• August Wilhelm von Schlegel , Anne Louise Germaine de Staël-Holstein to Luise von Voss

  • Place of Dispatch: Coppet · Place of Destination: Unknown · Date: 20.06.1807
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel, Anne Louise Germaine de Staël-Holstein
  • Recipient: Luise von Voss
  • Place of Dispatch: Coppet
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 20.06.1807
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 199‒201.
  • Incipit: „Coppet d. 20 Jun. [180]7
    Gnädige Frau Gräfin!
    Ihren Brief vom 12ten Aug. 1806 hat mir Hr. von Lapteff bey unserer Ankunft in [...]“
    Manuscript
  • Provider: Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 5/33
Coppet d. 20 Jun. [180]7
Gnädige Frau Gräfin!
Ihren Brief vom 12ten Aug. 1806 hat mir Hr. von Lapteff bey unserer Ankunft in Genf gebracht, und wie Sie leicht denken können, in dem Hause der Frau von Stael die beste Aufnahme gefunden. Leider konnte dieser Brief mir nichts darüber sagen, wie es Ihnen und Ihrer Familie unter den Kriegsunruhen ergangen, und nach einem so langen Stillschweigen von meiner Seite wage ich es kaum, mit der lebhaftesten Theilnahme Sie um Nachricht hierüber zu bitten.
Ihr Andenken hat mich froh und stolz gemacht. Oft kommt es mir vor, als hätte man mich in Deutschland schon vergessen, und das verdiene ich nicht, denn nie war ich deutscher gesinnt als jetzt. Manches was ich während dieser wüsten Zeiten gedichtet, wird in Zukunft einmal meine treue Anhänglichkeit bezeugen können. Ich war ein Jahr lang in Frankreich, bald hier bald da, mehrmals auch in Paris; aber wenn nicht mein Bruder den Winter mit uns zugebracht hätte, so würde ich ein unerträgliches Heimweh bekommen haben, nicht gerade nach Deutschland, sondern nur überhaupt hinaus aus dieser Wüsteney der Menschheit. Zum Unglück empfindet meine unnachahmliche Freundin anders: Erinnerung, frühe Gewöhnung, freundschaftliche Verbindungen fesseln sie an ihr Vaterland, in welchem ihr jedoch nur ein einziger Aufenthalt gefällt, den man ihr versagt. Sie kann die Hoffnung nicht aufgeben, alle äußeren Umstände erschweren auch den Entschluß sich anderswohin zu wenden, dieß macht ihre Pläne für die Zukunft sehr ungewiß. – In dieser trüben Lage hat sie gewiß durch ihre Corinne einen schönen Beweis der Herrschaft über sich selbst gegeben. Vermuthlich haben Sie dieß Werk, das in Frankreich ein so außerordentliches Glück macht als keines ihrer früheren, und das, wie mich dünkt, auf einer ganz anderen Stufe steht als Delphine, schon gelesen, vielleicht haben Sie auch meiner dann und wann dabey gedacht.
Mehr der Seltsamkeit wegen als im Ernst, und eigentlich nur um mir alle Parisischen schönen Geister auf den Leib zu hetzen, habe ich etwas antifranzösisches über Racineʼs Phädra in französischer Sprache geschrieben, das eben jetzt in Paris gedruckt wird. Es ist keinesweges so gemeynt, als wollte ich ein welscher Schriftsteller werden: ich fühle mich nicht berufen, den Heiden das Evangelium zu predigen, am wenigsten wann die Gläubigen des Trostes bedürfen. Für jetzt kenne ich als Schriftsteller nur ein einziges Ziel: den Deutschen das Bild ihres alten Ruhmes, ihrer alten Würde und Freyheit im Spiegel der Vorzeit vorzuhalten, und jeden Funken von Nationalgefühl, der irgendwo schlummern mag, anzufachen. Die Gesinnungen müssen wieder vereinigen, was die äußeren Begebenheiten zerrissen haben; wenn jetzt nicht das Bedürfniß erwacht, der einheimischen biedern Weise treu und ernst anzuhängen, so ist es um alle künftige Selbständigkeit geschehen.
Haben Sie die Gedichte meines Bruders in einem Taschenbuch, Dichtergarten genannt, gelesen? Mir däucht, sie lehren ihn von einer ganz neuen Seite kennen.
Es ist möglich daß ich im Herbst nach Deutschland komme; möchte mich dann ein guter Stern in Ihre Nähe führen! Wie vieles ist vorgefallen, worüber ich einmal mit Ihnen und Ihrem Herrn Gemahl mich unterreden möchte! Empfehlen Sie mich ihm und Ihrer Frau Mutter angelegentlichst, und geben Sie mir durch eine gütige Antwort den Muth Ihnen bald wieder umständlicher zu schreiben. Niemals, gnädige Frau Gräfin, werde ich der Aufnahme, die ich in Ihrem Hause fand, anders als mit Verehrung und Dankbarkeit gedenken.
Mademoiselle Mendelsohn trägt mir auf ihr Andenken bey Ihnen zu erneuern. Ich habe bey meinen Besuchen in Paris viel angenehme Stunden bey ihr zugebracht.
Ihr unterthäniger
A. W. Schlegel

