• Karl August Moritz Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Harburg, Elbe · Place of Destination: Bonn · Date: 18.12.1818
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Karl August Moritz Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Harburg, Elbe
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 18.12.1818
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 350‒354.
  • Incipit: „[1] Harburg, den 18. Dec. 1818
    Ich weiß in der That nicht, theuerster Bruder, wie ich diesen Brief anfangen soll. Entschuldigungen wegen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34097
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.23,Nr.99
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl. u. 1 S., hs. m. U.
  • Format: 23,3 x 18,9 cm; 11,7 x 18,9 cm
[1] Harburg, den 18. Dec. 1818
Ich weiß in der That nicht, theuerster Bruder, wie ich diesen Brief anfangen soll. Entschuldigungen wegen des Aufschubes können bey der Beantwortung eines so freundlichen, wahrhaft brüderlichen und seinem Inhalte nach so wichtigen Briefes, wie der Deinige vom 11ten August war, nicht gelten. Es kann nur allein die Versicherung gelten, daß ich im strengsten Sinne nicht früher habe antworten können, daß ich es mir von einer Woche zur andern aufs Heiligste vorgesetzt habe, und immer wieder mein mir selbst gegebnes Versprechen ungern habe brechen müssen. Und diese Versicherung kann ich Dir mit größter Wahrhaftigkeit geben. Doch genug davon für jetzt; ich darf ja dieses Schreiben nicht mit Klageliedern anfangen. An meiner innig brüderlichen Freude darüber, daß Du unserm deutschen Vaterlande, und dem häuslichen Leben wiedergegeben bist, und an der Hand einer liebenswürdigen Gattin einer schönen Zukunft entgegensiehest, hast Du gewiß nicht gezweifelt, oder Du hättest mir Unrecht gethan. Unsere Freude war um so größer, da wir Deine Erwählte schon aus interessanten Beschreibungen kannten. Mein Vetter Doctor Karl Trummer, der ein Jahr lang in Heidelberg studirte und durch sein musikalisches Talent in den gebildetsten Häusern Zutritt erhielt, hat sie uns mehrmals als das geistreichste liebenswürdigste weibliche Wesen, das er je kennen gelernt, mit größtem Enthusiasmus geschildert, und freute sich sehr, als er die Nachricht von Deiner Verbindung von uns erfuhr und in den Zeitungen las. Nimm unsrer aller, meiner Frau, meiner Töchter, die Dich nichts weniger als vergessen haben, herzlichsten Glückwunsch dazu an, und meinen brüderlichen Segen, den Du wünschest und den ich Dir von ganzen Herzen ertheile und schon lange im Geiste ertheilt habe, und empfiehl mich, den allmählig bejahrten Greis, der schwesterlichen Liebe Deiner jungen Gattin, bey deren Andenken ich mich wieder verjüngt fühle.
Du bist nun vermählt und in Bonn angetreten. Du sprichst in Deinem Briefe von Deiner Anstellung in Bonn, als von einer nur einstweiligen. Doch wie sich das auch verhalten mag, [2] es wird Dir interessant seyn, an einem werdenden litterarischen Institute, das so viel verspricht, Theil zu nehmen und mit Hand anzulegen. Bonn nimmt unter günstigen Conjuncturen für sich und unter sehr ungünstigen für unser Göttingen seinen Anfang. Ein wirklich tief verwundender Streich ist durch die Rachsucht junger Leute Göttingen beygebracht worden; von 11 bis 12,00 ist die Zahl der Studirenden auf unter 400 herabgesunken. Da Du Dich jetzt für die academische Welt interessirst, wirst Du wohl nicht ermangeln, die so eben in Hannover herausgekommene actenmäßige Darstellung jener Vorfälle zu lesen, und wirst Dich daraus überzeugen, daß doch der jetzige Geist unsrer jungen Leute nicht der rechte ist, so sehr ich auch darin mit Dir einverstanden seyn werde, daß bey dieser Angelegenheit, wie fast bey allen Angelegenheiten in dieser