• August Wilhelm von Schlegel to Friedrich Wilken

  • Place of Dispatch: Genf · Place of Destination: Unknown · Date: 18.04.1811
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Friedrich Wilken
  • Place of Dispatch: Genf
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 18.04.1811
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 265‒267.
  • Incipit: „Genf d. 18. April 1811
    Hochgeehrtester Herr Professor!
    Ew. Wohlgeb. habe ich wegen meines langen Stillschweigens auf Ihren zuvorkommenden Brief vom 2. Dec. [...]“
Genf d. 18. April 1811
Hochgeehrtester Herr Professor!
Ew. Wohlgeb. habe ich wegen meines langen Stillschweigens auf Ihren zuvorkommenden Brief vom 2. Dec. v. J. tausendmal um Verzeihung zu bitten. Ein schmerzlicher Trauerfall, den ich vor einigen Monaten erlebt, hat mich lange zur Besorgung selbst drängender Geschäfte außer Stand gesetzt. Dieß war auch zum Theil Ursache, daß ich von den versprochenen Beyträgen zu den Heidelbergischen J.[ahr] B.[üchern] für diesen Jahrgang noch nichts geliefert habe.
Erlauben Sie mir, sogleich von dem Ihre Zeitschrift betreffenden zu reden.
Zuvörderst muß ich bemerken, daß eine kleine Irrung vorgefallen ist. Die Anzeige des Werkes der Brüder Riepenhausen war mir übertragen, und nun finde ich ganz unerwartet eine Recension davon von einer anderen Hand im 16. Heft d. v. J. Es scheint mir nicht billig, daß eine Recension jemanden ohne seine Beystimmung abgenommen werde, falls er nicht durch unverhältnißmäßig lange Zögerung sich dem Versprechen, sie zu liefern, stillschweigend entzogen hat. Dieß war hier aber nicht der Fall, denn ich habe das Werk kaum seit fünf Monaten in Händen. Auf jeden Fall sollte man im voraus benachrichtigt werden. Ich bin dadurch doppelt in Schaden gesetzt, weil ich das kostbare Buch bloß zu diesem Zwecke mir verschrieben, und wegen der auf die schon angefangene Recension verwandten Mühe. – Übrigens hätte Hr. W—k nicht so sehr Ursache gehabt, seine Recension eilig an das Licht zu fördern, sondern immer erst eine Reise nach Italien machen mögen, um zu einer Stimme in dieser Sache berechtigt zu seyn. Denn es ist klar, daß er die Originale der Gemählde nicht selbst gesehen, da er sich in Absicht auf die Treue der Abbildungen auf das Zeugniß eines Anderen beruft. Mein Urtheil würde ganz anders ausgefallen seyn. Die Köpfe sind großentheils treu nachgeahmt, und daher ausdrucksvoll und eigenthümlich; die Zeichnung der Figuren hingegen und der Faltenwurf ist geschmeichelt, und daher der alte Charakter sehr ausgelöscht. Herr von Ramdohr äußerte mir bey seiner Durchreise nach Italien dieselbe Meynung.
Das 2te Heft d. J. enthält eine Anzeige der neueren Übersetzungen Shakspeareʼs. Ich bin dem V[er]f.[asser], Hrn. Voß dem Sohn, für die Anerkennung meiner Bemühungen sehr verbunden, und habe gegen diese Selbstrecension nichts einzuwenden. Mir däucht aber, es wäre billig gewesen, mit dieser Anzeige sogleich die meines Richard III zu verbinden, der ebenfalls schon im vorigen Jahre erschienen ist.
Sie fragen mich sehr gütig, wen ich zum Beurtheiler meiner dramaturgischen Vorlesungen vorschlage. Ich möchte scherzend darauf antworten, daß ich mir entweder Lessing oder Schiller oder Goethe ausbitte. Da wir diese aber nicht haben können, so müssen wir uns schon ohne das behelfen. Ich würde Hrn. von Collin in Wien nennen, wenn ich nicht glaubte, daß er zu viel Amtsgeschäfte hat, um es übernehmen zu können. Die Wahl bleibt Ihnen also ganz überlassen, nur wünsche ich, daß die Anzeige nicht zu lange verzögert werden möge.
Seit den drey Jahren, daß Ihre Zeitschrift besteht, sind fünf Bände von mir im Druck erschienen: drey von den Vorlesungen, ein Band vom spanischen Theater, und Richard III. Von allem diesem ist nichts in Ihrer Zeitschrift angezeigt worden, wiewohl ich sehe, daß man sich sonst genugsam beeilt, die Schriften der Mitarbeiter der Welt anzukündigen. Mir kann dieß in so fern gleichgültig seyn, als ich überzeugt bin, daß ein Werk von einigem Werth keiner anderen Anzeige bedürfe als der im Meßcatalog; aber es hat einen eigenen Schein von Vernachläßigung, der mit der Anmuthung, Mitarbeiter zu seyn, nicht eben zusammenstimmt.
