• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Köln · Place of Destination: Genf · Date: 11.11.1805
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Köln
  • Place of Destination: Genf
  • Date: 11.11.1805
  • Notations: Absendeort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 245‒247.
  • Weitere Drucke: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 26. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Pariser und Kölner Lebensjahre (1802‒1808). Erster Teil Juni 1802 ‒ Dezember 1805). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hans Dierkes. Paderborn 2018, S. 383‒384.
  • Incipit: „[1] [Kölln] den 11ten Novemb. 1805
    Ich schrieb Dir, geliebter Bruder am 27ten October ausführlich auf Dein Verlangen über meine Lage; da [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-8
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,I,24
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 20,9 x 12,7 cm
[1] [Kölln] den 11ten Novemb. 1805
Ich schrieb Dir, geliebter Bruder am 27ten October ausführlich auf Dein Verlangen über meine Lage; da Dich meine Nachrichten nun vielleicht in Besorgniß gesezt haben, so halte ich es für nöthig, meinem Bericht ein kleines Supplement nachzuschicken. – Es ist zwar an eine ordentliche Organisazion der hiesigen Schule bei den jetzigen betrübten Umständen nicht zu denken; indessen hat man doch übel und böse ein Paar Vorlesungen organisirt, und mir eine davon angetragen. Da es nun doch im Winter fast unmöglich geworden sein würde, zu reisen, so habe ich die Logik gegen den geringen Preiß von 1000 fr. übernommen, was doch aber wenigstens hilft meine armseelige Existenz noch einige Monate weiter fortzuhaspeln. Im wesentlichen wird zwar meine Lage nicht dadurch verändert, doch brauchst Du wenigstens für den Augenblick nicht so besorgt um mich zu sein, als mein voriger Brief Dich vielleicht veranlaßt hat. Nun genug von diesen odiosis bis nach Empfang Deines nächsten Briefes. – Von der Ungern habʼ ich lange, lange keinen Brief, weiß also weder von meinem Allmanach noch von Deiner Elegie etwas, welches mich fast [2] ängstigt. – Aus Deutschland habʼ ich auch sonst noch nichts neues erhalten, außer einen dicken Band von Arnim (und Brentano) sogenannte Alte Deutsche Lieder, was man sonst Volkslieder nannte; sehr viel bekannte und oft gedruckte aus Herder pp, dann einige gute alte die ich noch nicht kannte, vorzüglich aber eine grosse Menge Schund, Kropzeug, Crethi und Plethi, mit vielen eignen Brentanereien die wenn sie nicht unverständlich wären pöbelhaft heißen würden. Die meisten dieser Lieder schweben zwischen Kuckuck und Galgen; dieses sind die Lieblingsgedanken oder Factoren dieser Art. Man könnte das Buch in dieser Rücksicht auch Gassenjungiana nennen. Es ist aber eigentlich doch zum Erbarmen wie jeder gute Gedanke, noch eh er ganz reif ist, von dieser Compagnie breit geschlagen wird! – Noch ist das erste Heft von Schellings und Marcus Journal angekommen, das fast ganz von der Chirurgie handelt, welche aber aus theosophischen [3] Principien construirt wird. – Daß der kleine Ast Professor in Landshut ist, wirst Du wohl wissen. Schon bald nach meiner Zurückkunft fand ich ein Trauerspiel Kroesus von ihm hier, die Sprache recht blühend und doch rein, aber übrigens so liebesweich wie Butter, und alles ganz voll Schicksal. Dieser Kaldaunes und Gekrösus sind in der Aesthetik sehr gut bewandert; eine solche Aesthetik hat Ast selber nun auch als Compendium gefertigt, worin es an der gehörigen Zuthat von Athenäum nicht fehlen wird. – Das Hörnchen hat eine geschichtliche Darstellung der Deutschen Poesie bei der Unger drucken lassen; so sind sie uns allenthalben auf den Hacken – μετ ιχνια βαινε Θεοιο – Ich bin sehr fleißig; was aber zuerst fertig wird weiß ich noch nicht. Etwas tüchtiges diesen Winter gewiß, ob in Prosa oder in Versen weiß ich noch nicht. – Möchtʼ ich doch das Gleiche auch bald von Dir hören; besonders vom Tristan. – Ich empfehle Dir meinen Lother und Maller; es ist ein sehr zierliches [4] Buch, das ich ganz besonders liebe, wenn gleich die Erfindung nicht so tiefsinnig ist, als im Merlin. Ich empfehle es Dir d. h. ich wünsche daß Du es erhalten mögest, zweifle aber sehr daß all mein Bitten und Auftragen bei dem dickhäutigen Willmans geholfen hat.
Du solltest doch wenn Du kannst, recht an den Tieck treiben und treiben lassen; ich glaube es würde ihm ganz besonders gut thun, ein Werk in Prosa zu schreiben, seien es nun Briefe über Shakspeare, Christliche Predigten, oder was neues über Italien. Daß er es leicht und vortreflich kann, zeigt der Anfang der Briefe. Ich glaube es würde für seine Poesie sehr vortheilhaft sein, wenn er sich seiner Philosophie oder Mystik auf diese Weise entledigte, und mir würde auch die erste sehr lieb sein. – Nun genug geschwazt, ich hoffe Nachricht von Dir zu erhalten.
