Wohlgebohrner Herr!
Ich habe nicht die Ehre Ew. p. persönlich bekannt zu seyn, und wollte Gott, ich würde nicht durch eine traurige Gelegenheit veranlaßt, mich Ihnen schriftlich bekannt zu machen. Diese Veranlassung – die schmerzhafteste, welche einem Freund gegeben werden kann – ist das Absterben Ihres HE. Bruders am 9ten September 1789 hieselbst – es geschieht auf besonders Verlangen des Unvergeßlichen, daß ich Ihnen schreibe – ich fühle mich unfähig, diesen Auftrag gehörig auszurichten, und mein seliger Freund hat bloß meinen guten Willen in Betracht gezogen, da er mir dieses letzte Merkmahl seines Zutrauens schenkte. Schon seit geraumer Zeit hatte die Gesundheit des Seligen merklich abgenommen; sein ohnehin schwacher Körper ward durch ein zweyjähriges Leiden, welches ihm eine blinde Verfolgungssucht zuzog, die durch Bosheit veranlaßt, und durch Schwachheit, die in derselben Ruhm zu finden hoffte, geschützt wurde, noch mehr zerrüttet; und, ob ihn gleich sein starker Geist aufrecht erhielt, das Ende seiner Trübsale auszudauern, so können Sie sich doch leicht vorstellen, wie sehr die Lebenskräfte, durch die Leiden welche ein solches Herz und Geist erdulden mußten, untergraben wurden. Seine gewöhnliche Krankheit war eine häufige Ergießung der Galle und unwillkührliche Erbrechen. Diese Zufälle kamen einige Monate vor seinem Ende öfterer, und eine Fühllosigkeit und Lähmung in den Beinen und Händen gesellte sich dazu. Nachdem durch Eingang des R.[egiments] G.[erichts] Spruchs seine Ehre gerichtlich und öffentlich gerettet, und auch durch Beylegung einiger unvermeidlichen Privataffairen – die für ihn glücklich ausfielen, und seine Widersacher fühlbar straften – seine Ehre auch von dieser Seite gesichert war – that er einige Zeit Dienste im Regiment, wozu er die größte Anstrengung seiner Kräfte gebrauchte; und ging darauf, auf Anrathen seiner Freunde, einige 30 Englische Meilen von hier ins Land, um Ruhe zu schöpfen, da selbst die Ärzte diese Ruhe zu seiner Besserung unentbehrlich hielten. – Aber nach einigen Tagen stellte sich die Lähmung heftiger ein, und unterm 23ten August schrieb er mir von daher ihn abzuhohlen und dabey folgendes:
„Die Lähmung meiner Glieder ist immer stärker geworden, so daß ich für die Zukunft äußerst besorgt zu werden anfange; [2] auf die Beine kann ich gar nicht mehr treten, und komme daher nicht aus der Stube. – Diese Erschlaffung der Muskeln hat sich auch auf die Arme, den Bauch und itzt die Brust ausgedehnt, in welcher ich besonders viel Schmerzen fühle pp – es ist hart, daß, da ich mich erst soeben aus einem Labyrinth von Leiden und Verdruß herausgewickelt, mich schon wieder ein Unglück neuer Art heimsucht. Ich eilte voll Hoffnung hieher, um die Heilkraft der Einsamkeit für mein krankes Herz zu versuchen, um in heiterer ländlicher Stille mich wieder zu finden, wie ich war vor dieser zweyjährigen leidenschaftlichen Zerrüttung. – Nun muß auch diese Hoffnung durch eine neue Furcht vereitelt werden! – Ach ich fühle es, daß die Ahndung die mich schon lange verfolgt hat, nur zu wahr sey – es giebt für mich kein Glück im Leben! – Das habe ich mir schon Jahre lang gesagt, und beynahe jeder Tag ist ein Beweis gewesen, daß ich schon zu lange gelebt pp. Sobald ich nach Madraß komme, will ich Gewißheit haben, ob ich hier curirt werden kann oder nicht – jetzt bin ich mit der Cur auf dem falschen Wege, das fühle ich – so lange will ich mich aufzuheitern versuchen so gut ich kann, und kühn dem Wege folgen, den mich mein Schicksal führt – – “
Sie sehen hieraus, wie er sich fühlte – einige Tage nach Erhalt dessen kam er hier; die Lähmung hatte so zugenommen, daß er ohne Hülfe das Bett nicht verlassen konnte. Die eine Hand konnte er gar nicht gebrauchen, das Erbrechen continuirte und Brustbeklemmungen stellten sich häufig ein. Sein Körper litt wenig, wahrscheinlich weil alle Muskeln und Nerven erschlafft waren; er blieb heiter, ließ sich vorlesen und unterhielt sich mit seinen Freunden – ein geschickter Englischer Arzt war angenommen, der mit den ersten Männern der Facultät consultirte, die aber wenig Hoffnung zur Genesung gaben – indessen ward er nicht schlimmer als ihn plötzlich den 9. September gegen Abend eine heftige Brustbeklemmung überfiel – der gerufene Arzt gab ihn auf – seine Freunde hinterbrachten ihm dieses Urtheil – mit thränenden Augen, er allein blieb gelassen – die Krämpfe waren abwechselnd stark – er phantasirte gleichfalls abwechselnd – es wurden ihm Erleichterungsmittel gereicht – Die Beklemmung schien nachzulassen – er verlangte auf einen Stuhl gebracht zu werden, [3] kaum hatte er sich gesetzt, lehnte er den Kopf zurück, schlug die Augen gen Himmel, holte tief Odem – und erlosch – keine convulsivische Bewegung – nicht die mindeste Veränderung oder Bewegung in seinen Gesichtszügen – es war die erschöpfte Natur. –