sublunarischen Welt, von allen Seiten gefehlt worden, und so wenig ich auch alle Behauptungen des ministeriellen Verfassers jener Schrift unterschreiben möchte, namentlich über die Ursachen der jetzigen Verschlimmerung und Verwilderung des Tons unserer academischen Jugend. Unsere Jugend trägt die Schuld unsres Zeitalters, und der Geist unsrer Zeit spricht sich in ihr nur am Kräftigsten und Unverholensten aus. Was andres kann wohl die Folge unsrer jetzigen an die Stelle der Religion und Sittlichkeit getretnen verkehrten Humanitäts-Principien und der unsinnigen Vergötterung in der Erziehung seyn, als der entschiedenste Egoismus des jüngern Geschlechts, der nun schon seit mehrern Jahrzehnden die Welt mit den härtesten Strafgerichten heimgesucht hat und noch ferner damit bedroht. Doch genug von den Fehlern einer Zeit, die nun einmal, wie es scheint, nicht gewitziget seyn will. Deine academische Thätigkeit wird Dir wahrscheinlich wieder eine Veranlassung zu einer neuen litterarischen Thätigkeit werden, und darauf freue ich mich recht sehr. Deine französische Schrift über die provençalische Litteratur habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen können. Von dem Werke Deiner verewigten Freundin über die französische Revolution habe ich einige Bruchstücke mit größten Interesse gelesen, doch muß ich frey mein Urtheil bekennen, daß meinem Bedünken nach auch hier, wie in allen [3] ihren Werken, ihr glänzender Witz bisweilen den Sieg über ihr sonst so gesundes und feines Urtheil davon trägt.
Mit meinem Seyn und Wirken hat sich denn seit unsrem letzten Zusammenseyn auch eine große und wesentliche Veränderung ereignet. Ich war in Göttingen nach einem zwanzigjährigen Aufenthalte naturalisirt; und so wenig ich als Geistlicher mit der dortigen religiösen Stimmung zufrieden seyn konnte, so war es doch um mehrerer Gründe willen mein fester Vorsatz, um keine Veränderung nachzusuchen. Die hiesige Generalsuperintendentur wurde mir angetragen; ich war nicht geneigt, sie anzunehmen, aber meine Freunde beredeten mich dazu, und meine Frau entschied sich dafür. Ich habe hier in religiöser Hinsicht einen ungleich empfänglicheren Boden gefunden, und das muß mir eine hinreichende Entschädigung für jedes andere Opfer seyn. Ich betrachte meine hiesige Lage als meinen mir von der Vorsehung angewiesenen Posten; und das beruhiget mich. Sonst ist mir hier in meinem höheren Alter ein äußerst mühevolles Leben zu Theil geworden. Außer überhäuften und fast täglichen Predigergeschäfften, die Aufsicht über eine ausgedehnte Inspection von mehr als 50 Schulen, und über die Armen- und Schulinstitute dieser Stadt, wo insbesondere die Aufsicht über unsere sehr zahlreiche und zusammengesetzte Bürger- und Töchterschule einen beträchtlichen Theil meiner Zeit in Anspruch nimmt. An geselligen Erheiterungen fehlt es mir hier fast gänzlich; denn das leidige Spiel verschlingt hier, wie in allen unsern nordischen Städten, den ganzen geselligen Verkehr. Die Nachbarschaft von Hamburg ist uns wegen der fatalen Trennung durch die Elbe nur von geringen Werthe, und ich habe mich während meines Hierseyns nur erst ein Einzigesmal zu einer Fahrt dahin abmüssigen können. – Ich muß gestehen, daß mein Loos in meinen höheren Jahren eben nicht auf das Liebliche gefallen ist. Dazu kömmt, daß nach den jetzigen Stande der Dinge meine öffentlichen Geschäffte, die ich mit dem Consistorio zu betreiben habe, mir gar wenig Befriedigung gewähren können. [4] Es drängt sich mir dabey jedesmal das schmerzliche Gefühl auf, daß alle unsere großen Erwartungen, die uns vor fünf Jahren so hoch begeisterten, fürs Erste wenigstens gänzlich getäuscht worden. Für die Religion, die kirchliche Verfassung und den geistlichen Stand ist auch nicht das Allermindeste