Herzlich
Dein Friedrich S.[chlegel]

Meine Frau grüßt Dich vielmahls. Wir arbeiten jezt an einem Ritter-Roman aus einer ganz andern noch wenig bekannten Sphäre; Primaleone, eine Fortsetzung des Palmerin; sehr mährchenhaft, und orientalisch, bedarf aber weit mehr Umbildung.
Schreib mir ja so viel von der Staël und ihren Planen als Du kannst und empfiehl mich ihrem Andenken.
[1] [Kölln] den 11ten Novemb. 1805
Ich schrieb Dir, geliebter Bruder am 27ten October ausführlich auf Dein Verlangen über meine Lage; da Dich meine Nachrichten nun vielleicht in Besorgniß gesezt haben, so halte ich es für nöthig, meinem Bericht ein kleines Supplement nachzuschicken. – Es ist zwar an eine ordentliche Organisazion der hiesigen Schule bei den jetzigen betrübten Umständen nicht zu denken; indessen hat man doch übel und böse ein Paar Vorlesungen organisirt, und mir eine davon angetragen. Da es nun doch im Winter fast unmöglich geworden sein würde, zu reisen, so habe ich die Logik gegen den geringen Preiß von 1000 fr. übernommen, was doch aber wenigstens hilft meine armseelige Existenz noch einige Monate weiter fortzuhaspeln. Im wesentlichen wird zwar meine Lage nicht dadurch verändert, doch brauchst Du wenigstens für den Augenblick nicht so besorgt um mich zu sein, als mein voriger Brief Dich vielleicht veranlaßt hat. Nun genug von diesen odiosis bis nach Empfang Deines nächsten Briefes. – Von der Ungern habʼ ich lange, lange keinen Brief, weiß also weder von meinem Allmanach noch von Deiner Elegie etwas, welches mich fast [2] ängstigt. – Aus Deutschland habʼ ich auch sonst noch nichts neues erhalten, außer einen dicken Band von Arnim (und Brentano) sogenannte Alte Deutsche Lieder, was man sonst Volkslieder nannte; sehr viel bekannte und oft gedruckte aus Herder pp, dann einige gute alte die ich noch nicht kannte, vorzüglich aber eine grosse Menge Schund, Kropzeug, Crethi und Plethi, mit vielen eignen Brentanereien die wenn sie nicht unverständlich wären pöbelhaft heißen würden. Die meisten dieser Lieder schweben zwischen Kuckuck und Galgen; dieses sind die Lieblingsgedanken oder Factoren dieser Art. Man könnte das Buch in dieser Rücksicht auch Gassenjungiana nennen. Es ist aber eigentlich doch zum Erbarmen wie jeder gute Gedanke, noch eh er ganz reif ist, von dieser Compagnie breit geschlagen wird! – Noch ist das erste Heft von Schellings und Marcus Journal angekommen, das fast ganz von der Chirurgie handelt, welche aber aus theosophischen [3] Principien construirt wird. – Daß der kleine Ast Professor in Landshut ist, wirst Du wohl wissen. Schon bald nach meiner Zurückkunft fand ich ein Trauerspiel Kroesus von ihm hier, die Sprache recht blühend und doch rein, aber übrigens so liebesweich wie Butter, und alles ganz voll Schicksal. Dieser Kaldaunes und Gekrösus sind in der Aesthetik sehr gut bewandert; eine solche Aesthetik hat Ast selber nun auch als Compendium gefertigt, worin es an der gehörigen Zuthat von Athenäum nicht fehlen wird. – Das Hörnchen hat eine geschichtliche Darstellung der Deutschen Poesie bei der Unger drucken lassen; so sind sie uns allenthalben auf den Hacken – μετ ιχνια βαινε Θεοιο – Ich bin sehr fleißig; was aber zuerst fertig wird weiß ich noch nicht. Etwas tüchtiges diesen Winter gewiß, ob in Prosa oder in Versen weiß ich noch nicht. – Möchtʼ ich doch das Gleiche auch bald von Dir hören; besonders vom Tristan. – Ich empfehle Dir meinen Lother und Maller; es ist ein sehr zierliches [4] Buch, das ich ganz besonders liebe, wenn gleich die Erfindung nicht so tiefsinnig ist, als im Merlin. Ich empfehle es Dir d. h. ich wünsche daß Du es erhalten mögest, zweifle aber sehr daß all mein Bitten und Auftragen bei dem dickhäutigen Willmans geholfen hat.
Du solltest doch wenn Du kannst, recht an den Tieck treiben und treiben lassen; ich glaube es würde ihm ganz besonders gut thun, ein Werk in Prosa zu schreiben, seien es nun Briefe über Shakspeare, Christliche Predigten, oder was neues über Italien. Daß er es leicht und vortreflich kann, zeigt der Anfang der Briefe. Ich glaube es würde für seine Poesie sehr vortheilhaft sein, wenn er sich seiner Philosophie oder Mystik auf diese Weise entledigte, und mir würde auch die erste sehr lieb sein. – Nun genug geschwazt, ich hoffe Nachricht von Dir zu erhalten.
Herzlich
Dein Friedrich S.[chlegel]

Meine Frau grüßt Dich vielmahls. Wir arbeiten jezt an einem Ritter-Roman aus einer ganz andern noch wenig bekannten Sphäre; Primaleone, eine Fortsetzung des Palmerin; sehr mährchenhaft, und orientalisch, bedarf aber weit mehr Umbildung.
Schreib mir ja so viel von der Staël und ihren Planen als Du kannst und empfiehl mich ihrem Andenken.
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