• August Wilhelm von Schlegel to Anne Louise Germaine de Staël-Holstein

  • Place of Dispatch: Bern · Place of Destination: Unknown · Date: 29.12.1811
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Anne Louise Germaine de Staël-Holstein
  • Place of Dispatch: Bern
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 29.12.1811
  • Notations: Aus rechtlichen Gründen wird vorerst die deutsche Übersetzung angezeigt.
    Printed Text
  • Bibliography: Pange, Pauline de: August Wilhelm Schlegel und Frau von Staël. Eine schicksalhafte Begegnung. Nach unveröffentlichten Briefen erzählt von Pauline Gräfin de Pange. Dt. Ausg. von Willy Grabert. Hamburg 1940, S. 265–266.
  • Incipit: „Bern, den 29. Dezember 1811.
    Liebe Freundin!
    Seit meiner Abfahrt aus Coppet habe ich noch keine Nachricht von Ihnen, und nun schreibe ich [...]“
Bern, den 29. Dezember 1811.
Liebe Freundin!
Seit meiner Abfahrt aus Coppet habe ich noch keine Nachricht von Ihnen, und nun schreibe ich Ihnen schon den dritten Brief.
Ich habe bei Fräulein Wagner, in der Wohnung der hübschen Ehrendame der Großherzogin, eine Unterkunft gefunden und habe alle Ursache, meiner Phantasie einzuheizen. Das ist wirklich nötig, denn da ich kein Zimmer mit Ofen finden konnte, schlottere ich fortwährend.
Herr von Schr[aut] hat mich genau so wie immer empfangen. Als ich ihm auseinandersetzte, weshalb ich von meinen Pässen für meine Person und meine Begleiter noch nicht Gebrauch gemacht hätte, sagte er mir: Diese Pässe haben Sie erhalten, um sie zu gebrauchen, wann Sie es an der Zeit finden. Sollten Sie sie im übrigen schon für zu alt halten, dann bin ich immer bereit, Ihnen neue auszufertigen.
Herr von der Lahr ist wirklich nach Deutschland abgereist, vorgestern habe ich mit ihm im Falken zu Mittag gegessen. Er hat sich sehr liebenswürdig erboten, Aufträge, die ich etwa für ihn hätte, zu übernehmen. Dieser Mensch ist wirklich ein armer Kerl; er sieht nicht nach einem Galgenstrick, – viel eher nach einem Gehängten aus. Jemand, der ihm auf der Straße begegnet war, fragte mich über ihn und seinen Prozeß aus und meinte dabei, er müsse wenig Hoffnung auf einen guten Ausgang haben, da man schwerlich einen sorgenvolleren, niedergedrückteren Menschen sehen könne. Ich meine, Sie sollten ihm Ihren Besitz abtreten, nicht aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern ex aequo et bono.
Herrn von Freudenreich habe ich noch nicht besuchen können; er hatte gestern zum Mittagessen die Abgeordneten bei sich, die hier sind, um mit dem fr[anzösischen] Botschafter zu verhandeln. Herr von Wattenwyl, der auch zu dieser Deputation gehört, muß an einem dieser Tage aus Frankreich zurückkehren. Frau von Freudenreich, die Frau des Schultheißen, war ernstlich krank; sie ist jetzt noch Rekonvaleszentin.
Im Augenblick wiegt sich dieses Land in großer Sorglosigkeit. Man kann sich keine Vorstellung davon machen, wie wenig geräuschvoll die Stadt hier ist. Man glaubt, auf dem Lande zu wohnen, nachdem man eine große Residenz – die Ihre – verlassen hat. Abends ist die Stadt bald wie ausgestorben, so daß die Nächte unsagbar lang sind, und das nötigste Möbel für mich wäre ein chemisches Feuerzeug, um Licht vor Tag anzuzünden.
Leben Sie wohl, liebe Freundin; senden Sie mir bald Nachrichten, daß es Ihnen gut geht.
Godefroi rechnet darauf, am 5. oder 6. Januar nach Genf zu fahren. Er interessiert sich für alles, was Sie betrifft.
Bern, den 29. Dezember 1811.
Liebe Freundin!
Seit meiner Abfahrt aus Coppet habe ich noch keine Nachricht von Ihnen, und nun schreibe ich Ihnen schon den dritten Brief.
Ich habe bei Fräulein Wagner, in der Wohnung der hübschen Ehrendame der Großherzogin, eine Unterkunft gefunden und habe alle Ursache, meiner Phantasie einzuheizen. Das ist wirklich nötig, denn da ich kein Zimmer mit Ofen finden konnte, schlottere ich fortwährend.
Herr von Schr[aut] hat mich genau so wie immer empfangen. Als ich ihm auseinandersetzte, weshalb ich von meinen Pässen für meine Person und meine Begleiter noch nicht Gebrauch gemacht hätte, sagte er mir: Diese Pässe haben Sie erhalten, um sie zu gebrauchen, wann Sie es an der Zeit finden. Sollten Sie sie im übrigen schon für zu alt halten, dann bin ich immer bereit, Ihnen neue auszufertigen.
Herr von der Lahr ist wirklich nach Deutschland abgereist, vorgestern habe ich mit ihm im Falken zu Mittag gegessen. Er hat sich sehr liebenswürdig erboten, Aufträge, die ich etwa für ihn hätte, zu übernehmen. Dieser Mensch ist wirklich ein armer Kerl; er sieht nicht nach einem Galgenstrick, – viel eher nach einem Gehängten aus. Jemand, der ihm auf der Straße begegnet war, fragte mich über ihn und seinen Prozeß aus und meinte dabei, er müsse wenig Hoffnung auf einen guten Ausgang haben, da man schwerlich einen sorgenvolleren, niedergedrückteren Menschen sehen könne. Ich meine, Sie sollten ihm Ihren Besitz abtreten, nicht aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern ex aequo et bono.
Herrn von Freudenreich habe ich noch nicht besuchen können; er hatte gestern zum Mittagessen die Abgeordneten bei sich, die hier sind, um mit dem fr[anzösischen] Botschafter zu verhandeln. Herr von Wattenwyl, der auch zu dieser Deputation gehört, muß an einem dieser Tage aus Frankreich zurückkehren. Frau von Freudenreich, die Frau des Schultheißen, war ernstlich krank; sie ist jetzt noch Rekonvaleszentin.
Im Augenblick wiegt sich dieses Land in großer Sorglosigkeit. Man kann sich keine Vorstellung davon machen, wie wenig geräuschvoll die Stadt hier ist. Man glaubt, auf dem Lande zu wohnen, nachdem man eine große Residenz – die Ihre – verlassen hat. Abends ist die Stadt bald wie ausgestorben, so daß die Nächte unsagbar lang sind, und das nötigste Möbel für mich wäre ein chemisches Feuerzeug, um Licht vor Tag anzuzünden.
Leben Sie wohl, liebe Freundin; senden Sie mir bald Nachrichten, daß es Ihnen gut geht.
Godefroi rechnet darauf, am 5. oder 6. Januar nach Genf zu fahren. Er interessiert sich für alles, was Sie betrifft.
· Original , 29.12.1811
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