geschehen, was doch die Zeit so dringend forderte. Man ist in das alte Gleis wieder eingefahren, dabey läßt man es bewenden; alle die alten beliebten Mißbräuche sind wieder in Gang gebracht worden, und bey unsern Landesbehörden herrscht eine unerträgliche Indolenz und Schlaffheit. Ich kann nicht läugnen, daß mich der Gedanke oft tief beugt, daß ich so in ecclesia pressa den Rest meiner Tage verleben soll. Doch dann richtet mich der Gedanke wieder auf: Deus providebit. Unmöglich kann ja die Menschheit so langjährige schreckliche Drangsaale umsonst erlitten haben. Du siehest, lieber Bruder, daß ich zu einen freundschaftlichen Briefwechsel nicht zum Heitersten gestimmt bin; und es schmerzt mich bey meinen Geschäfften vorzüglich, daß sie mich so oft von der Erfüllung der süßesten Verwandtschafts- und Freundschaftspflichten zurückhalten. Nicht weniger kränkt es mich, daß ich so gänzlich von allen litterärischen Beschäfftigungen zurückgezogen werde, für die ich mir in meinen höheren Jahren eine mehrere Muße gewünscht hätte, da ich mich meinen Zeitgenossen noch über so manche mir wichtige Angelegenheiten so gern mittheilen möchte. Ich habe mich auf die Herausgabe einiger Erbauungsschriften einschränken müssen, und werde mir die Freyheit nehmen, eine kleine Sammlung von Familienpredigten, auf die ich einigen Werth setze und die ich des Gegenstandes wegen mit Liebe bearbeitet habe, durch die Ruprechtsche Buchhandlung Deiner geehrten Gattin als Erbauungsbuch zu überschicken, und bitte um eine freundliche Aufnahme für diese kleine Gabe. Die Herausgabe meiner Reformations-Jubelpredigten ist zufällig durch einen von mir verfaßten kleinen charakteristischen Aufsatz über Dich und Friedrich veranlaßt worden, der in dem Conversations-Lexicon benutzt und in den Zeitgenossen abgedruckt ist. Wenn Dir dieser Aufsatz zu Gesichte gekommen seyn sollte, so wünsche ich, daß Du damit nicht unzufrieden gewesen seyn mögest.
Zwey sehr erheiternde Wochen brachte ich diesen Sommer bey meinem guten Bruder auf seiner schönen Villa zu. Wir vermißten nur recht schmerzlich Dich und Friedrich. Ihr hättet doch wohl eine Ausflucht dahin machen können, da die Gelegenheit zu einer solchen Vereinigung wohl schwerlich wiederkommen möchte. Doch ich freue mich um so mehr auf die Erfüllung Deines Versprechens, einmal unsern Norden zu besuchen, und dann auch mir einige Tage zu gönnen, und uns die Bekanntschaft mit Deiner Gattin zu schenken, der ich mich mit den Meinigen, so wie Dir, aufs Herzlichste empfehle.
Dein Dich liebender Bruder K. A. M. Schlegel

[5] Nachschrift.
Noch ein paar Worte über Familienangelegenheiten erlaube ich mir meinem gedehnten Briefe beyzufügen, geliebter Bruder. Meine jüngste Tochter Amalie ist seit einiger Zeit mit einem braven jungen Schulmann, dem Doctor Wolper aus Göttingen, versprochen. Mein einziger Sohn August ist seit 4 Jahren als Lehrer bey dem Königlichen Pädagogio zu Ilfeld angestellt; aber er fängt allmählich an, mit seiner dortigen klösterlichen Lage unzufrieden zu werden, und wünscht sehr eine Veränderung, wozu sich ihm im Hannöverischen noch keine Gelegenheit hat darbieten wollen. Kannst Du einmal nach Deinen Verbindungen im Preußischen ihm zu einem weitern Glück förderlich seyn, so wirst Du mich zum größten Dank verpflichten. Ich glaube dafür einstehen zu können, daß er ein recht guter Humanist ist; er ist als solcher zu Ilfeld geschätzt worden, und weiß auch sehr wohl mit jungen Leuten von Bildung umzugehen. Friedrich hat sich einmal geäußert, daß er sich sehr für ihn interessire, und das hat ihn hoch erfreut. Ich ersuche Dich, diese meine angelegentliche Bitte, wenn Du zur Erfüllung derselben etwas thun kannst, nicht aus den Augen zu verlieren. Er setzt ein großes Vertrauen auf Dich.