Tages darauf Nachmittags 4 Uhr ward er auf gewöhnliche Militärische Art auf dem hiesigen Gottesacker, wo bereits viele seiner Cameraden, begraben – die Officiers und alle Stabs-Officiers beyder Regimenter begleiteten die Leiche – der Pastor Holscher hielt eine kurze Rede, die Beyfall erhielt. So verlohr die bürgerliche Gesellschaft, und der Stand, dem er sich gewidmet, ein bereits rühmliches und nützliches Mitglied – von ihm kann ich mit Recht sagen, er ward nicht umräuchert und verachtet, er ward hochgeschätzt und gequält. – Viele Freunde hat er sich zu erwerben gewußt, und seine Vertrauten hingen fest an ihm, haben mit ihm ausgedauert und oft seinen sinkenden Geist aufrecht erhalten. Sie kannten gewiß sein Herz und seinen Geist; in beyden Stücken war er über gewöhnliche Menschen – leider haben diese Vorzüge nicht seines Lebens Glück gemacht. Auch in diesem Welttheile ist er nicht unbekannt geblieben – der Madraß Courier, ein privilegirtes Blatt, welches sich weit über alltägliche Zeitungen erhebt, kündigte den Tod meines Freundes unterm 16 September folgendermaßen an: Death „Lieutenant Schlegel, an Officer in one of his Majestyʼs Hanoverian regiments; extremely esteemed, and equally regretted by his brothers Officers and friends“, und den 21 October erschienen im nehmlichen Blatte folgende Zeilen:
Lines
written on the death of Lieutenant Schlegel
Shade of my friend, if haply thou canst see
The tear that falls in memory of thee,
Accept the tribute to thy virtues due,
To candor – worth – and all that friendship knew!
Had thy frail frame been as thy spirit strong,
How blest thy ripenʼd age, thy life how long!
Firm to the last, amidst a baleful strife,
That robbʼd thy breast of happiness and life,
[4] Thine was the triumph, en envyʼs the defeat,
And the still grave the happy calm retreat.
Unkindly powʼr of malice[ʼs] tainted breath,
Whose looks are poison and whose words are death!
Sir, the above lines should not be scrutinized with the eye of a critick, but be considered as the effusions of a heart that felt for the loss of a dear and respected friend. If you will be so kind to give them a place in the Madraß Courier you will highly oblige – – a constant reader.
Ich glaube nicht nöthig zu haben, zu versichern, daß diese Verse allgemeinen Befall erhielten; den mußte ihnen jeder Unbefangne zugestehen, denn sie enthalten Wahrheit, obgleich für manchen eine fürchterliche Wahrheit.
Noch vor Anfang seiner Krankheit gab er mir alle seine Papiere in Verwahrung, mit dem Auftrage, einige, die mir besonders benannt, an seinen Bruder Wilhelm Schlegel zu senden. Das Paket ist zu stark, um es auf die gewöhnliche Art zu befördern; ich werde aber Sorge tragen, sobald jemand von hier reiset, dem ichs anvertrauen kann – oder [wenn] wie zu vermuthen, die Regimenter noch in diesem Jahre zurückkehren, es selbst mitbringen. Mein Freund hat kein Testament gemacht, bloß nur eine den 1 August datirte schriftliche Vollmacht, die Acten seines Processes und übrige Schriften betreffend – dieses machten gewisse Umstände nöthig. – Ich lege eine Abschrift des Urtheils bey; die vom Reg. Gerichte erhaltne fidemirte Copey würde meinen Brief zu stark machen. Ich finde jedoch daß ich weitläuftig geworden; da mein Brief bloß für Ihre Familie geschrieben ist, so glaubte ich, daß verschiedne einem Fremden vielleicht unbedeutend scheinende Umstände für selbige Werth haben könnten. –
Sollte ich darauf mein Vaterland wiedersehen, so schmeichle ich mir mit einer genauern Bekanntschaft mit einer Familie, für die ich die größte Hochachtung hege. Versichern Sie Ihrem HE Vater und Fr. Mutter meinen Respect. Möge Gott selbige an den übrigen Ihrer Familie diejenige Freude erleben lassen wozu mein seliger unvergeßlicher Freund so große Hoffnung gab. Ich habe die Ehre p
Aug. v. Honstedt Capit[än] 14 R[egiment]