die innre Vortrefflichkeit des Stüks sich durch diese entwikelt hat. Die Aufführung ˹war,˺ wie das Werk selbst, aus Einem Geiste gebohren; dieß sah und fühlte man durchaus, und ich erinnre mich nicht, jemals auf dem Theater eine so harmonische Anschauung genossen zu haben. Ich bin davon entzükt, und im Innersten erfreut gewesen. Nehmen Sie die Bezeugung meiner reinsten Bewunderung an, die ich dem Talent zollen muß, das mit dem ersten dramatischen Werk, das aus ihm hervorgeht, und der innern Voll[2]kommenheit desselben, gleich auch diesen äußeren Effect zu vermählen wußte. Es war mir, als ob ich nicht nur für Sie, sondern für die ganze dramatische Kunst die Laufbahn eröffnet, die Schranken aufgethan sehe. Es ist das erstemal, daß ich angefangen habe mit sicherem Zutrauen zu glauben, daß das Antike in diesem Theil der Kunst aufhören könne, es zu seyn, und unser werden. Nachdem ich dieses gesehen habe, glaube ich auch an die Möglichkeit des Höchsten in dieser Art, und in Ihrem Geiste erkenne ich das, was sonst als ungewiße Ferne erschien, als sichere Gegenwart.
Von einigen wenigen Wortverändrungen, welche Goethe vorgenommen, wird Ihnen Caroline geschrieben haben; ebenso von der ganz besondern Art der dießmaligen Aufmerksamkeit, von der wirklichen – man kann sagen – Allgemeinheit ˹wenn nicht˺ des Erkennens, doch des Beifalls, die so weit gieng, daß selbst der innigste Ingrimm ˹sogar bei Böttiger˺ nur im Pedanten ausbrechen und sichtbar zu werden wagen durfte. Von äußerst bestimmten und bis in’s Einzelne gehenden Rüksichten [3] bei der Aufführung, wird Caroline gleichfalls geschrieben haben. Es war in allem Absicht, Überlegung, Übereinstimmung; das ganze Drama durch die Repræsentation vollständig reconstruirt, und gleichsam genetisch wieder gegeben. Goethe hat den größten Fleiß darauf gerwendet, er verdient Ihren Dank; auch habe ich ihn selten oder niemals so erfreut über einen theatralischen Erfolg, so guter Laune gesehen, als die ˹war˺, in welche ihn dieser Succeß versetzt hat.
Das Einzige, was uns zu bedauren übrig bleibt, ist daß Sie nicht selbst Zeuge gewesen sind, und die Erfüllung, von Wünschen und Absichten vielleicht, die ich nur in der Wirkung erkannt habe, nicht selbst mit Augen und gegenwärtig gesehen haben.

Anbei erhalten Sie das 1ste Heft von meinem und Hegels kritischem Journal, das ich Sie als Geschenk von uns beiden anzunehmen bitte. Ich rechne, daß Sie es von vorn bis hinten lesen, daß Sie an einigen Orten sich daran vergnügen, und mir Ihre etwaigen Bemerkungen darüber mittheilen sollen –
[4] Das zweite Exemplar bitte ich Sie, als von mir, an Fichte zu geben; nebst dem beiliegenden Brief. Daß Fichte, welcher nicht ganz frei ist von der Versuchung, Klatschereien anzunehmen, die Erklærung von mir gegen ihn erwartet hat, begreife ich; daß Sie, der Sie die Umstände und meine Gesinnung über diesen Punct kennen, es glaublich gefunden haben, kann ich mir nur aus einer schlechthin categorischen Versicherung von Seiten Fichteʼs erklären. Die einzige Möglichkeit, dieß Geschwäz auch nur zu begreifen, kann ich darinn finden, daß durch irgend eine Unvorsichtigkeit etwas von meinem Entschluß, über die Umstände von Fichteʼs Dimission eine Erklärung vorgehen zu lassen, ausgekommen ist, und daß jemand es seinem Interesse gemäß gefunden hat, diese Erklärung, die für Fichte gewesen wäre, zu einer gegen ihn zu machen. Um desto mehr bitte ich Sie, Ihrerseits so viel möglich zu versuchen, dem Urheber der Nachricht bei F[ichte] auf die Spur zu kommen; ferner: ihm zu bezeugen, daß ich schon bei Ihrer Abreise von hier Sie gebeten, Fichte’n um seine Einwilligung und Meinung wegen einer solchen Erklärung in meinem Namen zu befragen, zum Beweis, daß auch diese Erklærung für ihn nicht hinter seinem Rüken geschehen sollte.
Was Schleyermacher von wegen des Jacobi sagt ist allerdings gegründet. Denn allerdings muß jede Kritik weit über ihren Gegenstand hinausgehen, auf Grundsätze, die nicht in ihm liegen. – Herzlichsten Gruß.
Ihr Schelling.
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