• August Wilhelm von Schlegel to Anne Louise Germaine de Staël-Holstein

  • Place of Dispatch: Bern · Place of Destination: Unknown · Date: 23.01.1812
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Anne Louise Germaine de Staël-Holstein
  • Place of Dispatch: Bern
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 23.01.1812
  • Notations: Aus rechtlichen Gründen wird vorerst die deutsche Übersetzung angezeigt.
    Printed Text
  • Bibliography: Pange, Pauline de: August Wilhelm Schlegel und Frau von Staël. Eine schicksalhafte Begegnung. Nach unveröffentlichten Briefen erzählt von Pauline Gräfin de Pange. Dt. Ausg. von Willy Grabert. Hamburg 1940, S. 279‒280.
  • Incipit: „Bern, den 23. Januar [1812]
    Es scheint nach Ihren Briefen nicht, daß Sie vorgestern an mich gedacht haben – es war [...]“
Bern, den 23. Januar [1812]
Es scheint nach Ihren Briefen nicht, daß Sie vorgestern an mich gedacht haben – es war ein sehr trauriger Gedenktag für mich. Ich habe viel geweint und war sehr traurig, keine Kirche offen zu finden, wo ich still für mich hätte sein können.
Ich würde mich nicht auf Friedensgerüchte verlassen. Die außerordentliche Höhe des russischen Wechselkurses scheint mir entscheidend zu sein. Sie kann nur auf erhöhte Anspannung des Handels zurückgehen. Gestern traf ich die Schwägerin des Danziger Bürgermeisters Hufeland. Sie sagte mir, ihre Schwester schriebe ihr immer, dort sehe alles nach Krieg aus, die Stadt sei voller Truppen und dadurch sei das Amt des Herrn Hufe[land] so beschwerlich geworden, daß nur die Liebe zu seinen Landsleuten ihn seit einiger Zeit immer wieder daran gehindert habe, zurückzutreten. Wenn die Rüstungen auf beiden Seiten so weit getrieben sind, muß es einmal zur Entladung kommen, aber niemand weiß, wann.
In der deutschen Zeitung werden Sie gelesen haben, daß der größte Teil der Schweizer Regimenter sich in Wesel sammeln soll.
Man behauptet, das gelbe Fieber richte in Spanien gewaltige Verwüstungen an.
Herr und Frau von Falk haben mich höflich empfangen, aber ich warte eine Einladung ab, ehe ich wieder in ihr Haus gehe. Herr von Falk hat sich interessiert über Ihren Prozeß berichten lassen. Herr und Frau von Watt[enwyl] haben mir nichts Interessantes mitgeteilt. Ich bin immer bei den offiziellen Abendgesellschaften, die Herr Fr[eudenreich] gibt, zugegen, aber Sie wissen sehr wohl, daß nichts so leer ist, wie die große Welt im Kleinen. Herr Fellenberg kam in die Stadt, um mit mir über seine Pläne und die Ratschläge zu plaudern, die ich einem seiner Lehrer gegeben habe. – Er hat mich dringend eingeladen, nach Hofwyl zu kommen. Wie es scheint, ist er ein feiner, beweglicher Geist, der es versteht, seine Unternehmungen unter Gesichtspunkten darzustellen, die jeden interessieren müssen.
Das einzige Mittel für Sie, sich eine richtige Ansicht von Camoëns zu bilden, ist, sich eine italienische Übersetzung zu verschaffen. Es gibt sehr gute im Versmaß des Urtextes. Aber ich bezweifle, daß eine solche in Genf zu haben ist. Wenn ich mich nicht irre, gibt es auch eine gute englische Übersetzung in Versen. – Ich glaube nicht, daß, wenn man schon daran gehen will, seine eigene Jugendgeschichte zu schreiben, man das anders machen kann, als es Goethe getan hat. Welcher Mensch kann denn auf Trophäen von Schlangen hinweisen, die er in der Wiege erwürgte? Die Kindheit des Herkules und die des Merkur (der noch am Tage seiner Geburt sich heimlich aus seinen Windeln herauswickelte, um Rinder zu stehlen, und der dann die Leier erfand und sofort mit einer Improvisation über die heimliche Liebe seiner Eltern begann) sind von anderen besungen worden. In ihrem eigenen Munde würde sich eine so großsprecherische Erzählung nicht schön ausnehmen. Es ist natürlich interessant zu sehen, wie aus einem zarten Reis eine majestätische Eiche erwächst. Viele kleine Züge halte ich für sehr charakteristisch: Die Töpfe, die er auf die Straße wirft, um sich an dem Lärm zu freuen, den sie machen, bedeuten nichts anderes als den Krieg gegen alle gesellschaftlichen Vorurteile im Werther. Das Pfeifergericht und die Beschreibung der Krönung lassen mich schon seinen Götz von Berlichingen ahnen. Die Art und Weise, wie er den Siebenjährigen Krieg sieht, zeigt schon die gefühlsmäßigen Zweifel, die er auf dem Felde der Politik immer bekundete, und so geht es weiter. Zum mindesten werden Sie nicht sagen können, ich hätte eine zu hohe Erwartung von diesem Buch in Ihnen erweckt.
Sehr erfreut bin ich darüber, was Sie mir über die neue Übersetzung meiner Vorlesungen sagen. – Ich erwartete es so. Haben Sie das Manuskript aus Paris wieder zurückkommen lassen?