Darin haben die französischen Zeitschriften einen entschiedenen Vorzug vor den unsrigen, daß sie von allen einigermaßen merkwürdigen Erscheinungen ohne Ausnahme, und zwar augenblicklich reden. Dieß leistet z. B. die vorzüglichste von allen das Journal de lʼEmpire. Unsere Zeitschriften hingegen sind oft wahre Wüsteneyen, die guten Bücher erscheinen darin – – rari nantes in gurgite vasto.
Je größer in Deutschland der Wust der unnützen, unbedeutenden oder gar abgeschmackten Bücher ist, desto kürzer sollte man sie in wenigen Zeilen abfertigen. Jemand, der nach hundert Jahren solche Zeitschriften zu Rathe ziehen wollte, in der Meynung, die wahre Geschichte unserer Litteratur daraus zusammenzulesen, würde übel berathen seyn. Aber so begnüge man sich mit einem einsichtsvoll gemachten Auszug.
Diese freymüthigen Bemerkungen bitte ich Ew. Wohlgeb. aus dem Gesichtspunkte meines aufrichtigen Eifers für den Fortgang und die Vervollkommnung Ihrer schätzbaren Zeitschrift anzusehen. Wäre ich in Ihrer Nähe, so würde es mir ein Vergnügen seyn, mich vertraulich mit Ihnen über manche Bedürfnisse unserer Litteratur zu besprechen; ich bin aber zu weit entfernt, um so rüstig mit Hand anzulegen als ich wohl wünschte, und als ich ehemals gethan. Vieles daraus kommt mir gar nicht zu Gesichte, weil ich alles, was ich zu sehen begierig bin, mir eigens verschreiben muß.
Haben Sie die Güte, mich dem Andenken Ihrer Frau Gemahlin bestens zu empfehlen. Ich wünschte auch zu wissen, wo sich Frau Hofräthin Tischbein gegenwärtig aufhält.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ew. Wohlgeb.
ergebenster
A. W. Schlegel

Die Herren Grimm möchten wohl einen etwas glimpflicheren Ton anstimmen. Der ihrige scheint mir nicht ganz angemessen für Schriftsteller, die selbst noch nichts recht bedeutendes geleistet haben, und einen ziemlich unbekannten Namen führen.
Genf d. 18. April 1811
Hochgeehrtester Herr Professor!
Ew. Wohlgeb. habe ich wegen meines langen Stillschweigens auf Ihren zuvorkommenden Brief vom 2. Dec. v. J. tausendmal um Verzeihung zu bitten. Ein schmerzlicher Trauerfall, den ich vor einigen Monaten erlebt, hat mich lange zur Besorgung selbst drängender Geschäfte außer Stand gesetzt. Dieß war auch zum Theil Ursache, daß ich von den versprochenen Beyträgen zu den Heidelbergischen J.[ahr] B.[üchern] für diesen Jahrgang noch nichts geliefert habe.
Erlauben Sie mir, sogleich von dem Ihre Zeitschrift betreffenden zu reden.
Zuvörderst muß ich bemerken, daß eine kleine Irrung vorgefallen ist. Die Anzeige des Werkes der Brüder Riepenhausen war mir übertragen, und nun finde ich ganz unerwartet eine Recension davon von einer anderen Hand im 16. Heft d. v. J. Es scheint mir nicht billig, daß eine Recension jemanden ohne seine Beystimmung abgenommen werde, falls er nicht durch unverhältnißmäßig lange Zögerung sich dem Versprechen, sie zu liefern, stillschweigend entzogen hat. Dieß war hier aber nicht der Fall, denn ich habe das Werk kaum seit fünf Monaten in Händen. Auf jeden Fall sollte man im voraus benachrichtigt werden. Ich bin dadurch doppelt in Schaden gesetzt, weil ich das kostbare Buch bloß zu diesem Zwecke mir verschrieben, und wegen der auf die schon angefangene Recension verwandten Mühe. – Übrigens hätte Hr. W—k nicht so sehr Ursache gehabt, seine Recension eilig an das Licht zu fördern, sondern immer erst eine Reise nach Italien machen mögen, um zu einer Stimme in dieser Sache berechtigt zu seyn. Denn es ist klar, daß er die Originale der Gemählde nicht selbst gesehen, da er sich in Absicht auf die Treue der Abbildungen auf das Zeugniß eines Anderen beruft. Mein Urtheil würde ganz anders ausgefallen seyn. Die Köpfe sind großentheils treu nachgeahmt, und daher ausdrucksvoll und eigenthümlich; die Zeichnung der Figuren hingegen und der Faltenwurf ist geschmeichelt, und daher der alte Charakter sehr ausgelöscht. Herr von Ramdohr äußerte mir bey seiner Durchreise nach Italien dieselbe Meynung.