Schlegel
[6]
[1] Harburg, den 18. Dec. 1818
Ich weiß in der That nicht, theuerster Bruder, wie ich diesen Brief anfangen soll. Entschuldigungen wegen des Aufschubes können bey der Beantwortung eines so freundlichen, wahrhaft brüderlichen und seinem Inhalte nach so wichtigen Briefes, wie der Deinige vom 11ten August war, nicht gelten. Es kann nur allein die Versicherung gelten, daß ich im strengsten Sinne nicht früher habe antworten können, daß ich es mir von einer Woche zur andern aufs Heiligste vorgesetzt habe, und immer wieder mein mir selbst gegebnes Versprechen ungern habe brechen müssen. Und diese Versicherung kann ich Dir mit größter Wahrhaftigkeit geben. Doch genug davon für jetzt; ich darf ja dieses Schreiben nicht mit Klageliedern anfangen. An meiner innig brüderlichen Freude darüber, daß Du unserm deutschen Vaterlande, und dem häuslichen Leben wiedergegeben bist, und an der Hand einer liebenswürdigen Gattin einer schönen Zukunft entgegensiehest, hast Du gewiß nicht gezweifelt, oder Du hättest mir Unrecht gethan. Unsere Freude war um so größer, da wir Deine Erwählte schon aus interessanten Beschreibungen kannten. Mein Vetter Doctor Karl Trummer, der ein Jahr lang in Heidelberg studirte und durch sein musikalisches Talent in den gebildetsten Häusern Zutritt erhielt, hat sie uns mehrmals als das geistreichste liebenswürdigste weibliche Wesen, das er je kennen gelernt, mit größtem Enthusiasmus geschildert, und freute sich sehr, als er die Nachricht von Deiner Verbindung von uns erfuhr und in den Zeitungen las. Nimm unsrer aller, meiner Frau, meiner Töchter, die Dich nichts weniger als vergessen haben, herzlichsten Glückwunsch dazu an, und meinen brüderlichen Segen, den Du wünschest und den ich Dir von ganzen Herzen ertheile und schon lange im Geiste ertheilt habe, und empfiehl mich, den allmählig bejahrten Greis, der schwesterlichen Liebe Deiner jungen Gattin, bey deren Andenken ich mich wieder verjüngt fühle.
Du bist nun vermählt und in Bonn angetreten. Du sprichst in Deinem Briefe von Deiner Anstellung in Bonn, als von einer nur einstweiligen. Doch wie sich das auch verhalten mag, [2] es wird Dir interessant seyn, an einem werdenden litterarischen Institute, das so viel verspricht, Theil zu nehmen und mit Hand anzulegen. Bonn nimmt unter günstigen Conjuncturen für sich und unter sehr ungünstigen für unser Göttingen seinen Anfang. Ein wirklich tief verwundender Streich ist durch die Rachsucht junger Leute Göttingen beygebracht worden; von 11 bis 12,00 ist die Zahl der Studirenden auf unter 400 herabgesunken. Da Du Dich jetzt für die academische Welt interessirst, wirst Du wohl nicht ermangeln, die so eben in Hannover herausgekommene actenmäßige Darstellung jener Vorfälle zu lesen, und wirst Dich daraus überzeugen, daß doch der jetzige Geist unsrer jungen Leute nicht der rechte ist, so sehr ich auch darin mit Dir einverstanden seyn werde, daß bey dieser Angelegenheit, wie fast bey allen Angelegenheiten in dieser sublunarischen Welt, von allen Seiten gefehlt worden, und so wenig ich auch alle Behauptungen des ministeriellen Verfassers jener Schrift unterschreiben möchte, namentlich über die Ursachen der jetzigen Verschlimmerung und Verwilderung des Tons unserer academischen Jugend. Unsere Jugend trägt die Schuld unsres Zeitalters, und der Geist unsrer Zeit spricht sich in ihr nur am Kräftigsten und Unverholensten aus. Was andres kann wohl die Folge unsrer jetzigen an die Stelle der Religion und Sittlichkeit getretnen verkehrten Humanitäts-Principien und der unsinnigen Vergötterung in der Erziehung seyn, als der entschiedenste Egoismus des jüngern Geschlechts, der nun schon seit mehrern Jahrzehnden die Welt mit den härtesten Strafgerichten heimgesucht hat und noch ferner damit bedroht. Doch genug von den Fehlern einer Zeit, die nun einmal, wie es scheint, nicht gewitziget seyn will. Deine academische Thätigkeit wird Dir wahrscheinlich wieder eine Veranlassung zu einer neuen litterarischen Thätigkeit werden, und darauf freue ich mich recht sehr. Deine französische Schrift über die provençalische Litteratur habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen können. Von dem Werke Deiner verewigten Freundin über die französische Revolution habe ich einige Bruchstücke mit größten Interesse gelesen, doch muß ich frey mein Urtheil bekennen, daß meinem Bedünken nach auch hier, wie in allen [3] ihren Werken, ihr glänzender Witz bisweilen den Sieg über ihr sonst so gesundes und feines Urtheil davon trägt.