je pense sans cesse à vous ma chère comtesse je mʼinquiette de votre sort, et je voudrais le connaitre quand vous reverrai-je quand pourrai-je vous dire combien je vous aime et vous révère – où est Mad. de berg? Necker Stael de H[olstein]
Coppet d. 20 Jun. [180]7
Gnädige Frau Gräfin!
Ihren Brief vom 12ten Aug. 1806 hat mir Hr. von Lapteff bey unserer Ankunft in Genf gebracht, und wie Sie leicht denken können, in dem Hause der Frau von Stael die beste Aufnahme gefunden. Leider konnte dieser Brief mir nichts darüber sagen, wie es Ihnen und Ihrer Familie unter den Kriegsunruhen ergangen, und nach einem so langen Stillschweigen von meiner Seite wage ich es kaum, mit der lebhaftesten Theilnahme Sie um Nachricht hierüber zu bitten.
Ihr Andenken hat mich froh und stolz gemacht. Oft kommt es mir vor, als hätte man mich in Deutschland schon vergessen, und das verdiene ich nicht, denn nie war ich deutscher gesinnt als jetzt. Manches was ich während dieser wüsten Zeiten gedichtet, wird in Zukunft einmal meine treue Anhänglichkeit bezeugen können. Ich war ein Jahr lang in Frankreich, bald hier bald da, mehrmals auch in Paris; aber wenn nicht mein Bruder den Winter mit uns zugebracht hätte, so würde ich ein unerträgliches Heimweh bekommen haben, nicht gerade nach Deutschland, sondern nur überhaupt hinaus aus dieser Wüsteney der Menschheit. Zum Unglück empfindet meine unnachahmliche Freundin anders: Erinnerung, frühe Gewöhnung, freundschaftliche Verbindungen fesseln sie an ihr Vaterland, in welchem ihr jedoch nur ein einziger Aufenthalt gefällt, den man ihr versagt. Sie kann die Hoffnung nicht aufgeben, alle äußeren Umstände erschweren auch den Entschluß sich anderswohin zu wenden, dieß macht ihre Pläne für die Zukunft sehr ungewiß. – In dieser trüben Lage hat sie gewiß durch ihre Corinne einen schönen Beweis der Herrschaft über sich selbst gegeben. Vermuthlich haben Sie dieß Werk, das in Frankreich ein so außerordentliches Glück macht als keines ihrer früheren, und das, wie mich dünkt, auf einer ganz anderen Stufe steht als Delphine, schon gelesen, vielleicht haben Sie auch meiner dann und wann dabey gedacht.
Mehr der Seltsamkeit wegen als im Ernst, und eigentlich nur um mir alle Parisischen schönen Geister auf den Leib zu hetzen, habe ich etwas antifranzösisches über Racineʼs Phädra in französischer Sprache geschrieben, das eben jetzt in Paris gedruckt wird. Es ist keinesweges so gemeynt, als wollte ich ein welscher Schriftsteller werden: ich fühle mich nicht berufen, den Heiden das Evangelium zu predigen, am wenigsten wann die Gläubigen des Trostes bedürfen. Für jetzt kenne ich als Schriftsteller nur ein einziges Ziel: den Deutschen das Bild ihres alten Ruhmes, ihrer alten Würde und Freyheit im Spiegel der Vorzeit vorzuhalten, und jeden Funken von Nationalgefühl, der irgendwo schlummern mag, anzufachen. Die Gesinnungen müssen wieder vereinigen, was die äußeren Begebenheiten zerrissen haben; wenn jetzt nicht das Bedürfniß erwacht, der einheimischen biedern Weise treu und ernst anzuhängen, so ist es um alle künftige Selbständigkeit geschehen.
Haben Sie die Gedichte meines Bruders in einem Taschenbuch, Dichtergarten genannt, gelesen? Mir däucht, sie lehren ihn von einer ganz neuen Seite kennen.
Es ist möglich daß ich im Herbst nach Deutschland komme; möchte mich dann ein guter Stern in Ihre Nähe führen! Wie vieles ist vorgefallen, worüber ich einmal mit Ihnen und Ihrem Herrn Gemahl mich unterreden möchte! Empfehlen Sie mich ihm und Ihrer Frau Mutter angelegentlichst, und geben Sie mir durch eine gütige Antwort den Muth Ihnen bald wieder umständlicher zu schreiben. Niemals, gnädige Frau Gräfin, werde ich der Aufnahme, die ich in Ihrem Hause fand, anders als mit Verehrung und Dankbarkeit gedenken.
Mademoiselle Mendelsohn trägt mir auf ihr Andenken bey Ihnen zu erneuern. Ich habe bey meinen Besuchen in Paris viel angenehme Stunden bey ihr zugebracht.
Ihr unterthäniger
A. W. Schlegel

je pense sans cesse à vous ma chère comtesse je mʼinquiette de votre sort, et je voudrais le connaitre quand vous reverrai-je quand pourrai-je vous dire combien je vous aime et vous révère – où est Mad. de berg? Necker Stael de H[olstein]
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