Liebe Freundin! Einen Teil Ihres letzten Briefes, der mir voll seltsamster Ungerechtigkeiten zu sein scheint, und der nur lange Gegenbeschuldigungen nach sich ziehen würde, übergehe ich mit Stillschweigen. Ich erschwere nichts und habe nie etwas erschwert, aber ich kenne Frauen, die sich selber das Leben schwer machen.
Bern, den 23. Januar [1812]
Es scheint nach Ihren Briefen nicht, daß Sie vorgestern an mich gedacht haben – es war ein sehr trauriger Gedenktag für mich. Ich habe viel geweint und war sehr traurig, keine Kirche offen zu finden, wo ich still für mich hätte sein können.
Ich würde mich nicht auf Friedensgerüchte verlassen. Die außerordentliche Höhe des russischen Wechselkurses scheint mir entscheidend zu sein. Sie kann nur auf erhöhte Anspannung des Handels zurückgehen. Gestern traf ich die Schwägerin des Danziger Bürgermeisters Hufeland. Sie sagte mir, ihre Schwester schriebe ihr immer, dort sehe alles nach Krieg aus, die Stadt sei voller Truppen und dadurch sei das Amt des Herrn Hufe[land] so beschwerlich geworden, daß nur die Liebe zu seinen Landsleuten ihn seit einiger Zeit immer wieder daran gehindert habe, zurückzutreten. Wenn die Rüstungen auf beiden Seiten so weit getrieben sind, muß es einmal zur Entladung kommen, aber niemand weiß, wann.
In der deutschen Zeitung werden Sie gelesen haben, daß der größte Teil der Schweizer Regimenter sich in Wesel sammeln soll.
Man behauptet, das gelbe Fieber richte in Spanien gewaltige Verwüstungen an.
Herr und Frau von Falk haben mich höflich empfangen, aber ich warte eine Einladung ab, ehe ich wieder in ihr Haus gehe. Herr von Falk hat sich interessiert über Ihren Prozeß berichten lassen. Herr und Frau von Watt[enwyl] haben mir nichts Interessantes mitgeteilt. Ich bin immer bei den offiziellen Abendgesellschaften, die Herr Fr[eudenreich] gibt, zugegen, aber Sie wissen sehr wohl, daß nichts so leer ist, wie die große Welt im Kleinen. Herr Fellenberg kam in die Stadt, um mit mir über seine Pläne und die Ratschläge zu plaudern, die ich einem seiner Lehrer gegeben habe. – Er hat mich dringend eingeladen, nach Hofwyl zu kommen. Wie es scheint, ist er ein feiner, beweglicher Geist, der es versteht, seine Unternehmungen unter Gesichtspunkten darzustellen, die jeden interessieren müssen.
Das einzige Mittel für Sie, sich eine richtige Ansicht von Camoëns zu bilden, ist, sich eine italienische Übersetzung zu verschaffen. Es gibt sehr gute im Versmaß des Urtextes. Aber ich bezweifle, daß eine solche in Genf zu haben ist. Wenn ich mich nicht irre, gibt es auch eine gute englische Übersetzung in Versen. – Ich glaube nicht, daß, wenn man schon daran gehen will, seine eigene Jugendgeschichte zu schreiben, man das anders machen kann, als es Goethe getan hat. Welcher Mensch kann denn auf Trophäen von Schlangen hinweisen, die er in der Wiege erwürgte? Die Kindheit des Herkules und die des Merkur (der noch am Tage seiner Geburt sich heimlich aus seinen Windeln herauswickelte, um Rinder zu stehlen, und der dann die Leier erfand und sofort mit einer Improvisation über die heimliche Liebe seiner Eltern begann) sind von anderen besungen worden. In ihrem eigenen Munde würde sich eine so großsprecherische Erzählung nicht schön ausnehmen. Es ist natürlich interessant zu sehen, wie aus einem zarten Reis eine majestätische Eiche erwächst. Viele kleine Züge halte ich für sehr charakteristisch: Die Töpfe, die er auf die Straße wirft, um sich an dem Lärm zu freuen, den sie machen, bedeuten nichts anderes als den Krieg gegen alle gesellschaftlichen Vorurteile im Werther. Das Pfeifergericht und die Beschreibung der Krönung lassen mich schon seinen Götz von Berlichingen ahnen. Die Art und Weise, wie er den Siebenjährigen Krieg sieht, zeigt schon die gefühlsmäßigen Zweifel, die er auf dem Felde der Politik immer bekundete, und so geht es weiter. Zum mindesten werden Sie nicht sagen können, ich hätte eine zu hohe Erwartung von diesem Buch in Ihnen erweckt.
Sehr erfreut bin ich darüber, was Sie mir über die neue Übersetzung meiner Vorlesungen sagen. – Ich erwartete es so. Haben Sie das Manuskript aus Paris wieder zurückkommen lassen?
Liebe Freundin! Einen Teil Ihres letzten Briefes, der mir voll seltsamster Ungerechtigkeiten zu sein scheint, und der nur lange Gegenbeschuldigungen nach sich ziehen würde, übergehe ich mit Stillschweigen. Ich erschwere nichts und habe nie etwas erschwert, aber ich kenne Frauen, die sich selber das Leben schwer machen.
· Original , 23.01.1812
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