Mit meinem Seyn und Wirken hat sich denn seit unsrem letzten Zusammenseyn auch eine große und wesentliche Veränderung ereignet. Ich war in Göttingen nach einem zwanzigjährigen Aufenthalte naturalisirt; und so wenig ich als Geistlicher mit der dortigen religiösen Stimmung zufrieden seyn konnte, so war es doch um mehrerer Gründe willen mein fester Vorsatz, um keine Veränderung nachzusuchen. Die hiesige Generalsuperintendentur wurde mir angetragen; ich war nicht geneigt, sie anzunehmen, aber meine Freunde beredeten mich dazu, und meine Frau entschied sich dafür. Ich habe hier in religiöser Hinsicht einen ungleich empfänglicheren Boden gefunden, und das muß mir eine hinreichende Entschädigung für jedes andere Opfer seyn. Ich betrachte meine hiesige Lage als meinen mir von der Vorsehung angewiesenen Posten; und das beruhiget mich. Sonst ist mir hier in meinem höheren Alter ein äußerst mühevolles Leben zu Theil geworden. Außer überhäuften und fast täglichen Predigergeschäfften, die Aufsicht über eine ausgedehnte Inspection von mehr als 50 Schulen, und über die Armen- und Schulinstitute dieser Stadt, wo insbesondere die Aufsicht über unsere sehr zahlreiche und zusammengesetzte Bürger- und Töchterschule einen beträchtlichen Theil meiner Zeit in Anspruch nimmt. An geselligen Erheiterungen fehlt es mir hier fast gänzlich; denn das leidige Spiel verschlingt hier, wie in allen unsern nordischen Städten, den ganzen geselligen Verkehr. Die Nachbarschaft von Hamburg ist uns wegen der fatalen Trennung durch die Elbe nur von geringen Werthe, und ich habe mich während meines Hierseyns nur erst ein Einzigesmal zu einer Fahrt dahin abmüssigen können. – Ich muß gestehen, daß mein Loos in meinen höheren Jahren eben nicht auf das Liebliche gefallen ist. Dazu kömmt, daß nach den jetzigen Stande der Dinge meine öffentlichen Geschäffte, die ich mit dem Consistorio zu betreiben habe, mir gar wenig Befriedigung gewähren können. [4] Es drängt sich mir dabey jedesmal das schmerzliche Gefühl auf, daß alle unsere großen Erwartungen, die uns vor fünf Jahren so hoch begeisterten, fürs Erste wenigstens gänzlich getäuscht worden. Für die Religion, die kirchliche Verfassung und den geistlichen Stand ist auch nicht das Allermindeste geschehen, was doch die Zeit so dringend forderte. Man ist in das alte Gleis wieder eingefahren, dabey läßt man es bewenden; alle die alten beliebten Mißbräuche sind wieder in Gang gebracht worden, und bey unsern Landesbehörden herrscht eine unerträgliche Indolenz und Schlaffheit. Ich kann nicht läugnen, daß mich der Gedanke oft tief beugt, daß ich so in ecclesia pressa den Rest meiner Tage verleben soll. Doch dann richtet mich der Gedanke wieder auf: Deus providebit. Unmöglich kann ja die Menschheit so langjährige schreckliche Drangsaale umsonst erlitten haben. Du siehest, lieber Bruder, daß ich zu einen freundschaftlichen Briefwechsel nicht zum Heitersten gestimmt bin; und es schmerzt mich bey meinen Geschäfften vorzüglich, daß sie mich so oft von der Erfüllung der süßesten