Das 2te Heft d. J. enthält eine Anzeige der neueren Übersetzungen Shakspeareʼs. Ich bin dem V[er]f.[asser], Hrn. Voß dem Sohn, für die Anerkennung meiner Bemühungen sehr verbunden, und habe gegen diese Selbstrecension nichts einzuwenden. Mir däucht aber, es wäre billig gewesen, mit dieser Anzeige sogleich die meines Richard III zu verbinden, der ebenfalls schon im vorigen Jahre erschienen ist.
Sie fragen mich sehr gütig, wen ich zum Beurtheiler meiner dramaturgischen Vorlesungen vorschlage. Ich möchte scherzend darauf antworten, daß ich mir entweder Lessing oder Schiller oder Goethe ausbitte. Da wir diese aber nicht haben können, so müssen wir uns schon ohne das behelfen. Ich würde Hrn. von Collin in Wien nennen, wenn ich nicht glaubte, daß er zu viel Amtsgeschäfte hat, um es übernehmen zu können. Die Wahl bleibt Ihnen also ganz überlassen, nur wünsche ich, daß die Anzeige nicht zu lange verzögert werden möge.
Seit den drey Jahren, daß Ihre Zeitschrift besteht, sind fünf Bände von mir im Druck erschienen: drey von den Vorlesungen, ein Band vom spanischen Theater, und Richard III. Von allem diesem ist nichts in Ihrer Zeitschrift angezeigt worden, wiewohl ich sehe, daß man sich sonst genugsam beeilt, die Schriften der Mitarbeiter der Welt anzukündigen. Mir kann dieß in so fern gleichgültig seyn, als ich überzeugt bin, daß ein Werk von einigem Werth keiner anderen Anzeige bedürfe als der im Meßcatalog; aber es hat einen eigenen Schein von Vernachläßigung, der mit der Anmuthung, Mitarbeiter zu seyn, nicht eben zusammenstimmt.
Darin haben die französischen Zeitschriften einen entschiedenen Vorzug vor den unsrigen, daß sie von allen einigermaßen merkwürdigen Erscheinungen ohne Ausnahme, und zwar augenblicklich reden. Dieß leistet z. B. die vorzüglichste von allen das Journal de lʼEmpire. Unsere Zeitschriften hingegen sind oft wahre Wüsteneyen, die guten Bücher erscheinen darin – – rari nantes in gurgite vasto.
Je größer in Deutschland der Wust der unnützen, unbedeutenden oder gar abgeschmackten Bücher ist, desto kürzer sollte man sie in wenigen Zeilen abfertigen. Jemand, der nach hundert Jahren solche Zeitschriften zu Rathe ziehen wollte, in der Meynung, die wahre Geschichte unserer Litteratur daraus zusammenzulesen, würde übel berathen seyn. Aber so begnüge man sich mit einem einsichtsvoll gemachten Auszug.
Diese freymüthigen Bemerkungen bitte ich Ew. Wohlgeb. aus dem Gesichtspunkte meines aufrichtigen Eifers für den Fortgang und die Vervollkommnung Ihrer schätzbaren Zeitschrift anzusehen. Wäre ich in Ihrer Nähe, so würde es mir ein Vergnügen seyn, mich vertraulich mit Ihnen über manche Bedürfnisse unserer Litteratur zu besprechen; ich bin aber zu weit entfernt, um so rüstig mit Hand anzulegen als ich wohl wünschte, und als ich ehemals gethan. Vieles daraus kommt mir gar nicht zu Gesichte, weil ich alles, was ich zu sehen begierig bin, mir eigens verschreiben muß.
Haben Sie die Güte, mich dem Andenken Ihrer Frau Gemahlin bestens zu empfehlen. Ich wünschte auch zu wissen, wo sich Frau Hofräthin Tischbein gegenwärtig aufhält.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ew. Wohlgeb.
ergebenster
A. W. Schlegel

Die Herren Grimm möchten wohl einen etwas glimpflicheren Ton anstimmen. Der ihrige scheint mir nicht ganz angemessen für Schriftsteller, die selbst noch nichts recht bedeutendes geleistet haben, und einen ziemlich unbekannten Namen führen.
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