Verwandtschafts- und Freundschaftspflichten zurückhalten. Nicht weniger kränkt es mich, daß ich so gänzlich von allen litterärischen Beschäfftigungen zurückgezogen werde, für die ich mir in meinen höheren Jahren eine mehrere Muße gewünscht hätte, da ich mich meinen Zeitgenossen noch über so manche mir wichtige Angelegenheiten so gern mittheilen möchte. Ich habe mich auf die Herausgabe einiger Erbauungsschriften einschränken müssen, und werde mir die Freyheit nehmen, eine kleine Sammlung von Familienpredigten, auf die ich einigen Werth setze und die ich des Gegenstandes wegen mit Liebe bearbeitet habe, durch die Ruprechtsche Buchhandlung Deiner geehrten Gattin als Erbauungsbuch zu überschicken, und bitte um eine freundliche Aufnahme für diese kleine Gabe. Die Herausgabe meiner Reformations-Jubelpredigten ist zufällig durch einen von mir verfaßten kleinen charakteristischen Aufsatz über Dich und Friedrich veranlaßt worden, der in dem Conversations-Lexicon benutzt und in den Zeitgenossen abgedruckt ist. Wenn Dir dieser Aufsatz zu Gesichte gekommen seyn sollte, so wünsche ich, daß Du damit nicht unzufrieden gewesen seyn mögest.
Zwey sehr erheiternde Wochen brachte ich diesen Sommer bey meinem guten Bruder auf seiner schönen Villa zu. Wir vermißten nur recht schmerzlich Dich und Friedrich. Ihr hättet doch wohl eine Ausflucht dahin machen können, da die Gelegenheit zu einer solchen Vereinigung wohl schwerlich wiederkommen möchte. Doch ich freue mich um so mehr auf die Erfüllung Deines Versprechens, einmal unsern Norden zu besuchen, und dann auch mir einige Tage zu gönnen, und uns die Bekanntschaft mit Deiner Gattin zu schenken, der ich mich mit den Meinigen, so wie Dir, aufs Herzlichste empfehle.
Dein Dich liebender Bruder K. A. M. Schlegel

[5] Nachschrift.
Noch ein paar Worte über Familienangelegenheiten erlaube ich mir meinem gedehnten Briefe beyzufügen, geliebter Bruder. Meine jüngste Tochter Amalie ist seit einiger Zeit mit einem braven jungen Schulmann, dem Doctor Wolper aus Göttingen, versprochen. Mein einziger Sohn August ist seit 4 Jahren als Lehrer bey dem Königlichen Pädagogio zu Ilfeld angestellt; aber er fängt allmählich an, mit seiner dortigen klösterlichen Lage unzufrieden zu werden, und wünscht sehr eine Veränderung, wozu sich ihm im Hannöverischen noch keine Gelegenheit hat darbieten wollen. Kannst Du einmal nach Deinen Verbindungen im Preußischen ihm zu einem weitern Glück förderlich seyn, so wirst Du mich zum größten Dank verpflichten. Ich glaube dafür einstehen zu können, daß er ein recht guter Humanist ist; er ist als solcher zu Ilfeld geschätzt worden, und weiß auch sehr wohl mit jungen Leuten von Bildung umzugehen. Friedrich hat sich einmal geäußert, daß er sich sehr für ihn interessire, und das hat ihn hoch erfreut. Ich ersuche Dich, diese meine angelegentliche Bitte, wenn Du zur Erfüllung derselben etwas thun kannst, nicht aus den Augen zu verlieren. Er setzt ein großes Vertrauen auf Dich.
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